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Dieter Blume: Regenten des Himmels. Astrologische Bilder in Mittelalter und
Renaissance (Studien aus dem Warburg-Haus 3). Berlin: Akademie Verlag 2000.
X, 468 S. Geb. 45 Farb- und 272 s/w Abb. DM 195,19.
ISBN 3-05-003249-9.
I. Die Ikonologie und die Sterne
Im Oktober 1912 hielt
Aby Warburg in Rom seinen berühmten Vortrag über die astrologischen Fresken
im Palazzo Schifanoja zu Ferrara, 1 in dem er
erstmals den Begriff der >Ikonologie< 2
für seine neue Methode der kunsthistorischen Interpretation gebrauchte, die
später mit seinen Schülern Erwin Panofsky und Fritz Saxl ihren beispiellosen
akademischen Siegeszug antrat. Aus demselben Jahr stammt eine Untersuchung
Warburgs zum Kuppelfresko in der Apsis der Alten Sakristei von S. Lorenzo in
Florenz mit einer naturalistischen Darstellung des nächtlichen
Sternenhimmels. 3 Die
Astrologie entließ auch später Warburg nicht aus ihrem Bann, ihre
Faszination übertrug sich dazu noch auf viele Ikonologen der nachfolgenden
Generation. Stand somit die Astrologie gleichsam an der Wiege der Ikonologie,
so ist die Frage erlaubt, ob es so etwas wie einen Bedingungszusammenhang
zwischen dem Aufkommen der ikonologischen Methode und der Beschäftigung mit
astrologischer Thematik in der Kunst gab. Vielleicht wäre der
Forschungsimpetus Warburgs, in einem Kunstwerk verborgene Sinnschichten durch
Referenz auf einen allgemein-kulturhistorischen Hintergrund freizulegen, bei
einer anderen Materie nicht so ungehemmt zur Entfaltung gekommen.
Es ist daher nicht ohne innere Rechtfertigung, wenn Dieter
Blume sein Buch über die "Regenten des Himmels", eine Abhandlung
über astrologische Bilder in Mittelalter und Renaissance, als dritten Band
der "Studien aus dem Warburg-Haus" vorlegt — einer u.a. von
Martin Warnke herausgegebenen Reihe, die schon mit ihrem Titel an die
berühmten "Studien der Bibliothek Warburg" anknüpft, die die
deutsche Kunstwissenschaft mit der Exilierung der Warburg-Bibiliothek nach
London 1933 verloren hat. Das Buch ist im Kern eine Münchener Habilitation
bei Hans Belting von 1990, die nunmehr in erweiterter Fassung mit
umfangreicher Bibliographie und vorzüglichen Abbildungen erscheint.
II. Der Ursprung der nachantiken Astrologie
Blumes Thema ist die Entwicklung der Planetendarstellung in
der abendländischen Kunst zwischen dem 13. und 15. Jh. Die "Regenten des
Himmels" sind die sieben Planeten der klassischen Himmelskunde, also die
mit bloßem Auge sichtbaren Wandelsterne Merkur, Venus, Mars, Jupiter und
Saturn sowie Sonne und Mond, die für einen Geozentriker ebenfalls die Erde zu
umrunden scheinen. Für die Astrologie sind die Planeten Regenten, weil sie
innerhalb der ihnen zugewiesenen Lebensbereiche Einfluß und Herrschaft über
das irdische Geschehen ausüben — als solche sind sie beispielsweise
noch in unserer Benennung der Wochentage präsent.
Kontinuität oder Neuanfang?
Blume beginnt mit einer Frontstellung gegen Panofsky und Saxl
(S.2 ff.). Diese hatten die These vertreten, die antike Astrologie hätte
— wie das übrige antike Wissen auch — den Sturm der
Völkerwanderung und die Dunkelheit des Mittelalters in den
Klosterbibliotheken überdauert, um in der Renaissance schlicht reaktiviert zu
werden. 4 Dagegen besteht
Blume darauf, dass die Astrologie im ausgehenden Mittelalter neu erfunden
werden musste. Nach dem Verdikt der Kirchenväter, denen der fatalistische
Sternenglaube mit der göttlichen Allmacht und Gnade unvereinbar erschien,
verfiel das Abendland einer durchgängigen Astrologievergessenheit. Lediglich
in einem eng umgrenzten Bezirk beschäftigte man sich in dieser Zeit mit den
Sternen, nämlich bei der genauen Berechnung des Ostertermins. So kommt es,
dass sich in einer Aachener Enzyklopädie aus karolingischer Zeit zwar
Illustrationen der Tierkreiszeichen nach antiken Vorbildern finden, die
Planeten dagegen — mit Ausnahme von Sonne und Mond — nur als
rudimentäre Zeichen wiedergegeben sind.
Einfluß der arabischen Welt
Die mittelalterliche Astrologie beginnt vielmehr mit den
Übersetzungen aus dem Arabischen im Zuge der >Renaissance< des 12. Jh.
Zum Leittext avancierte eine Schrift des mesopotamischen Astrologen Albumasar
(Abu Ma'shar) aus dem 9. Jh., die als "Introductorium in
astronomiam" verlegt wurde (S.18 ff.). Als erste eigenständige
Anverwandlung dieses Textes im Mittelalter kann das Lehrgedicht des Bernardus
Silvestris aus der Mitte des 12. Jh. gelten, das dessen astrologisches
Gedankengut mit der Genesis und dem platonischen "Timaios"
kombiniert (S.26 ff.). In diesem Gedicht werden die Planeten weiter mit ihren
seit der Antike gebräuchlichen Götternamen belegt und erstmals als Regenten
des irdischen Geschehens beschrieben, deren sich die göttliche Ordnung als
Hilfspersonal zu ihrer Realisierung bedient.
Planeten und Regentschaft
Diese zunächst bloß literarische Astrologie findet ihre erste
bildliche Umsetzung erst knapp hundert Jahre später in den Illustrationen zum
"Liber astrologiae" des Georgius Fendulus (S.34 ff.). Es handelt
sich um ein wahres Bilderbuch, bei dem die Planetendarstellungen nur
sporadisch von kompilierten Übersetzungen aus Albumasars Text unterbrochen
werden. Der Regentschaftsgedanke aus dem Lehrgedicht Silvestris' findet seine
sinnfällige bildliche Umsetzung darin, dass die Planeten in mittelalterlicher
Herrscherpose dargestellt werden, als gekrönte Könige auf ihrem Thron. Der
Wiedereintritt der Planeten in den abendländischen Horizont vollzieht sich
also theologisch wie ikonographisch über den Herrschaftsgedanken. Blumes
These von der Neuerfindung der Astrologie im Mittelalter wird dadurch
gestützt, dass sich bei Fendulus trotz des ursprünglich arabischen Textes die
Darstellung der Planeten nicht an orientalische Vorbilder anlehnt, sondern
vielmehr byzantinischen und spätantiken Prachtkodizes folgt. Hierzu passt es,
dass neben den Planeten auch die Autoren Fendulus und Albumasar abgebildet
sind, und zwar in der Tradition byzantinischer Propheten- und
Evangelistendarstellungen.
Himmelskunde für den stupor mundi
Blume setzt Fendulus' Buch überzeugend in Zusammenhang mit
Friedrich II. von Hohenstaufen und seinem Konzept eines obrigkeitlichen
Beamtenstaates (S.47 ff.). Die Idee der Regentschaft im göttlichen Kosmos
wird dadurch zum Gewährträger einer absoluten Herrschaft anstelle der auf
Gegenseitigkeit aufgebauten Feudalordnung. Eine noch engere Verbindung zu dem
sizilischen Kaiser lässt sich für den nur wenig jüngeren "Liber
introductorius" des Michael Scotus vermuten (S.52 ff.). Dieses Buch
antwortet auf einen Katalog kosmologischer und theologischer Fragen, den
Friedrich an verschiedene Gelehrte versandte und in dem er sich insbesondere
für die >rectores< der Sphaeren interessierte. Blume untersucht die
literarischen Planetenbeschreibungen bei Scotus und vergleicht sie mit
späteren Illustrationen seines Buches. Anders als bei Fendulus sind die
Planeten hier keine bloß allegorischen Gestalten mehr, sondern speziell
charakterisierte Persönlichkeiten: Saturn der streitbare Bauer, Jupiter der
wohlhabende Bürger, Mars der gewappnete Krieger, Venus die verführerische
Frau und Merkur der intellektuelle Kleriker. Der Regentschaftsgedanke wird
also von der bloßen Herrschaftsdarstellung verlagert auf eine Typenbildung
der gesellschaftlichen Rollen, die den Ordnungsgedanken aufnimmt und
transformiert.
III. Von der höfischen zur städtischen Kultur
Der Planetendarstellung als soziale Typologie, wie sie bei
Michael Scotus bereits anklingt, sollte die Zukunft gehören. Von nun an
repräsentiert jeder Planet einen Stand, auch wenn die Zuordnung im einzelnen
manchmal wechselt. Dieses Hinausgreifen aus der abstrakten Herrschaftsidee in
die gesellschaftliche Wirklichkeit fällt, wie Blume schön herausarbeitet, mit
einer Veränderung des Mediums und des Adressatenkreises zusammen. Mit dem
Ende des 13. Jh. werden die intimen Buchmalereien von großformatigen und
öffentlichkeitsorientierten Wandmalereien abgelöst. Zugleich verlagert sich
die Zielgruppe von der höfischen Gelehrsamkeit auf das breit gefächerte
städtische Publikum.
Himmel über der Schlacht
Die erste monumentale Darstellung der Planetengötter findet
sich in den Wandfresken der Burg Angera am Lago Maggiore nach 1277 (S.64
ff.). Über einer Darstellung der Schlacht bei Desio, bei der die Visconti die
Herrschaft über Mailand und über die Burg errangen, sind die Planetenfiguren
— zum Teil thronend, zum Teil in fahrenden Wägen — zwischen den
Tierkreiszeichen abgebildet. Blume sieht in dieser Bildgestaltung bereits
eine Verbindung von irdischem Geschehen und stellarer Lenkung, mit der die
Astrologie die Legitimationsbedürfnisse säkularer Stadtstaaten im Ausgang des
Mittelalters bedient. Gleichwohl kann von einer konkreten Parallelisierung
der Planeten mit den historischen Vorgängen noch keine Rede sein. Die
Planeten verbleiben vielmehr in ihrer himmlischen Sphäre, ihre Regentschaft
bleibt auf eine generelles Subordinationsverhältnis beschränkt.
Himmel über der Polis
Das ändert sich mit den Fresken im Großen Saal des Paduaner
Palazzo della Ragione vom Anfang des 14. Jh. (S.70 ff.). Hier rekonstruiert
Blume sehr verdienstvoll den teilweise übermalten Ursprungszustand durch
einen Vergleich der Planetenikonographie mit früheren wie späteren
Beispielen. Das ursprüngliche Konzept der Ausmalung dieses öffentlichen
Versammlungssaales, das Blume überzeugend Giotto zuweist, kombiniert zwei
unabhängige Bildtraditionen: nämlich zum einen die Planeten mit den ihnen
zugeordneten Tierkreiszeichen, zum anderen die Tierkreiszeichen mit den ihnen
zugeordneten Monatsarbeiten. Der Zodiakus wird damit gleichsam zur Klammer,
die die Vielfalt des irdischen Lebens im Jahreskreislauf mit den Planeten als
Repräsentanten der gesellschaftlichen Typologie zusammenschließt.. Diese
Darstellungsweise scheint ein spezifisches Bedürfnis der jungen Kommunen beim
Übergang von der höfischen in die städtische Kultur befriedigt zu haben, fand
sie doch im Anschluß an Padua im 14. Jh. eine reiche Nachfolge in den
oberitalienischen Stadtstaaten, so in Florenz (Reliefs des Andrea Pisano am
Domcampanile, für die Giotto die Entwürfe gefertigt haben soll), in Siena (im
Palazzo Pubblico mit den Fresken des Ambrogio Lorenzetti zur guten und
schlechten Regierung) und Venedig (Kapitelle der Loggia des Dogenpalastes).
IV. Neuansatz bei Boccaccio
Boccaccio bringt in diese Planetenseligkeit einen neuen
Akzent (S.112ff.). In seiner "Genealogie Deorum Gentilium", die
u.a. auf Albumasar zurückgreift, wird die Planetenikonographie wieder mit der
antiken Mythologie zusammengeführt, während sie vorher nur astrologisch aus
arabischen Quellen entwickelt war. Zugleich ändert sich damit das
Erkenntnisziel der Astrologie: Die Kosmologie tritt hinter die humanistische
Wiederaneignung antiker Literatur zurück. Damit einher geht eine Beschränkung
des angesprochenen Adressatenkreises auf den abgeschlossenen Kontext der
höfischen Kultur. Die zum Verständnis notwendige Antikenkenntnis ist zunächst
auf einen kleinen Zirkel Wissender begrenzt.
Olympische Profanierung
Die von Boccaccio bewerkstelligte Wiederankunft der antiken
Götter in der Astrologie führt zu einer weiteren Verwandlung der
Planetenikonographie. Die Fresken im Palazzo Trinci im umbrischen Foligno vom
Anfang des 15. Jh. (S.118 ff.) zeigen erstmals die Planeten in antikischer
Ikonographie: Jupiter erscheint als Blitzeschleuderer, Merkur zwar noch als
der bärtige Gelehrte, aber bereits wieder mit Flügelschuhen eilend. Die
Pfeilerreliefs des Agostino di Duccio im Tempio Malatestiano in Rimini aus
der Mitte des 15. Jh. (S.139 ff.) führen die in Foligno begonnene
Antikisierung der Planetenikonographie fort und ergänzen diese durch eine an
antiken Skulpturen geschulte künstlerische Ausführung. Von hier aus
verabschiedet sich die Astrologie aus der Planetendarstellung und überlässt
der Mythologie das Feld. In Raffaels Fresken im Gartensaal der Villa
Farnesina sind die Planeten nur noch antike Gottheiten, jeder kosmologischen
Bedeutung entkleidet.
Planeten für den Hausgebrauch
Blume beschließt seine Geschichte der Planetendarstellungen
mit einem Blick über die Alpen (S.158 ff.). Dort hatten die Brüder Limbourg
Anfang des 15. Jh. in den "Très riche heures" des Duc de Berry die
ersten bedeutenden Planetenbilder Nordeuropas gefertigt, noch eingepasst in
den Kontext von Zodiakus und Monatsabfolge, unberührt von klassischer
Mythologie. Ausgehend von einem Baseler Kodex von 1430 setzte dann v.a. in
Süddeutschland eine Popularisierung der Planetenbilder ein, die über eine
Kombination von Holzschnitten und didaktischen Gedichten in den sog.
Hausbüchern eine echte Breitenwirkung entfaltete.
Das ist in groben Zügen die Geschichte der
Planetendarstellung an der Wende des Mittelalters zur Neuzeit, wie sie Blume
kenntnisreich und durchaus spannend erzählt. Daß seine Ausführungen dabei
mitunter ein wenig textlastig geraten, ist thematisch bedingt, da die
entscheidenden Wendungen der ikonographischen Entwicklung literarisch
vorbereitet wurden. Leider widmet der Autor bei der Beschreibung der
Kunstwerke der Kunst der Beschreibung nicht immer die nötige Sorgfalt, so
dass die Referate der einzelnen Planetenfiguren mitunter etwas stereotyp
geraten und die wesentlichen Unterschiede unterzugehen drohen.
Uneingeschränktes Lob verdient hingegen der Abbildungsapparat, der die
besprochenen Werke mit der gebotenen Vollständigkeit und in höchster
Reproduktionsqualität wiedergibt.
Blumes Buch ist vom Typus her eine klassische Monographie..
Für ein Handbuch fehlt ihm die Vollständigkeit in der Abhandlung der
Kunstdenkmäler, wofür man ihm aus Gründen der Lesbarkeit dankbar sein muß.
Warum allerdings die Planetenbilder in den Fresken des Palazzo Schifanoja in
Ferrara nur in einem Nebensatz erwähnt werden, will nicht ganz einleuchten.
Blume gelingt es, seine Unterscheidung einer Bildtradition von einer neuen
Bildentwicklung aus einer Texttradition heraus plausibel zu machen. Positiv
zu vermerken ist weiterhin die konsequente Beachtung der Adressatenebene: Auf
jeder Stufe der Entwicklung wird gefragt, für wen die Bilder gedacht und auf
welchen Empfängerhorizont sie berechnet waren. Der Entwicklungsgang wird
damit eingespannt in ein Koordinatensystem wechselseitiger Beeinflussungen
von Text und Bild bzw. Hof und Stadt.
V. Das Kuppelfresko in der Alten Sakristei
Ein wenig ratlos macht es, wenn Blume den Gang der
Darstellung zwischen Foligno und Rimini unterbricht, um das Kuppelfresko in
der Apsis der Alten Sakristei von S. Lorenzo in Florenz zu besprechen (S.126
ff.). Denn hier sind auf einem dunkelblauen Nachthimmel die Sterne und
Planeten nach Art eines Himmelsglobus als leuchtende Punkte eingetragen. Es
gibt also gar keine Planetenbilder, lediglich bei den Sternzeichen werden die
Punkte umrisshaft zu bildlichen Darstellungen zusammengefasst. Die Planeten
erscheinen nicht als Personifikationen oder Göttergestalten, sondern bieten
sich dem Auge in ihrer natürlichen Gestalt am Nachthimmel dar. Blume macht
gar keinen Versuch, diese Abweichung in der Thematik, die eigentlich in einen
Exkurs oder eine eigene Abhandlung gehört, zu erklären, sondern vertraut
offensichtlich auf die eigene Faszination dieses Kunstwerkes, die sich dem
Leser allerdings auch unmittelbar mitteilt.
Gemalte Sternenkarte
Das Kuppelfresko zeigt erstmals in der Geschichte der Kunst
eine astronomisch exakte Reproduktion des nächtlichen Himmelsgewölbes. Man
nimmt an, dass die zugrunde liegende Sternenkarte von dem Florentiner
Astronomen Paolo Toscanelli mit Hilfe der soeben entdeckten
Zentralperspektive geschaffen wurde. Die Genauigkeit der Himmelsdarstellung
hat die Historiker seit jeher veranlasst, im Kuppelfresko die Abbildung einer
datumsmäßig bestimmten Sternenkonstellation zu vermuten und diese in
Verbindung zu einem konkreten historischen Ereignis zu bringen, eine echte
Einladung zur ikonologischen Exegese. So nahm Aby Warburg im eingangs bereits
erwähnten Aufsatz von 1912 das Datum des 9. Juli 1422 an, an dem angeblich
der Hauptalter von S. Lorenzo geweiht worden sein soll. 5 Seine Schülerin Gertrud Bing kam auf den
6. Juni 1439, den Tag der Schlusssitzung des Konzils von Florenz. 6 Propagiert wurde auch der
16. Juli 1416 als Geburtstag von Piero Medici, dem Sohn des Auftraggebers
Cosimo.
Datum ohne Ereignis
Durch die Restaurierung des Freskos 1986 ist nunmehr eine
Datierung der Konstellation auf den 4. Juli 1442, 10 Uhr 30 vormittags
(Standort Florenz) plausibel geworden. Dieter Blume befindet sich allerdings
in der misslichen Lage, dass für diesen Tag die Chroniken partout kein
>buchenswertes< Ereignis der Florentiner Geschichte verzeichnen. Die
ikonologische Sinnsuche sieht sich daher von der Ereignisgeschichte
abgewiesen und auf den Gegenstand ihrer Deutung zurückgeworfen. Das
aufwendige und künstlerisch neuartig gestaltete Kuppelfresko als bloße
Himmelsdarstellung um ihrer selbst willen anzusehen, damit will sich Blume
jedoch nicht zufrieden geben.
Stadt-Horoskop
In dieser Situation wählt Blume methodisch geschickt den Weg
einer textimmanenten Interpretation, indem er die dargestellte Konstellation
als Horoskop deutet und entsprechend befragt. Für Blume zeigt sich, dass die
Konstellation vom 4. Juli 1442 auf diejenige vom 5. April 802 bezogen ist,
dem Tag der karolingischen Wiedergründung der Stadt Florenz. Diese
Konstellation war dem Florentiner Humanismus durch die Chroniken Giovanni
Villanis bestens vertraut. Das Kuppelfresko wäre demnach ein monumentales
Horoskop — nicht für eine Person, sondern für die Stadt Florenz.
Blume gelangt bei der Ausdeutung des Horoskops vom 4. Juli
1442 zu der nicht sehr überraschenden Folgerung, dass es sich um eine für
Florenz außerordentlich glückliche Konstellation handelt. Der Autor gerät
dabei zwangsläufig in die Sprache alter und neuer Sterndeuter, wenn er den
positiven Charakter der Versammlung aller Planeten um die Himmelsmitte
beschreibt und beispielsweise die günstige Stellung von Mars zu Sonne und
Jupiter hervorhebt. Das zehnte Haus, das für das öffentliche Leben steht,
hält er mit Sonne und Merkur für geradezu ideal besetzt. Nur Saturn steht in
einem ungünstigen Winkel zu Mars. Fazit dieses Stadt-Horoskops in der Lesart
des Autors ist, dass Florenz eine große intellektuelle Blüte bevorsteht und
äußere Bedrohungen durch einen starken Herrscher zu meistern sind.
Die weiteren Folgerungen ergeben sich zwanglos. Die Alte
Sakristei entstand im Auftrag der Medici als Camouflage einer
Familiengrablege, da im republikanischen Florenz öffentliche Grabmäler nach
Art von Fürstenkapellen undenkbar waren. So ist die Grablege der Eltern
Cosimo Medicis in der Mitte der Kapelle durch einen großen Tisch verdeckt. Im
Kuppelfresko über dem Altarraum wird die Verbindung der Medici zu Florenz
nicht durch das Familienwappen, sondern weitaus subtiler in einem Horoskop
thematisiert, das die günstigen Geschicke der Stadt Florenz mit dem
Auftraggeber verknüpft, denn zufällig lassen sich auch Bezüge der
Konstellation des 4. Juli 1442 zu derjenigen der Geburt Cosimo Medicis am 27.
September 1389 feststellen.
Ein Horoskop als Schluß der Weisheit?
Blume hat mit seiner These vom Kuppelfresko als Horoskop
zweifellos einen innovativen Neuansatz geliefert, der die Forschung aus ihrer
Fixierung auf die Ereignisgeschichte befreit hat. Aber sind seine weiteren
Interpretationen überzeugend? Zunächst erscheint sein Bezug zum
>Gründungshoroskop< der Stadt Florenz etwas weit hergeholt. Der einzige
echte Bezugspunkt ist, dass am 4. Juli 1442 der Aszendent, also das bei
Sonnenuntergang am Horizont befindliche Sternzeichen, auf dem
Herbstäquinoktialpunkt zu liegen kommt, und dass dies am 5. April 805 nahezu
spiegelverkehrt der Fall war. Die weiteren Bezüge zwischen den beiden
Konstellationen bestehen nur in einer Vergleichbarkeit der
Planetenstellungen, die aber nicht auf ihrer genauen Himmelsposition beruht,
sondern sich erst durch eine astrologische Ausdeutung ergibt.
Hierin liegt der eigentliche Schwachpunkt in Blumes Analyse.
Der Autor muß sich für seine ikonologische Interpretation der astrologischen
Terminologie anvertrauen und kann damit nur den Grad von Plausibilität
erreichen, der Horoskopdeutungen schlechthin eignet. Diesen beschreibt der
Autor selbst dahingehend, dass die verschiedenen Horoskopsysteme "im
Prinzip beinahe jede Deutung ermöglichen" (S.7). Solange wir keine
Anhaltspunkte dafür haben, wie das Horoskop des 4. Juli 1442 von Paolo
Toscanelli und seinen Zeitgenossen tatsächlich ausgelegt wurde, stehen alle
weiteren Folgerungen auf tönernen Füßen.
VI. Die Planeten und die Ikonologie
Die Ikonologie befindet sich in der Krise. Warburgs
fruchtbringender Impetus, die Kunstwissenschaft aus ihrer Engführung der
Künstlergeschichte wie der reinen Stilgeschichte durch Rekonstruktion der
ursprünglichen Kontextualität des Kunstwerks zu befreien, hat durch seine
Verbindung mit dem angelsächsischen Positivismus, die mit der Emigration
seiner Schüler nach 1933 einsetzte, zu der Illusion geführt, dass der
Kunstgeschichte auf diesem Wege >wissenschaftliche Exaktheit<
beigebracht werden könnte. Die Versuchung, das Kunstwerk durch eine
Aufschlüsselung seiner externen Beziehungen zu erklären, ist groß, auch wenn
dabei das Kunstwerk selbst verschwindet. Die unvermeidlichen Wucherungen
detektivischen Spürsinns haben entlegenste Deutungszusammenhänge und
versteckteste Programmatiken aufgefunden und sind dabei, nicht nur die
ikonologische Methode in Verruf zu bringen, sondern auch das gesamte Fach der
Kunstgeschichte, sofern es sich mit ihr identifiziert hat.
Blumes Buch zeigt in beispielhafter Weise, wie Ikonologie
heute noch möglich ist und welche Ergebnisse sich mit ihr erzielen lassen.
Seine Fragestellung, was die Menschen in früheren Zeiten veranlasste, sich
Bilder vom Himmel und von Planeten zu machen, schließt einen weiten
kulturhistorischen Horizont auf, der gerade in der Konfrontation von Bildern
und Texten wie auch der Rekonstruktion des einen aus dem anderen seine
faszinierendsten Seiten zeigt. Daß dabei die Behandlung der originär
künstlerischen Aspekte zu kurz kommt, ist wohl unvermeidlich und auch
lässlich angesichts der pointierten und ertragreichen Durchführung des
Vorhabens. Glanz und Elend der Ikonologie zeigen sich paradigmatisch an
Blumes Untersuchung des Kuppelfreskos in der Alten Sakristei. Daß die
Himmelsdarstellung ein Horoskop sein könnte, rückt die Betrachtung dieses
Werkes in einen völlig neuen Blickwinkel und eröffnet eine zusätzliche
Bedeutungsperspektive. Dann jedoch erliegt der Autor der ikonologischen
Versuchung und probiert sich an einer historisch-astrologischen Entzifferung
dieses Horoskops. Viel wäre gewonnen gewesen, wenn Blume seine Ausführungen
zum Horoskop als das vorgetragen hätte, was sie sind: eine
Forschungshypothese.
Hans-Michael
Strepp
Joh.Seb.Bach-Straße 44
D-85521 Ottobrunn
Ins Netz gestellt am 11.09.2001
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Anmerkungen
1 Aby Warburg: Italienische Kunst und
internationale Astrologie im Palazzo Schifanoja zu Ferrara. In: Dieter Wuttke
(Hg.): Aby Warburg. Ausgewählte Schriften und Würdigungen. Baden-Baden:
Valentin Koerner 1992, S.173-198. zurück
2 Unter >Ikonologie< wird gemäß
heutigem Sprachgebrauch die Einordnung eines Kunstwerks in seinen
gesamtgeschichtlichen Kontext verstanden, wie sie insbesondere in der Suche
nach einem konkreten >Programm< für eine bestimmte Darstellungsweise
zum Ausdruck kommt. Hingegen befasst sich die >Ikonographie< mit der
Entzifferung einzelner Figuren oder Darstellungselemente beispielsweise
anhand ihrer Attribute. zurück
3 Aby Warburg: Die astronomische
Himmelsdarstellung im Gewölbe der Alten Sakristei von San Lorenzo in Florenz.
In: Mitteilungen des Kunsthistorischen Instituts in Florenz, 2 (1912),
S.34-36. zurück
4 Erwin Panofsky / Fritz Saxl: Classical
Mythology in Medieval Art. In: Metropolitan Museum Studies, IV (1933),
S.228ff. zurück
5 Aby Warburg (Anm. 3). zurück
6 Gertrud Bing: Anhang. In: Aby Warburg,
Gesammelte Schriften, Bd. I, Leipzig, Berlin 1932, S.366f. zurück
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