Stoermer überRezensent über Kern und Bertram: Über die Ankunft der Dekonstruktion bei der Philosophie

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Fabian Störmer

Über die Ankunft der Dekonstruktion
bei der Philosophie
und die Probleme der Gastfreundschaft,
mit der die Philosophie die Dekonstruktion
in Empfang nimmt

  • Andrea Kern, Christoph Menke (Hg.): Philosophie der Dekonstruktion. Zum Verhältnis von Normativität und Praxis. (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1607) Frankfurt am Main: Suhrkamp 2002. 346 S. Brosch. EUR (D) 13
    ISBN 3-518-29207-2.
  • Georg W. Bertram: Hermeneutik und Dekonstruktion. Konturen einer Auseinandersetzung der Gegenwartsphilosophie. München: Fink 2002. Brosch. EUR (D) 24,90.
    ISBN 3-7705-3643-6


I. Eine strategische Allianz
und das begründete Ende einer Polemik

Vor nicht allzu langer Zeit, nämlich am 31.5.2003, erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein programmatischer Essay von Jürgen Habermas zur Neubestimmung der Rolle des "alten" Europa nach dem Irakkrieg und den politischen Auseinandersetzungen in dessen Vorfeld. Der Text war Teil einer gemeinsamen Initiative europäischer Intellektueller, die am selben Tag in großen europäischen Tageszeitungen jeweils ihre Überlegungen zu diesem Thema veröffentlicht haben. Jacques Derrida beteiligte sich an der Aktion, indem er den Aufsatz von Habermas mit diesem gemeinsam unterzeichnete und mit einer kurzen Vorbemerkung versah, in der es u. a. heißt: "Jürgen Habermas und mir liegt es am Herzen, diese Analyse, die zugleich ein Aufruf ist, gemeinsam zu unterzeichnen. Wir halten es heute für notwendig und dringend, daß ungeachtet der Auseinandersetzungen, die uns in der Vergangenheit getrennt haben mögen, deutsche und französische Philosophen ihre Stimme gemeinsam erheben. [...] Bei allen offenkundigen Unterschieden in unseren Ansätzen und Argumentationen berühren sich [...] unsere Ansichten im Hinblick auf die Zukunft der Institutionen des internationalen Rechts und die neuen Aufgaben für Europa." 1

Die Beilegung der deutsch-französischen Auseinandersetzungen, in denen die Rezeption des sogenannten Poststrukturalismus eine zeitlang die sehr befremdliche Form einer nationalen Kontroverse und die wenig angenehmen Züge einer teilweise wütenden und von moralischen Verdächtigungen geprägten Polemik angenommen hat, unterstreicht hier die Dringlichkeit einer "Allianz der Unwilligen", die ihre internen Streitigkeiten beilegen, um gemeinsam gegen den Zynismus der Macht und für die Prinzipien und Institutionen demokratischer Kontrolle und rechtsförmiger Entscheidungsprozesse das Wort zu ergreifen.

Dass eine solche Allianz, die ja nicht zuletzt für das Recht, unterschiedlicher Meinung zu sein, eintritt, also für eine Grundbedingung auch des intellektuellen Streits, heute möglich und fast selbstverständlich erscheint, ist allerdings nicht nur eine Folge des gewachsenen äußeren Drucks, der eine Art "Burgfrieden" herausfordert. Es ist auch die Folge eines anhaltenden Diskussionsprozesses, in dem bestimmte Vorurteile insbesondere gegenüber dem von Jacques Derrida formulierten Diskurs der "Dekonstruktion" als solche kenntlich und deshalb weitgehend bedeutungslos geworden sind.

In seinen 1988 erschienenen Vorlesungen über den Philosophischen Diskurs der Moderne hatte Habermas selbst Derrida noch vorgehalten, auch er betreibe "am Ende nur eine Mystifizierung handgreiflicher gesellschaftlicher Pathologien", und lande, wie schon Heidegger, "bei der leerformelhaften Beschwörung einer unbestimmten Autorität." 2 Und damit formulierte Habermas keineswegs eine extreme, sondern eine für die damalige Wahrnehmung der Dekonstruktion außerhalb des poststrukturalistischen Umfeldes selbst eher typische Einschätzung.

Zur Beseitigung der auf diese Weise aufgerichteten Barrieren für eine differenzierte philosophische Rezeption der Dekonstruktion und eine unvoreingenommene Diskussion ihrer Vereinbarkeit und Unvereinbarkeit etwa mit der deutschen Tradition der Hermeneutik oder der angelsächsischen Tradition pragmatischer Sprachphilosophie, trug wohl erheblich bei, dass Derrida selbst in seinen ungefähr seit den späten 1980er Jahren erschienenen Arbeiten verstärkt die politischen und ethischen Intentionen, die sich mit seinem Projekt der Dekonstruktion verbinden, ausdrücklich thematisiert und dabei gelegentlich auf eine ziemlich unzweideutige Weise klar gestellt hat, dass er keineswegs an einer Legitimation >mystischer Autorität< noch an einem relativistischen Verständnis von Normen interessiert sei, sondern an einer gerechten Praxis, die es, um dem Anspruch der Gerechtigkeit die Treue zu halten, u. a. mit jenen Aporien aufnehmen sollte, die das Verhältnis von Regel und Anwendung oder von allgemeinem Recht und konkretem Urteil durchziehen. 3

Inzwischen scheint jedenfalls nicht nur die Zeit für übergreifende politische Allianzen europäischer Intellektueller gekommen, sondern auch die Auseinandersetzung mit der Dekonstruktion bei der Möglichkeit einer inhaltlich produktiven Diskussion der von dieser aufgeworfenen Probleme aus dem Blickwinkel unterschiedlicher philosophischer Traditionen angekommen zu sein.

II. Ein Sammelband über
die Philosophie der Dekonstruktion

1. Über den Nutzen der Dekonstruktion für die Philosophie,
die Voraussetzung, dass die Dekonstruktion eine Philosophie sei,
und den Verdacht, dass sie gerade dies nicht ist

Zu der Möglichkeit und dem Nutzen einer solchen Auseinandersetzung mit der Dekonstruktion bemerken Andrea Kern und Christoph Menke in der Einleitung des von ihnen herausgegebenen Sammelbandes Philosophie der Dekonstruktion, "daß die Dekonstruktion – mittlerweile, muß man wohl hinzufügen – ganz offensichtlich in der Lage ist, Philosophinnen und Philosophen aus ganz verschiedenen – sei es analytischen, phänomenologischen oder hermeneutischen – Traditionen zusammenzubringen, und Probleme und Einsichten zu artikulieren hilft, die diesen philosophischen Traditionen gemeinsam sind." 4

Eine der Voraussetzungen für diese optimistische und durch die Beiträge des Bandes insgesamt gerechtfertigte Einschätzung wird schon durch den Titel der Einleitung angezeigt, nämlich die Annahme, dass die Dekonstruktion, obwohl sie nicht nur einzelne philosophische Positionen, sondern die Form des philosophischen Diskurses als solche grundlegend zu problematisieren scheint, gleichwohl selbst "als eine Gestalt kritischen Philosophierens zu begreifen ist" (Ebd., S. 12).

Der "in philosophischen Kreisen nicht eben unpopuläre" Verdacht, dass die Dekonstruktion ebendies, nämlich Philosophie, vielleicht nicht sei" (S. 7), ist den Herausgebern dabei keineswegs fremd und sie gehen bei der Einkreisung ihrer Frage nach der Philosophie der Dekonstruktion kluger Weise gerade davon aus, dass dieser Verdacht nicht "aus der Luft gegriffen" sei (ebd.).

Es handelt sich dabei nämlich nicht nur um eine Verdächtigung, die – "in philosophischen Kreisen" ausgesprochen – dazu dienen kann, die Ernsthaftigkeit und gedankliche Stringenz der Dekonstruktion prinzipiell in Zweifel zu ziehen, sondern um eine Einschätzung, die durchaus mit gutwilligen Beschreibungen der Dekonstruktion als einer spezifischen diskursiven Praxis und den Erläuterungen, die Derrida selbst gelegentlich zum Verständnis der Dekonstruktion gegeben hat, konform geht.

Zunächst betrifft dies die Bestimmung der Dekonstruktion als ein Verfahren der Lektüre, das an die Stelle einer direkten argumentativen Konfrontation mit philosophischen Thesen eine mikrologische Analyse der diskursiven Strategien setzt, mittels derer philosophische Texte ihre normativen Unterscheidungen etablieren. Sofern diese diskursiven Strategien als Praktiken des Schreibens von den gedanklichen Reflexionen, die sich in ihnen artikulieren, prinzipiell nicht vollständig eingeholt werden können, kompromittieren sie als Ungedachtes oder als blinder Fleck der philosophischen Argumentation zugleich die Reinheit normativer Unterscheidungen und die mit diesen verbundenen Geltungsansprüche.

Diesen Zusammenhang von >Blindness and Insight< aufzulösen, fühlt sich die Dekonstruktion nicht berufen. Sie müsste dazu selbst über eine kristalline Metasprache verfügen, an deren Möglichkeit zu zweifeln, zu jenen ursprünglichen Intuitionen gehört, die Derrida u. a. mit Heidegger, Lacan und dem späten Wittgenstein teilt.

2. Ein nicht ganz befriedigender Versuch,
den Verdacht, dass die Dekonstruktion keine Philosophie sei,
zu zerstreuen

Kern und Menke weisen nun zurecht darauf hin, dass dekonstruktive Lektüren, trotz dieser Verpflichtung auf eine immanente Praxis des Schreibens und Lesens implizit so etwas wie eine Theorie formulieren und dass sich die Elemente einer solchen Theorie dann eben auch von den konkreten Lektüren ablösen und unabhängig von ihnen explizieren lassen.

Dabei können sie sich auch darauf berufen, dass Derrida selbst sein Verständnis der Dekonstruktion und die Konsequenzen der von ihm verfolgten dekonstruktiven Praxis keineswegs nur in den Verlaufsformen seiner Texte demonstriert, sondern immer wieder auch objektivierend erläutert hat.

Das macht allerdings Derridas ausdrücklichen Vorbehalte gegenüber dem Versuch, "den dekonstruktiven Entwurf als Philosophie der Dekonstruktion zu rekonstruieren" nicht schon gegenstandlos. 5

3. Eine zurückhaltende Bestimmung
der Dekonstruktion als Philosophie

Die einleitenden Erläuterungen, die Kern und Menke zur Konzeption des von ihnen herausgegeben Sammelbandes geben, scheinen aber durchaus von dem Versuch geprägt, diesen Vorbehalten Rechnung zu tragen.

Zunächst einmal verbinden sie mit der Rede von der "Philosophie der Dekonstruktion" und der "Dekonstruktion als Philosophie" nämlich die Frage nach der Haltung der Dekonstruktion zur Philosophie; genauer aber: die Frage nach der Art und Reichweite der "dekonstruktiven Infragestellung" einer "Idee der Philosophie als Theorie praxiskonstitutiver Normativität und Kritik" (S. 11).

Damit wird die Dekonstruktion zwar im Hinblick auf die Philosophie wahrgenommen und insofern einem Interesse der Philosophie unterworfen, sie wird aber selbst gerade nicht als eine Philosophie in dem genannten Sinne aufgefasst, sondern eben als jenes Lektüreverfahren, das u. a. dazu dient, die normativen Unterscheidungen philosophischer Texte zu problematisieren.

Allerdings wollen Kern und Menke die "Frage nach der Dekonstruktion als Philosophie" nicht nur unter diesem "negativen Aspekt – mit Bezug auf die dekonstruktive Kritik der Philosophie –, sondern auch [unter] eine[m] positiven oder konstruktiven" verstanden wissen. Andernfalls wäre ihre Rede von einer "Philosophie der Dekonstruktion" und erst recht die Rede von der "Dekonstruktion als Philosophie" auch nur sehr bedingt plausibel. Um diese zu begründen, weisen sie darauf hin, dass die Dekonstruktion ihre Kritik an der Philosophie nur formulieren könne, "indem sie selbst ein anderes Bild der Praxis entwirft, ja mehr noch, einen anderen Vollzug der Praxis fordert." (S. 12)

Dieser Schluss scheint nicht unbedingt zwingend. Er leuchtet wohl nur dann ganz ein, wenn man davon ausgeht, dass die Dekonstruktion ihre Kritik an der Philosophie notwendig als Kritik an der Philosophie formulieren muss und sie z.B. nicht als immanente Neustrukturierung eines Diskurses vollziehen kann, über dessen Zugehörigkeit zur Philosophie oder etwa zur Literatur sie gerade keine definitive Entscheidung fällt.

Andererseits scheint es durchaus plausibel, dass die Philosophie einen solchen Diskurs, um ihn als eine Befragung der Philosophie verarbeiten zu können auch als einen philosophischen Diskurs auffassen muss, und das heißt, gemäß dem von Kern und Menke hier angesetzten Philosophieverständnis: als einen Diskurs, der selbst von normativen Implikationen geprägt ist.

Kern und Menke nehmen das von ihnen für die philosophische Befragung der Dekonstruktion angesetzte Philosophieverständnis nun ernst genug, um es nicht als eine nur mögliche, für das Verständnis der Dekonstruktion an sich unverbindliche Perspektive zu behandeln.

Zugleich scheint die von ihnen der Dekonstruktion als Voraussetzung ihrer Begegnung mit diesem Philosophieverständnis auferlegte Bestimmung als Philosophie aber selbst schon das Ergebnis einer dekonstruktiven Überarbeitung der "Idee der Philosophie als Theorie praxiskonstitutiver Normativität und Kritik" zu sein.

Die für die Philosophie angenommene Aufgabe, "die positiven Begriffe oder Ausdrücke [zu erläutern], die wir in (oder zu) praxiskonstitutiven normativen Unterscheidungen verwenden" (S. 8), wird nämlich für die Dekonstruktion in die Aufgabe übersetzt, "ein anderes Bild der Praxis zu entwerfen"; und der von der Philosophie erwarteten Leistung, durch ihre Erläuterungen zugleich, "wie auch immer schwach, [...] eine Kraft der Begründung gegenüber den normativen oder kritischen Operationen, die sie erläutert", zu gewinnen (ebd.), kann die Dekonstruktion nach dieser Bestimmung bereits entsprechen, sofern sie "einen anderen Vollzug der Praxis fordert" (S. 12).

Das Philosophische der Dekonstruktion wird damit so bestimmt, dass es selbst mit ihrem Verständnis als einer ungebundenen, jede Festlegung vermeidenden politisch-ästhetischen Praxis des Entwurfs nicht unvereinbar erscheint. Umgekehrt strapaziert ein Verständnis der Philosophie, das die Dekonstruktion in dieser Weise als Teil der Philosophie auffasst, den philosophischen Anspruch der Explikation und Begründung erheblich. Insofern begegnen sich in der von Kern und Menke skizzierten Konzeption einer Philosophie der Dekonstruktion Philosophie und Dekonstruktion tatsächlich auf halber Strecke; und das scheint eine gute Voraussetzung dafür, um ein Gespräch zwischen ihnen in Gang zu bringen.

4. Eine klassische Gliederung von Beiträgen
zu einer philosophischen Diskussion
der Dekonstruktion

Die Beiträge des Bandes, die nach der Angabe der Herausgeber gut zur Hälfte auf eine an der Universität Potsdam im Juli 2001 veranstaltete Tagung zurückgehen, sind in drei Blöcke mit jeweils fünf Texten zusammengestellt. Der erste steht unter dem Titel "Philosophie und Normativität", der auf "die grundsätzliche Frage" hinweisen soll, "was es heißt, das Wesen normativer Begriffe zu erfassen" und "inwiefern in dem Versuch der Philosophie, genau das zu tun, ein grundsätzliches >Artikulationsproblem< aufbricht." (S. 12) Die Überschriften der zweiten und dritten Gruppe von Beiträgen verweisen dann darauf, dass in diesen nach der klassischen Aufteilung zunächst der Bereich der theoretischen Philosophie ("Wahrheit, Wissen, Verstehen"), dann der Bereich der praktischen Philosophie ("Gerechtigkeit, Gemeinschaft, Subjektivität") im Zentrum stehen sollen.

Wie meist bei solchen Gliederungen von Sammelbänden, ließen sich sowohl andere Zuordnungen einzelner Beiträge zu den gewählten Rubriken, als auch ganz andere Prinzipien der Zusammenstellung denken. Anders als man es inzwischen von vielen Sammelbänden gewöhnt ist, rührt das bei dem hier besprochenen aber nicht daher, dass die Ansätze und Interessen der einzelnen Autoren so disparat sind, dass sie ohnehin nur unter sehr formellen Gesichtspunkten aufeinander zu beziehen wären, sondern umgekehrt daher, dass die Beiträge durch eine ganze Reihe substantieller Parallelen aufeinander bezogen sind und in ihrer Gesamtheit tatsächlich als Diskussion der von den Herausgebern skizzierten Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Dekonstruktion wahrgenommen werden können.

III. Zu den Beiträgen des Bandes
Philosophie der Dekonstruktion

1. Eine unproblematische Beteiligung
der Dekonstruktion an der Philosophie

Der Aufsatz von Primin Stekeler-Weithofer, der den Band eröffnet, entwirft von diesem Verhältnis insofern ein unproblematisches Bild, als er die Dekonstruktion als Element einer den methodischen Umfang der Philosophie bestimmenden Trias von Konstruktion, Rekonstruktion und Dekonstruktion einführt. Dabei gilt ihm die Rekonstruktion im Sinne von Hegels "Programm einer vernünftigen Nachkonstruktion der Entwicklung einer Idee" 6 als notwendige Korrektur des für den Descarteschen Rationalismus ebenso wie den Empirismus von Locke und Hume, aber auch noch für Kants Kritizismus bis zu einem gewissen Gerade bestimmenden Konzepts einer synchronen Konstruktion und Analyse von Formen. Die historische Rekonstruktion löst die falsche Unmittelbarkeit synchroner Konstruktionen auf; als vernünftige Nachkonstruktion tendiert sie allerdings zu teleologischen Verzeichnungen, die ihrerseits durch die Dekonstruktion im Sinne einer genealogischen Kritik korrigiert werden müssen.

Als "Meister der Dekonstruktion (i. w. S.)" gilt Stekeler-Weithofer Heidegger (ebd., S. 34); und obwohl er darauf hinweist, dass die Dekonstruktion in dem engeren, von Derrida eingeführten Verständnis auch eine Kritik an Heidegger impliziert, gilt sein Interesse doch in erster Linie dem allgemeinen Motiv einer Kritik objektivistischer Ontologie, das Derrida nicht nur mit Heidegger, sondern auch mit Hegel teilt. Stekler-Weithofer rekonstruiert das Prinzip dieser Kritik als "Aufdeckung dauernd neu auftretender Verdeckungen des Verhältnisses zwischen unserem je eigenen Tun und den impliziten Voraussetzungen dieses Tuns" (S. 37) und bestimmt dabei die impliziten Voraussetzungen, die es aufzudecken gilt, vor allem als "Traditionen gemeinsamen Handelns" (S. 34), was im Hinblick auf Derridas Konzeption der "Schrift" als différance und Heideggers Begriff der "Seinsgeschichte" wohl kaum als eine ungezwungene Erläuterung gelten kann, sondern vielmehr als eine eingreifende Interpretation aufgefasst werden muss.

Diese Interpretation beseitigt das aporetische Verhältnis zwischen dem Vollzug und der Reflexion einer Praxis nicht, aber es verleiht ihm eine mildere, an die philosophische Hermeneutik Gadamers erinnernde Form. Und gerade dies erlaubt es Stekeler-Weithofer, die Dekonstruktion nicht als eine grundlegende Problematisierung von Normativität, sondern als eine ideologiekritische Korrektur von Normen zu bestimmen, nämlich als Auflösung "der irreführenden explikativen Beschreibungen oder fehlgeleiteten reflektierenden Kommentare" zu "unserem Projekt der Entwicklung eines menschlichen Daseins." (S. 42)

2. Dekonstruktion als ein
fast unbegrenzter Hegelianismus

Zu einer nicht unähnlichen Auffassung von der philosophischen Rolle der Dekonstruktion gelangt Karin de Boer in ihren Überlegungen Zur Dekonstruktion des Hegelschen Zweckbegriffs. De Boer identifiziert sich ausdrücklich mit dem Anspruch der Philosophie Hegels, nicht nur das implizite Selbstverständnis einer Kultur zum Ausdruck zu bringen, sondern deren allgemeine Logik zu bestimmen, also "ihre Zeit in Gedanken" zu fassen. 7 Die Dekonstruktion versteht sie als "große[] Philosophie" (ebd.) in genau diesem Sinne, und sieht sie von derjenigen Hegels lediglich dadurch unterschieden, dass sie mit deren Teleologie bricht und sie durch eine "Logik" ersetzt, die "der radikalen Endlichkeit jedes Bemühens, Bedeutung, Wahrheit, Anwesenheit oder Gerechtigkeit walten zu lassen" (S. 81) gerecht wird.

Für den latenten Widerspruch, der darin liegt, die Erfahrung der radikalen Endlichkeit jedes Bemühens um Wahrheit in der Form einer allgemeinen Logik zu artikulieren, zeigt sich de Boer nicht empfänglich. Sie sieht zwar, dass es zur Strategie von Derridas Texten gehört, durch eine nur bedingt lineare Schreibweise eine begriffliche Fixierung der Dekonstruktion zu vermeiden, hält es aber keineswegs für zwingend, dieses "Spiel, das Derrida ewig mit sich selbst spielt, [...] mitzuspielen." (S. 81, Anm. 4).

Statt dessen rekonstruiert sie das unentscheidbare Verhältnis, in dem die Bedingungen der Möglichkeit von Wahrheit, Gerechtigkeit etc. zugleich die Bedingungen der Unmöglichkeit einer Erfüllung der mit den Begriffen der Wahrheit, Gerechtigkeit etc. verbundenen Ansprüche sind, als "Prinzip" einer allgemeinen Logik der Dekonstruktion.

3. Dekonstruktion als eine
"nichts-sagende" Provokation der Philosophie

Indem Alexander García Düttman dieses unentscheidbare Verhältnis gerade nicht als eine Struktur in den Blick nimmt, die von der Dekonstruktion "zum Prinzip" erhoben wird, 8 sondern als ein Verhältnis, in das der Diskurs der Dekonstruktion selbst eingelassen ist, kommt er notwendig zu dem von de Boer abweichenden Ergebnis, dass Derrida am Ende nichts sagt; und zwar deshalb weil es im Diskurs der Dekonstruktion, sofern er nicht über die eigenartige Verschränkung der Bedingungen der Möglichkeit und der Bedingungen der Unmöglichkeit von so etwas wie Bedeutung oder Wahrheit spricht, sondern sich in der Aporie von Möglichkeit und Unmöglichkeit bewegt, eben prinzipiell nicht möglich ist, etwas inhaltlich bedeutsames zu sagen. Die "Logik" der Dekonstruktion bestünde demzufolge nur darin, indem sie nichts sagt "durch das Nichts einer Geste des Denkens, die Philosophie" herauszufordern. 9

Die Dekonstruktion nur in diesem Sinne als einen mehr oder weniger provokativen Vollzug von Unentscheidbarkeit zu beschreiben, scheint künstlich, zumal die Grenze zwischen "etwas sagen" und "nichts sagen" sich nicht leicht bestimmen lässt. Trotzdem bietet eine solche Betrachtung ein notwendiges Korrektiv zu einer allzu objektivistischen Auffassung dekonstruktiver Theoreme.

4. Verteidigung der Dekonstruktion
als Leidenschaft für das Unmögliche

Düttmann begreift die Dekonstruktion bewusst als jenes Denken, das einen "Abbruch der Reflexion, der Kommunikation und der Diskussion [...] verursacht hat." (S. 74) Trotzdem verteidigt er dieses Denken, das er beispielhaft bereits in Heideggers Überlegungen zum "Wesen der Wahrheit" entwickelt sieht, gegen die "ostentativ hemdsärmlige Manier" (S. 76, Anm. 7), mit der Richard Rorty es als Form einer ironischen Rhetorik rekonstruiert, die sich auf eine leidenschaftslose Weise von den normativen Ansprüchen der Philosophie verabschiedet.

Darin folgen die Überlegungen von Gerhard Gnamm dem Ansatz von Düttmann. Gnamm sieht in der Dekonstruktion die jüngste Gestalt einer Metaphysikkritik, die seit "den Anfängen des philosophischen Denkens" der "Metaphysik wie ein Schatten" folgt. 10 Als Metaphysikkritik sieht er sie aber gerade dadurch ausgezeichnet, dass sie sich nicht "an der sophistischen Deflationierung metaphysischer Problemlagen, an jenen Strategien des Abwiegelns und Herunterkochens, worauf sich Rorty so ausgezeichnet versteht", beteiligt, sondern zugleich "nach Platon und Kant – eine gleichsam dritte Rettung der Metaphysik" darstellt (ebd., S. 124); und dies vor allem deshalb, weil der Diskurs der Dekonstruktion sich von einer Ethik der Singularität beunruhigen lässt und deshalb eben nicht nur auf die Destruktion oder Ironisierung von Normen zielt, sondern sich auch eine "unendliche Verantwortung" gegenüber einer "unmöglichen Gerechtigkeit" auferlegt (S. 122).

5. Wittgensteinianische Einwände
gegen die Leidenschaft für das Unmögliche

Es überrascht kaum, dass gerade dieser emphatische Zug der Dekonstruktion jenen Autoren, die sich der angelsächsischen Tradition des Philosophierens verbunden fühlen, als besonders problematisch erscheint. Denis McManus weist in seinem Beitrag auf wichtige Parallelen zwischen Überlegungen Wittgensteins, Heideggers und Derridas hin. Ähnlich wie Heidegger in seiner frühen Kritik der Cartesischen Ontologie geht auch Wittgenstein davon aus, "daß die Verständlichkeit einer Aussage" nicht "durch eine Wahrnehmung, daß etwas sich so und so verhält, gerechtfertigt oder begründet werden kann", 11 sondern dass wir das " >Passen< der Aussage zur Welt" überhaupt nur beurteilen können, wenn wir ihren Sinn bereits voraussetzen. Über Wittgensteins Kritik an der Vorstellung eines " >neutralen< Sinns" (ebd., S. 66) lässt sich dabei sagen, dass sie wie Derridas Kritik an der Metaphysik der Präsenz ">die Bedingungen der Möglichkeit und Unmöglichkeit< der Unterscheidungen ans Licht bring[t], die von Philosophen getroffen werden." (S. 67)

Allerdings unterscheidet sich der "Wittgensteinianer" nach McManus' Verständnis dadurch grundlegend vom Heideggerianer oder Dekonstruktivisten, dass er in dieser Verschränkung von Bedingungen der Möglichkeit und Bedingungen der Unmöglichkeit nicht eine "schwierige, widerspenstige Struktur" sieht, "die hinter unserem Denken verborgen liegt" (S. 68), sondern den Rückgriff auf solche paradoxen Figuren für das Ergebnis der unglücklichen philosophischen Leidenschaft hält, "Nicht-Fragen zu beantworten." (S. 69)

Dabei zieht McManus die Möglichkeit in Betracht, dass die Dekonstruktion selbst gar nicht die Notwendigkeit, sich in solche "verwirrenden >Quasi-Transzendentalien<" (S. 70) zu verwickeln behauptet, sondern mit ihnen lediglich "die perverse Unlogik" identifiziert, "die bedeutenden philosophischen Texten zugrunde liegt." (S. 71)

Diese Möglichkeit, die Dekonstruktion mit einem abgeklärten Verständnis Wittgensteins in Übereinstimmung zu bringen, wird aber eben dann hinfällig, wenn man das von Derrida gelegentlich betonte Verlangen der Dekonstruktion nach einer >unmöglichen Gerechtigkeit< ernst nimmt.

Unter dieser Voraussetzung scheint dann die eindeutig negative Abgrenzung Wittgensteins und Derridas, zu der Martin Stone gelangt, berechtigt. Sofern die Dekonstruktion davon ausgeht, dass man sich dem Sprachgebrauch der Metaphysik und den in diesem implizierten Modellen der Begründung nicht einfach entziehen kann, bleibt sie ex negativo dem metaphysischen Ideal einer vollständigen Erklärung oder Letzbegründung verhaftet, statt dieses Ideal einem an unseren alltäglichen Redeweisen orientierten pragmatischen Kontextualismus zu opfern, was nach Stones Auffassung dem Standpunkt Wittgensteins entspräche.

Ob Wittgensteins eigene philosophische Praxis durch den Anspruch, "die Wörter von ihrer metaphysischen, wieder auf ihre alltägliche Verwendung zurück[zuführen]" 12 und uns "an die Kontexte der sinnvollen Verwendung von verschiedenen Ausdrücken zu erinnern" (ebd.) erschöpfend beschrieben wird, ließe sich allerdings ebenso in Frage stellen, wie die Behauptung, die Verwicklung der Dekonstruktion in die Aporien >typisch philosophischer Fragestellungen< sei lediglich Ausdruck einer psychologischen Disposition, nämlich des "Wunsch[es], >etwas Metaphysisches zu sagen<" (S. 176).

Vielleicht liegt es näher, "die Analogie zwischen Derrida und Wittgenstein umgekehrt zu verstehen", nämlich so, dass Wittgenstein selbst ebenso wie Derrida "problematische >nicht-strukturelle Strukturen< enthüllt, die die >Grundlage< unseres Denkens bilden." 13 Anders als Stone zieht McManus auch diese Möglichkeit in Betracht, ohne sie eigens auszuführen.

Die Analysen von Sebastian Rödl zur Schrift als Form menschlicher Erfahrung und von Andrea Kern zum Ideal des Wissens als einem notwendig unendlichen Ideal, "zu dessen Erfüllung die Möglichkeit des Scheiterns wesentlich dazu gehört", 14 demonstrieren auf beispielhafte Weise, wie eine solche Enthüllung aussehen kann, die zeigt, inwieweit unser Verstehen und Urteilen auf Voraussetzungen beruhen, die wir in unserem Verstehen und Urteilen nicht einholen können, die wir aber als Voraussetzungen gleichwohl explizieren können und explizieren müssen, wenn wir überhaupt unsere Praxis normativ verstehen wollen.

6. Eine "leidenschaftslose" Rekonstruktion
der "Schrift" als Form
menschlicher Erfahrung

Rödl zeigt dies im Hinblick auf die Tatsache, dass wir Phänomene, sofern wir sie überhaupt verstehen, als Elemente eines "teleologisch gegliederte[n] System[s]" 15 erläutern. Insbesondere können wir ein Verhalten nur dadurch verstehen und in gewisser Weise erklären, dass wir es als Teil eines teleologisch gegliederten Systems von Handlungsformen und in diesem Sinne als Teil einer Praxis erläutern.

Es gibt keinen Zwang, Verhaltensweisen in dieser Weise zu erläutern oder sich in der Weise spezifisch "menschlich" zu verhalten, dass man eigenes Verhalten schon im vorhinein auf die vernünftige Einheit einer bestimmten Praxis bezieht. Sofern dies überhaupt möglich sein soll, müssen wir dabei aber auch auf eine eigenartige Praxis zurückgreifen, die es uns erlaubt, Handlungsformen nicht nur zu instantiieren, sondern uns auf diese Formen als Formen zu beziehen.

Das Prinzip einer solchen Praxis besteht darin, "eine Äquivalenz von Phänomenen" zu definieren und ihr Verfahren darin, auf den Phänomenbereich, der als eine vernünftige Einheit adressiert werden soll, "ein System von Differenzen" zu "projizier[en]" (ebd., S. 138). Eine solche Praxis lässt sich als Praxis der "Schrift" im Sinne Derridas verstehen; und das heißt u.a.: als eine Praxis, die selbst nicht im Hinblick auf ein Telos und also "auf keine Weise positiv bestimmt werden kann" (S. 142).

Damit ist nicht mehr und nicht weniger gesagt, als dass "vernünftige Einheit [...] nur durch das [ist], was selbst keine solche Einheit ist" (S. 142). Nicht mehr, sofern Rödl die Frage, welche Konsequenzen wir aus dieser Einsicht für unsere Bezugnahme auf so etwas wie die vernünftige Einheit einer Praxis ziehen sollten, überhaupt nicht anspricht; nicht weniger, sofern er diese Einsicht als solche offenbar für philosophisch relevant hält.

7. Eine kantianische Rekonstruktion
der différance

Kern äußert sich in dieser Hinsicht deutlicher. Sie sieht in der strukturell vergleichbaren Einsicht, dass das "Ideal des Wissens", auf das wir uns in unseren Urteilen beziehen, "die Gestalt einer >unendlichen différance<" hat (S. 216), vor allem eine Einsicht, durch die wir hindurchgehen müssen, um die Verwicklung in die Aporie, die mit dieser Einsicht aus der Perspektive des Skeptizismus notwendig verbunden scheint, vermeiden zu können.

Für den Skeptiker besteht die Aporie des Wissens darin, dass es kein irrtumsfreies Verfahren gibt, mit dem wir von unseren sinnlichen Eindrücken, auf die unser Wissen angewiesen ist, auf den Inhalt unserer Überzeugungen schließen können. Diese Aporie ergibt sich aber – wie Kern, der Kantischen Kritik des Skeptizismus folgend, bemerkt – nur, wenn wir Sinnlichkeit und Verstand als voneinander unabhängig auffassen, und uns also implizit einen unendlichen Intellekt und eine von jedem Urteil unabhängige sinnliche Erfahrung zuschreiben, deren Korrespondenz dann erst im Nachhinein durch ein Verfahren erwiesen werden müsste, das es erlaubt, von den Zuständen der Sinnlichkeit auf die Urteile des Verstandes zu schließen.

Damit verfehlt der Skeptizismus aber gerade die Frage, was es heißt, vom "Standpunkt eines Menschen" und das heißt von einem wesentlich endlichen Standpunkt aus das Ideal des Wissens zu verfolgen. Folgt man diesem Anspruch im Sinne der transzendentalphilosophischen Grundannahme, dass "das Verhältnis zwischen der Welt und unseren sinnlichen Erfahrungen selbst schon als ein normatives [zu] verstehen" (S. 229) ist, so löst sich die Aporie des Wissens in "einen transzendentalen Zirkel von Sinnlichkeit und Verstand" auf (S. 229).

Da wir in diesen transzendentalen Zirkel von Sinnlichkeit und Verstand als endliche Wesen eingelassen sind, können wir darüber, ob unsere Urteile dem Ideal des Wissens gerecht werden, allerdings selbst kein Urteil abgeben. In diesem Sinne ist das Ideal des Wissens kein endliches, sondern ein unendliches, für die "Idee eines menschlichen Lebens" (S. 236) konstitutives Ideal; und in diesem Sinne lässt sich sagen, dass es "die Gestalt einer >unendlichen différance< hat". (S. 237)

Umgekehrt geht Kern dann auch davon aus, dass sich mit Derridas Konzeption der différance keineswegs die These verbindet, dass wir dem Ideal des Wissens niemals gerecht werden können, weil wir die Aporie des Wissens nicht vermeiden können, sondern lediglich die These, dass "man nicht sinnvoll >sagen< kann, daß man [das Ideal des Wissens] erfüllt hat." (S. 217) Dass die Möglichkeit des Scheiterns wesentlich zur Erfüllung des Ideals des Wissens gehört, besagt demnach auch nur, dass wir durch das "Scheitern einer endlichen Erklärung" dieses Ideals hindurchgehen müssen, um die Einsicht in dessen unendliche Natur zu gewinnen. (S. 236)

Diese streng kantianische Rekonstruktion der Dekonstruktion hat ihren eigenen theoretischen Reiz und ihr Recht gegenüber einer überstürzten Identifikation der Dekonstruktion als einer Figur des Skeptizismus. Trotzdem entwirft sie ihrerseits wohl ein allzu einseitiges Bild der Dekonstruktion. Kern hat zwar Recht, dass Derrida etwa in der Diskussion des Ideals der Gerechtigkeit in dem Text Gesetzeskraft keineswegs bloß die skeptische These verfolgt, dass eine Entscheidung "niemals gerecht sein kann". Seine Argumentation beschränkt sich aber auch nicht auf die Behauptung "daß es sinnlos ist zu sagen, eine Entscheidung sei gerecht" . (S. 237, Anm. 41)

Vielmehr behauptet er gerade, dass ein "Gerechtigkeitswille, ein Gerechtigkeitswunsch, ein Gerechtigkeitsanspruch, eine Gerechtigkeitsforderung, deren Struktur nicht in einer Erfahrung der Aporie bestünden, [...] keine Chance [hätten] jenes zu sein, was sie sein wollen: ein gerechter, angemessener Ruf nach Gerechtigkeit." 16

Sofern Derrida diese Behauptung unter der Voraussetzung formuliert, dass es "keine wahre, volle Erfahrung der Aporie geben" kann, steht sie jenseits eines naiven Skeptizismus; sofern er sich auf die Gerechtigkeit als "die Erfahrung dessen, wovon wir keine Erfahrung machen können" (ebd., 33), bezieht, bewegt er sich aber auch jenseits der Gelassenheit, mit der die Transzendentalphilosophie das Ideal der Gerechtigkeit im Hinblick auf die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung als ein unendliches Ideal ausweist.

8. Ein problematisches "Entgegenkommen",
das die Dekonstruktion in Gang setzt
und die Philosophie (fast) paralysiert

Es scheint deshalb berechtigt, wenn Christoph Menke und Bernhard Waldenfels die Dekonstruktion und insbesondere Derridas Auseinandersetzung mit dem Ideal der Gerechtigkeit jeweils dadurch charakterisiert sehen, dass sie mit einem "Entgegenkommen" rechnet, das nicht in der transzendentalen "Kooperation" 17 unserer Erkenntnisvermögen mit der Welt, die wir erkennen, aufgeht, sondern als die Herausforderung einer unmöglichen Erfahrung auf uns zukommt. Mit einem solchen "Entgegenkommen" rechnet die Dekonstruktion in einem zweifachen Sinne, nämlich zum einen im Sinne der Affektion durch die Besonderheit eines Anderen, die als Besonderheit in einem heteronomen Verhältnis zu unserem Erkenntnis- und Urteilsvermögen steht; zum andern im Sinne des Entgegenkommens der Gerechtigkeit selbst, die sofern es sie gibt, nie bloß von unserem Tun bewirkt werden kann, sondern von einem Wirken verwirklicht wird, "das kein eigenes Tun ist." 18

Waldenfels betrachtet dieses Motiv des "Kommenden" vor allem im Hinblick auf die innere Logik der Dekonstruktion und sieht darin das Undekonstruierbare, das "sich der Dekonstruktion entzieht" und sie eben dadurch "in Gang setzt und in Gang hält". 19 Im Diskurs der Dekonstruktion glaubt er dabei insgesamt ein Gefälle auszumachen, das "vom Zu-Dekonstruierenden, das sich primär als Sinn- und Selbstentzug darstellt", hin auf das "Undekonstruierbare" läuft, "das die Form eines Fremdentzugs annimmt und die Dekonstruktion in ihrem Inneren heimsucht" (ebd., S. 332).

Menke diskutiert das Motiv eines Entgegenkommens der Gerechtigkeit im Hinblick auf das Verhältnis der Dekonstruktion zur Philosophie als einer Theorie gelingender Praxis. Sofern das Entgegenkommen der Gerechtigkeit als eine Voraussetzung gelingender Praxis den Möglichkeiten unseres eigenen Tuns entzogen ist, sieht Menke durch dieses Motiv seine These bestätigt, dass die Dekonstruktion nicht nur ein "in der philosophischen Tradition tief verankerte[s] >theoretizistische[s]< Verständnis praktischen Könnens", in Frage stellt, sondern "den Sinn des philosophischen Unternehmens selbst fraglich werden läßt." 20 Er mildert diese These allerdings sogleich durch den Hinweis ab, dass die Dekonstruktion die Unverfügbarkeit der Gerechtigkeit, an deren Entgegenkommen man nur glauben kann, nicht in einen einfachen Gegensatz zu dem philosophischen Glauben, "die Gerechtigkeit selbst ermöglichen zu können" bringt, sondern sie als einen "Aspekt des Könnens" erweist, der "die Weise unseres Könnens bestimmt." (S. 263)

9. Ein Verteidigung Rousseaus
und des gelingenden Lebens gegen die Dekonstruktion
und eine Verteidigung der dekonstruktiven
Problematisierung gelingenden Lebens

Inwieweit man eine solche Problematisierung unseres Vermögens zu einer gelingenden Praxis überhaupt für notwendig und adäquat hält, hängt offenbar auch davon ab, ob man so etwas wie eine gelingende Praxis unter einem individuellen oder unter einem gesellschaftlichen Aspekt betrachtet.

Dieter Thomä, der vor allem den individuellen Aspekt der Selbst- und Weltverhältnisse von Subjekten im Blick hat, erscheint die grundlegende Problematisierung dieser Verhältnisse durch den Hinweis auf eine unverfügbare Bewegung der différance, die die Einheit der Existenz im Sinne einer erfüllten (Selbst)Präsenz unmöglich macht, unangemessen. Er findet in Rousseaus Erläuterungen des "Gefühls der eigenen Existenz" eine überzeugende Beschreibung konkreter Situationen gelingenden Sprechens und Lebens und verteidigt diese, "als Anhaltspunkte, von denen die Stimm- und Lebens-Führung eines Individuums unter dem Gesichtspunkt der >Zufriedenheit< zehren kann", 21 gegen die dekonstruktiven Roussau-Lektüren von Derrida und de Man, die in seinen Augen das Bewusstsein des Gelingens gemäß einem binären Schema, in dem man "nur die Wahl zwischen der Einsicht in eine Struktur und deren Unterschlagung" (ebd.) hat, auf eine unfruchtbare Weise problematisieren.

Thorsten Bonacker, der nach dem "normativen Gehalt liberaler Gemeinschaften" fragt, sieht dagegen in dem "dekonstruktiven Argument", dass eine Praxis "nur möglich [ist], insofern sie in einem spezifischen Sinn, nämlich als Verwirklichung ihrer selbst, unmöglich ist", 22 eine Problematisierung unseres Vermögens zu einer gelingenden Praxis, die zumindest insofern berechtigt erscheint, als sie für das Selbstverständnis und die politische Praxis liberaler Gemeinschaften konstitutiv ist.

Was liberale von totalitären Gesellschaften unterscheidet, ist nämlich, dass sie sich über eine Form politischen Handelns konstituieren, das sich nicht einseitig als der erfolgreiche Vollzug normativer Unterscheidung, bzw. die erfolgreiche Anwendung allgemeiner Regeln beschreiben lässt, weil es die Regeln und Kriterien, auf die es sich als gemeinschaftliches Handeln beziehen muss, als verantwortliches Handeln zugleich suspendiert.

Insofern sind liberale Gemeinschaften weniger das Ergebnis einer gelingenden, als einer unvollkommenen Praxis, deren Gelingen stets der politischen Verantwortung aufgegeben bleibt. Bonacker fasst dies in die doppelte These, dass sie "nur als unvollkommene [...] möglich" sind, und wir, "nur weil sie unvollkommen sind, [...] überhaupt politisch handeln" müssen und "für das Gemeinsame Verantwortung" tragen (ebd., S. 288).

10. Ein besonderes Verhältnis:
Hermeneutik und Dekonstruktion

Innerhalb der vielfältigen Diskussion der philosophischen Herausforderungen der Dekonstruktion die der Band Philosophie der Dekonstruktion dokumentiert, kommt einer philosophischen Position eine gewisse Sonderstellung zu, nämlich jener der philosophischen Hermeneutik. Das liegt daran, dass die philosophische Hermeneutik – zumal in ihrer wohl prominentesten Formulierung bei Hans Georg Gadamer – mit ihrer gegen das Methodenbewusstsein der neuzeitlichen Naturwissenschaft gerichteten Grundannahme, dass wir unsere normativen Orientierungen reflexiv prinzipiell nicht einholen können, der dekonstruktiven Kritik an der Philosophie von sich aus näher steht als einem Verständnis der Philosophie als explikativer "Theorie praxiskonstitutiver Normativität und Kritik".

Wer sich der Dekonstruktion aus der Tradition der philosophischen Hermeneutik heraus nähert, wird ihr kaum mit prinzipiellen Zweifeln an dem Sinn der von der Dekonstruktion verfolgten Problemstellungen begegnen. Eher schon besteht die Gefahr, dass der Eigensinn, mit dem die Dekonstruktion diese Probleme verfolgt, aus einer hermeneutischen Perspektive zu wenig wahrgenommen wird.

Das ließe sich, wie oben angedeutet, etwa gegen die Überlegungen von Primin Stekeler-Weithofer einwenden. Es gilt aber in gewisser Weise auch für die Beiträge von Emil Angehrn und Albrecht Wellmer, die sich ausdrücklich mit dem Verhältnis von Dekonstruktion und Hermeneutik befassen. Angehrn kommt dabei u. a. zu dem Ergebnis, dass die Hermeneutik "eine Reflexion des Verstehens zum Tragen [bringt], die in Wahrheit auch den Rahmen für eine Explikation der Dekonstruktion bildet." 23 Wellmer, der unmittelbar auf die Ausführungen Angehrns Bezug nimmt, geht von der Feststellung aus, dass Angehrn, um zu diesem Ergebnis zu gelangen, implizit die Hermeneutik an die Dekonstruktion annähern muss. Er erkennt darin aber kein sachliches, sondern ein methodisches Problem und sieht seine eigene Aufgabe vor allem darin, diese implizite Annäherung explizit zu machen.

Dafür weist er auf die >traditionalistischen<< Figuren in Gadamers philosophischer Hermeneutik hin, also vor allem auf Gadamers Konzept des Klassischen, das von dem Gedanken einer Art "Selbstautorisierung des Überlieferungsgeschehens" 24 geprägt ist, und eben mit den kritischen Intentionen, in denen die philosophische Hermeneutik der Dekonstruktion nahe steht, nicht ohne weiteres in Übereinstimmung gebracht werden kann. Deshalb müssen diese kritischen Intentionen der Hermeneutik eigens gegen den "Rest-gt;Objektivismus< der Gadamerschen Hermeneutik (und ihre konservativen Implikationen)" (ebd., S. 214) hervorgehoben und festgehalten werden. Tut man dies, spricht allerdings auch für Wellmer "nichts dagegen, Gadamers Hermeneutik – gleichsam retrospektiv – [...] auch >dekonstruktiv< zu lesen", und die Dekonstruktion als eine Radikalisierung der hermeneutischen Reflexion zu verstehen, die "in Gadamers Hermeneutik selbst schon angelegt" ist (ebd.).

Die von Angehrn und Wellmer betonte Nähe von Hermeneutik und Dekonstruktion dürfte wohl beim Zustandekommen des vorliegenden Bandes zur Philosophie der Dekonstruktion und der Tagung, auf die er zurückgeht, insgesamt eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben. Das Interesse an der Dekonstruktion und an einer Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Philosophie und Dekonstruktion ergibt sich nämlich wohl zumindest teilweise auch bei den Herausgebern des Bandes daraus, dass sie sich – u. a. als Schüler von Albrecht Wellmer – einer wesentlich hermeneutisch geprägten Tradition des Philosophierens verpflichtet fühlen, auch wenn ihre eigenen Überlegungen sich ebensowenig wie die Beiträge des Bandes insgesamt auf eine Fortschreibung dieser Tradition reduzieren lassen.

11. Das besondere Interesse am Verhältnis
von Hermeneutik und Dekonstruktion,
einige Monographien und eine von Georg W. Bertram

Dass das Verhältnis von Hermeneutik und Dekonstruktion sich gerade wegen ihrer Gemeinsamkeiten, die einen Hintergrund abgeben, vor dem sich dann auch subtile Differenzen als theoretische Konturen abzeichnen, für eingehende Untersuchungen besonders anbietet, und dass an der Verständigung über das Verhältnis von Hermeneutik und Dekonstruktion womöglich auch aufgrund der besonderen Bedeutung, die der Hermeneutik als begleitender Theorie der Geistes- und Kulturwissenschaften zukommt, ein besonderes Interesse besteht, belegen eine Reihe von Monographien, die in den zurückliegenden Jahren zu diesem theoretischen Zusammenhang erschienen sind.

Eine von ihnen, nämlich Toni Tholens 1999 bei C. Winter erschienenes Buch Erfahrung und Interpretation. Der Streit zwischen Hermeneutik und Dekonstruktion habe ich vor einiger Zeit bereits an diesem Ort vorgestellt. 25 Von den weiteren monographischen Untersuchungen, die seitdem zum selben Thema veröffentlich wurden, 26 stammt eine von Georg W. Bertram, der als Mitveranstalter der in dem von Kern und Menke herausgegebenen Sammelband dokumentierten Potsdamer Tagung in diesem Band selbst mit einem Beitrag über "Die Dekonstruktion der Normen und die Normen der Dekonstruktion" vertreten ist.

12. Bertrams Beitrag zum Sammelband
Philosophie der Dekonstruktion,
über das dekonstruktive Verständnis
von Normativität

Ausgehend von Derridas Text Gesetzeskraft und der in diesem entfalteten Aporie der Gerechtigkeit, die u. a. darin zum Ausdruck kommt, dass eine Entscheidung, "um gerecht und verantwortlich sein" zu können, sowohl "einer Regel unterstehen" als auch "ohne Regel auskommen" muss, 27 versucht Bertram in diesem Beitrag nicht nur zu zeigen, "daß man das dekonstruktive Verständnis von Normativität mit dem Lévinasschen Begriff der Alterität rekonstruieren kann", sondern auch, dass die Dekonstruktion in ihrem Vorgehen "dieses Verständnis immer schon implizit vorausgesetzt" hat. 28

Da Derrida, wie an manch anderem Ort, auch in dem Text Gesetzeskraft ausdrücklich auf die Nähe seiner Überlegungen zu jenen von Lévinas hinweist, scheint der erste Teil dieser Aufgabe gut begründet und es stellt sich in seiner stringenten Durchführung allenfalls die Frage, ob die prägnante Formel "Normativität ist Alterität", in der Bertram das von Lévinas inspirierte "dekonstruktive Verständnis von Normativität" zusammenfasst (S. 300), dem Diskurs von Lévinas nicht auf eben jene Weise, vor der Derrida selbst zurückschreckt, einen allzu brauchbaren "begrifflichen Wesenszug" entnimmt. 29

Sofern Derrida selbst in seiner Entwicklung des Problems der Gerechtigkeit außerdem bereits versucht, nicht nur die Gegner, sondern auch die Anhänger der Dekonstruktion mit der Behauptung zu überraschen, er kenne nichts, "was gerechter und angemessener" sei, als jenes, was er "Dekonstruktion nenne" (ebd., S. 43), scheint auch der zweite Teil der Aufgabe, also der Nachweis, dass die Dekonstruktion grundsätzlich mit dem in Gesetzeskraft formulierten Verständnis von Normativität verbunden sei, kaum fehlschlagen zu können.

Tatsächlich kommt Bertram zu dem Ergebnis, dass die "Dekonstruktion [...] schon immer von einem Verständnis von Normativität ausgegangen" ist, dass sie "auch dort auf Normativität [sinnt], wo sie nicht von ihr spricht", und dass sie "auf das eigene sprachliche Geschehen als ein normatives Geschehen" reflektiert. 30

13. Ein überraschendes Ergebnis?

"Möglicherweise überraschend" (ebd., S. 309) ist dieses Ergebnis u. a. wohl für jene Anhänger und Gegner der Dekonstruktion, die in ihr eine Art des Skeptizismus oder Agnostizismus, eine ironische Praxis oder die Variante einer transzendentalen Konstitutionstheorie sehen.

Ein wenig überraschend ist die Feststellung, dass die Dekonstruktion schon immer von einem Verständnis von Normativität ausgegangen sei, aber wohl auch für die Anhänger jener Periodisierung, nach der die Dekonstruktion erst in einer relativ späten Phase ihrer Entwicklung, die durch das Auftauchen explizit normativer Fragestellungen geprägt ist, überhaupt ein normatives Interesse verfolgte und ein eigenes Verständnis von Normativität ausprägte.

In dieser Hinsicht scheint Bertram selbst nicht ganz entschieden. Er sieht zwar, dass schon das von Derrida in Signatur Ereignis Kontext erläuterte dekonstruktive Konzept der Wiederholbarkeit, sofern es die Wiederholung an die Veränderung bindet, das Motiv der Alterität als Kern des dekonstruktiven Verständnisses von Normativität ins Spiel bringt; zugleich ist er aber der Überzeugung, dass Derrida, obwohl er schon "in den frühen Texten die zentrale Konsequenz der Verbindung von Wiederholbarkeit und Alterität" hervorgehoben hat, mit dem "Theorem der Wiederholbarkeit" trotzdem "ein Nachdenken über Normativität" lediglich "implizierte, das er erst später auf den Begriff" brachte. (S. 302, Anm. 17)

Mit dieser Beschreibung folgt Bertram selbst offenbar einer Art Periodisierung, die zwar nicht von einer pränormativen, strukturalistischen und semiotischen zu einer normativen, ethischen und phänomenologischen Phase fortschreitet, wohl aber von einer impliziten zu einer expliziten Auseinandersetzung mit Normativität.

14. Eine mögliche Konsequenz
und eine kritische Perspektive
für den Einstieg in Bertrams Buch

Nimmt man die Behauptung, die Dekonstruktion sei schon immer von einem Verständnis von Normativität ausgegangen, und ihr Vorgehen müsse als Reflexion eines solchen Verständnisses begriffen werden, ernst, so scheint die – im Hinblick auf dekonstruktive Texte vielleicht ohnehin besonders problematische – Unterscheidung zwischen einem impliziten und einem expliziten Nachdenken über Normativität hinfällig zu werden, weil selbst eine nur im Vorgehen der Dekonstruktion manifestierte normative Praxis, sofern sie als Reflexion eines Verständnisses von Normativität begriffen wird, kaum noch als "implizit" qualifiziert werden kann.

Ob Bertram das Ergebnis seiner Überlegungen zu den Normen der Dekonstruktion auch in diesem Sinne als eine Art Selbstkorrektur verstanden wissen will, lässt sich schwer beurteilen. Er selbst wendet die Einsicht, dass die Dekonstruktion schon immer und vor allem auf Normativität sinnt, in das Plädoyer für ein ">nachdekonstruktives< Philosophieren", das sich von der normativen Obsession der Dekonstruktion lösen könnte, indem es "die Gegenstände philosophischer Betrachtung" gelegentlich auch über ihre normative Fundierung hinaus" beleuchten würde, ohne deshalb das von der Dekonstruktion gewonnene Verständnis von Normativität prinzipiell preis zu geben (S. 309).

Sofern die Einsicht, dass die Dekonstruktion schon immer und vor allem auf Normativität sinnt, gleichwohl nicht nur eine Korrektur der Selbstbegrenzung, die sich die Dekonstruktion damit aufzulegen scheint, sondern auch die Kritik an einer periodischen Schematisierung des Verständnisses der Dekonstruktion nahelegt, würde von dieser Einsicht Bertrams Aufsatz über die Normen der Dekonstruktion nur marginal, seine Studie über das Verhältnis von Hermeneutik und Dekonstruktion aber nicht unerheblich getroffen.

III. Eine Monographie über das Verhältnis
von Hermeneutik und Dekonstruktion

1. Eine Axiomatik der Dekonstruktion

Das Bild, das Bertram in seinem Buch Hermeneutik und Dekonstruktion von der Dekonstruktion entwirft, beruht auf der Annahme, dass diese sich als eine Schrittfolge beschreiben lässt, in der Derrida zunächst eine Axiomatik konzipierte, um dann "mit allen weiteren Schritten" zu versuchen, "die Reichweite des einmal gezeichneten grundbegrifflichen Rahmens nachzuvollziehen." 31

Der grundbegriffliche Rahmen der Dekonstruktion ist für Bertram mit den interdependenten Konzepten der différance, der Spur und der Wiederholung festgelegt. Die Axiomatik besteht in den Annahmen, dass

  1. diese Konzepte Momente artikulieren, die in jedem Bedeutungsgeschehen auffindbar sind,
  2. sich keine Instanzen im Bedeutungsgeschehen auffinden lassen, die in ihrer Konstitution nicht auch auf diesen Konzepten beruhen (S. 117), und
  3. das Bedeutungsgeschehen in dem Sinne "nur einfach denkbar ist" (S. 136), dass sich seine Kontexte nicht streng voneinander abgrenzen lassen und es sich deshalb immer in der Immanenz eines allgemeinen sich fortlaufend differenzierenden Kontextes von Kontexten abspielt, der keineswegs einheitlich aber, sofern er nur in der Einzahl vorkommt, einfach ist.

Aus dieser Axiomatik ergeben sich für Bertram zwei mögliche, weitere Schritte der Dekonstruktion. Entweder kann sie Instanzen des Bedeutungsgeschehens etwa jene des Kontextes oder der Adresse in den Blick nehmen um nachzuweisen, dass diese Instanzen durch die Trias der Grundbegriffe différance, Spur und Wiederholung erschöpfend erläutert werden können; oder sie kann sich Konzepten der Alterität, etwa jenen der Gabe, des Unwiederholbaren und des Einzigartigen zuwenden, um zu zeigen, dass diese Konzepte im grundbegrifflichen Rahmen nicht gefasst werden können, andererseits aber nur in ihm gefasst werden können und insofern eine Selbstüberschreitung des Bedeutungsgeschehens implizieren.

Das Verhältnis von Ausbildung und Bewährung der Axiomatik ordnet Bertram selbst dabei der Unterscheidung der "frühen strukturalistischen" und der "eher phänomenologisch orientierten" Arbeiten Derridas aus den 80er und 90er Jahren zu. (S. 155)

2. Probleme einer und dieser Axiomatik
der Dekonstruktion

Diese Beschreibung der Dekonstruktion scheint im Sinne einer Systematisierung wichtiger Fragestellungen, die Derrida in seinen Texten verfolgt hat, durchaus überzeugend. Dass die Form der Systematisierung als solche mit dem von Derrida selbst gelegentlich formulierten Verständnis der Dekonstruktion kollidiert, wurde oben schon bemerkt; da es sich bei dieser Kollision aber kaum um ein Versehen, sondern um das Ergebnis einer mit den Texten Derridas gut vertrauten philosophischen Initiative handelt, scheint es müßig und unergiebig daraus einen Generaleinwand zu machen.

Die Festlegung einer Axiomatik der Dekonstruktion und die Unterscheidung zwischen Ausbildung und Anwendung der Axiomatik, erscheint allerdings, sofern man sie nicht als eine vorläufige heuristische Hypothese behandelt, sondern als ein Struktur- und Funktionsmodell der Dekonstruktion, auch unter internen Gesichtspunkten, nämlich im Hinblick auf die inhaltlichen Bestimmungen des grundbegrifflichen Rahmens der Dekonstruktion nicht unproblematisch.

Diese Problematik lässt sich an zwei Motiven des Ausschlusses festmachen, von denen Bertrams Rekonstruktion des "grundbegrifflichen Rahmens" der Dekonstruktion vielleicht wesentlicher bestimmt wird, als es zunächst scheinen mag. Der eine Ausschluss wird von ihm selbst eher unscheinbar im Sinne einer vorläufigen, methodischen Operation eingeführt.

3. Ausblendung der normativen Dimension
aus dem grundbegrifflichen Rahmen

Im Zusammenhang mit seinen Erläuterungen zum dekonstruktiven Konzept der Wiederholung weist Bertram ebenso wie in seinem Aufsatz über Die Dekonstruktion der Normen und die Normen der Dekonstruktion darauf hin, dass die in der Wiederholbarkeit von Zeichen gelegene Beziehung zu einem früheren, späteren oder anderem Gebrauch der Zeichen auch eine normative Beziehung ist und dass diese Normativität "ein wesentliches Moment dieser Beziehung" sei (S. 133, Anm. 54).

Trotzdem verzichtet er darauf, diese normative Dimension zu verfolgen, und begründet dies damit, dass "es für das hier entwickelte Modell [der Dekonstruktion] und für die Debatte mit der Hermeneutik nicht unbedingt notwendig" sei, sie zu berücksichtigen (ebd.). Diese Bemerkung verbindet er mit dem Hinweis, dass er "diese Fragen", nämlich jene der Normativität, "an anderer Stelle aufnehmen" werde. Sein Aufsatz über die Dekonstruktion der Normen und die Normen der Dekonstruktion löst dieses Versprechen, wie gesehen, ein. Er löst es aber so konsequent ein, dass er im Ergebnis die Möglichkeit, überhaupt ein Modell der Dekonstruktion zu entwerfen, das die Dimension der Normativität "unterschlägt", zweifelhaft erscheinen lässt.

Tatsächlich unterschlägt das von Bertram in seiner Monographie über das Verhältnis von Hermeneutik und Dekonstruktion entworfene Bild der Dekonstruktion das normative Moment auch keineswegs vollständig. Vielmehr schließt Bertram es aus seiner Beschreibung der Axiomatik der Dekonstruktion aus, um es dann mit jenen Begriffen der Alterität, der Gabe, des Unwiederholbaren usw. ins Spiel zu bringen, an denen Derrida seiner Meinung nach versucht, "die Reichweite des einmal gezeichneten grundbegrifflichen Rahmens nachzuvollziehen." (S. 156).

Das führt zu einer gewissen Verkürzung in der Darstellung der Grundbegriffe. Bertram rekonstruiert sie vor allem als Elemente einer poststrukturalistischen Semiotik, die den von Saussure exponierten Gedanken, dass Zeichen nur durch ihre Differenz zu anderen Zeichen bestimmt sind, dadurch radikalisiert, dass sie nach der "Konstitution von Zeichen" fragt, und diese Frage mit einem dynamischen Konzept der Differenzierung beantwortet.

4. Die différance, das "Rätsel
der absoluten Andersheit"
und eine grundbegriffliche Abneigung gegen
die "Unerreichbarkeit" der différance

Wer schon einmal versucht hat, das Anliegen der Dekonstruktion jemandem zu erläutern, dem es völlig fremd oder unverständlich ist, weiß, dass diese Art der Explikation des Konzepts der différance und der mit diesem verbundenen Konzepte der Spur und der Wiederholung sich unter einem pädagogischen und kommunikativen Gesichtspunkt besonders anbietet und dass es deshalb kein Zufall ist, dass nicht nur die aus zweiter Hand stammenden Einführungen in die Dekonstruktion, sondern auch Derridas eigene Vermittlungsversuche, etwa in seinem Vortrag Die différance, von diesem Weg der Erklärung ausgiebig Gebrauch gemacht haben.

Allerdings weiß, wer auch nur den Vortrag über die différance gelesen hat, eben auch, dass Derrida mit diesem Neologismus nicht nur ein notwendiges "Implikat" 32 jeder gegebenen Zeichenpraxis bezeichnet, sondern auch auf ein Geschehen hinzuweisen versucht, das uns, sofern wir es in Gedanken zu fassen versuchen oder bereit sind, unsere Gedanken davon erfassen zu lassen, "mit dem Rätsel der absoluten Andersheit" 33 konfrontiert. Und selbst wenn Derrida diese Bestimmung der différance durch das Motiv der Alterität nicht ausdrücklich auf "die von Lévinas vorgenommene Kritik der klassischen Ontologie" (ebd.) beziehen würde, wäre kaum zu übersehen, dass er damit genau jene Dimension in das Konzept der différance einführt, die Bertram selbst als die entscheidende Dimension des dekonstruktiven Verständnisses von Normativität begreift.

Die Verbindung der différance mit dem "Rätsel [...] des Anderen" (ebd.) scheint aber eben auch einer der Gründe, und vielleicht sogar der entscheidende Grund dafür zu sein, dass Derrida selbst die différance "à la lettre" nicht als einen "Begriff" und nicht einmal als ein "Wort" verstanden wissen will (S. 29) und dass er es für unvermeidlich hält, sich in der Explikation der "différance" einer Art der Rede zu bedienen, die jener "der negativen Theologie manchmal zum Verwechseln ähnlich" sieht (S. 32).

Gerade dies aber möchte und muss Bertram vermeiden, um "différance" als einen "Grundbegriff" der Dekonstruktion bestimmen zu können, der zusammen mit den Begriffen der Wiederholung und der Spur lediglich die in jedem gegebenen Zeichengebrauch implizierten Momente der "Konstitution von Zeichen" 34 erläutert. Und sofern genau dies seinem Anliegen einer modellhaften philosophischen Rekonstruktion der Dekonstruktion entspricht, scheint es für seine Argumentation nicht nur "nicht unbedingt notwendig" die normativen Implikation des "grundbegrifflichen Rahmens" der Dekonstruktion zu verfolgen, sondern in gewisser Weise sogar notwendig, dies nicht zu tun.

Ein Zeichen dafür ist, dass Bertram sich, u. a. unter der zweifelhaften Berufung auf Derridas Text Wie nicht sprechen, der weniger den absprechenden Duktus der "Negativen Theologie" kritisiert, als deren Versuch, mittels der Verneinung auf eine Art "Hyperessentialität" des Göttlichen hinzuweisen, überhaupt gegen einen "unverständlichen, negativen Sprachgebrauch" (ebd., S. 91) oder "paradoxe[] Formulierungen, die die Unerreichbarkeit von différance festzuhalten suchen" (S. 93), wendet, und damit gerade jene Merkmale des dekonstruktiven Diskurses als obsolet erklärt, in denen dieser seit je seine normativen Implikationen zum Ausdruck bringt.

5. Verbannung der "Schrift"
aus dem grundbegrifflichen Rahmen der Dekonstruktion

Ein anderes, von Bertram selbst sehr viel deutlicher exponiertes Zeichen der Reserviertheit, die ihm das Projekt, eine Axiomatik der Dekonstruktion zu konstruieren, gegenüber den eigentümlichen diskursiven Figuren Derridas auferlegt, bietet seine demonstrative Marginalisierung des dekonstruktiven Konzepts der "Schrift".
Dieses zweite Moment der Ausschließung begründet Bertram damit, dass der Begriff der "Schrift" "keinen allgemeinen Begriff des Bedeutungsgeschehens" bereit stelle (S. 112), der über "die Trias von différance, Spur und Wiederholung [...] hinausginge[]." (S. 114 f.)

Diese Behauptung ist ohne Zweifel richtig, weil sich überhaupt kaum allgemeinere Begriffe zur Beschreibung irgendeines Bedeutungsgeschehens denken lassen als jene der Differenz und der Wiederholung und auch kaum ein allgemeinerer Begriff als jener der Spur, um auf die minimale Voraussetzung jeder Differenz und jeder Wiederholung hinzuweisen. Die Frage ist aber, ob wir ohne die Praxis der "Schrift" überhaupt dazu kommen würden, irgendein Bedeutungsgeschehen auf die allgemeinen Begriffe der Differenz und der Wiederholung zurückzuführen, und ob wir ohne die Orientierung am Begriff der "Schrift" dazu kommen würden, die Begriffe der Differenz und der Wiederholung auf den Begriff der Spur zu beziehen und sie dann auch unter dem Gesichtspunkt der Nicht-Identität zu reformulieren.

Für Bertram ist dieser Bezug der grundbegrifflichen Trias der Dekonstruktion auf die Praxis und den Begriff der "Schrift" "höchstens historisch motiviert" (S. 114) und insofern philosophisch irrelevant; und er unterstellt deshalb, dass Derrida selbst, "den Begriff der Schrift, wenn überhaupt, zurückhaltend für sein eigenes Modell gebraucht" habe, und in der Bezeichnung der "von ihm rekonstruierten Struktur als Schrift bzw. als >Ur-Schrift<" [...] unsicher" sei (S. 114). Das trifft aber nur insoweit zu, als Derrida überhaupt alle Begriffe und also auch die von Bertram exponierten "Grundbegriffe" der Dekonstruktion zurückhaltend gebraucht und sie eigentlich nie als Axiome eines dekonstruktiven Modells des Bedeutungsgeschehens in Anspruch nimmt. Dass Derridas Rede von der "Schrift" oder der "Ur-Schrift" von einer besonderen Zurückhaltung oder Unsicherheit geprägt sein soll, lässt sich dagegen nur schwer bestätigen. 35 Eher schon scheint es einige Mühe zu erfordern, seine Erläuterungen der différance, der Spur oder der Wiederholung zu zitieren, ohne zugleich den Begriff der "Schrift" zu zitieren.

Daraus lässt sich nicht ableiten, dass der Begriff der "Schrift" unter die unverzichtbaren "Grundbegriffe" der Dekonstruktion aufgenommen werden müsste. Ein Grundbegriff ist "Schrift" nämlich tatsächlich kaum. Es scheint aber gerade die Pointe des grammatologischen Diskurses zu sein, dass ein "höchstens historisches" Phänomen als ein "konstitutives" rekonstruiert wird und dadurch die Unterscheidung des philosophisch Allgemeinen und des historisch Empirischen als solche in Frage gestellt wird. Und bei genauer Betrachtung kann man feststellen, dass Derrida, bevor er mit der " Rekonstruktion des Zeichens auf dem Boden des Strukturalismus" beginnt, 36 u. a. mit der Befragung der Unterscheidung zwischen dem "empirischen Leben" und dem "transzendentalen Leben" oder der "phänomenologischen Psychologie" und der "transzendentalen Phänomenologie selbst" beginnt. 37

Bertram hat Recht, wenn er den Begriff der "Schrift" nicht für unersetzlich hält und sich gegen eine Fixierung der Dekonstruktion auf eine Theorie der Schriftlichkeit und der Textualität wendet. 38 Weniger entbehrlich aber scheint für die Dekonstruktion das Prinzip, nach dem sie das Konzept der "Schrift" als ein weder empirisches noch transzendentales handhabt, und nach dem sich, wie Derrida einmal bemerkt "die >différance< [...], je nach dem Erfordernis des Kontextes, einer gewissen Anzahl von nicht synonymen Substitutionen unterwirft", zu denen die "Urschrift" ebenso gehört wie das "Supplement", das "pharmakon" oder das "Hymen". 39

6. Praxis der "Schrift"
oder "Gebrauchstheorie der Bedeutung"?
Ein anderes Verständnis von Normativität

Ein Kontext, in dem sich der Begriff der "Schrift" als nicht synonyme Substitution der différance aufdrängt, scheint jener der Semiotik zu sein. Insofern ist es vielleicht besonders überraschend, dass Bertram, obwohl er die Grundbegriffe der Dekonstruktion fast ausschließlich vor dem Hintergrund des Saussurschen Strukturalismus als semiotische Konzepte rekonstruiert, den Begriff der "Schrift" bewusst ausklammert. Überraschend auch deshalb, weil er selbst darauf beharrt, dass sich die Begriffe der différance, der Spur und der Wiederholung nur ausgehend von einer "realen Zeichenpraxis" als deren Implikate überhaupt fassen lassen. Eine solche reale Zeichenpraxis nimmt Derrida aber gerade mit der "Schrift" in den Blick, und Bertram kann wohl nur deshalb, weil er diese seinerseits nicht in den Blick nimmt, zu der Behauptung gelangen, der "Begriff einer solchen Zeichenpraxis bleib[e] bei Derrida sehr unterbelichtet." 40

Umgekehrt wird aber aus Bertrams eigenem Begriff der Zeichenpraxis leicht verständlich, warum ihn der Begriff der "Schrift" wenig interessiert; was er bei Derrida unterbelichtet findet, aber für eine systematisch angemessene Erfassung der Grundbegriffe der Dekonstruktion für unentbehrlich hält, ist nämlich eine "Gebrauchstheorie der Bedeutung" (S. 93, Fn. 17). Die Praxis und der Begriff der "Schrift" stellen aber u. a. das Konzept des "Gebrauchs" und den Vorrang der Bedeutung in der Zeichenpraxis in Frage. Insofern könnte der Begriff der "Schrift" dem dekonstruktiven Verständnis von Bedeutungsgeschehen vielleicht doch noch ein Moment hinzufügen, das in der Trias der "Grundbegriffe" möglicherweise unterbelichtet bleibt, nur kann dieses Moment Bertram wohl im Hinblick auf seinen eigenen Begriff der Zeichenpraxis nicht sehr willkommen sein.

Sofern mit dem Begriff der "Schrift" auf eine Zeichenpraxis verwiesen wird, in der der Eigensinn des Bedeuten-Wollens von Anfang an einer Alteration ausgesetzt ist und sich von einem anderen her bestimmt, hängt er besonders eng mit dem von Bertram selbst zur Geltung gebrachten dekonstruktiven Verständnis von Normativität zusammen. Er lässt sich in dieser Hinsicht als erster in der Reihe jener Begriffe der Gabe, des Unwiederholbaren und des Einzigartigen betrachten, von denen Bertram bemerkt, dass sie sich in den "grundbegrifflichen Rahmen" der Dekonstruktion zwar "einzeichnen" lassen, diesen Rahmen aber zugleich aufbrechen (S. 156). Andererseits ist der Begriff der "Schrift" auch eines der Substitute für die "Grundbegriffe" der Dekonstruktion und beschreibt selbst die "Einfachheit des Diskurses" (S. 136 ff.) in der die Gabe oder das Einzigartige nie als solche auftreten können.

Deshalb müsste man in Bertrams eigener systematischen Anordnung sagen, dass sich im Begriff der "Schrift" der grundbegriffliche Rahmen der Dekonstruktion selber aufbricht. Weniger paradox formuliert heißt das: Würde Bertram den Begriff der "Schrift" in den grundbegrifflichen Rahmen der Dekonstruktion aufnehmen, könnte er diesen vermutlich nicht mehr ohne weiteres als einen grundbegrifflichen Rahmen konstruieren. Darin an sich schon einen Gewinn an Dekonstruktivität zu sehen, wäre albern. Als zumindest "folgenreich" lässt sich die ausdrückliche Marginalisierung der "Schrift" bei Bertram aber wohl deshalb beurteilen, weil gerade in Derridas Überlegungen zur "Schrift" auch das dekonstruktive Verständnis von Normativität eine besondere Prägung erhält, die bei Bertram entsprechend unterbelichtet zu bleiben scheint.

Die Alterität, von der das je eigene Bedeuten-Wollen in der Praxis der "Schrift" geprägt ist, ist nämlich nicht nur jene eines anderen Bedeuten-Wollens, das andere Subjekte mit dem Gebrauch der gleichen Zeichen verbinden, sondern auch die Alterität der "Schrift" selbst als einer subjektiv unverfügbaren Struktur, durch die jedes Bedeuten-Wollen bereits in sich alteriert wird.

Diese Seite der Normativität, auf die die Dekonstruktion sinnt, lässt sich in der Perspektive einer "dekonstruktiven Gebrauchstheorie der Bedeutung" (S. 93, Anm. 17) nicht angemessen erfassen. Allerdings ist das in der Thematisierung der "Schrift" besonders deutlich angezeigte Moment von Unverfügbarkeit, gerade weil es die Begriffe des Subjekts, der Intersubjektivität und des Bedeutungshandelns in Frage stellt, oft auch als besonders problematisches Motiv der Dekonstruktion wahrgenommen worden und dürfte wesentlich dafür verantwortlich sein, dass sie vielfach überhaupt als ein normativ indifferentes und unverantwortliches, anti-humanistisches Denken wahrgenommen wurde.

Insofern scheint es durchaus plausibel, dass Bertram, dem an einem solchen Bild der Dekonstruktion sehr zu recht gerade nicht gelegen ist, das Motiv der "Schrift" ausblendet; nur geht damit eben auch etwas von dem, was die Spezifik der Dekonstruktion und ihres Verständnisses von Normativität ausmacht, verloren.

7. Möglichkeiten des Vergleichs
von Hermeneutik und Dekonstruktrion

Tatsächlich scheinen die mit dem Konzept der "Schrift" verbundenen Eingentümlichkeiten des dekonstruktiven Diskurses gerade auch für die Bestimmung ihres Verhältnisses zur philosophischen Hermeneutik nicht uninteressant. Mit dem erweiterten Begriff der "Schrift" nimmt Derrida nämlich nicht nur Grundmotive von Heideggers auch für die Hermeneutik Gadamers relevantem Sprachdenken auf; er markiert darin zugleich auch den Abstand der Dekonstruktion nicht nur zu Gadamers tendenziell traditionalistischem Verständnis der in der Sprache gegebenen normativen Bindungen, sondern auch noch zu Heideggers Auffassung, dass die Sprache spricht und in ihr "überall uns stets durch alle Sprachen hindurch" das Sein spricht. 41

Nun, Bertram entscheidet sich für einen anderen Weg des Vergleichs von Hermeneutik und Dekonstruktion, nämlich eben dafür, für beide Theorien eine grundbegriffliche Axiomatik zu rekonstruieren, die es ihm dann u. a. erlaubt, die Nähe und die Verschiedenheit von Hermeneutik und Dekonstruktion durch eine sehr genaue Beschreibung ihrer unterschiedlichen Artikulationen des Verhältnisses von Differenz und Einheit zu bestimmen. Damit ist gegenüber durchaus gängigen Beschreibungen, die die Hermeneutik einseitig auf das Ideal der Einheit und der Identität und die Dekonstruktion ebenso einseitig auf das Ideal der Differenz und der Nicht-Identität festlegen, viel und tatsächlich Entscheidendes gewonnen.

Die axiomatische Reduktion bewährt sich aber auch darin, dass im Vergleich der jeweils dritten Grundbegriffe, nämlich des Begriffes der "Spur" auf Seiten der Dekonstruktion und des Begriffes der "Zirkularität", der für den hermeneutischen Grundgedanken vom Zirkel des Verstehens steht, auch der unterschiedliche Ansatzpunkt beider Theorien prägnant festgehalten wird: dass nämlich die philosophische Hermeneutik Verstehen als Verstehen zu erläutern versucht, während die Dekonstruktion Bedeutungsgeschehen im Hinblick auf die in jedem Bedeutungsgeschehen vorausgesetzten Grundbestimmungen einer Zeichenpraxis expliziert.

Im dritten Teil seiner Untersuchung rückt Bertram die Differenzen von Hermeneutik und Dekonstruktion, die sich aus diesen unterschiedlichen Ansatzpunkten vor dem Hintergrund ihrer gemeinsamen Interessen ergeben, in den Vordergrund. Sein Vorgehen kennzeichnet er selbst nicht unzutreffend als Versuch, eine "Auseinandersetzung" zwischen Hermeneutik und Dekonstruktion "in Szene" zu setzen. 42 Mit diesem Ausdruck weist er mehr oder weniger absichtsvoll darauf hin, dass es für die Differenzierung von Hermeneutik und Dekonstruktion sinnvoll erscheint, den Rahmen der grundbegrifflichen Systematik durch die Bezugnahme auf eine von ihm selbst als "kontingent" bezeichnete Auswahl von Themen (S. 219) zu überschreiten. Besonders auffällig tut er dies dadurch, dass er in die Auseinandersetzung zwischen Gadamer und Derrida über die Diskussion ihres jeweiligen Verhältnisses zur Philosophie Hegels einsteigt.

Umgekehrt scheint es im Hinblick auf den Versuch, von der Hermeneutik und der Dekonstruktion jeweils eine axiomatische Beschreibung zu geben, sehr sinnvoll, dass Bertram beide Theorien zunächst unabhängig voneinander rekonstruiert, weil ihre Engführung diesen Versuch entweder verwirren oder die grundbegrifflichen Beschreibungen vergröbern würde, weil diese sich dann eben nicht mehr in den besonderen Bestimmungen der jeweils internen Begriffszusammenhänge bewegen könnten.

Die beiden ersten und der dritte Teil seiner Monographie ergänzen sich so auf eine plausible und in gewisser Weise komplementäre Weise. Wenn der Klappentext des Bandes als einen möglichen, zusätzlichen Grund für die gesonderte Rekonstruktion der Hermeneutik und der Dekonstruktion die Brauchbarkeit des Buches als "Einführung in beide Philosophien" nennt, so wird man diesen Anspruch jedoch mit einem Fragezeichen versehen müssen.

8. Ein "idealisiertes" Modell der Hermeneutik
und die Berechtigung der modellhaften Idealisierungen Bertrams

Was Bertram liefert, sind idealisierte Modelle dieser Philosophien. Für die Hermeneutik Gadamers, die er als fortgeschrittenstes Modell in der Entwicklung der hermeneutischen Theorie seit Schleiermacher zum "Referenzpunkt" (S. 28) macht, impliziert das, dass er sie, ähnlich wie die Darstellung von Emil Angehrn, auf die oben hingewiesen wurde, implizit schon der Dekonstruktion annähert; u. a. indem er den Gesichtspunkt der Dynamik und der Alternation im Verstehen auf Kosten des bei Gadamer eben auch gegebenen Gesichtspunktes der Idealität und Autorität verbindlicher Überlieferung betont. Zugleich versucht er einen intersubjektivitätstheoretischen brauchbaren Begriff der "Zirkulation von Verständnissen" (S. 41 ff.) in Gadamers Hermeneutik unterzubringen, nach dem das vom "Gegenstand" der Interpretation ins Spiel gebrachte Verständnis und das vom Interpreten verfolgte Verständnis "in eine Zirkulation treten" (S. 55). Das nötigt ihn zu der extrem eigenwilligen Deutung, bei Gadamer stehe der Begriff der Wirkungsgeschichte für die vom Gegenstand ausgehenden Verständnisse und der Begriff des Vorurteils für jene des Interpreten.

Diese Auffassung lässt sich schon im Hinblick auf die für Gadamers Theorie entscheidende Kategorie des "wirkungsgeschichtlichen " 43 kaum halten. Bertram weist deshalb zurecht darauf hin, dass "Gadamer selbst" das von ihm "rekonstruierte Modell" nicht "als solches entwickelt". Dagegen scheint seine Behauptung, dass Gadamer trotzdem, "über alle anderslautenden Explikationen und (vielleicht verwirrenden) Thesen auf anderen Ebenen hinweg" schließlich "zu diesem Modell" gelangt, weniger auf irgendeine Evidenz im Text von Wahrheit und Methode, als auf die für Bertram selbst gegebene Evidenz zu verweisen, dass das von ihm beschriebene Modell der "Zirkulation von Verständnissen" für die "Rekonstruktion von Verstehensprozessen" das eigentlich relevante sei (S. 55, Anm. 28).

Dass Bertrams Darstellungen der Hermeneutik und der Dekonstruktion in dieser Weise idealisierend verfahren, ist keineswegs eine Schwäche oder ein Nachteil; vielmehr macht es ihre Stärke als Ausdruck eines eigenen Philosophierens aus; und in gewisser Weise scheint dieses Philosophieren, unabhängig davon, ob man seinem Weg in jeder Hinsicht folgen will, gerade darin besonders "gerecht", dass es die Theorien, mit denen es sich auseinandersetzt, gemäß seinen eigenen Intentionen so überzeugend wie möglich zu rekonstruieren versucht. Vielleicht folgt es darin eher dem hermeneutischen "Vorgriff der Vollkommenheit" 44 als einem dekonstruktiven Verfahren der Lektüre. Von dem Charakter einer "Einführung" entfernt es sich dadurch jedenfalls, trotz des erfolgreichen Bemühens um eine systematisierende Klärung, auf eine höchst begrüßenswerte Weise mindestens ebenso weit.

IV. Fazit:
Die Dekonstruktion bleibt in Bewegung

Wie die in dem Band über die Philosophie der Dekonstruktion dokumentierte Diskussion setzt auch Bertrams Monographie über das Verhältnis von Hermeneutik und Dekonstruktion eine gewisse Etablierung der Dekonstruktion und eine Beruhigung der mehr oder weniger gewollten Irritationen, die der Poststrukturalismus in der philosophischen Szene ausgelöst hat voraus. Das hängt u. a. damit zusammen, dass die philosophische Diskussion der Dekonstruktion, wenn sie nicht bei der indifferenten Feststellung einer absoluten Differenz von Philosophie und Dekonstruktion stehen bleiben oder zu einem dekonstruktiven Sprechen über das Verhältnis von Philosophie und Dekonstruktion übergehen will, ohne eine Rekonstruktion der Dekonstruktion als Philosophie nicht auszukommen scheint.

Auf die Probleme, die sich daraus ergeben, habe ich besonders eingehend hingewiesen und zwar deshalb, weil sie mir in der Auseinandersetzung mit der Dekonstruktion kaum vermeidlich scheinen, und es mir gerade deshalb darauf anzukommen scheint, sie immer wieder in Erinnerung zu rufen und auf die konkreten Formen, in denen sie jeweils auftreten, und die Folgen, die sich daraus für die Beurteilung und das Verständnis der Dekonstruktion jeweils ergeben, aufmerksam zu machen.

Die Lektüre der besprochenen Bände kann sich gewiss auch unter manch anderen Gesichtspunkten als lohnend erweisen, die zumindest so zahlreich sind, wie die inhaltlichen Fragestellungen, an denen das Verhältnis von Philosophie und Dekonstruktion in ihnen diskutiert wird.

Wenn die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen einer Konzeptualisierung der Dekonstruktion hier so etwas wie einen roten Faden für die Vorstellung der beiden Bücher abgegeben hat, so sollte dadurch aber auf einen allgemeinen Gesichtspunkt hingewiesen werden, unter dem die in diesen Büchern geführte Auseinandersetzung mit der Dekonstruktion als solche lohnend und spannend erscheint: nämlich auf den Gesichtspunkt, dass sie die Dekonstruktion, trotz des Versuches, sie als eine Philosophie in den Blick zu nehmen, im Ergebnis gerade nicht als eine abgeschlossene Theorie, die sich bereits der historisierenden Betrachtung anbietet, erscheinen lassen, sondern als ein offenes theoretisches Projekt, dessen gedankliche Impulse sie auf unterschiedliche Weise aufzuzeichnen und fortzutragen versuchen.

Der Eindruck, dass die Dekonstruktion sich erschöpft und durch ihre anhaltende und nun schon seit längerem höchst verbreitete Präsenz in der theoretischen Szene in gewisser Weise selbst überlebt habe, drängt sich deshalb bei der Lektüre der besprochenen Bände weit weniger auf als in Anbetracht des munteren Fortlebens dekonstruktivistischer Einstellungen und Motive im Patchwork eines bestimmten kulturwissenschaftlichen Diskurses, zu dessen initialen Gesten u. a. die Ausrufung des Endes von Theorie-Debatten der grundlegenden Art, also etwa jener über das Verhältnis von Hermeneutik und Dekonstruktion, gehörte.

Die Dekonstruktion, so scheint es, gibt noch einiges zu denken, in der Auseinandersetzung mit den Texten Derridas und anderen dekonstruktivistischen Texten aber auch jenseits dessen, was von ihr schon aufgeschrieben ist...


Fabian Störmer
Freie Universität Berlin
Habelschwerdter Allee 45
D–14195 Berlin

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Ins Netz gestellt am 10.09.2003
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Anmerkungen

1 Frankfurter Allgemeine Zeitung, Samstag, 31. Mai 2003, Nr. 125, S. 33.    zurück

2 Jürgen Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 31991, S. 214.    zurück

3 Vgl. dazu insbes.: Jacques Derrida: Gesetzeskraft. Der "mystische Grund der Autorität". Frankfurt a. M. (Suhrkamp) 1991.    zurück

4 Andera Kern und Christoph Menke: Einleitung: Dekonstruktion der Philosophie. In. Dies. (Hg.): Philosophie der Dekonstruktion. Frankfurt am Main 2002, S. 7–14. hier: S. 12. (Auf den Band wir d im folgenden mit der Sigle PD hingewiesen).    zurück

5 Vgl. Jacques Derrida: Einige Statements und Binsenweisheiten über Neologismen, New-Ismen, Post-Ismen, Parasitismen und andere kleine Seismen. Berlin: Merve 1997, S. 54. – Tatsächlich beziehen Kern und Menke sich in ihren einleitenden Erläuterungen zur "Dekonstruktion als Philosophie" an erster Stelle gerade auf jene Arbeiten von Rudolphe Gasché, auf deren Rezeption sich Derridas Warnung vor dem Versuch, die Dekonstruktion als eine Philosophie "mit ihren >Infrastrukturen<, ihrer Systematik usw." (ebd.) zu rekonstruieren, unmittelbar bezieht.    zurück

6 Primin Stekeler-Weithofer: Zur Dekonstruktion gegenstandsfixierter Seinsgeschichte bei Heidegger und Derrida. In: PD, S. 17–42, hier: S. 30.    zurück

7 Karin de Boer: Zur Dekonstruktion des Hegelschen Zweckberiffs. In: PD, S. 80–102, hier: S. 80.    zurück

8 de Boer, S. 82.    zurück

9 Alexander García Düttmann: Dichtung und Wahrheit der Dekonstruktion. In: PD, S. 72–79, hier: S. 79.    zurück

10 Gerhard Gnamm: Perspektiven nachmetaphysischen Denkens. In: PD, S. 103–126, hier: S. 103.    zurück

11 Denis McManus: "Bedingungen der Möglichkeit und Unmöglichkeit": Wittgenstein, Heidegger und Derrida. In: PD, S. 43–71, hier: S. 47.    zurück

12 Martin Stone: Die dekonstruktive Stimme in Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen. In: PD, S. 143–176, hier: S. 175.    zurück

13 McManus, S. 71, Anm. 47.    zurück

14 Andrea Kern: Wissen vom "Standpunkte eines Menschen". In: PD, S. 216–239, hier: S. 216.    zurück

15 Sebastian Rödl: Schrift als Form menschlicher Erfahrung. In: PD, S. 127–142, hier: S. 134.    zurück

16 Jacques Derrida: Gesetzeskraft. A. a.O., S. 33.    zurück

17 Kern, S. 232.    zurück

18 Christoph Menke: Können und Glauben. Die Möglichkeit der Gerechtigkeit. In: PD, S. 243–263, hier: S. 262.    zurück

19 Bernhard Waldenfels: Was sich der Dekonstruktion entzieht. In: PD, S. 331–344, hier: S. 341.    zurück

20 Menke, S. 246, 247.    zurück

21 Dieter Thomä: "Das Gefühl der eigenen Existenz" und die Situation des Subjekts. Mit Rousseau gegen Derrida und de Man denken. In: PD, S. 311–330, hier: S. 329.    zurück

22 Thorsten Bonacker: Die Gemeinschaft der Dekonstruktion. Zum normativen Gehalt liberaler Gemeinschaften. In: PD, S. 264–288, hier: S. 270.    zurück

23 Emil Angehrn: Dekonstruktion und Hermeneutik. In: PD, S. 177–199, hier: S. 199    zurück

24 Albrecht Wellmer: Hermeneutische Reflexion und ihre "dekonstruktive" Radikalisierung. Kommentar zu Emil Angehrn. In: PD, S. 200–215, hier: S. 205.    zurück

25 Siehe Fabian Stoermer: Hermeneutik und Dekonstruktion    zurück

26 Darunter befindet sich u. a. Ruth Sondereggers im August 2000 bei Suhrkamp erschienene Arbeit Für eine Ästhetik des Spiels. Hermeneutik, Dekonstruktion und der Eigensinn der Kunst, die das Interesse für die subtilen Differenzen der philosophischen Hermeneutik und der Dekonstruktion zwar keineswegs ausblendet, aber sich in ihrem Plädoyer für eine Ästhetik des Spiels gerade auf einen Eigensinn der Kunst bezieht, der von der Hermeneutik und der Dekonstruktion, soweit sie beide eine >Wahrheitsästhetik< verfolgen, gleichermaßen verfehlt wird. – Erwähnt sei auch die gerade erst, im Juni 2003, bei Vellbrück erschienene Studie von Emil Angehrn, deren Titel, Interpretation und Dekonstruktion. Untersuchungen zur Hermeneutik, darauf schließen lässt, dass sie das von Angehrn in seinem Beitrag zu dem Band Philosophie der Dekonstruktion entworfene Verständnis der Dekonstruktion als eines spezifischen Aspekts der Hermeneutik weiter verfolgt. – Ferner scheint es mir sinnvoll, an dieser Stelle auf mein eigenes, 2002 bei Fink erschienenes Buch Hermeneutik und Dekonstruktion der Erinnerung. Über Gadamer, Derrida und Hölderlin hinzuweisen, um die wohl kaum zu vermeidenden, besonderen Trübungen des Urteils, denen man als Rezensent unterliegt, wenn man über Diskussionen berichtet, in denen man selbst ausführlich Stellung genommen hat, zumindest durchsichtig zu halten.    zurück

27 Jacques Derrida: Gesetzeskraft. A. a. O., S. 47.    zurück

28 Georg W. Bertram: Die Dekonstruktion der Normen und die Normen der Dekonstruktion. In: PD, S. 289–310, hier: S. 290.    zurück

29 Jacques Derrida: Gesetzeskraft. A. a. O., S. 46.    zurück

30 Georg W. Bertram: Die Dekonstruktion der Normen, S. 309.    zurück

31 Georg W. Bertram: Hermeneutik und Dekonstruktion. A. a. O., S. 156.    zurück

32 Georg W. Bertram: Hermeneutik und Dekonstruktion. A. a. O., S. 93    zurück

33 Jacques Derrida: Die différance. In: Ders.: Randgänge der Philosophie. Wien: Passagen 1988, S. 29–52, hier: S. 46.    zurück

34 So der Obertitel unter dem Bertram die Grundbegriffe différance, Spur und Wiederholung entwickelt, vgl. Bertram: Hermeneutik und Dekonstruktion. A. a. O., S. 87.    zurück

35 Die Stelle der Grammatologie, auf die Bertram als Beleg für die Unsicherheit Derridas anführt, scheint dafür jedenfalls nicht geeignet. Derrida schreibt dort zwar, dass er die "Ur-Schrift [...] nur deshalb weiterhin Schrift nennen wolle[], weil sie wesentlich mit dem vulgären Schriftbegriff verbunden ist." (Herv. von mir, fs) Schon die Formulierung des übernächstens Satzes macht aber klar, dass diese >nur historische< Begründung ihn in der Verwendung des Schriftbegriffs durchaus nicht unsicher macht. Es heißt dann nämlich: "Wenn wir also darauf beharren, diese Differenz Schrift zu nennen, so deshalb, weil die Schrift durch die fortwährende historische Unterdrückung von ihrer Stellung her dazu bestimmt war, die verwerfliche Seite der Differenz darzustellen." (Jacques Derrida: Grammatologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp 31990, S. 99). – Natürlich wäre es albern, zu behaupten, dass die Marginalisierung der "Schrift" in Bertrams Axiomatik der Dekonstruktion genau jenen symptomatischen Wert einer präsenzmetaphysischen Verdrängung der "verwerflichen" Seite der Differenz hat, auf den hinzuweisen Derrida nicht müde geworden ist. Für Bertrams Stellungnahme zur "Schrift" gilt wohl vielmehr a fortiori, was über sein Prinzip einer axiomatischen Rekonstruktion der Dekonstruktion als solches oben bemerkt wurde: es handelt sich dabei kaum um ein Versehen, sondern um eine bewusste philosophische Initiative, die mit den dekonstruktiven Vorbehalten gegenüber diesem Schritt durchaus vertraut ist. Ob Bertram der von Derrida problematisierten Logik einer Marginalisierung der "Schrift" deshalb, weil er diese kennt, wirklich vollständig entgeht, ist aber eben die Frage.    zurück

36 Georg W. Bertram: Hermeneutik und Dekonstruktion. A. a. O., S. 88.    zurück

37 Jacques Derrida: Die Stimme und das Phänomen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1979, S. 60.    zurück

38 Vgl. Georg W. Bertram: Hermeneutik und Dekonstruktion. A. a. O., S. 155.    zurück

39 Jacques Derrida: Die différance. A. a. O., S. 38.    zurück

40 Georg W. Bertram: Hermeneutik und Dekonstruktion. A. a. O., S. 93 und S. 93, Anm. 17.    zurück

41 Jacques Derrida: Die différance. A. a. O. , S. 52.    zurück

42 Georg W. Bertram: Hermeneutik und Dekonstruktion. A. a. O., S. 162.    zurück

43 Vgl. Hans Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebek) 61990. (=Band 1 der Gesammelten Werke), S. 346 ff. (Herv. von mir, fs).    zurück

44 Ebd., S. 299.    zurück