Peter Vodosek
Georg Ruppelt (Hg.): Bibliothekspolitik in Ost und West: Geschichte und Gegenwart des
Deutschen Bibliotheksverbandes. (Zeitschrift für Bibliothekswesen und
Bibliographie: Sonderhefte 72) Frankfurt/M.: Klostermann 1998. 322 S. Geb. 98,00 DM.
Entwicklung in der Bundesrepublik
Im Februar 1999 ist der Deutsche Bibliotheksverband 50 Jahre alt geworden. Der
Verein, der "die Förderung des Bibliothekswesens und der Information, der
Kooperation aller Bibliotheken und bibliothekarischen Einrichtungen sowie der
Bibliotheks- und Informationswissenschaft" zum Ziel hat und "sich der
gemeinsamen Sachfragen des Bibliothekswesens und der Information" annimmt, ist
am 23. Februar 1949 in Nierstein am Rhein gegründet worden. Es bedurfte eines halben Jahrhunderts, bis er das geworden ist,
was er heute ist, als Zusammenschluß von Institutionen, nicht als Personalverband,
die Interessenvertretung von "Bibliotheken und Einrichtungen aller Sparten und
Größenklassen." 1 Das Auf und Ab seiner
keineswegs geradelinigen Entwicklung spiegelt nicht nur getreu die strukturellen
Probleme des Deutschen Bibliothekswesens wieder, sondern auch die jeweilige
politische Großwetterlage von der Gründung beider deutscher Staaten 1949
bis zur deren Wiedervereinigung 1991.
Am Anfang stand das hehre Ziel in den Westzonen, später in der Bundesrepublik Deutschland, einen alle Typen von Bibliotheken und das Personal umfassenden
Gesamtverband zu gründen. Stattdessen erfolgte eine
dem staunenden Ausland kaum begreifbar zu machende Aufsplitterung in zahlreiche
Vereine und Verbände, die nur sehr allmählich und über mehrere
Zwischenstufen wenigstens teilweise überwunden werden konnte, 1989 mit der
Konstituierung der Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände (BDB) und
ab 1997 mit dem Trend zur Verschmelzung einzelner Personalvereine.
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Trotz aller Schwierigkeiten fällt eine Gesamtbilanz des Erreichten nicht
schlecht aus. Um exemplarische Leistungen hervorzuheben:
1973 der legendäre "Bibliotheksplan '73", 1976 die
Lektoratskooperation, ein Zweckverbund für die Öffentliche Bibliotheken,
1978 die Mitwirkung beim Zustandekommen des Deutschen Bibliotheksinstituts (DBI) in
Berlin, 3 die Schaffung eines bei seiner Einführung 1971
mit großen Hoffnungen begleiteten "Deutschen Sachbuchpreises" und
des Publizistenpreises seit 1987.
Der "Bibliotheksverband der Deutschen Demokratischen Republik"
Ganz anders verliefen Entstehung und Entwicklung des Pendants in der DDR: Nach
nicht weniger großen Startschwierigkeiten als im Westen entstand 1964 der
Deutsche Bibliotheksverband, der sich zwischen 1972 und 1990
"Bibliotheksverband der Deutschen Demokratischen Republik" nennen
mußte und 1990 wieder zu seinem alten Namen zurückfand, kurz bevor er
sich 1991 mit der westdeutschen Schwesterorganisation vereinigte.
Bei dieser Fülle der Fakten und Ereignisse war es von vorne herein klar,
daß eine durch ein Jubiläum initiierte Veröffentlichung weder eine umfassende historische Monographie noch eine vollständige Dokumentation der
Aktivitäten und der Arbeit des DBV sein kann. Wohl aber versucht sie, beide
Aspekte in einer Reihe von Einzelbeiträgen zusammenzubringen und vermeidet
klug den oft kritisierten Millefleurs-Charakter von Festschriften. Der
in der deutschen Bibliothekshistoriographie noch wenig ausgeprägte Typ der
Verbandsgeschichte erhält dadurch zweifellos Impulse. 4
Gliederung des Buches
Das Buch läßt eine Grobgliederung nach vier Themenblöcken
erkennen. Fünf der insgesamt 19 Beiträge haben die Gesamtentwicklung
vom Deutschen Büchereiverband 1949 bis zur Vereinigung 1991 zum Thema.
Insbesondere die Kapitel von Hans Joachim Kuhlmann und Konrad Marwinski stellen ein
echtes Stück Forschungsarbeit dar, wobei es ihnen die diffizile Quellenlage nicht
gerade einfach gemacht hat. Fünf Beiträge behandeln die Arbeit von
einzelnen Sektionen, drei von Landesverbänden bzw. Bezirksgruppen.
Schließlich und endlich werden drei für den Verband wichtige Projekte, die
Lektoratskooperation, der Deutsche Sachbuchpreis und der Publizistenpreis vorgestellt.
Mit seinen drei Beiträgen "Vom Deutschen Büchereiverband zum
Deutschen Bibliotheksverband 1949 bis 1973" (S. 5 - 32), "Der Deutsche
Bibliotheksverband 1973 bis 1991" (S. 33 - 64) und "Die Bundesvereinigung
Deutscher Bibliotheksverbände und der Deutsche Bibliotheksverband" (S.
225 - 235) 5 leistet Hans Joachim
Kuhlmann in der Tat so etwas wie eine Verbandsgeschichte des DBV. Sie hätte sich
ohne weiteres zu einer fortlaufenden Darstellung zusammenfügen lassen. Er
stützt sich dabei ausschließlich auf gedruckt vorliegende Quellen und
Sekundärliteratur. Eine Auswertung des vorhandenen Aktenmaterials im
Verbandsarchiv ist erst noch zu leisten. Allerdings ist die Zeitzeugenschaft des Autors, der
im Laufe seines Berufslebens die deutsche Bibliothekspolitik aktiv mitgestaltet hat, nicht
geringzuschätzen. Trotz der keineswegs spannungsfreien Entwicklung des
Verbandes versteht er es, die jeweiligen Positionen emotionsfrei einander gegenüberzustellen und zu vorurteilslosen Schlußfolgerungen zu gelangen.
Um einige Grade schwieriger war wohl die Aufgabe, die Konrad Marwinski mit seinem
Beitrag "Der (Deutsche) Bibliotheksverband der DDR 1964 bis 1990" (S. 65 -
129) zu lösen hatte, mußte er doch zusätzlich auf die in der
Bundesrepublik wenig bekannten politischen und kulturellen Verhältnisse in der
ehemaligen DDR hinweisen. Seine Captatio benevolentiae, daß es sich nur um
einen Versuch und ersten Überblick handeln könne, ist insoferne ein Topos,
als eine abgewogenere und inhaltsreichere Darstellung kaum so schnell zu erwarten ist.
Er griff dabei nicht nur auf die Veröffentlichungen des DDR-Verbandes
zurück, sondern konnte auch das Verbandarchivs benutzen, "das sich fast
vollständig in der Geschäftsstelle des Deutschen Bibliotheksverbandes e.V. in
Berlin befindet" (S. 65).
Schwachpunkte bei der Betrachtung kleinerer Bibliotheken
Bei aller Verdienstlichkeit der Publikation weist der Band aber doch auch
erhebliche Schwachpunkte, überwiegend durch zahlreiche "weiße
Flecken" auf. Der Gerechtigkeit halber sei aber ausdrücklich betont, daß
diese nicht dem Herausgeber anzulasten sind, sondern sich aus der Schwierigkeit
ergaben, kompetente Beiträger zu gewinnen. So berichten von den insgesamt acht
Sektionen nur drei über ihre Arbeit. Es fehlt der gesamte Komplex der
Öffentlichen Bibliotheken bis 400.000 Einwohner, die überregionalen und
regionalen Institutionen sowie die bibliothekarischen Ausbildungsstätten.
Von den Landesverbänden weiß nur einer, Sachsen, etwas beizutragen,
von den ehemaligen Bezirksgruppen in der DDR sind es immerhin zwei.
Offenkundig um den Band nicht zu dünn werden zu lassen, wurden drei
Aufsätze aufgenommen, die sich zwar irgendwie in das Rahmenthema
"Bibliothekspolitik in Ost und West" einfügen, aber schon mit dem
Zusatz zum Sachtitel "Geschichte und Gegenwart des Deutschen
Bibliotheksverbandes" nur mehr herzlich wenig oder gar nichts zu tun haben, so
interessant und nützlich sie auch sein mögen. Dazu zählen der Nachdruck
eines Vortrages von Heinz Werner aus dem Jahre 1991 über "Struktur
und Bibliotheksrecht der DDR", der Beitrag von Günther Beyersdorff
über die Gefährdung des Deutschen Bibliotheksinstitutes in Berlin und der
Nachdruck einer Artikelserie von Dieter E. Zimmer aus der "Zeit" über
"Die Digitale Bibliothek".
Idee einer globalen virtuellen Bibliothek
Die Artikelserie ist die durchgesehene Fassung des Zeitungsbeitrags, für den
der Autor 1997 den Publizistenpreis des DBV, den "Helmut-Sontag-Preis"
verliehen bekam. Zimmer setzt sich hier mit der Idee einer globalen virtuellen Bibliothek
auseinander, die bereits seit längerem die Gemüter bewegt, und wägt
sie gegen die herkömmlichen Bibliotheken ab. Es ist wohltuend, daß er kein
alleinseligmachendes Dogma verkündet, sondern Möglichkeit und
Wirklichkeit, Vorteile und Nachteile klug gegeneinander hält und zu einem
gereiften Urteil kommt. Kosten-, Rechts- und Organisationsfragen, Fragen der Authentizität und Qualität werden dabei dem Leser bewußt gemacht, ohne
daß er den Eindruck erhält, sich mit einem Fachtext abzuquälen. Ein
Exempel von erstrangigem Wissenschaftsjournalismus und insofern trotz der vorweg
geäußerten Kritik es wert, in einem etwas dauerhafteren Medium als es eine
Wochenzeitung darstellt, überliefert zu werden.
Schließlich vermißt der Leser eine Bibliographie der vom DBV oder
über den DBV reichlich publizierten Literatur. Allerdings tut sich der Rezensent
schwer, die Lücke anzuprangern, von der er weiß, daß der Ehrgeiz sie
zu füllen und sich dergestalt durch bibliographische Knochenarbeit zu profilieren,
stark abgenommen hat.
Alles in allem handelt es sich bei dem Band um eine Publikation, die in
höchst aufschlußreicher Weise die Leistungen, aber auch die Defizite in 50
Jahren deutscher bibliothekspolitischer Arbeit dokumentiert.
Prof. Dr. Peter Vodosek
Fachhochschule für Bibliothekswesen
Feuerbacher Heide 38-42
D-70192 Stuttgart
Ins Netz gestellt am 17.08.1999.
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