
- Katalog prvotisků Knihovny Národního Muzea v Praze a zámeckých a hradních knihoven v České republice. Hg. v. Jitka Šimáková / Jaroslav Vrchotka a kol. Praha: Nakl. KLP 2001. LXXVIII / 540 S.: Ill.
ISBN 80-85917-52-1.
Das Prager Nationalmuseum verfügt nicht nur selbst über einen bedeutenden Inkunabelbestand, sondern betreut auch die Bestände der tschechischen Burg- und Schloßbibliotheken. Grund genug, diese Sammlungen in einem gemeinsamen Katalog für die Wissenschaft zu erschließen, der als Baustein für einen nationalen Inkunabelkatalog fungieren kann, wie sie in den vergangenen Jahren für eine Reihe von Ländern vorgelegt wurden. 1
Geschichte des Inkunabelbestands
des Nationalmuseums
In seiner Einleitung (dt. S. xxxiv-xxxix) gibt Jaroslav Vrchotka einen knappen Überblick über die Geschichte des Inkunabelbestands des Nationalmuseums und berührt dabei vor allem Fragen der Aufstellungssystematik und der neuzeitlichen Erwerbungsgeschichte, nimmt aber nur gelegentlich auf die historische Zusammensetzung des Inkunabelbestands (zeitgenössische Vorbesitzer, Einbände, Unika, bedeutende Exemplare) Bezug.
Schon bald nach seiner Gründung im Jahre 1818 erhielt das Nationalmuseum die ersten Bücherschenkungen durch adelige Mäzene, unter denen sich auch Inkunabeln befanden. Zu nennen sind insbesondere die Grafen Sternberg und die Grafen Kolowrat-Krakowsky, aus deren Bibliothek ein Exemplar der Hypnerotomachia Poliphili stammt (Kat. Nr. 589). Zum Wachstum der Sammlung trugen daneben die böhmischen Städte und der Klerus bei: 59 Inkunabeln aus dem Besitz des Prager Erzbischofs Leopold Chlumčanský von Přestavlky und Chlumčaný (1749–1830), die im Jahre 1824 geschenkt wurden, sind heute im Bestand nachweisbar. Von großen Nachlaßschenkungen profitierte das Museum in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts. Noch im 20. Jahrhundert erwarb es komplette Privatbibliotheken wie die Sammlung des Industriellen Eduard Langer aus Braunau und des Prager Bankiers Bohuslav Dušek. Die Bibliotheken der Grafen von Nostitz und des Kinský-Palais wurden in ihren historischen Räumen übernommen; die letztere bewahrt ein Exemplar der 48zeiligen Bibel von 1462 (Kat. Nr. 328), die früheste im Katalog verzeichnete Bibelausgabe. Auch die 1962 erworbene Bibliothek des Kapuzinerklosters in Raudnitz an der Elbe (Roudnice nad Labem) wurde als Ganzes in ein museales Umfeld überführt; sie befindet sich nun in einer rekonstruierten Barockbibliothek im Buchmuseum von Žd'ár nad Sázavou (Saar).
Sammlungen der Schloß- und Burgbibliotheken
Die Sammlungen der Schloß- und Burgbibliotheken in der Tschechischen Republik (dt. S. xl–li) charakterisiert Jitka Šimáková. Als nach 1948 fast 350 historische Adelsbibliotheken in Böhmen, Mähren und Schlesien enteignet und in staatliche Verwaltung überführt wurden, konnte eine Aufteilung des Bestandes verhindert werden und die Sammlungen als selbständige Einheiten erhalten bleiben. Diesem im Vergleich zu anderen Verstaatlichungen schonenden und der Sammlungsgeschichte angemessenen Verfahren ist wohl zu verdanken, daß auch die nach 1989 restituierten Bibliotheken weiterhin in der fachlichen Betreuung durch das Prager Nationalmuseum verblieben und so in einem Verbundkatalog erschlossen werden konnten. Unter den insgesamt über 1,5 Millionen Bänden befinden sich mehr als 1000 Inkunabeln, die bereits in einem 1988–1990 erschienenen gedruckten Inkunabelkatalog verzeichnet wurden. 2 Über größere Sammlungen mit jeweils mehr als 100 Bänden verfügen die Bibliotheken in Kynžvart (Königswart), Křivoklát (Pürglitz), Kroměříž (Kremsier), Český Krumlov (Böhmisch Krumau) und die Malteserbibliothek in Prag; kleinere Sammlungen befinden sich in Mladá Vožice (Jungwoschitz), Mnichovo Hradiště (Mönchengrätz), Rychnov nad Kněžnou (Reichenau an der Kniezna) und Mikulov (Nikolsburg). Lediglich einzelne Bände werden in weiteren 24 Bibliotheken aufbewahrt. Die Geschichte jeder Sammlung skizziert Šimáková knapp.
Aus deutscher Sicht am interessantesten ist die Metternichsche Sammlung im Schloß Königswart, die zu zwei Dritteln aus Bänden aus dem säkularisierten Benediktinerkloster Ochsenhausen besteht, das bei der Säkularisation 1803 in den Besitz der Familie überging und 1826 nach Böhmen überführt wurde. 3 Die Ochsenhausener Bibliothek glänzt mit sehr frühen Beispielen der Druckkunst und einem breiten Spektrum an Sprachen (neben deutschen sind auch italienische und griechische Drucke vorhanden), nicht jedoch – wie die Sammlung von Karl Egon von Fürstenberg in Pürglitz – mit Prachtexemplaren: Illuminationen fehlen, und die Einbände wurden durchgängig in schlichtem klassizistischen Stil erneuert. Für die Provenienzforschung gingen so wertvolle Materialien zugrunde. Von intensiver Benutzung durch Ordensmitglieder zeugen die Inkunabeln der Prager Malteserbibliothek, die häufig annotiert sind.
Wertvolle Inkunabeln aus dem Besitz des Rosenberger Kanzlers und Humanisten Wenzel von Rovné (1449–1531) finden sich in Böhmisch Krumau. Bücher deutscher Humanisten (Hieronymus Holzschuher und Hieronymus Münzer 4) sind in der bedeutenden Sammlung der Fürsten von Dietrichstein in Nikolsburg, der reichsten mährischen Familie, erhalten geblieben. Ein Großteil des Bestands wurde jedoch 1933 / 34 über Auktionen zerstreut; die Handschriften gelangten zum Teil nach Brünn und Prag. 5
Katalog
Insgesamt verzeichnet der Katalog 2014 Inkunabelexemplare des Nationalmuseums und der ihm unterstehenden Schloß- und Burgbibliotheken. Gezählt wurden Exemplare, nicht Ausgaben, weshalb keine Angaben zur Zahl der vorhandenen Druckausgaben möglich sind. Der Katalog ist nach dem Alphabet der Verfassernamen geordnet; Werke sind unter den lateinischen Verfassernamen bzw. Sachtiteln angesetzt, wobei entweder die Ansetzungen des GW oder Goffs (und somit des ISTC) zugrunde liegen.
Die Katalogeinträge sind nach dem üblichen Muster (Autor / Titel, Impressum, Format, bibliographische Nachweise, Exemplarbeschreibung, Provenienz, Beibände, Signatur) aufgebaut. Hilfreich ist, daß die einzelnen Rubriken durch leicht merkbare Symbole markiert sind. So steht eine weiße Zahl (z.B. 5) auf schwarzem Grund für die Information "gebunden als fünfter Beiband zu"; danach folgt die Angabe des ersten Werks des Sammelbandes, unter dem (sofern es sich um eine Inkunabel handelt) im Katalog eine ausführlichere Beschreibung des Bandes mit Provenienzangabe und einer Liste aller enthaltenen Werke geboten wird. Unter dem jeweiligen Teilband finden sich nur die Informationen, die allein für den Beiband gelten. Während eine Benutzung des Katalogs für den Provenienzforscher auch ohne Kenntnisse des Tschechischen möglich ist, da Einträge großzügig transkribiert werden, setzt die Auswertung für kunsthistorische oder einbandkundliche Fragen Vertrautheit mit der einschlägigen Terminologie voraus. Bedauerlicherweise werden diese Informationen auch nicht durch ein Register erschlossen.
Mehrere Register ergänzen den Katalog: im Register der Herausgeber, Übersetzer und Kommentatoren (S. 433–437) wird zwischen Verweisen auf mehrere verschiedene Ausgaben und auf Mehrfachexemplare der gleichen Ausgabe nur dadurch unterschieden, daß die jeweils angeführten Exemplarnummern durch Kommata oder bis-Striche getrennt sind (vgl. z.B. den Eintrag Beckenhaub, Johann). Eine Zählung nach Ausgaben mit jeweiliger Durchnumerierung der vorhandenen Exemplare wäre hier vorzuziehen gewesen. 6
Dies gilt auch für das Druckerregister (S. 438–445), in dem Drucker und Verleger unter Angabe des Orts ihres Wirkens in einem Alphabet verzeichnet sind; unter dem Stichwort "typographus" finden sich Drucker mit Notnamen; am Ende des Registers sind Drucke verzeichnet, die keinem Drucker bzw. keinem Ort zugewiesen werden konnten. Der Nutzen dieses Namenregisters wird durch das anschließende, nach Druckorten (in der Sprachform des jeweiligen Landes) geordnete Register (S. 446–484) relativiert, das unter dem jeweiligen Drucker zusätzlich zu den Katalognummern Druckdatum und Kurztitel der jeweiligen Ausgabe anführt. Diese sehr viel hilfreicheren Angaben ersparen dem Benutzer das umständliche Blättern im Katalog, da die im Bestand vorhandene Produktion einer Offizin auf einen Blick überschaubar ist. Das Druckerregister selbst hätte konsequenterweise um die Angabe der Katalognummern entlastet werden können; ein Verweis auf die Druckorte hätte ausgereicht, da dort ausführliche Angaben verfügbar sind.
Ein Register der Inkunabeln nach Druckzeit (S. 485–494) bietet eine chronologische Übersicht über die vorhandenen Drucke, wiederum lediglich mit Hinweis auf Exemplarnummern, aber ohne Angabe von Druckort und Drucker. Konkordanzen (S. 495–508) werden geboten zu GW, Hain, Copinger und Reichling sowie Spezialliteratur zu tschechischen Inkunabeln.
Provenienzregister
Für den Buchhistoriker ist das Provenienzregister (S. 509–523) von besonderem Interesse. In ihm werden Klöster unter dem jeweiligen Orden angeführt; vom Ort wird verwiesen. Besonders hilfreich sind die Verweise auf individuelle Vorbesitzer, die am jeweiligen Ort wirkten. Unter "monasterium" sind Klöster angeführt, deren Ordenszugehörigkeit oder Lokalisierung nicht feststellbar war. Bei Personen finden sich gelegentlich eine Lokalisierung und Datierung, selten weiterführende biographische Informationen; der Benutzer ist hier auf eigene Kenntnisse oder Recherchen angewiesen. Neugier wecken Einträge wie Philippus Beroaldus, (Sebastian?) Brant, Nikolaus Copernicus, Johannes Herolt und Hartmann Schedel. Auch reine Buchhändler wie Baer und Gilhofer & Ranschburg sind als Vorbesitzer verzeichnet. Die Benutzung der Register erleichtern vorbildliche Querverweise, die neben den tschechischen auch deutsche Namensformen bieten.
Leider fehlt ein Sachregister, das auch Informationen zu Buchschmuck, Marginalien, Einbänden und anderen individuellen Besonderheiten der Exemplare zugänglich machen könnte. Das Register der bearbeiteten Bibliotheken (S. 524–538) informiert in Form einer Konkordanz der Signaturen zu den Katalognummern übersichtlich über den jeweils vorhandenen Inkunabelbestand.
Bildteil mit acht Farb- und zwölf Schwarzweißabbildungen beschließt den Katalog; hier wurde die Gelegenheit genutzt, nicht nur durch Illumination und Kolorit herausragende Einzelstücke zu zeigen, sondern auch Marginalien (so eine annotierte Ausgabe der Disticha Catonis, Kat. Nr. 537), Eigentumszeichen großer Sammlungen und einen Einband abzubilden.
Diese Rezension wurde in gedruckter Form veröffentlicht in >Aus dem Antiquariat< (2003), Heft 1 vom 14.2.2003, S. 57–60; vgl. http://www.buch-antiquariat.de/. Die parallele Online-Veröffentlichung erfolgt mit Zustimmung des Verlags. Der Text wurde redaktionell um Zwischenüberschriften und zusätzliche Absätze ergänzt.
Dr. Bettina Wagner
Bayerische Staatsbibliothek
Abteilung für Handschriften und Seltene Drucke
Ludwigstr. 16
D-80539 München
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Ins Netz gestellt am 02.06.2003

ISSN 1612-0442
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Anmerkungen
1 Vgl. z.B. IBP: Incunabula quae in bibliothecis Poloniae asservantur = Inknabuly w bibliotekach polskich, hg. v. Alodia Kawecka-Gryczowa, Maria Bohonos und Elisa Szandorowska. 3 Bände. Wratislaviae: Ossolineum 1970–1993. – CIH: Catalogus incunabulorum quae in bibliothecis publicis Hungariae asservantur, hg. v. Géza Sajó et Erzsébet Soltész. 2 Bände. Budapestini: Academia Scientiarum Hungaricae 1970. – IDL: Incunabula in Dutch libraries: a census of fifteenth-century printed books in Dutch public collections, hg. v. Gerard van Thienen (Bibliotheca bibliographica Neerlandica 17) 2 Bände. Nieuwkoop: de Graaf, 1983. zurück
2 Katalog prvotisků zámeckých a hradních knihoven v České republice. In: Acta Musei Nationalis Pragae, ser. C, vol. 33 (1988), Nr. 3–4; vol. 34 (1989), Nr. 1–4; vol. 35 (1990), Nr. 1–4. zurück
3 Vgl. Libri sapientiae – libri vitae. Von nützlichen und erbaulichen Schriften. Schätze der ehemaligen Bibliothek der Benediktiner-Reichsabtei Ochsenhausen. Handschriften, Inkunabeln, Frühdrucke, Bücher vom 9. bis 18. Jahrhundert. [Ausstellung Ochsenhausen, Bibliothekssaal des Klosters, 29. August bis 17. Oktober 1993]. Ochsenhausen, 1993, zu den Inkunabeln S. 106–129. zurück
4 Vgl. E.P. Goldschmidt: Hieronymus Münzer und seine Bibliothek. London 1938, S. 103, sowie Bettina Wagner: Nürnberger Büchersammler um 1500. Inkunabeln aus dem Besitz von Christoph Scheurl und einigen seiner Zeitgenossen in Oxforder Bibliotheken. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 82 (1995), S. 69–87, hier S. 83. Die Nikolsburger Sammlung ist als einzige durch einen separaten neueren Inkunabelkatalog erschlossen: Petr Mašek / Zdena Wiendlová: Prvotisky ze zámecké knihovny Mikulov. In: Acta Musei Nationalis Pragae, ser. C, vol. 39 (1994 / 1995), Nr. 1–4; im neuzeitlichen Druckschriftenbestand werden aber immer wieder Inkunabeln entdeckt. zurück
5 Vgl. Ulrich-Dieter Oppitz: Die deutschsprachigen Handschriften der Fürsten Dietrichstein aus Nikolsburg / Mähren. In: Fata Libellorum. Fs. Franzjosef Pensel. Hg. v. Rudolf Bentzinger und U.-D. Oppitz (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 648) Göppingen 1999, S. 187–214. zurück
6 Vgl. hierzu Paul Needham: Copy Description in Incunable Catalogues. In: Papers of the Bibliographical Society of America 95 (2001), S. 173–239, hier S. 221. zurück
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