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Die gelungene Erstedition eines historisch gehaltvollen Briefwechsels

  • Karl August Varnhagen von Ense / Johann Friedrich Cotta: Briefwechsel 1810 - 1848. Textkritisch herausgegeben und kommentiert von Konrad Feilchenfeldt, Bernhard Fischer und Dietmar Pravida. 2 Bände. Band 1: Text, Band 2: Kommentar. (Veröffentlichungen der Deutschen Schiller Gesellschaft 51.1 und 51.2) Stuttgart: Klett-Cotta 2006. 1030 S. 9 Abb. Leinen. EUR (D) 98,00.
    ISBN: 3-7681-9700-X.
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Berufenes Herausgeberteam

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Mit Carl August Varnhagen von Ense und Johann Friedrich Cotta tritt in der vorliegenden Edition ihres Briefwechsels ein Gespann an die Öffentlichkeit, dessen intensive Beziehung ohne diese Edition für den Laien nicht unbedingt zu vermuten gewesen wäre: Der eine während und nach seiner kurzen Laufbahn als Diplomat ein kritischer preußischer Journalist und Publizist von überwältigender Produktivität, dessen bis heute in ihrem ganzen Umfang nicht veröffentlichte Tagebücher eine schier unerschöpfliche Fundgrube des Wissens über das 19. Jahrhundert bilden, und der in den vergangenen Jahrzehnten – zu Unrecht – in der Forschung ein wenig neben seiner berühmten Frau Rahel Levin verblasste; der andere einer der wichtigsten deutschen Verleger seiner Zeit, nicht nur, weil er die Werke von Schiller, Herder und Goethe betreute, sondern auch und vor allem wegen der von ihm herausgegebenen Augsburger Allgemeinen Zeitung und des Morgenblatts für gebildete Stände.

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Das Team, das den Briefwechsel zwischen den beiden herausgegeben hat, könnte berufener dazu kaum sein: Der Münchner Germanist Konrad Feichenfeldt kennt das umfangreiche, weit verstreute Werk Varnhagen von Enses wie kein Zweiter; Bernhard Fischer leitet seit 1992 das Cotta-Archiv im Deutschen Literaturarchiv Marbach, und Dietmar Pravida gehört zu den begabtesten Nachwuchsphilologen, die aus dem Münchner Graduiertenkolleg Textkritik hervorgegangen sind. Auf der Basis der im Cotta-Archiv aufbewahrten Bestände sowie derer, die erst vor einigen Jahren mit dem lange Zeit verloren geglaubten Nachlass Varnhagen von Enses in der Jagiellonenbibliothek Krakau wieder auftauchten, hat dieses Team eine kommentierte Ausgabe des Briefwechsels zwischen Cotta und Varnhagen von Ense vorgelegt, die eine als solche zwar wohl wenig bekannte, nichtsdestotrotz aber zweifellos empfindliche Lücke im Feld der Editionen von Dokumenten zum 19. Jahrhundert füllt.

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Fast vier Jahrzehnte umspannen die Briefdokumente, die in Band 1 der Edition dargeboten werden. Der erste Brief, ein Schreiben Varnhagens an Cotta, datiert aus Wien vom 10. Januar 1810. In diesem Brief folgt auf Grußformel und Datumsabgabe noch ein Abschnitt, in dem Varnhagen sich bitter darüber beschwert, dass »ein gewisser Erichson« (S. 8) einen Raubdruck der bei Cotta erscheinenden Werke Goethes veranstalte; er – Varnhagen – habe bei ihm ein Exemplar der eben erschienenen Wahlverwandtschaften bestellt und die Antwort erhalten, sie seien bereits bestellt, da sie ja für den Nachdruck gebraucht wurden. Als aber die Exemplare eingetroffen seien, habe Erichson sie sich auszugeben geweigert, »bis der Nachdruck, auf den er täglich vertröstet, fertig ist«; wütend geißelt Varnhagen »die Niederträchtigkeit eines diebischen Nachdruckers der nicht nur Sie, sondern auch seine Kunden betrügt. Wollen Sie die Geschichte vielleicht im Morgenblatt rügen, so bitte ich Sie meines Namens dabei nicht zu schonen« (ebd.). Mit diesem Abschnitt begann die publizistische Zusammenarbeit der Korrespondenten, nahm Cotta ihn doch fast unverändert in das Morgenblatt vom 7. Februar 1910 auf. Fortan belieferte Varnhagen, zunächst gegen im Einzelfall zu zahlendes, später gegen regelmäßiges Honorar Cotta mit Korrespondenznachrichten, Rezensionen, literarischen und feuilletonistischen Arbeiten sowohl für das Morgenblatt als auch für die Allgemeine Zeitung.

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Die Beziehung zweier Männer

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Was die Beziehung dieser beiden Männer zusammenhielt, war eine eigentümliche, aus den Briefen nicht immer ganz genau in ihren Komponenten erkennbare Mischung aus persönlicher Freundschaft, gemeinsamer Bewunderung für Goethe und beidseits sehr intensivem, wenn auch nicht immer ideologisch übereinstimmendem politischem Engagement, nicht zu vergessen die geschäftlichen Interessen, die beide aufeinander anwies: Cotta schätzte Varnhagens Berichte für seine beiden Zeitungen, auch wenn er – insbesondere wenn diese Goethe betrafen – gelegentlich taktvoll zwischen beiden lavieren musste, wenn er sich etwa nicht sicher war, ob Varnhagens wiewohl lobende Äußerungen über Goethe von dem alternden Olympier wirklich gern gesehen würden. Varnhagen umgekehrt war stets zumindest auch und gelegentlich sogar ausschließlich finanziell auf die Honorare angewiesen, die seine Publizistik ihm einbrachte. So ist es nicht verwunderlich, dass das erste ernsthafte Zerwürfnis zwischen den Korrespondenten nicht aus einem politischen, sondern aus einem finanziellen Anlass entstand: Varnhagen hatte Cotta die aus seinen und Rahels Briefen zusammengestellten Bemerkungen über Goethe zum Abdruck im Morgenblatt überlassen und berief sich nun bei seiner Forderung nach zehn Friedrichd’or Honorar auf eine angeblich von Cotta gemachte Zusage. Cotta hatte den Abdruck des Textes vorübergehend unterbrochen und reagierte nicht auf Varnhagens Forderungen, bis dieser am 27. Februar 1813 mit rüden Worten mahnte: »Mir thut es leid, Sie von dieser Seite kennen zu lernen, und mich verlangt nicht, diese Gelegenheit Schwächen zu sehen, ferner zu benutzen.« (S. 39) Das saß. Cotta antwortete am 13. März empört: »Wie konnten Sie sich eines solchen Benehmens gegen mich erlauben?« Und schloss den Brief, indem er die Anweisung der zehn verlangten Friedrichd’or ankündigte, mit den Worten, er »freue [s]ich nicht, [s]eine Menschenkenntnis auf eine solche Art bereichert zu haben« (S. 40).

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Mehr als ein Jahr später lebte die Korrespondenz neu auf, nachdem Cotta Varnhagen durch Rahels Bruder hatte einen mündlichen Gruß ausrichten lassen, und gelangte schnell zu ihrer ursprünglichen Intensität zurück. Beide Männer beobachteten aufmerksam die politische Entwicklung ihrer Zeit, und beide verstanden sich dabei keineswegs nur als Beobachter, sondern als durchaus selbst treibende Kräfte; Cotta seiner Nähe zu Kronprinz Friedrich Wilhelm von Württemberg wegen, der später als Wilhelm I. König von Württemberg wurde und schon früh gegen seinen Vater mit preußischer Hilfe etwa des Freiherrs von Stein für eine württembergische Verfassung agitierte; Varnhagen als in den ersten Jahren der Korrespondenz noch preußischer Diplomat und, wie er glaubte, enger Vertrauter des preußischen Staatskanzlers Hardenberg. Beide Männer, so halten die Herausgeber ihres Briefwechsels in der Einleitung zum Kommentarband fest, »maßen sich als Strategen einer preußischen Pressepolitik eine Bedeutung zu, die sie letztlich nicht hatten« (S. 21), und aus heutiger Perspektive mutet es gelegentlich geradezu rührend an, wenn etwa Varnhagen seine politische Berichterstattung für Cotta für so brisant erachtet, dass er den Adressaten am 6. August 1817 beschwört, er »rechne auf völliges Geheimniß, und dass kein Mensch diese Briefe zu sehen bekommt!« (S. 137).

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Während Varnhagen als preußischer Legationsrat in Karlsruhe stationiert ist, entwickelt sich durch den dadurch möglichen direkten persönlichen Kontakt zwischen dem in Stuttgart lebenden Cotta und seiner Frau auf der einen und Varnhagen mit der seit 1814 mit ihm verheirateten Ehefrau Rahel ein zunehmend inniges freundschaftliches Verhältnis, das wohl mit zu den Gründen gehören dürfte, warum Cotta später Varnhagen ein regelmäßiges jährliches Honorar für seine Tätigkeit aussetzte. Die kurz aufeinander folgenden Tode von Cotta und Rahel entzogen dieser Vereinbarung die persönliche Basis, und Cottas Sohn Georg, mit dem Varnhagen weiterhin Kontakt hielt, war offenbar weder bereit noch in der Lage, eine eigene enge Beziehung zu Varnhagen aufzubauen. Varnhagen schrieb weiterhin für die Allgemeine Zeitung, die Korrespondenz mit dem Haus Cotta aber endet im April 1848, fünfzehn Jahre nach dem Tod des alten Cotta, mit einem Brief Georgs an Varnhagen, dessen hypertrophe Grußformel –»in ausgezeichnetster Hochachtung unabänderlich verehrungsvoll« (S. 349) – die Wesensfremdheit zwischen den beiden Männern ein letztes Mal mehr unterstreicht als kaschiert.

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Diplomatische Wiedergabe, pikante Pointe,
enormes Verdienst

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Das Herausgeberteam hat sich in Übereinstimmung mit den inzwischen etablierten Standards der Editionsphilologie dafür entschieden, die Texte der Briefe diplomatisch wiederzugeben. Der Verfremdungseffekt, den auf dieser Basis konstituierte Texte im Druck für den heutigen Leser immer aufweisen, besitzt in diesem Fall eine besonders pikante kleine Pointe, zeigt sich hier doch, dass Cotta, immerhin Verleger eines der akribischsten Sprachästhetikers der Weltliteraturgeschichte, seinerseits handschriftlich Texte produzierte, die sogar zu einer Zeit, in der es noch kein orthographisches Reglement gab, auffällig sind – Cotta unterschlägt häufig sowohl Dehnungs- als auch Geminationslaute; der resultierende Effekt ist der einer Art individueller Kurzschrift, die jedes Wort auf seine allernötigsten Buchstaben reduziert, das Notationssystem eines stets auf der Überholspur seiner Arbeitsökonomie daher hastenden Workaholics, während Varnhagen demgegenüber von einer geradezu heutige Maßstäbe antizipierenden orthographischen Akkuratesse ist, so, als könne ein einziges falsch geschriebenes Wort den Informations- und damit politischen Wert des Mitgeteilten beeinträchtigen.

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In der Kommentierung der Briefe haben die Herausgeber ebenfalls ganze Arbeit geleistet. Über den Aufwand, der nötig ist, derartig historisch gehaltvolle Briefe voller Anspielungen und Eigennamen zu entschlüsseln und erläuternd so aufzubereiten, dass sie auch von Nicht-Historikern rezipiert werden können, kann man als Leser der Ausgabe nur spekulieren. Wenn es einen Wehmutstropfen in der Aufbereitung dieser Korrespondenz gibt, dann betrifft dieser nicht den Kommentar, sondern die Einleitung: Sie komprimiert derartig viel historiographische Einzelinformation auf vergleichsweise engem Raum (in gelegentlich darüber hinaus auch derartig sperrig gebauten Sätzen, dass allein schon die Syntax manchmal zum Lektürehindernis zu werden droht), dass der Leser sich zwar mit unerbittlicher Präzision durch verschlungenste Lebenswegverschlingungen der Korrespondenten geführt weiß, dabei aber gleichzeitig vom Overkill der gebündelten Faktographie fast erschlagen oder doch zumindest von sichtbehindernden Staubwolken positivistischer Trockenheit eingehüllt wird. Angesichts der Komplexität, in der die Charaktere der beiden Korrespondenten aus dem Briefwechsel selbst hervortreten, hätte man sich eine etwas blutvollere, empathisch-wärmere Darstellung wünschen können, die die reine Information, wie sie den Kommentar – und dies vollkommen zu Recht – beherrscht, doch zumindest in der Einleitung zugunsten eines etwas zugänglicheren Doppelportraits gebändigt und damit die Rezeption der Korrespondenz selbst im Zugang weicher erschlossen hätte.

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Diese kritische Bemerkung, ernst gemeint, wie sie ist, spricht der Ausgabe jedoch keineswegs grundlegend das enorme Verdienst ab, das sich die Editoren mit ihrer Herstellung erworben haben. Abschließend sei deswegen ein Ausschnitt vom Anfang der Denkschrift für König Ludwig I. von Bayern zitiert, die Varnhagen am 1. Juli 1829 an Cotta sandte:

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Wo ein großer und edler Gedanke so durch sich selbst spricht, und in seinem Ursprunge schon die Gewähr seiner Ausführung in sich trägt, […] da bedarf es nicht erst eines mitstrebenden Lobpreisens und Anrühmens, welches in andern Fällen wohl zur Förderung werden kann, hier aber gewiß unnütz und fast unziemlich erscheinen müßte. (S. 263 f.)
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Varnhagen meinte damit zwar Ludwigs Plan »eines deutschen Walhalla, welches die Marmorbilder aller in der Nation aufgestiegenen bedeutenden Persönlichkeit zu einem Gesamtdenkmal vereinigen soll« (S. 263); Varnhagen aber ist es auch gewesen, der, erst mit Rahel und nach ihrem Tod unter Mithilfe seiner Nichte Ludmilla Assing, historische Briefwechsel im Druck zu ›Gesamtdenkmälern‹ machte, und zwar zu solchen, die mit dem fertigen Buch nicht nur den Korrespondenten selbst, sondern immer auch dem oder den Herausgebern ein Monument errichteten – und wenn die Rezensentin sich hier eine Übertragung der Passage aus Varnhagens Denkschrift auf das hier mit dem erstmals edierten Briefwechsel zwischen Cotta und Varnhagen vorliegende Monument erlaubt, dann zu dessen überzeugter ›Förderung‹ im Sinne ›mitstrebenden Lobpreisens und Anrühmens‹.