Wieckenberg über Aufklärungsforschung

Formen der Aufklärung


Ernst-Peter Wieckenberg


Georg Seiderer: Formen der Aufklärung in fränkischen Städten. Ansbach, Bamberg und Nürnberg im Vergleich. (Schriftenreihe zur Bayerischen Landesgeschichte Bd. 114) München: C. H. Beck 1997. C, 574 S. Kart. DM 78,-.

Ernst Rohmer und Theodor Verweyen (Hg.): Dichter und Bürger in der Provinz. Johann Peter Uz und die Aufklärung in Ansbach. (Frühe Neuzeit Bd. 42) Tübingen: Niemeyer 1997. XXXIV, 309 S. Kart. DM 128,-.

Im Jahre 1997 erschien die bei Horst Möller in Erlangen entstandene Dissertation von Georg Seiderer über Formen der Aufklärung in drei fränkischen Territorien. 1 Ein Jahr später veröffentlichten Ernst Rohmer und Theodor Verweyen den Sammelband über Johann Peter Uz und die Aufklärung in Ansbach. Die partielle thematische Übereinstimmung legte eine Sammelbesprechung nahe, nicht zuletzt auch in der Erwartung, die unterschiedlichen Erkenntnisinteressen einer historischen Arbeit und eines Sammelbandes mit vorwiegend literaturwissenschaftlichen Fragestellungen würden über die einzelne Veröffentlichung hinausgehende Einsichten zutage fördern. Es zeigte sich indessen, daß eine solche Annahme angesichts nur zweier Arbeiten allzu optimistisch ist. Wohl aber läßt sich sagen, daß jede der beiden Publikationen für die jeweils andere Disziplin von großem Interesse ist.

Franken als "verkleinertes Abbild der territorialen Vielfalt des Reiches": der Ansatz Seiderers

Zunächst zu der Arbeit von Seiderer. Der Verfasser geht davon aus, daß die konfessionelle Spaltung und die territoriale Vielfalt des Heiligen Römischen Reiches zu einer "‘Vielgestaltigkeit‘ der deutschen Aufklärung mit regional unterschiedlichen Ausprägungen" (S.2) geführt hätten. Er macht es sich zur Aufgabe, innerhalb Frankens – das "beinahe ein verkleinertes Abbild der territorialen Vielfalt des Reiches" (S.5) sei – drei unterschiedliche Typen von Territorien zu untersuchen, die "auf ihre je eigene Weise für drei Grundformen der Staatlichkeit innerhalb des Reichsverbandes" stünden (S.5):

Ansbach, die Residenzstadt eines protestantischen Territoriums,
Bamberg, die Residenzstadt eines geistlichen Staates,
Nürnberg als Reichsstadt.

Seiderer legt dabei einen Begriff von Aufklärung zugrunde, der ihre geistesgechichtlich-philosophischen Aspekte nicht unterdrückt, sie aber im wesentlichen "als praktische Reformbewegung" (S.14) faßt.

Gliederung der Studie

Auf eine Einleitung (I, S.1-17) läßt er einen Überblick "Ansbach, Bamberg und Nürnberg im 18. Jahrhundert" (II, S.18-42) folgen, der Grundzüge der Geschichte, der Verfassungen, der demographischen Entwicklung usf. darbietet. Nicht nur durch Verfassung und Konfession, auch in ihrer Wirtschaft unterscheiden sich die drei Territorien beträchtlich. Bamberg ist ein vorwiegend agrarisch geprägtes Land; das Markgraftum Ansbach weist vor allem im Osten eine "gewerblich verdichtete" Zone (S.27) auf; in Nürnberg bestimmen das exportorientierte Handwerk und die Kaufleute das Wirtschaftsleben.

In vier weiteren großen Abschnitten führt er dann unter ausgewählten Aspekten seinen Vergleich durch:

III. Die Aufklärung als literarische und soziale Bewegung (S.43-232)
IV. Aufklärung als praktische Reformbewegung (S.233-362)
V. Volksaufklärung in Franken (S.363-431)
VI. Formen der Politisierung der Aufklärung (S.432-545).
Ein umfassender Quellen- und Literaturteil geht diesen sechs Abschnitten voraus, zwei Register beschließen den Band.

Der III. Abschnitt beschäftigt sich zunächst mit den Zeitschriften, wendet sich dann den Schriftstellern (im weitesten Sinne des Wortes) als den eigentlichen Trägern der Aufklärung zu und stellt schließlich Geselligkeit und Gesellschaften in den drei Territorien dar. Schon beim Blick auf die Schriftsteller werden Unterschiede der Aufklärung sichtbar. In Ansbach ist die aufklärerische Schriftstellerei "im wesentlichen eine Angelegenheit einer verhältnismäßig schmalen intellektuellen Elite in Amtsstuben und Pfarrhäusern, in höheren Schulen und in den medizinischen Collegien" (S. 74), wobei die größte Zahl von den Beamten der Zentralverwaltung gestellt wird, unter ihnen Uz. In Nürnberg ist das Bild heterogener: Die akademisch Gebildeten stellen die Hauptgruppe, an der Spitze die Geistlichen, aber es gibt einen beachtlichen Teil nichtakademischer Autoren. Auch der Typ des freien Schriftstellers und Journalisten taucht hier auf. Setzt in diesen beiden Territorien die Aufklärung früh ein, so hat sie in Bamberg "noch um 1780 weit weniger Fuß gefaßt [...] als in anderen katholischen Städten" (S.121). Dann aber wird sie vor allem vom Klerus und den Angehörigen der Universität bestimmt.

Das Bild wird ergänzt durch die Analyse der Gesellschaften. In Nürnberg, das bereits im 17. Jahrhundert Gesellschaften aufwies, bilden sich Aufklärungssozietäten in den sechziger Jahren heraus, getragen von der bürgerlichen Intelligenz. In Ansbach dagegen geht die Gründung der ersten Sozietät, die der Loge im Jahre 1758, auf den Markgrafen zurück, findet sich die "Sozietätsform einer entstehenden bürgerlichen Öffentlichkeit" (S.194) erst in den achtziger Jahren. Interessant ist der Fall Bamberg: Obwohl mit Franz Ludwig von Erthal, der seit 1779 Bamberg und Würzburg in Personalunion regiert, ein reformwilliger Fürst an der Macht ist, kommt es dort, vermutlich wegen seiner negativen Einstellung zum Sozietätswesen, erst überaus spät zur Gründung von Aufklärungsgesellschaften.

Der IV. Abschnitt geht den Formen der "gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung" nach, wobei der Verfasser – wie auch sonst üblich - Anstrengungen zur Verbesserung der Armenfürsorge, des Schulwesens und der medizinischen Versorgung mit unter diesen Begriff gefaßt sehen will. (S.233f.) Eines ihrer wichtigsten Mittel sind Publikationen, durch die Öffentlichkeit hergestellt wird. Die gemeinnützig-ökonomische Aufklärung beginnt in Ansbach 1764 mit der Gründung der "Oeconomischen Gesellschaft in Franken" durch Johann Christoph Hirsch, in Bamberg 1779 mit dem Regierungsantritt von Erthals, und zwar durch ihn veranlaßt. Die Publizistik folgt dort der fürstlichen Wohlfahrtspolitik, bereitet eine solche Politik nicht vor, wie das in Ansbach der Fall war. In beiden Territorien wird diese Aufklärung publizistisch vor allem durch die statistischen Landesbeschreibungen getragen, die - was ihre Ziele angeht – einem Spätmerkantilismus verpflichtet sind. Bemerkenswert ist, daß Nürnberg zu dieser Form der Publizistik überhaupt keinen Beitrag leistet. Hier werden – dem Interesse der Kaufleute an einem möglichst ungehinderten Warenverkehr entsprechend – in den ökonomischen Schriften frühliberalistische Ideen vertreten.

Volksaufklärung, Medien, Aphabetisierung

Jede Volksaufklärung – ihr ist der V. Abschnitt gewidmet – setzt, soweit sie sich schriftlicher Medien bedient, einen gewissen Alphabetisierungsgrad voraus. Obwohl es für die drei Territorien an verläßlichen Quellen für Statistiken zur Lesefähigkeit fehlt, glaubt Seiderer Gründe für die Annahme einer höheren Alphabetisierungsrate zu haben, als sie bisher angenommen wurde. Trotzdem muß sich die Volksaufklärung möglichst leicht zugänglicher Publikationen bedienen. Ihr wichtigstes Mittel werden in allen drei Gebieten die Kalender. In Ansbach und Nürnberg lassen sich erste Bemühungen um eine Verbesserung der Kalender im Geiste der Aufklärung um 1760 feststellen. Die Verbesserung ist hier das Werk engagierter Aufklärer. In Bamberg dagegen gibt es solche privaten Initiativen nicht. Hier wird erst 1793 eine Kalenderreform durch den Staat durchgeführt.

In Seiderers Darstellung der Kalenderreformen wird eine bemerkenswerte Dialektik sichtbar: Während der Bamberger Kalender seit 1794 "in mustergültiger Weise aufklärerischen Vorstellungen" (S.399) entsprach und daher nach dem Übergang des Landes an Bayern bei den Behörden, die nachdrücklich Einfluß auf die Kalender zu nehmen gewillt waren, wenig Kritik erntete, waren die Ansbacher und mehr noch die Nürnberger Kalender kräftigen Eingriffen ausgesetzt. Insbesondere in Nürnberg hatten die Kalendermacher einen Kompromiß zwischen aufklärerischen Tendenzen und Marktorientierung gesucht. In Nürnberg, dessen Kalender ein wichtiger Exportartikel gewesen waren, führten die behördlichen Eingriffe zu einem Niedergang der Produktion auf diesem Gebiet.

In Ansbach und Nürnberg gab es neben den Kalendern zahlreiche andere Schriften, die der Verbreitung der Aufklärung dienen sollten. In Bamberg existierte dergleichen kaum, und wenn, dann wiederum aufgrund fürstlicher Initiative.

Reform oder Umbruch: politische Konzepte der Aufklärung

Der Schlußabschnitt (VI) fragt nach den Formen der Politisierung der Aufklärung. Der Verfasser sieht – in Übereinstimmung mit der Forschung - zwei mögliche Formen: die "der aufklärerischen Reformdiskussion innerhalb der bestehenden politischen Verfassungen einerseits" und andererseits die "der theoretischen Antizipation ihrer Überwindung" (S.435). In Ansbach und Bamberg herrscht die erste der beiden Formen vor, zeichnet sich die Aufklärung also durch eine gewisse "Staatsnähe" (S.436) aus, die gleichwohl - das gilt für Bamberg mit Einschränkungen - Kritik nicht grundsätzlich ausschließt.

Nürnberg geht hier eigene Wege. Unter dem Einfluß der Französischen Revolution kommt es in der Stadt zu Unruhen, die vor allem von unterbürgerlichen Gruppen, insbesondere den Handwerksmeistern, getragen werden. Zudem wirkt in der Stadt einer der wenigen Aufklärer, die man zu recht als Jakobiner bezeichnen kann: Johann Benjamin Erhard. Für die Zukunft bedeutsamer ist etwas anderes: Die alten Spannungen zwischen Rat und Kaufmannschaft nehmen neue Züge an. Die Ratsopposition verläßt die frühneuzeitlichen Vorstellungen von einer besseren Verfassung im Rahmen der "altständischen Gesellschaft". Unter dem Einfluß der Aufklärung und der Französischen Revolution entsteht ein "politisches Bewußtsein, das über altständische Prinzipien" ebenso hinausweist "wie über die aufklärerischen Modernisierungskonzepte monarchisch oder bürokratisch regierter Staaten" und das "in die liberale Verfassungsbewegung der Zeit nach 1806 oder 1815" hinüberleitet (S. 545).

Analysen der Aufklärung im Blick auf ihre Staatsnähe oder Staatsferne sind sinnvoll und führen, wie Seiderer zeigt, zu wichtigen Einsichten. Mindestens ebenso interessant scheint mir die Frage nach der "Tiefe" und Nachhaltigkeit der jeweiligen aufklärerischen Anstrengungen. Auch dazu gibt der Verfasser Hinweise. Der aus der Sicht aufgeklärter, regierungsnaher Reformer vorbildliche Bamberger Kalender kann ganz offensichtlich die Gunst des Publikums nicht gewinnen. Er findet "im Innlande", wie ein Autor im "Fränkischen Merkur" 1796 mitteilt , "weniger Behagen, und sein Verleger geringern Absatz, als er vielleicht sich geträumt hatte" (S.400). Das sagt natürlich nichts Generelles über die Wirkung der Aufklärung in Bamberg. Aber die Vermutung scheint erlaubt, daß eine vorwiegend vom Staat ausgehende Aufklärung , soweit sie sich auf Publikationen stützt, geringere Durchsetzungschancen hat als eine aufklärerische Reformbewegung, die sich auf eine breite Öffentlichkeit stützen kann und die sich zu ihrer Durchsetzung des literarischen Marktes bedient – mit allen Problemen, die das mit sich bringt. Seiderer geht auf die "Kanzel als Katheder der Aufklärung" (S. 407) nur knapp, auf die Schule kaum ein. Ihm das angesichts der von ihm geleisteten Arbeit vorzuwerfen wäre töricht. Man muß die Auslassung nur mitbedenken, wenn man auf der Grundlage seiner Arbeit urteilen will über den Erfolg oder Mißerfolg aufklärerischer Bemühungen in den von ihm analysierten Territorien.

Seiderers Arbeit setzt für künftige Untersuchungen zur "Topographie der Aufklärung" (S.17) Maßstäbe. Sie ist auf eine beeindruckende Weise gelehrt: Nahezu jede Gesellschaft, jeder Vertreter der Aufklärung, jede Publikation werden nicht nur genannt, sonder charakterisiert. Dabei ist das Buch vortrefflich geschrieben und auf eine Weise uneitel, wie man das heute nur noch selten antrifft.

Dichter und Bürger in der Provinz: der Band von Rohmer/Verweyen

Musterhaft ist auch der von Ernst Rohmer und Theodor Verweyen herausgegebene Band mit Vorträgen über Johann Peter Zu, die alle vortrefflich recherchiert, zum größten teil glänzend geschrieben sind. So sollten Tagungen, deren Beiträge man zu publizieren beabsichtigt, vorbereitet, so ihre Ergebnisse veröffentlicht werden.

Der Band setzt – nach einer Einführung von Ernst Rohmer – ein mit einem Beitrag von Theodor Verweyen und Gunther Wittig ("Zum philosophischen und ästhetischen Kontext der Rokoko-Anakreontik"), der sich gegen die Vorstellung von der "Theorieferne", ja "Theoriefeindschaft" (S.3) dieser Dichtung wendet. Nicht nur können sie anhand des Katalogs der Uz´schen Privatbibliothek ein erstaunliches, breit gefächertes Interesse an der Philosophie belegen, vielmehr demonstrieren sie überzeugend, daß die Beziehungen "zwischen Philosophie [in diesem Fall der Baumgartens] und [anakrontischer] Literatur (S.19) sehr eng waren. Es war Baumgartens "Ästhetik als neue, der Sinnlichkeit zu ihrem Recht verhelfende Wissenschaft" (S.23), die die Anakreontik philosophisch fundierte. Die gesellschaftliche Wirksamkeit dieser Poesie bekommt man freilich erst dann ganz in den Blick, wenn man – wie Verweyen bereits früher ausgeführt hat 2 - die "vermeintlich harmlosen Tändeleien" (S.23) als Ausdruck der Emanzipation gegen Einengungen pietistischer Moral begreift.

Der Aufsatz von Wolfgang Adam ("Geselligkeit und Anakreontik") bietet einen sehr guten Überblick über die "aufgeklärte Geselligkeit" und ordnet die der Anakreontiker in diesen Rahmen ein; Hans-Joachim Kertscher beschreibt die Stellung von Uz im Freundeskreis Gleims ("Der Mensch bleibt allezeit Mensch ...")

Von der anakreontischen Geselligkeit zum Lehrgedicht: die Entwicklung von Johann Peter Uz

Man könnte versucht sein, Uz´ Hinwendung zum Lehrgedicht und die zunehmende Orientierung an Horaz als das Ergebnis Lebenssituation zu deuten: Die anakreontische Geselligkeit läßt sich allenfalls noch als Fiktion im Briefwechsel aufrecht erhalten; Horaz bietet dem Dichter jetzt eine angemessenere Identifikationsmöglichkeit: Indem er ihm nachlebt, verwirklicht er das "Lebensideals des aufgeklärten Weltbürgers" (Rohmer, S. XXI). Die sich anschließenden Essays machen deutlich, daß diese Deutung fehlginge, wenn man sie zur Konstruktion zweier Lebensphasen Uz´ benutzte. Peter Leberecht Schmidt zeigt ("Uz und Horaz"), wie früh sich der Autor an dem römischen Dichter orientiert, Jürgen Stenzel ("Uz ein Metaphysiker"), wie früh er mit Lehrgedichten an die Öffentlichkeit tritt. Wilhelm Kühlmann ("Laßt mein Antlitz heiter sein") kommt in seinem Essay über Uz´ Gedicht "Das Erdbeben" zu dem Schluß: "Nirgendwo in seinem Werk war Uz wohl so ganz bei sich, so mit sich als Denker, Dichter und Leser im reinen wie in der Assimilation horazischer Glücksphilosophie." (S.127)

In vielen Beiträgen wird die Frage nach den Gründen für den 1768 erklärten Abschied von der Poesie gestellt. Hatte ihn die Aneignung der Baumgartenschen Philosophie, die doch einmal für ihn ein schöpferischer Antrieb gewesen war, unfähig gemacht, die Maßlosigkeiten der Genieperiode zu begreifen, und hatte ihn das zu der Einsicht gebracht, "sich als Dichter überlebt zu haben" (S.23) – wie Rohmer und Verweyen vorsichtig fragen? War dem Autor bewußt geworden, daß er mit der Gedankenlyrik nicht mehr den Anschluß fand an die modernen Entwicklungen der Poesie?

Uz veröffentlichte noch – gemeinsam mit dem Generalsuperintendenten Johann Leonhard Zacharias Junkheim und dem Hofkammerrat Georg Ludwig Hirsch – 1773/1775 die Horaz-Übersetzung (erneut 1785 erschienen) und arbeitete dann bei der Gesangbuchreform seines Landes mit. Walter Sparn ("Johann Peter Uz und das Ansbachische Gesangbuch von 1781") untersucht in einem der vorbildlichen Aufsätze des Bandes - nicht nur auf der Grundlage des Uz´schen Beitrages zur Reform, sondern unter Einbeziehung seines übrigen Werks - das "frömmigkeits- und theologiegeschichtliche Profil des Autors" (S. 157). Uz´ Theologie gehört, so das Fazit, in den Kontext der protestantischen "Neologie" (S.174).

Intellektualitätsgeschichtliche Herangehensweise

Es folgen Beiträge von Georg Seiderer ("Ansbach im 18. Jahrhundert"), Titus Heydenreich ("Französische Geschmackskultur am Ansbacher Hof"), Ernst Rohmer ("Die Bibliothek des Johann Peter Uz") sowie der Text eines öffentlichen Vortrags von Kurt Wölfel ("Über Johann Peter Uz – und August von Platen").

Seiderer arbeitet weitgehend sozial- und politikgeschichtlich. Er untersucht, welche Möglichkeiten der Aufklärung in den einzelnen Territorien zu unterschiedlichen Zeiten eingeräumt werden. Er fragt nach den Trägergruppen der Aufklärung und den Mitteln zur Durchsetzung ihrer Pläne, und er analysiert die Sozietäten, zu denen sie sich zusammenschließen, als soziale Formationen mit gesellschaftspolitischen Absichten. Einzelpersönlichkeiten beschäftigen ihn nur insoweit, als sie eine Rolle im Prozeß der Aufklärung spielen, sei es durch seine Förderung, sei es durch seine Behinderung.

Die Beiträger des Sammelbandes befassen sich zu einem nicht geringen Teil mit dem literarischen Werk des Johann Peter Uz, mit dem, was Rohmer in der Einleitung die "Poetizität" (S. XVIII) seiner Gedichte nennt. Soweit sie ihrerseits den Blick auf eher historische denn literarische Phänomene richten, wird man ihren Zugang "intellektualitätsgeschichtlich" 3 nennen wollen. Es geht ihnen darum, den intellktualitäsgeschichtlichen Ort der anakreontischen "Gesellschaft" zu bestimmen (Adam), die theologischen Voraussetzungen der Gesangbuchreform aufzuzeigen (Sparn), das höfische Kulturprogramm zu rekonstruieren, das zum Teil das geistige Leben Ansbachs bestimmte (Heydenreich).

Die Bücher ergänzen einander, aber doch nur in dem Sinn, daß sie – so Seiderers Arbeit – den Hintergrund der Arbeit Uz‘ in Bamberg umfassender sichtbar werden lassen oder daß sie – wie der Sammelband – einer Gestalt mehr Profil verleihen, die möglicherweise nur eine Randfigur der gemeinützig-ökonomischen Aufklärung war. Wer etwas anderes erwartete, hätte falsche Vorstellungen von der Nähe der beiden Diskurse, in denen die Bücher sich "bewegen". Das einzelne literarische Werk ist, sobald es um seine ästhetische Qualität geht, jeder sozialgeschichtlichen Analyse entzogen, entgegen allen Hoffnungen, die eine sozialgeschichtlich orientierte Literaturwissenschaft einmal artikuliert hat. 4 Und der Graben, der intellektualitätsgeschichtliche und sozialgeschichtliche Analysen voneinander trennt, ist tiefer, als man gemeinhin annimmt. 5 Daher vermag auch Seiderers eigener Beitrag zu dem Sammelband, so vortrefflich er wiederum ist, nicht mehr zu leisten als eine Beschreibung des politischen und intellektuellen Umfelds, innerhalb dessen Uz wirkt.

Uz´ Stellung in der gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung - eine offene Frage

Ich frage mich indessen, wo – wäre das denn geplant gewesen – sich gleichsam eine Anschlußstelle zwischen den beiden Diskursen hätte schaffen lassen. Eine Möglichkeit hätte in dem Versuch gelegen, Uz´ Stellung in der gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung zu ermitteln. Daß er gemeinsam mit zwei Ansbacher Aufklärern, dem Theologen Junkheim und dem Hofbeamten Hirsch, den Horaz übersetzte und publizierte, in Zusammenarbeit mit Junkheim das Gesangbuch des Landes verbesserte, spricht wohl für eine gewisse Nähe zu deren Reformprogramm. Will man nicht die Gesangbuchreform selbst in den Rahmen der gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung stellen – was mir nicht als abwegig scheint -, so bleibt unklar, welche Rolle Uz in ihr einnahm. Gehörte er einer der Ansbacher Aufklärungsgesellschaften an? Hat seine Haltung zur praktischen Aufklärung einen Niederschlag in seiner Amtstätigkeit gefunden? (Ein Aspekt seines Wirkens, der noch zu untersuchen wäre.)

Der Nachweis, daß er der gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung nahegestanden, sie gar gefördert habe, würde zur Deutung seines literarischen Werkes nichts, vielleicht aber etwas zur Erklärung seines Verzichts auf Fortsetzung der dichterischen Arbeit beitragen. Jemand wie er, dessen "Existenz als Dichter abhängig" war "von den Formen der Geselligkeit" (Adam, S.52), mag es beim Eintauchen in ein ganz anderes intellektuelles, auf lebenspraktische Veränderungen hin orientiertes Milieu zunehmend schwer gefunden haben, sich selber für die poetische Produktion zu motivieren. Das sind freilich Spekulationen. Wollte man ihnen nachgehen, so müßte man mit Kriterien arbeiten, die es erlauben würden, eine Beziehung zwischen den unterschiedlichen Geselligkeits- und Gesellschaftsformen herzustellen, müßte die inllektualitätsgeschichtliche Analyse der anakeontischen Geselligkeit und ihrer Gesellschaftsformen mit einer sozialgeschichtlichen verbinden und auf der anderen Seite die gesellschaftsgeschichtliche Beschreibung der gemeinnützig-ökonomischen Gesellschaften durch eine andere im Sinne der "intellectual history" ergänzen.

Die Gruppe der Anakreontiker entwickelte – folgt man Wolfgang Adam – eine Selbstdeutung, nach der ihre besondere Form der Geselligkeit die Forderungen der Aufklärung in geradezu vorbildlicher Weise erfüllte. Bisher wissen wir sehr viel über Trägergruppen, Mittel und Ziele der gemeinnützig-ökonomischen Gesellschaften, wenig darüber, ob sie ihrerseits eine Ideologie entwickelt haben, die den Anspruch erhob, bis in das Leben des einzelnen hinein orientierend zu wirken. Erst wenn sich das belegen ließe, wäre die Annahme, es gebe einen Zusammenhang zwischen Uz´ Rückzug von der Poesie und einer Orientierung an den Idealen der gemeinnnützig-ökonomischen Aufklärung, mehr als bloße Spekulation.


Dr. Ernst-Peter Wieckenberg
Verlag C. H. Beck
Postfach 400340
D-80703 München

Ins Netz gestellt am 28.04.2000.

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Anmerkungen

1 Da ich bis zum Ende des Jahres 1999 Leiter des geisteswissenschaftlichen Lektorats im Verlag C.H. Beck war, scheint es mir angebracht, darauf hinzuweisen, daß der Verlag die Veröffentlichungen der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ausliefert, an der Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung von wissenschaftlichen Arbeiten aber nicht beteiligt ist.   zurück

2 Vgl. Ders.: Emanzipation der Sinnlichkeit im Rokoko? Zur ästhetisch- theoretischen Grundlegung und funktionsgeschichtlichen Rechtfertigung der deutschen Anakreontik. In: GRM N.F. 25 (1975), S. 276-306; Ders.:‚Halle. die Hochburg des Pietismus, die Wiege der Anakreontik‘. Über das Konfliktpotential der anakreontischen Poesie als Kunst der ‚sinnlichen Erkenntnis‘. In: Zentren der Aufklärung I: Aufklärung und Pietismus. Hg. v. N. Hinske. (Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung Bd. 15) Heidelberg 1989, S. 209-238.    zurück

3 Im Sinne der „intellectual history“, die die Ideengeschichte durch den Versuch ergänzt, Werke in ihren historischen Kontext zu stellen. Dazu: Günther Lottes: „The State of the Art“. Stand und Perspektiven der „intellectual history“. In: Neue Wege der Ideengeschichte. Festschrift für Kurt Kluxen zum 85. Geburtstag. Paderborn . München . Wien . Zürich 1996, S. 27-45.    zurück

4 Vgl. dazu jüngst Wilhelm Voßkamp: Literaturgeschichte und Gesellschaftsgeschichte. Probleme einer interdisziplinären Literaturwissenschaft. In: Perspektiven der Gesellschaftsgeschichte. Hg. v. Paul Nolte, Manfred Hettling, Frank-Michael Kuhlemann, Hans Walter Schmuhl. München 2000, S. 79-89.   zurück

5 Vgl. dazu Felix Gilbert: Intellectual History. Its Aims and Methods. In: Historical Studies Today. (Daedalus Bd. 100) 1971, S. 80-97.    zurück