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Die Vielfalt zeigen

Analysen zu literarischen Werken von Frauen

  • Gudrun Loster-Schneider / Gaby Pailer (Hg.): Lexikon deutschsprachiger Epik und Dramatik von Autorinnen (1730-1900). Mit CD-ROM. Tübingen, Basel: Francke 2006. XII, 492 S. Gebunden. EUR (D) 128,00.
    ISBN: 978-3-7720-8189-7.
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Einleitung

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Die Vielfalt der literarischen Werke und Schreibweisen von Frauen im 18. und 19. Jahrhundert sichtbar zu machen – das ist das übergeordnete Anliegen des Lexikons deutschsprachiger Epik und Dramatik von Autorinnen (1730–1900). Die beiden Herausgeberinnen Gudrun Loster-Schneider und Gaby Pailer liefern damit einen grundlegenden literaturwissenschaftlichen und zugleich geschlechterpolitischen Beitrag, der Analysen zu einzelnen literarischen Werken von Frauen bereitstellt und den Blick auch auf vergessene Künstlerinnen und Werke lenkt.

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Selbst Kennerinnen der Literatur von Frauen werden auf ihnen unbekannte Autorinnen und Werke stoßen, für alle anderen bietet das Lexikon einen hervorragenden Überblick über Autorinnen, die zur Zeit der Aufklärung, der Empfindsamkeit, von Sturm und Drang, der Klassik, der Romantik, des Biedermeier, des Jungen Deutschlands, des Realismus und des Naturalismus sowie seiner Gegenströmungen geschrieben haben, sowie über ihre epischen und dramatischen Texte.

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Kanonkritik als Voraussetzung
der Grundlagenrecherche

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Erst in der Reflexion des kulturgeschichtlichen Umfeldes und seiner Bedingungen für die literarische Tätigkeit erschließen sich die Dimension der Leistung der Autorinnen und ihr spezifischer künstlerischer Beitrag. Loster-Schneider und Pailer betonen den »erheblichen sozialen wie epistemischen Akzeptanzgewinn und […] beträchtlichen Erkenntniszuwachs genderorientierter Literaturwissenschaft« (S. VI):

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Beides verdankt sich unter anderem dem integrativen und leistungsfähigen Verständnis von ›Geschlecht‹ und ›Geschlechterdifferenz‹ als kulturellen Konstrukten sowie der kulturwissenschaftlich unstrittigen These von einer historisch dynamischen Relation zwischen Lebenswelten, kollektivem Wissen, symbolischer Repräsentation und medial, etwa literarisch vermittelter ästhetischer Erfahrung. (S. VI)
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Das Lexikon ergänzt die bestehenden Möglichkeiten der Grundlagenrecherche in längst fälliger Weise. Allgemeine Werklexika, die sich am Kanon orientieren, liefern für die Forschung zu Schriftstellerinnen und ihren Texten nur selten hinreichende Informationen. Autorinnen werden dort, wie die Erfahrung zeigt, nur vereinzelt und mit wenigen Werken aufgenommen.

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Literaturwissenschaftliche Forschung, die ernst genommen werden will, muss ihre Wertungskriterien kontinuierlich kritisch hinterfragen. Auch Kanones sind von Geschlechterbildern geprägt. Loster-Schneider und Pailer führen die Konsequenzen dieses Gedankens weiter aus: »Zudem reproduzieren sich kulturelle Geschlechterstereotype bekanntlich gerade in den Mechanismen der Kanonbildung selbst, mit denen ästhetisch und ideologisch dissentes Material dem kommunikativen und schließlich dem kollektiven Gedächtnis entzogen wird« (S. VI). Daraus ergibt sich die Notwendigkeit von spezifischer Forschung zu Autorinnen.

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Situierung in der Forschungslandschaft

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Bereits in ihrem gemeinsamen Vorwort verweisen Loster-Schneider und Pailer auf andere Grundlagenliteratur zu Epochen und Genres, bibliografische Kompendien und Lexika, die sich auf Biografien und Gesamtwerk von Autorinnen beziehen. Die ausführliche und kommentierende Aufzählung (S. VII) nennt beispielsweise ältere Lexika wie Sophie Patakys Lexikon deutscher Frauen der Feder 1 und Carl Wilhelm Otto August von Schindels Die deutschen Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts 2 sowie neuere Bände wie etwa von Susanne Kord 3 , von Helga Gallas und Anita Runge 4 oder von Ute Hechtfischer, Renate Hof, Inge Stephan und Flora Veit-Wild 5 , auf die hier nur exemplarisch verwiesen sein soll. 6 Da explizit empfohlen wird, diese Ausgaben parallel zu dem vorliegenden Werk zu nutzen, wäre eine übersichtliche Auflistung auf einer Seite statt bloß in den Fußnoten ein begrüßenswerter Service gewesen, auch wenn deren Benutzung sich in gut sortierten Bibliotheken vielleicht erübrigen würde.

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Hinweise auf die im Internet verfügbaren und auf die als CD-ROM erhältlichen Textdatenbanken fehlen leider. Hier wären zum Beispiel das Projekt des Department of Humanities der Brigham Young University SOPHIE: A Digital Library and Resource Center for Early German-Speaking Women’s Works 1740–1923 7 oder die von Mark Lehmstedt herausgegebene CD-ROM Deutsche Literatur von Frauen 8 zu nennen gewesen.

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Ein werkzentriertes Autorinnenlexikon bildete bisher jedoch eine Forschungslücke. Indem das vorliegende Lexikon den Anspruch vertritt, eine »Zwischenbilanz« (S. VIII) zu ziehen, versteht es sich explizit als Fortsetzung der bereits bestehenden Forschung. Hier will es jedoch nicht abschließend wirken, sondern vielmehr durch das Hinzufügen bisher fehlender Bausteine zu einer soliden Grundlage beitragen und Anregungen zu weiteren Forschungen liefern.

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Die Auswahl und ihre Kriterien

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Die Auswahl der Primärliteratur umfasst 343 Titel von Einzelwerken, geschrieben von 170 verschiedenen Autorinnen. Um den Umfang des Lexikons auf ein handliches Maß zu beschränken, legten die Herausgeberinnen zwei Kriterien zugrunde (vgl. S. IX):

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1. Der Zeitraum des Erscheinens umfasst die Jahre 1730 bis 1900;

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2. nur Epik und Dramatik werden berücksichtigt.

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Die zeitliche Beschränkung ist ein problematischer Punkt, da sie immer ein Hilfsmittel bleibt, das literarhistorisch kaum befriedigend begründet werden kann. Die Lyrik wiederum bleibt mit dem Argument ausgeklammert, dass die Wahrnehmung vieler der Schriftstellerinnen als reine Dichterinnen nicht noch gestützt werden soll. Nichtsdestotrotz bleibt es aber für die Kenntnis des Gesamtwerks einer Autorin interessant, welche Gattungen sie für ihre Arbeit gewählt hat. Diese grundsätzlichen Schwierigkeiten, mit denen sich jedes Lexikon konfrontiert sieht, bestehen also auch hier, wenn die Kriterien auch explizit benannt und nachvollziehbar gemacht werden.

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Als formales Kriterium galt außerdem, dass nur deutschsprachige Texte, deren Verfasserschaft geklärt ist, und gedruckte Originalwerke verzeichnet sind. Das bedeutet, dass das Lexikon nur die Werke enthält, die sich gemäß der Veröffentlichungskriterien ihrer Zeit behauptet haben. Autorinnen, die ihre Texte nicht veröffentlichen konnten oder die Verfasserschaft nicht bekannt geben konnten oder wollten, fehlen also in dem Lexikon.

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Dieses Vorgehen ist aus geschlechterpolitischer Sicht problematisch, da die Autorinnen gegenüber ihren männlichen Kollegen benachteiligenden Bedingungen der Entstehungszeit hier fortwirken. Aus forschungspraktischer und nutzungsorientierter Sicht bleibt es aber durchaus vertretbar, dieses Kriterium anzuwenden: Zum einen lassen sich rückwirkend diese historischen Bedingungen sowieso nicht aufheben, so dass man damit umgehen muss, zum anderen wäre der handliche Umfang von einem Band sonst auf keinen Fall zu erreichen gewesen.

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Zudem setzt das Lexikon diesem Problem zumindest einen produktiven Ansatz entgegen: Um die Vielfalt weiblicher Schreibweisen sichtbar machen, stehen unbedeutende und bedeutende Autorinnen nebeneinander. In der Textauswahl realisiert sich das Anliegen, statt der üblichen Fokussierung auf die bekannteren Werke mehr Raum für Entdeckungen zu geben: So ist Franziska Gräfin zu Reventlow etwa mit der Erzählung Das gräfliche Milchgeschäft aus dem Jahr 1897 vertreten (vgl. S. 360–361) und nicht mit ihrem weitaus bekannteren Roman Ellen Olestjerne, den sie 1903 veröffentlichte und der in dem Artikel von Pailer durchaus auch Erwähnung findet.

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Artikelanordnung und -gestaltung

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Die Artikel zu den Einzelwerken sind alphabetisch nach den Namen ihrer Autorinnen geordnet, so dass unter einem Namen teilweise mehrere Artikel versammelt sind. Unter dem Namen der Autorin findet sich jeweils nur die Angabe ihrer Lebensdaten sowie ihr Mädchen- und gegebenenfalls ihr(e) Ehename(n). Ein »Register der Autorinnen« (S. 479–481), ein »Register der Werktitel« (S. 482–489) und ein »Register der Beiträgerinnen und Beiträger« (S. 490–491) stellen sicher, dass die gezielte Suche schnell zu dem entsprechenden Text führt.

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Die einzelnen Artikel sind von über hundert Verfasserinnen und Verfassern geschrieben worden, darunter viele ausgewiesene Expertinnen und Experten ihres jeweiligen Gegenstands. Jeder Artikel enthält eine Einzeltextanalyse mit Inhaltsangabe, Kommentierung und Anhang. Die Beiträge sind etwa eineinhalb Seiten lang und setzen unterschiedliche Akzente: Sie heben Schwächen und Stärken hervor, ermöglichen die Einordnung in literarisch-philosophische Strömungen, geben bio-bibliographische Hinweise und überlassen es den Leserinnen und Lesern, auf andere, bereits existierende Hilfsmittel für literaturwissenschaftliche, Frauen- oder kulturhistorische Forschung zurückzugreifen.

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Deshalb fehlt auch eine Werkbibliographie, die beim Lesen angesichts der Vielzahl inspirierender Texte sicherlich von den meisten Forscherinnen und Forschern schmerzlich vermisst werden wird, auf die aber zugunsten der Vielfalt der Autorinnen und erneut mit Rücksicht auf den Umfang verzichtet wurde. Der Anhang, der sich jeweils in die Rubriken »Ausgaben« und »Literatur« gliedert, liefert lediglich die Angaben zu dem beziehungsweise den Primärtexten sowie zu maximal sechs Sekundärtexten.

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Zusätzliche Möglichkeiten
durch die CD-ROM

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Hier hätte eventuell das Potential, das die neuen Medien bieten, weiter ausgeschöpft werden können: Die beiliegende CD-ROM hätte um Werkbibliographien ergänzt werden können, notfalls auf einer weiteren CD-ROM. Doch dies hätte dem Konzept widersprochen, möglichst viele andere Quellen für Grundlagenforschung hinzuzuziehen und Redundanzen zu vermeiden.

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Aber auch ohne diesen Service bietet sie nützliche Funktionen: Die Volltextsuche und die kombinierte Suche nach Stichworten oder Lebensdaten ermöglichen es über die schnelle Navigation hinaus, Zusammenhänge zwischen Texten herzustellen. Dass Notizen angelegt werden können, die dann bei späteren Forschungen erneut produktiv gemacht werden können, ist ein weiterer Gewinn, den die CD-ROM mit sich bringt.

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Fazit

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Indem das Lexikon deutschsprachiger Epik und Dramatik von Autorinnen (1730–1900) Inhaltsangaben, Kommentare und Analysen zu einzelnen literarischen Werken von Frauen liefert, füllt es eine Forschungslücke. Insbesondere die Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftler, die im Bereich der Geschlechterforschung tätig sind, werden hier auf Informationen und Anregungen stoßen. Darüber hinaus lädt das handliche Buch zum Schmökern ein.

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Dass dabei auch viele Fragen aufgeworfen werden, ist durchaus positiv zu bewerten: So entsteht beim Lesen der spontane und zweifellos produktive Impuls, in die Bibliothek zu gehen, um weiter zu forschen.

 
 

Anmerkungen

Sophie Pataky: Lexikon deutscher Frauen der Feder. Eine Zusammenstellung der seit dem Jahr 1840 erschienenen Werke weiblicher Autoren, nebst Biographien der lebenden und einem Verzeichnis der Pseudonyme. Berlin: Carl Pataky 1898, Repr. Bern: Lang 1971.   zurück
Carl Wilhelm Otto August von Schindel: Die deutschen Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts. 3 Bde. Leipzig 1823/25, Repr. Hildesheim: Olms 1978.   zurück
Susanne Kord: Ein Blick hinter die Kulissen. Deutschsprachige Dramatikerinnen im 18. und 19. Jahrhundert. Stuttgart: Metzler 1992.   zurück
Helga Gallas / Anita Runge: Romane und Erzählungen deutscher Schriftstellerinnen um 1800. Stuttgart: Metzler 1993.   zurück
Ute Hechtfischer / Renate Hof / Inge Stephan / Flora Veit-Wild (Hg.): Metzler Autorinnen Lexikon. Stuttgart: Metzler 1998.   zurück
Die Aufzählung umfasst außerdem Gisela Brinker-Gabler / Karola Ludwig / Angela Wöffen: Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1800–1945. München: dtv 1986; Petra Budke / Jutta Schulze: Schriftstellerinnen in Berlin 1871–1945. Ein Lexikon zu Leben und Werk. Berlin: Orlanda-Frauenverlag 1995; Elisabeth Friedrichs: Die deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 18. und 19. Jahrhunderts. Ein Lexikon. Stuttgart: Metzler 1981; Elke P. Frederiksen / Elizabeth G. Ametsbichler (Hg.): Women Writers of Germany, Austria and Switzerland. An Annotated Bio-bibliographical Guide. New York u.a.: Greenwood Press 1989; Renate Wall: Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen im Exil 1933–1945. 2 Bde. Freiburg: Kore 1995.   zurück
Department of Humanities, Brigham Young University: SOPHIE: A Digital Library and Resource Center for Early German-Speaking Women's Works 1740–1923. URL: http://sophie.byu.edu (10.07.2007).   zurück
Mark Lehmstedt (Hg.): Deutsche Literatur von Frauen. Von Catharina von Greiffenberg bis Franziska von Reventlow. Berlin: Digitale Bibliothek 2001.   zurück