Zymner über Glauert-Hesse: Briefwechsel zwischen Rilke und Claire Goll

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Rüdiger Zymner

"Ach Seligkeit, daß Du bist!"
Der Briefwechsel zwischen Rilke und Claire Goll

Kurzrezension zu
  • Barbara Glauert-Hesse (Hg.): "Ich sehne mich sehr nach Deinen blauen Briefen". Rainer Maria Rilke, Claire Goll, Briefwechsel. Göttingen: Wallstein Verlag 2000. 216 S. Kart. DM 38.-.
    ISBN 3-89244-404-8.


Textbestand

Der vorliegende Band bietet zum ersten Mal die Korrespondenz zwischen Rainer Maria Rilke und Claire Goll, die vom 17. November 1918 bis zum 6. August 1925 (im Falle der Briefe Rilkes an Claire Goll) bzw. vom 24. Juli 1919 bis zum 2. September 1925 (im Falle der Briefe Claire Golls an Rilke) datiert. Er greift dazu auf die Originalhandschriften zurück, die im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar aufbewahrt werden. Auf die insgesamt achtundfünfzig Briefe folgen einige Photos von Rilke und Claire Goll sowie Faksimile-Abbildungen einiger der abgedruckten Briefe, sodann ein kleiner Essay von Claire Goll mit dem Titel Rilke und die Frauen.

Der Band bietet außerdem sieben Gedichte Rilkes in französischer Sprache, die dieser 1924 als handgebundenes Buch an Claire Goll gesandt hatte und die 1926 unter dem Titel Vergers im Verlag der Nouvelle Revue Française in Paris erschienen. Zudem enthält der Band das Manuskript Gefühle. Verse von Claire Studer – so hieß die am 29. Oktober 1890 in Nürnberg als Claire Aischmann Geborene nach ihrer Heirat mit Heinrich Studer und vor ihrer Heirat mit Yvan Goll –, das sich im Archiv des Insel Verlags Anton Kippenberg, Leipzig, wiederfand. Abgeschlossen wird der Band von einem umfangreichen "Anhang", der sowohl allgemeine Erläuterungen zur vorliegenden Edition enthält, als auch eine umfangreiche "Bibliographie", Anmerkungen zu den einzelnen Texten, ein informatives und kenntnisreiches Nachwort sowie ein Gedicht- und ein Namensregister.

Beziehungsgeschichte

Die Edition ermöglicht es, die Entwicklung der Beziehung zwischen Claire Goll und dem gut fünfzehn Jahre älteren Rilke zu verfolgen, die von erster, gleichwohl emphatischer Bewunderung über Liebe bis zu einem gewissermaßen Vater-Tochter-Verhältnis reicht. Die ersten der hier versammelten Briefe stammen allein aus der Feder Rilkes. "Verehrte Frau", so redet er sie noch in dem ersten Brief vom 17.11.1918 an, doch schon am 23.11.1918 nennt Rilke sie "Du" und "Liliane", am 26.11.1918 schenkte ihr Rilke nach der ersten Liebesnacht das bereits 1913 in Paris entstandene, aber 1918 noch unveröffentlichte Gedicht Die Geschwister. Der letzte Brief der Sammlung stammt von Claire Goll: "Rainer, bitte sei gütig und sag mir nur in ein paar Worten, wie es Dir geht", so eröffnet Claire Goll diesen letzten Brief vom 2. September 1925, den Rilke allem Anschein nach nicht mehr beantwortet hat.

Der Briefwechsel als poetologische Quelle

Die Briefzeugnisse zwischen jenem ersten und diesem letzten Brief (in mehreren Fällen auf Französisch geschrieben) dokumentieren den beiderseitigen Willen zu künstlerischer Stilisierung. An zahlreichen Stellen werden auch Reflexionen über einzelne Werke insbesondere Rilkes eingestreut, ebenso wie Überlegungen zur Poetik des Gedichtes. So schreibt Rilke etwa über Claire Golls Gedichtsammlung Gefühle am 5. August 1919:

Liliane, Du herzlich Dichtende, ich habe heute Deine Gedichte gelesen, die aus Begeisterung hervorgehen, alle, aus einer Begeisterung Deines ganzen Körpers und Daseins, wirklich aus dem Körpergefühl; in einem, aus jeder Stelle des Leibs miterbauten Bewußtsein kommen sie zu sich, und von den schönsten darf man sagen, daß sie dort eine freie, durchsichtige Wohnung haben.

Nicht alle sind mir gleich lieb; der Reim thut ihnen zuweilen Abbruch, weil dann die Wortperle zur Schließe wird, und die Schließe hat einen Nebensinn, ihr fehlt der Perle in sich runde Vollkommenheit; die Schließen werden Dir irgendwie innen zugereicht, die Perle wählst Du selbst aus dem entrollten Vorrath aller längst zerrissenen Schnüre (und reihst sie neu).

Auch sagen mir die, die aufrufhaft etwas wirken wollen, weniger zu. Das mag an mir liegen.

Die Valenz des einzelnen Worts ist immer verantwortet, ist gekonnt und genau, ist ein paarmal bewundernswerth. Die Betheiligung des Herzens, auch an dem mindesten Worte, ist, gleichsam, nachweisbar. Manchmal hat es ein Wort ein wenig zu gut und verwöhnt sich im Handumdrehn.

Das (ungefähr) wärs, was ich, gleich nach dem Lesen, Dir zu sagen wüßte. (S. 16f.)

Solche und andere Äußerungen machen den Briefwechsel auch zu einer interessanten poetologischen Quelle, deren literaturwissenschaftlicher Wert über die Abbildung einer persönlichen Beziehung hinausgeht. Freilich wäre diese poetologische Quelle noch zu erschließen, denn die Kommentierung beläßt es strikt dabei, den situativen Kontext der einzelnen Briefe zu klären und Anspielungen oder auch Zitate zu erläutern. Dies geschieht freilich so gründlich, daß sich dem Leser insgesamt ein detailliertes Bild erschließt. Alles in allem handelt es sich bei dem von Barbara Glauert-Hesse zuverlässig präsentierten Band um ein kleines, aber feines Ereignis der Rilke-Forschung, dem man nur die gebührende Aufmerksamkeit wünschen kann.


Prof. Dr. Rüdiger Zymner
Allgemeine Literaturwissenschaft
BUGH Wuppertal
Gaußstr. 20
D-42097 Wuppertal

Ins Netz gestellt am 17.07.2001
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Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten Prof. Dr. Manfred Engel. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez - Literaturwissenschaftliche Rezensionen.


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