
- Jürgen Felix (Hg.): Die Postmoderne im Kino. Ein Reader
(Kino-Debatten 1) Marburg: Schüren 2002. 320 S. Kart. EUR (D) 19,80.
ISBN 3-89472-325-4.
- Jens Eder (Hg.): Oberflächenrausch. Postmoderne und
Postklassik im Kino der 90er Jahre (Beiträge zur Medienästhetik
und Mediengeschichte 12) Münster u.a.: Lit 2002. 263 S. Kart. EUR (D)
17,90.
ISBN 3-8258-5523-6.
- Robert Blanchet: Blockbuster. Ästhetik, Ökonomie
und Geschichte des postklassischen Hollywoodkinos. Marburg: Schüren
2003. 271 S. Kart. EUR (D) 19,80.
ISBN 3-89472-342-4.
Die Postmoderne-Debatte ist von bemerkenswerten
Ungleichzeitigkeiten geprägt. Während in vielen
Wissenschaftsdisziplinen die Überlegungen längst über den
Postmoderne-Begriff hinausgehen und teilweise eine "Zweite Moderne"
(vgl. z.B. Klotz 1994, Edition Zweite Moderne im Suhrkamp Verlag)
konzeptualisiert wird, tauchen derzeit auf dem deutschsprachigen
Filmbuchmarkt zunehmend Publikationen zum Thema Postmoderne bzw. Postklassik
im Kino auf. Erste Grundsteine der filmspezifischen Debatte legten 1992 ein
Workshop Filmarbeit zum Thema Kino und Postmoderne in der Zeitschrift
medien praktisch und der Sammelband Filmgespenster der Postmoderne
, herausgegeben von Andreas Rost und Mike Sandbothe aus dem Jahre 1998.
Hier wurde das Thema bereits in seiner Vielschichtigkeit
angegangen und ein dementsprechend breites Spektrum an Filmen und
Ansatzpunkten des Postmoderne-und-Kino-Diskurses erörtert. Abgesehen von
verstreuten Aufsätzen in verschiedenen Fachzeitschriften und
Sammelbänden (vgl. hierzu die Bibliographie in Felix 1996) und zwei
Dissertationen (Sentürk 1998, Merschmann 2000) lässt sich
darüber hinaus im deutschsprachigen Raum keine intensivere
Auseinandersetzung mit der Postmoderne im Kino erkennen. Nun scheint sich die
Sachlage verändert zu haben, da einige neuere filmwissenschaftliche
Publikationen sich mit dem Phänomen Postmoderne teils am Rande, teils
schwerpunktmäßig beschäftigen. Im Folgenden werden drei
Bände vorgestellt, die ganz unterschiedliche Beiträge zum
Postmoderne-Diskurs leisten möchten.
Schlüsseltexte über die Postmoderne im Kino
Der Reader mit dem Titel Die Postmoderne im Kino soll
laut Herausgeber "[...] eine Diskussion anregen, wieder in Gang bringen,
die seinerzeit hierzulande allenfalls in Ansätzen geführt
wurde" (Felix, S. 8), dabei wird auf die unvermeidliche
Unvollständigkeit der vorliegenden Textsammlung hingewiesen. Nach
welchen Kriterien die Auswahl der Texte jedoch vorgenommen wurde, bleibt
unausgesprochen, das Vorwort bietet dem Leser keine Einordnung der
Beiträge in einen größeren filmtheoretischen Zusammenhang, es
finden sich auch keine näheren Angaben zu den AutorInnen, die eine
Verortung der Beiträge möglicherweise erleichtert hätten.
Der Herausgeber Jürgen Felix scheint sich außerdem
nicht festlegen zu wollen, ob man über Postmoderne im Kino als ein auf
die 80er Jahre bezogenes filmhistorisches oder als zeitgenössisches
Phänomen diskutieren sollte. Er schreibt zum einen "[...] weil mit
dem Postmodernismus der 80er Jahre eine neue Ära des Kinos begann (die
immer noch andauert)" (S. 8), zum anderen "[...] daß in der
postmodernen Dekade [!] eine neue Art des Kinos begann, die unsere
gegenwärtige Filmkultur immer noch prägt" (S. 9) und
schließlich bezeichnet er die Postmoderne als "[...] eine
(vielleicht?) vergangene Epoche des internationalen Films" (S. 10).
Solche recht vagen Aussagen nützen zur Eingrenzung und Akzentuierung des
Diskurses freilich nur wenig, Felix liefert im Vorwort zudem keine
Merkmalsbestimmungen oder Definitionsversuche. Außer Frage steht
für ihn allenfalls, [...] daß das Kino der Postmoderne die
zunehmende Mediatisierung unserer Selbst[-] und Weltbilder reflektiert"
(S. 9). Dem Leser bleibt somit selbst überlassen, welchen (Lese-)Pfad er
sich durch die gesammelten Texte sucht, der Band liefert lediglich eine
unkommentierte "Materialsammlung" (S. 10).
Die chronologisch geordnete Reihe der Aufsätze beginnt
mit einem Schlüsseltext von Umberto Eco, in dem er über die
Popularität des Films Casablanca nachdenkt und eine möglich
Begründung in der vielschichtigen Intertextualität findet, die den
Film mit zahlreichen anderen Filmen, Geschichten und Mythen verknüpft.
Eco schreibt darin den viel zitierten Satz "Zwei Klischees sind
lächerlich, hundert Klischees sind ergreifend." (S. 15) und setzt
damit einen Grundstein für die weitere Diskussion über postmoderne
Filmstilistik. Jean Baudrillard stellt Überlegungen zur
Hyperrealität von Retro-Filmen der 70er Jahre an, die in ihrer
Perfektheit fast beunruhigend wirken. Diese Filme stehen nicht für sich
selbst, sondern kommen aufgrund ihrer formalen Gestaltung als Remakes daher,
obwohl es gar keine Vorlagen gibt, auf die sie sich beziehen. Filmkunstwerke
wie Barry Lyndon oder The Last Picture Show sind für ihn
Kopien ohne Originale, also "Simulation" (S. 19).
Die Künstlichkeit solcher Filme erreicht eine neue
Dimension, die sich auch im Autorenfilm der 80er Jahre niederschlägt,
vor allem in Frankreich. Peter Krieg verabschiedet in seinem Beitrag die
Mythen der Objektivität und der Authentizität, die das Genre des
Dokumentarfilms lange Zeit prägten. Nicht Wahrheit oder Realität,
sondern verschiedene Formen der Wahrnehmung sind der Inhalt von
Dokumentarfilmen, wobei die Postmoderne offenbar bei vielen Dokumentaristen
zumindest 1990 noch als "Schimpfwort" (S. 152) galt.
Neben Texten mit allgemeineren Überlegungen zum
postmodernen Kino bietet der von Felix herausgegebene Reader auch Analysen
von einzelnen (Schlüssel-)Filmen. Frederic Jameson bezeichnet
beispielsweise Diva von Jean-Jaques Beineix als den ersten
postmodernen französischen Film und vergleicht ihn mit dem
amerikanischen Kino, vor allem Brian De Palmas "unerklärlich
vernachlässigte[m] Film" (S. 27) Blow Out. Peter W. Jansen
rehabilitiert den von der Filmkritik geächteten One From The Heart
von Francis Ford Coppola und bezeichnet ihn als "Kunstprodukt des
Kunstprodukts" (S. 36), das nicht mehr dazu einlädt, sich
"[...] im Kino an fremden Gefühlen zu erwärmen" (ebd.).
Klaus Kreimer stellt die Frage, ob David Lynch mit Wild at Heart
lediglich "Banalitäten in ungewohnter Intensität" (S.
180) präsentiert, Reinhold Görling analysiert Greenaways The
Draughtman's Contract als Diskurs über ein nach genau festgelegten
Regeln vollzogenes Spiel mit Erotik und Tod.
Weitere Beiträge diskutieren die postmodernen Spielarten
des Actionfilms, der sich zu einem "Action-Kammer-Spiel" (S. 239)
nach Bauplan der Die-Hard-Filme entwickelt und dessen Helden zu
"Comicfiguren" (S. 280) in einem Spektakel der Effekte geworden
sind, das sich primär am größtmöglichsten Schauwert
orientiert. An dieser Stelle können nicht alle der 21 Texte
angeführt werden, die in der Sammlung enthalten sind, das breite
Spektrum der behandelten Themen und Filme dürfte jedoch deutlich
geworden sein.
Der Reader Postmoderne im Kino zeigt sehr
nachdrücklich, wie das schillernde Etikett "Postmoderne" die
Filmwissenschaft unterschiedlichster theoretischer Prägung inspiriert
hat. Er fasst zweifellos wichtige Schlüsseltexte des
Postmoderne-Diskurses im Hinblick auf das Kino zusammen, ohne jedoch eine
Strukturierung und Kontextuierung der Texte anzubieten. Der Leser
erfährt nichts über die Autoren, es gibt kein Register der
besprochenen Filme mit den entsprechenden filmographischen Angaben und keinen
Sach- oder Personenindex. Da die Kriterien zur Auswahl der Aufsätze
nicht expliziert werden, bleibt unklar, weshalb bestimmte wichtige Texte, die
ebenfalls nur in Zeitschriften erschienen sind, nicht aufgenommen wurden, zum
Beispiel Joachim Paechs Vergleich von Godards A Bout de Souffle mit
dem Remake Atemlos (Paech 1992).
Die Übersetzung einiger Texte aus dem Amerikanischen und
Englischen ist sehr verdienstvoll, so liegen nun Giuliana Brunos Analyse von
Blade Runner, Barbara Creeds Überlegungen zur Postmoderne aus
Sicht der feministischen Filmtheorie und Marsha Kinders Suche nach der
Postmoderne avant-la-lettre im Neuen Deutschen Kino erstmals in
deutschsprachiger Übersetzung vor. Natürlich ließen sich hier
ebenfalls einige >Lücken< aufzeigen, z.B. könnte man einen
Text von Noël Carroll vermissen. Eine Bibliographie mit einschlägigen
deutsch- und fremdsprachigen Texten hätte den Band schließlich
abgerundet und dem Leser die vertiefende Lektüre erleichtert. Das
Ansinnen der Reihen-Herausgeber der Kino-Debatten, auch hierzulande eine
Reader-Kultur zu etablieren, die dem Vorbild der englischsprachigen
Filmwissenschaft folgt, ist in jedem Fall unterstützenswert. Mit dem
Postmoderne-Band sind erste wichtige Schritte getan, die bereits
angeführten Mängel bzw. Leerstellen
schränken jedoch die Nutzungsmöglichkeiten ein. 1
Das Kino der Oberfläche
Der von Jens Eder herausgegebene Sammelband
Oberflächenrausch setzt sich mit dem Phänomen Postmoderne
und Postklassik im Hinblick auf das Kino der 90er Jahre auseinander. Dabei
sollen im Anschluss an die im deutschsprachigen Raum nur marginal
geführte Debatte über Kino und Postmoderne vor allem solche Filme
im Zentrum stehen, die bislang in diesem Zusammenhang kaum betrachtet wurden.
Gleichzeitig sollen die teils separat geführten Diskurse über
Postmoderne und Postklassik zusammengeführt werden.
Eder nennt in seinem einleitenden Aufsatz vier
Merkmalsbereiche zur Bestimmung des Grades der Postmodernität eines
Films (vgl. Eder S. 11):
- Intertextualität
- Spektakularität und Ästhetisierung
- Selbstreferentialität
- Anti-Konventionalität und dekonstruktive
Erzählverfahren
Hierbei weist er auf die notwendige Verflechtung dieser
Merkmale hin: "Der Kern der Kategorie >postmoderner Film< liegt –
bildlich gesprochen – in dem Feld, wo sich die vier Merkmalsbereiche
überschneiden." (S. 12). Die Intertextualität postmoderner
Filme und somit ihre Doppelcodierung hat zur Folge, dass sich dem Zuschauer
mehrere Lesarten eröffnen und u.U. ganz unterschiedliche
Adressatengruppen mit dem gleichen Film angesprochen werden können.
Der zweite Merkmalsbereich bezieht sich auf die
Unverhältnismäßigkeit der Form gegenüber dem Inhalt, auf
Ästhetisierungen, die mit allen zur Verfügung stehenden filmischen
Mitteln zu einem "Rendezvous der Sinne" komponiert werden und
letztlich zu einer Überwältigung der Sinne führen können
(vgl. Schreckenberg in Rost / Sandbothe 1998, S. 122 ff.). Selbstreferentiell
sind postmoderne Filme sowohl in narrativer wie stilistischer Hinsicht, das
Publikum soll gleichzeitig in die Geschichte hineingezogen werden als auch
kritische Distanz zu ihr bewahren.
Jürgen Felix hat diese Rezeptionshaltung als ein
Oszillieren zwischen Ironie und Identifikation beschrieben (vgl. Felix 2002).
Postmoderne Filme begehen also absichtlich Konventionsbrüche und
ermöglichen auf diese Weise ein "[...] dekonstruktives Spiel mit
herkömmlichen, langweilig gewordenen Erzählmustern" (Eder, S.
22). Anti-Konventionalität ist hier jedoch keine avantgardistische
Strategie, da sich hinter ihr kein Aufklärungsanspruch verbirgt und der
Spiel-Charakter im Vordergrund steht.
Die postmoderne Filmästhetik, die in den 80er Jahren
noch als Konventionsbruch wahrgenommen wurde, wird laut Eder im Verlauf der
90er selbst zunehmend konventionalisiert (vgl. S. 31). Dies bezieht sich
nicht nur auf den Autoren- bzw. Independentfilm, sondern erfasst ebenfalls
das Mainstreamkino. Allerdings sieht Eder die innovative Phase des
postmodernen Kinos, das seiner Meinung nach mit Pulp Fiction den
Höhepunkt erreichte, als endgültig abgeschlossen. Postmoderne
Stilelemente sind längst integraler Bestandteil von Produktionen jeder
Größenart.
Postklassik
Jan Distelmeyer befasst sich in seinem Beitrag zum Band
Oberflächenrausch mit dem Phänomen der Postklassik. Der
bislang im deutschsprachigen Raum wenig benutzte Begriff des postklassischen
Films bezieht sich allein auf das Hollywood-Kino und soll darauf aufmerksam
machen, "[...] dass Hollywood trotz der fortgesetzten stilistischen und
institutionellen Kontinuitäten eine Reihe von fundamentalen
Veränderungen erfahren hat, die kritische Aufmerksamkeit verdienen"
(Kramer 1998, zit. nach Eder, S. 65). Das postklassische Hollywood beginnt
nach der Einschätzung einiger Filmhistoriker mit dem Ende des
Studiosystems, also in den 60er Jahren, andere bezeichnen wiederum die 30er
Jahre als Höhepunkt der Hollywood-Klassik, wonach alles darauf Folgende
bereits als post-klassisch bezeichnet werden könnte.
Distelmeyer versucht sich nicht an einer weiteren
Epocheneinteilung, sondern fasst die Postklassik als ästhetische
Größe. Mit dem Untergang des Studiosystems erfuhren die Produktion
und Distribution von Kinofilmen einen grundlegenden Strukturwandel, zudem
erwuchs in den Wohnzimmern mit den Medien Fernsehen und später Video
eine starke Konkurrenz für das Kino. Die Konsequenzen aus dieser neuen
Situation waren einerseits die Entstehung eines Autorenkinos mit Regisseuren
wie Robert Altman, Arthur Penn, Martin Scorsese und Francis Ford Coppola, das
heute New Hollywood genannt wird. Die in diesem Kontext entstandenen Filme
können jedoch nicht als postklassisch bezeichnet werden, New Hollywood
war – so Distelmeyer – vielmehr die "Moderne Hollywoods" (S. 68)
mit (selbst-)kritischen Ambitionen, politischen Aussagen und neuen
ästhetischen und inhaltlichen Schwerpunkten.
Andererseits entwickelte sich ein zweites neues Hollywood als
Ära des Blockbuster- und High-Concept-Films. Distelmeyer subsumiert
diese postklassischen Filme unter dem Schlagwort "Kino der
Oberfläche" (S. 69), das dem "Style" und "Look"
eines Films eine große Bedeutung zumisst. Gleichzeitig betreibt es
einen selbstreflexiven Umgang mit der Filmgeschichte und dem filmischen
Vorwissen seines Publikums und ruft so stets die mediale Verfasstheit des
Mediums Film zurück in das Bewusstsein, entlarvt das Filmbild als
Lichtprojektion auf einer Kinoleinwand. Voraussetzung für das
intertextuelle und selbstreferentielle Spiel ist der weitgehend
unbeschränkte Zugriff des Kinozuschauers auf die Filmgeschichte in Form
von Fernsehausstrahlungen, Videotheken, Kaufvideos usw.
Einen wichtigen Stellenwert nehmen im Kino der
Oberfläche die technischen Entwicklungen im Bild- und Tonbereich ein.
Während das Sound Design angesichts von Mehrkanalton und digitaler
Tontechnik völlig neue Klangwelten ermöglicht, hält im
visuellen Bereich die Computeranimation Einzug und wird für den Erfolg
von Blockbustern zunehmend wichtiger. Aus ästhetischer Perspektive kann
man also die postklassischen Mainstream-Filme ebenso als postmodern
bezeichnen, da sie sich einer postmodernen Filmästhetik – im Sinne der
vier bereits ausgeführten Merkmale Eders – bedienen.
Joan Kristin Bleicher befasst sich in zwei Beiträgen des
Bandes Oberflächenrausch mit der Intermedialität und der
Selbstreferentialität als den zentralen Strategien des postmodernen und
postklassischen Kinos. Hier verortet sie die rein filmspezifisch
geführte Diskussion im Rahmen der allgemeinen Medienentwicklung und
zeigt anschaulich die Verflechtungen zwischen den popkulturellen
Medienästhetiken auf. Der Aufsatz von Maribel Novo Fraga
beschäftigt sich mit dem Merkmal "Spektakularität und
Ästhetisierung" und analysiert das Actionkino der Nachkriegszeit.
Hierbei wird nicht nur auf narrative und technische Charakteristika Bezug
genommen, sondern ebenso auf die immer wichtiger werdenden
Vermarktungsstrategien, z.B. Merchandising, Product Placement und
Tie-in-Märkte. Eva Sobottka untersucht die Einflüsse der
postmodernen Ästhetik des Hongkong-Films auf zeitgenössische
US-Produktionen.
Welche Spuren die technischen Veränderungen der
Produktionsbedingungen durch die Evolution der Computertechnik in der
Filmästhetik hinterlassen haben, untersucht Almut Hoberg in ihrem
Beitrag. Schließlich analysiert Olaf Tarmas die Independent-Filme Do
The Right Thing, Mystery Train und Smoke im Hinblick auf
ihre Postmodernität. Er geht davon aus, dass die Postmoderne längst
selbstverständlich in Filmerzählungen einfließt und sich im
Kontext des Großstadtfilms eine "moderate Postmoderne" (S.
214) herausgebildet hat.
Der von Eder herausgegebene Band Oberflächenrausch
bietet zum einen in den Überblicksartikeln eine kompetente
Bestandsaufnahme der Diskussion um Postmoderne und Postklassik im Kino und
führt sie zum anderen an verschiedenen zentralen Stellen weiter.
Verdienstvoll ist vor allem die Zusammenführung der verwandten Diskurse
über Postklassik und Postmoderne und die Bearbeitung von Filmbeispielen,
die den über Gebühr beanspruchten >Kanon< postmoderner Filme
von Diva, Blue Velvet, Pulp Fiction usw. erweitert.
Blockbuster und postklassisches Hollywoodkino
Robert Blanchet beschäftigt sich in seiner Monographie
Blockbuster schwerpunktmäßig mit dem Phänomen des
postklassischen Hollywoodkinos, der Postmoderne-Diskurs wird nur am Rande
berücksichtigt. Ansatzpunkt ist die häufig geäußerte
These, das postklassische Hollywoodkino hätte die Kunst des
Geschichtenerzählens verlernt und würde nicht mehr auf einen
Realismuseffekt abzielen, sondern wäre nur noch auf Spektakularität
aus. Amerikanische FilmwissenschaftlerInnen wie Kristin Thompson und David
Bordwell haben sich vehement gegen diese "Fragmentierungsthese" (S.
8) ausgesprochen und betont, dass die "[...] seit jeher flexiblen
Organisationsprinzipien des klassischen Hollywood-Filmstils, wie sie sich
bereits in den Zwanzigerjahren in ihren Grundfesten entwickelt haben"
(ebd.), trotz all dieser Veränderungen weitgehend stabil geblieben
wären. Die Debatten der letzten Jahre zeigen laut Blanchet, wie
schwierig es offensichtlich ist, eine Position zu entwickeln, "[...] die
beides, sowohl Fortbestand als auch Wandel" (S. 9) zuläßt. In
Blockbuster möchte der Autor nun die offensichtlichen
"Veränderungen, Innovationen, Brüche, Reinstallationen und
Kontinuitäten" (ebd.) nachzeichnen, im historischen Kontext
bewerten und die ästhetischen und ökonomischen Grundlagen sichtbar
machen, nach denen das Hollywoodkino heute operiert.
In einem ersten Teil zum Thema
Ästhetik stellt Blanchet die Grundbegriffe des neoformalistischen
Ansatzes der Filmtheorie dar, der im deutschsprachigen Raum bislang nur wenig
rezipiert wurde. 2 Erläutert werden die
Kategorien Device, Motivation, Syuzhet und Fabula, Style sowie das hieraus
resultierende neoformalistische Narrationsmodell. Darauf aufbauend wird der
klassische Erzählstil des Hollywoodkinos in seiner narrativen,
zeitlichen und räumlichen Dimension dargestellt und an aktuellen
Filmbeispielen wie z.B. Twister und Something About Mary
veranschaulicht. Nach Edward Dmytryk zeichnet sich der klassische Stil bei
allem Aufwand gerade dadurch aus, das er versucht, für sein Publikum
weitgehend unsichtbar zu bleiben (vgl. S. 76). Großproduktionen werden
selten mit ihren Regisseuren beworben, meistens stehen die Schauspieler als
Stars im Zentrum der Werbung.
Im zweiten Teil geht es um die ökonomischen Grundlagen
des Hollywoodkinos, die in filmwissenschaftlichen Studien nur selten eine
Rolle spielen. Anhand von zahlreichen Schaubildern, Tabellen und Statistiken
belegt Blanchet die Verflechtungen der Konzerne und den Kampf um
Marktanteile. Die Entwicklung zeigt beispielsweise, dass zum einen immer mehr
teure Blockbuster mit Produktionskosten um 100 Mio US-$ produziert werden,
während zum anderen vor allem Low-Budget-Produktionen mit sehr geringen
Kosten bis etwa 10 Mio US-$ – und somit wenig finanziellem Risiko für
die Studios – gute Chancen für eine Realisierung haben. Diese
Polarisierung führt dazu, dass kaum mehr Standardfilme mit einem Budget
von 20 bis 50 Mio US-$ finanziert werden, doch gerade diese Produktionen
bieten noch verhältnismäßig große Spielräume
für inhaltliche und formale Experimente (vgl. S. 124). Blanchet
konstatiert: "Grundsätzlich stehen in Hollywood kreatives und
finanzielles Risiko [...] in direkt umgekehrt proportionalem Verhältnis
zueinander." (S. 125) Bei teuren Produktionen tritt Kreativität
hinter das Streben nach Rentabilität zurück, politische
Überlegungen spielen keine Rolle mehr, so dass Major-Studios
gleichzeitig massenkompatible Blockbuster und anspruchsvolle
Independent-Filme finanzieren.
Im dritten Teil zeichnet Blanchet die "[...] wichtigsten
ökonomischen, politischen, technologischen und ästhetischen
Entwicklungen des Hollywoodkinos seit Ende des zweiten Weltkriegs bis in das
neue Jahrtausend" (S. 10) nach. Mit dem Ende des Monopols der
Major-Studios durch die Paramount Consent Decrees im Jahre 1949 verlieren die
großen Studios die Kontrolle über die Ausstrahlung ihrer Filme,
d.h. sie müssen ihre Filme nun an unabhängige Kinobetreiber
verleihen und können sie nicht mehr in den firmeneigenen Kinoketten
aufführen. Diese Entwicklung bringt nicht nur ökonomische Folgen in
Form großer Umsatzeinbußen für die Studios mit sich, sondern
stellt zudem die fließbandartige Massenproduktion von Kinofilmen in
Frage.
Neben dieser Zwangsumstrukturierung sieht sich das Medium
Kino durch die Konkurrenz des Fernsehens herausgefordert, die Zuschauerzahlen
halbieren sich in den USA in den Jahren von 1949 bis 1959. Die Krise des
Studiosystems eröffnet schließlich einer neuen Generation von
Regisseuren verschiedene Perspektiven in Hollywood und aus den
anfänglichen Annäherungen an das europäische Autorenkino
erwächst u.a. eine neue Form des Blockbusters, die Blanchet an den
Beispielen The Godfather, Jaws und Star Wars
erörtert. Die Erfolge dieser Filme führt zu einem neuen
Produktionsstil, der "High Concept" genannt wird. Das bedeutet,
dass sich ein Film auf eine leicht kommunizierbare Grundidee stützt, die
laut Steven Spielberg mit höchstens 25 Wörtern ausgedrückt
werden sollte (vgl. S. 155). Diese Einfachheit soll dem Film ein breites
Publikum bescheren und ihn allgemein verständlich und
anschlussfähig machen.
Erfolgreiche Ideen werden dann umgehend in Form von Remakes,
Sequels, Prequels, Spin-offs wiederverwertet oder in andere Medien wie z.B.
Computerspiele, Comics, Romane usw. transformiert. Die 90er Jahre sind durch
die technischen Entwicklungen geprägt, Hollywood verlässt sich auf
die Schauwerte des Ereignis- und Attraktionskinos wie beispielsweise in
Jurassic Park, Independence Day oder Matrix. Im Kapitel
3.3.6 erläutert Blanchet, dass neben dem auf Spektakel und Action
ausgerichteten Kino in vielen Filmen auch eine postmoderne Ästhetik
nachweisbar ist, die mit Doppelcodierungen arbeitet. So enthält z.B. der
Film Die Hard außergewöhnlich viele selbstreflexive und
-ironische Darstellungen seines Helden (vgl. S. 229 f.), die Scream
-Trilogie bietet sogar einen selbstreflexiven Diskurs über ein
ganzes Genre.
Robert Blanchets Studie über Blockbuster besticht
durch die sorgfältige Aufarbeitung und Darstellung der
neoformalistischen Filmtheorie und die schlüssige Zusammenstellung und
Bewertung von Fakten über die ökonomischen und technischen
Entwicklungen des Hollywoodkinos der Nachkriegszeit. Aufgrund der
dreigliedrigen Struktur, des Filmindexes und des angehängten Glossars
eignet sich der Band auch gut als Nachschlagewerk. Die zahlreichen
Abbildungen, Schaubilder und Tabellen veranschaulichen die dargestellten
Inhalte und erleichtern eine selektive Lektüre.
Fazit
So unterschiedlich die vorgestellten Bände in ihrem
Aufbau und in ihrer Herangehensweise an das Thema sein mögen, sie
zeigen, dass die Postmoderne und Postklassik im Kino nun endlich in breiterem
– und dem Phänomen angemessenen – Umfang diskutiert wird. Es ist zu
hoffen, dass diesen filmwissenschaftlichen Diskussionsbeiträgen weitere
Publikationen und Tagungen folgen werden und sich die Medienwissenschaft
insgesamt mehr mit diesem Thema befasst. Gerade die Intertextualität und
Intermedialität des postmodernen Filmstils bietet einen geeigneten
Ausgangspunkt für den allseits erwünschten inter- und
transdisziplinären Diskurs.
Dipl.-Päd. Michael Staiger
Pädagogische Hochschule Freiburg
Institut für deutsche Sprache und Literatur
Kunzenweg 21
D-79117 Freiburg i.Br.
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Ins Netz gestellt am 28.05.2003

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Zitierte Literatur:
Felix, Jürgen: Postmoderne Permutationen.
Vorschläge zu einer "erweiterten" Filmgeschichte. In:
MEDIENwissenschaft 4 / 1996, S. 400–410.
Felix, Jürgen: Ironie und Identifikation. Die
Postmoderne im Kino. In: ders. (Hg.): Die Postmoderne im Kino. Ein Reader.
Marburg: Schüren 2002, S. 153–179.
Klotz, Heinrich: Kunst im 20. Jahrhundert. Moderne –
Postmoderne – zweite Moderne. München: Beck 1994.
Kramer, Peter: Post-classical Hollywood. In: John Hill /
Pamela Church Gibson (Eds.): The Oxford Guide to Film Studies. Oxford:
University Press 1998, S. 289–309.
Merschmann, Helmut: Von Fledermäusen und
Muskelmännern. Postmoderne im amerikanischen Mainstream-Kino: Arnold
Schwarzenegger und Tim. Berlin: Wiss.-Verl. Spiess 2000.
Paech, Joachim: Außer Atem in die Postmoderne.
Beschleunigungen in der Filmästhetik von Godard bis McBride. In: Journal
Film Nr. 25 / 1992, S. 48–55.
Pias, Claus / Vogl, Joseph / Engell, Lorenz / Fahle, Oliver /
Neitzel, Britta (Hgg.): Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen
Theorien von Brecht bis Baudrillard. Stuttgart: DVA 2. Aufl. 2000.
Rost, Andreas / Sandbothe, Mike: Die Filmgespenster der
Postmoderne. Frankfurt / M.: Verl. der Autoren 1998.
Schreckenberg, Ernst: Was ist postmodernes Kino?
Bestandsaufnahme und filmischer Vergleich am Beispiel von "The
Hustler" und "The Color of Money". In: medien praktisch 3 /
1992, Workshop Filmarbeit IV, S. II–V.
Sentürk, Ritvan: Postmoderne Tendenzen im Film.
Erlangen, Nürnberg, Univ., Diss. 1998.
Stam, Robert / Miller, Toby (Eds.): Film and Theory. An
Anthology. Oxford: Blackwell 2000.
Wuss, Peter: Woran erkennt man die Postmoderne im Kino? Ein
stilistischer Vergleich. In: medien praktisch 3 / 1992, Workshop Filmarbeit
IV, S. X–XIII.
Anmerkungen
1 Beispiele für benutzerfreundlichere Konzeptionen sind der
Filmtheorie-Reader von Stam / Miller 2000 mit von den Herausgebern jeweils eingeleiteten Kapiteln,
einer Auswahlbibliographie sowie einem Index und aus dem deutschsprachigen Raum – ähnlich
aufgebaut – das Kursbuch Medienkultur von Pias, Vogl, Engell u.a.
(2000). zurück
2 Die Hauptwerke der
"Post-Theoretiker" (Blanchet, S. 14) Carroll, Bordwell, Thompson
u.a. liegen bisher bedauerlicherweise nicht in deutscher Übersetzung
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