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Fortschritt der Buchhandelsgeschichte
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Das viel gerühmte »Jahrhundertprojekt«
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der Geschichte des deutschen Buchhandels schreitet langsam voran. 2001 und 2003 brachte Georg Jäger zwei Teilbände über das Kaiserreich heraus, wobei der dritte Teilband samt Register noch aussteht. Stattdessen liegt nun der erste Teilband über die Weimarer Republik vor, diesmal herausgegeben von Ernst Fischer und Stephan Füssel. Die von den renommierten Buchwissenschaftlern im Auftrag der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels herausgegebene Buchhandelsgeschichte, die als Nachfolger des vierbändigen Standardwerkes von Friedrich Kapp und Johann Goldfriedrich (1886–1913) gilt, soll mit Bänden über die NS-Diktatur, die Bundesrepublik und die DDR komplettiert werden und dürfte am Ende mehr als zehn Buchrücken breit werden.
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Einheit der Epoche?
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Ihre Einteilung orientiert sich an politischen Systemwechseln. Doch hat sie durchaus Sinn. Zwar konnte die historische Forschung in zahlreichen Bereichen andere Phaseneinteilungen vornehmen und Kontinuitätslinien herausarbeiten, die sich durch die Einschnitte von 1918/1919, 1933 und 1945/1949 bis in die 1960er Jahre hindurch ziehen, bei mentalitätsgeschichtlichen Prägungen etwa oder der Beständigkeit des Personals
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. Doch für die Buchhandelsgeschichte, insbesondere die deutsche, dürfen der Erste Weltkrieg und das Jahr 1933 als scharfe Zäsuren angesehen werden.
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Insofern deckt der Band zur Weimarer Republik eine buchhandelsgeschichtlich eigenständige Epoche ab. Vor dem Krieg führte Deutschland die Spitze der Buchproduktion in der Welt an; nach der Niederlage konnte sich der Markt zumal durch die Hyperinflation und Wirtschaftskrise kaum wieder erholen. Vor dem Krieg bediente die Branche ein halbwegs profiliertes Zielpublikum gebildeter Bürger; in der republikanischen Zeit erodierte ihre Kaufkraft und mit ihr das Bürgertum insgesamt, während der Markt sich »nach unten« breitere, minder bemittelte Käuferschichten erschloss, etwa durch broschierte Volksausgaben und die aufkommenden Buchgemeinschaften. Der Wissenschaftsverlag stand vor eigenen Problemen. Vor dem Krieg waren deutsche Wissenschaftler und ihre Produkte international höchst gefragt; mit der Entscheidung der Konferenz der alliierten Akademie der Wissenschaften vom Oktober 1918 jedoch (1919 erneuert) wurden sie international aus Institutionen und Verbänden ausgeschlossen und nicht mehr zu Kongressen eingeladen, weshalb auch der Export deutscher Wissenschaftstitel und Zeitschriften an die Erfolge der Vorkriegszeit nicht mehr anknüpfen konnte.
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Mit dem Wechsel von der Monarchie zur ersten deutschen Demokratie waren erste Buchhändlerstreiks und gewerkschaftliche Zusammenschlüsse möglich. Vor allem blieb die Weimarer Zeit vergleichsweise verschont von politischer Zensur. Epochentypisch ist ferner die Klage über die sogenannte Novitätensucht, die tiefgreifende Krise des Buchhandels wie auch anderer Wirtschaftszweige, die Konkurrenz zu neuen Medien wie Rundfunk und Kino sowie die weitere Politisierung und Fragmentierung der Gesellschaft mit den entsprechenden Polarisierungseffekten auf dem Buchmarkt.
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Der Aufbau des Projekts und die Umstrukturierungen in diesem Band
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Viele diese charakteristischen Elemente sind in dem Einleitungsbeitrag von Ernst Fischer und Stephan Füssel über die »Signaturen der Epoche« benannt. Andere finden sich in den Einzelbeiträgen. Ihre Abfolge ist nicht von den Fragestellungen nach Kontinuität, Diskontinuität oder Epocheneinheit geleitet, sondern ergibt sich aus der schon für den Kaiserreichband festgelegten Gliederungsstruktur, von der jedoch merklich abgewichen wird.
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Dem einführenden ersten Block des Bandes 1.1 »Kaiserreich« über allgemeine Entwicklungstendenzen folgte ein Programmschwerpunkt über Recht, Staat und Öffentlichkeit. Im dritten Kapitel ging es um die Buchherstellung, im vierten um den Verlagsbuchhandel, schließlich um einzelne Programmbereiche im umfangreichsten fünften Kapitel, das sich vom ersten in den zweiten Teilband zog, der mit den Schwerpunkten Zeitschriften, Vertriebswesen und Zwischenbuchhandel abschloss.
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Auch der Weimar-Band beginnt mit Voraussetzungen und Entwicklungstendenzen. Er bietet mit dem Aufsatz von Volker Hentschel einen allgemeinen Überblick über Politik und Wirtschaft in der Weimarer Republik, wie es Dieter Langewiesche für das Kaiserreich geboten hat. Jedoch folgen noch im selben Kapitel mit insgesamt 30 Seiten die Beiträge über die Zensur sowie über das Urheberrecht. In Band 1.1 nahmen sie zusammen mit dem Verlagsrecht fast drei Mal so viel Raum ein und machten ein eigenständiges Kapitel, Staat und Recht, aus, von dem jetzt nur noch ein rudimentärer Unterabschnitt des ersten Kapitels geblieben ist.
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Neu dagegen ist Kapitel zwei über Autoren und Publikum. Blieben im Kaiserreichband die Autoren und vor allem die Rezeptionsmechanismen unterbelichtet, ist sehr zu begrüßen, dass sie nun mit der Einrichtung eines eigenständigen Kapitels thematisch aufgewertet werden.
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Auch das organisationshistorische Kapitel drei ist vormals nicht separat aufgetreten, obwohl es den Börsenverein und andere Verbände bereits vor 1919 gab und sich ein solches Kapitel im Kaiserreichband nicht erübrigt hätte. Erst mit Kapitel vier, Herstellungstechnik und Buchgestaltung, folgt der Band wieder dem bekannten Gliederungstakt, der jedoch im letzten und fünften Kapitel bereits wieder durchbrochen wird: Es fächert die Programmbereiche auf und ist mit Verlagswesen überschrieben. Das ursprünglich zwischen den Kapiteln Herstellungstechnik und Programmbereiche eingeschobene Kapitel über Verlegerpersönlichkeiten und Unternehmenskultur fehlt, einer der gewinnbringendsten Blöcke des Kaiserreichbandes mit 120 von Georg Jäger alleine geschriebene Seiten. Vielleicht taucht dieses Kapitel ja noch im erwarteten Teilband 2.2 auf. Verschiebungen zwischen den Teilbänden einer Epoche sind augenfällig. Steht jetzt in Teilband eins die Statistik und Topographie am Anfang der Geschichte des Verlagswesens, Kapitel fünf also, bildete sie im Kaiserreichband den Abschluss desselben Kapitels in Teilband zwei.
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Sollten sie in der Sache begründet sein, hätten diese Umgruppierungen und die Setzung neuer Akzente transparent gemacht werden müssen. Wahrscheinlich indes sind diese Umstrukturierungen für den Leser nicht von großem Gewicht, wenn er zum Handbuch greift, um sich über bestimmte Aspekte aus einer Epoche zu informieren.
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Staat, Urheberrecht, Zensur
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Dort erfährt er von Fischer und Füssel im Kapitel über Staat und Recht, konkret im Beitrag über die Zensur, dass man die von der Verfassung im Artikel 118 proklamierte Freiheit von Zensur nicht überschätzen und die Kontinuitätslinien nicht unterschätzen darf. Die im Kaiserreich ausgefochtene Debatte über »Schund und Schmutz« ging weiter und mündete 1926 in das Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften. Überdies erlaubte ein Gesetz seit 1920 die Vorzensur von Filmen, was zur kostensparenden Selbstzensur anhielt, taten sich volkserzieherisch motivierte Volksbibliothekare als Sittenwächter hervor und erfolgten besonders in der Endphase der Republik juristische Schritte vornehmlich gegen linke republikfeindliche Literatur. Von 1926 bis 1933 wurden 188 Schriften indiziert. 1935 wurde das Schund- und Schmutzgesetz aufgehoben, weil der Staat nun auch die Erwachsenen vor »Schund- und Schmutzschriften schlechthin« bewahrte. Auffällig ist – und das scheint auch in manchen anderen Beiträgen auf –, wie sich der Befund erhärtet, dass die Republik in ihren letzten Jahren zunehmend Merkmale der späteren Diktatur ausbildete, wie es bereits für die Eugenik, für das Präsidialsystem und andere Bereiche bekannt ist. Das gilt auch für die Buchhandelsgeschichte. Schon Anfang 1930 wurde Erich-Maria Remarques pazifistischer Roman Im Westen nichts Neues vom Thüringer NS-Volksbildungsminister Wilhelm Frick verboten. 1931 beschnitt eine der ersten Notverordnungen, die Pressenotverordnung, die Marktfreiheit der Branche.
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Der Abschnitt zum Urheberrecht (Fischer) und den Debatten über die Schutzfristdauer fällt kurz aus, zumal damals keine wesentlichen Veränderungen erfolgten. Er schließt das zweite Kapitel ab.
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Autoren und Positionskämpfe
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Einen besonderen Höhepunkt dieses Teilbandes stellt der Beitrag von Britta Scheideler über Schriftsteller und Schriftstellerorganisationen im Kapitel »Autoren und Publikum« dar. Während das Konzept der Geschichte des deutschen Buchhandels von der Prämisse ausgeht, die Aufgabe eines Handbuches bestünde vor allem darin, Daten, Fakten und Zusammenhänge zu präsentieren, ohne die Lesenden mit Theorie zu belasten, was gelegentlich durchaus wohltuend sein kann, leistet Scheideler einer Theorie der Theorielosigkeit keine Folge. Ohne den von ihr klug angewandten Feldansatz von Pierre Bourdieu hätte sich ein so komplexes Thema wie die Frage, was eigentlich Schriftsteller von Berufsschriftstellern unterscheidet, gar nicht bewältigen lassen, will man nicht in eine bloße Auflistung von Schriftstellern und ihren Werken verfallen.
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Der wahre Dichter verstand sich als Berufener und nicht als Lohn- und Berufsschriftsteller. Beide ständig in Bewegung befindliche Positionen trugen jedoch heftige Identitäts- und Positionskämpfe aus, je prekärer die wirtschaftliche Situation wurde. »Wir leben nicht mehr, wir vegetieren nur noch«, klagte ein freier Schriftsteller 1933. Für die meisten lag der Verdienst unter dem eines Hilfsarbeiters. Die Proletarisierungsängste, der wachsende Zwang zur massen- und marktkonformen Produktion sowie der Verlust der bildungsbürgerlichen Bezugsgruppe führte zur tief greifenden Identitätsbeunruhigung der Schriftsteller und um so mehr zu elitären Abgrenzungsbemühungen gegen die Amateurschreiber und Gelegenheitsliteraten – wiederum mit fatalen Folgen für die Zeit ab 1933. Ein Kulturstaat, so forderten Interessenverbände, müsse die »geistigen Führer des Volkes« schützen und unterstützen.
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Rezeption, Bibliotheken, Organisationen
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Auch Ute Schneider stellt sich einer besonderen Herausforderung, indem sie den Buchkäufern und der Leserschaft nachgeht. Die wenigen zeitgenössischen Untersuchungen und Umfragen bieten jedoch kaum belastbare Daten, um über die Lektüregewohnheiten etwa des wachsenden neuen Mittelstandes mehr als plausible Vermutungen anzustellen. Schneider hat auch die »lesende Frau« im Blick, die sich, ob bürgerlich oder Arbeiterfrau, vor allem an erzählender Literatur erfreute, wie Ausleihstatistiken nahelegen.
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Relatives Neuland betritt auch Peter Vodosek, der sich den Bibliotheken als Institutionen der Literaturvermittlung zuwendet. Hauptstreitpunkt war dabei, wo die für Volksbildung Verantwortlichen beim Aufbau öffentlicher Büchereien die untere Grenze literarischer Qualität ziehen sollten. Wenigstens für die Bibliotheken zeitigte die Weltwirtschaftskrise 1929 einen positiven Effekt: Dank der Massenarbeitslosigkeit wuchs ihre Besucherzahl, teils auf das Doppelte. In manchen Städten machten Erwerbslose bis 70 % der Nutzer aus, ohne dass der gestiegene Bücherbedarf angesichts der Etatknappheit gedeckt werden konnte.
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Kapitel drei fächert die Organisation des Buchhandels auf. Volker Titel geht die Vereine und Verbände, darunter den Börsenverein, seine Ausschüsse, die Fachvereine sowie die Ausbildungsangebote für den Nachwuchs durch.
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Ernst Fischer prüft die Marktorganisation und die Debatte über marktregulierende Maßnahmen, wie es etwa über den festen Ladenpreis geschehen konnte. Das Buch galt in der Wirtschaftskrise und angesichts attraktiver Freizeitaktivitäten als der entbehrlichste Gegenstand des täglichen Lebens (Samuel Fischer, 1926). Ausführlich wird die spätestens 1927 auflebende Diskussion über die Krise im deutschen Buchhandel und die Novitätensucht wiedergegeben. Tatsächlich sank die Zahl der risikoreicheren Neuerscheinungen im Vergleich zu Neuauflagen und seit 1929 die Titelproduktion insgesamt. Zugleich mehrten sich die Insolvenzen vieler Firmen. Doch die »gefühlte« Bücherkrise ging der realen Buchmarktkrise voraus. Die Frage entzündete sich auch am angeblich zu hohen Buchpreis. Kurt Tucholsky errechnete 1928, dass ein Angestellter für einen zehn Mark teuren Roman sechs Stunden arbeiten müsse. 1929 kamen jedoch bei dem zuerst zaudernden S. Fischer Verlag die ersten Volksausgaben für 2,85 Mark heraus, ermuntert durch Thomas Mann, der mit den Buddenbrooks den Anfang machte. Bald sank der Durchschnittspreis von Büchern, auch verursacht durch die vierte Notverordnung, die eine Preissenkung aller vor dem 1. Juli 1931 erschienen Bücher um 10 % anordnete.
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Herstellung und Buchgestaltung
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Das vierte Kapitel spricht nicht nur bibliophile Leser an, sondern läßt auch Schlüsse über die Buchkultur in den Goldenen Zwanzigern zu. Peter Neumann informiert in aller Kürze über drucktechnische Entwicklungen, während Wulf D. von Lucius Buchkunst und -gestaltung untersucht, darunter den Konflikt zwischen deutscher Frakturschrift, die 1930 noch dominierte (knapp 57 %), und Antiqua mit ihren jeweiligen Zuschreibungen (Gotisch, das Unbegreifliche ahnen und schauen vs. diesseitig, wissenschaftlich).
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Verlagswesen: Statistik
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Kapitel fünf beginnt mit dem mutmaßlich in Teilband zwei fortzuführenden Verlagswesen. Wie schon im Kaiserreichband stellt Barbara Kastner die Statistik der Titelproduktion vor. Statt lieblose Standard-Excel-Grafiken mit ihren wenig unterscheidbaren Linien abzudrucken, hätte man sich für ein solch kapitales Standardwerk gewünscht, dass sie einer professionelleren Überarbeitung unterworfen worden wären. Noch bedauerlicher ist, dass sich Kastners Text maßgeblich darin erschöpft, die längst vorliegenden und teils schon 1934 von Ernst Umlauff ausgewerteten Statistiken des Börsenvereins über die Titelproduktion (nicht die Auflagen) in eine ermüdende Prosa zu übersetzen und dies unter sorgsamer Vermeidung jeglichen Interpretationsversuches. Warum nahm dieser oder jener Sektor (Theologie, Pädagogik, Medizin etc.) hier prozentual ab, dort plötzlich wieder prozentual zu? Welche Bedeutung haben die Befunde? Zwar erfährt man viel über das Verhältnis von Neuerscheinungen zu Neuauflagen, aber nichts darüber, wie sich die Relation von wissenschaftlichen zu popularisierenden Sachbüchern innerhalb einer Kategorie verschob.
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Noch immer steht eine kritische Untersuchung darüber aus, wie die Sachgruppenkategorien im Börsenverein überhaupt zustande kamen, wie sie durch welche Akteure konkret modifiziert wurden und nach welchen Kriterien die Verlage ihre Titel, die häufig mehrfach zuzuordnen waren, meldeten. Wie wurde entschieden, wohin etwa eine Biographie über Martin Luther gehörte – in Geschichte oder Theologie? Wer den reinen Titelproduktionszahlen traut, muss sich am Ende selber ein Bild von dem jeweils interessierenden Verlagszweig machen. Dafür ist der Beitrag unverzichtbar und gewiss einer der wichtigsten im ganzen Projekt.
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Verlagswesen: Programmbereiche
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Die folgenden Unterkapitel unterscheiden die Verlage nach Programmbereichen. Ute Schneider stellt den wissenschaftlichen Verlag vor. Er hatte massiv unter den alliierten Boykottmaßnahmen und dem Kaufkraftschwund der Studenten zu leiden. Der 1922 eingeführte Hörerschein schuf etwas Abhilfe, bis er 2002 verschwand. Schneider stellt nacheinander die Programme der produktionsstärksten Wissenschaftsverlage wie Springer, de Gruyter, Kohlhammer, Mohr (Siebeck) und andere vor.
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Aufschlussreichen Einblick in die Arbeitsweise des Lexikonverlages bietet Thomas Keiderling, der überdies die diversen Ausgaben von Brockhaus, Meyer, Herder und Oestergaard vorstellt. Über die besonderen Schwierigkeiten des aufwendigen und teuren Kunstbuches während der Inflation bis 1923 und der Wirtschaftskrise seit 1929 informiert Dorothea Peters. Der Kunstverlag litt mehr als andere unter dem Papiermangel, da er für feine Abbildungen Kunstdruckpapier auf Kartoffelmehlbasis benötigte und mit der hungernden Bevölkerung um knappe Ressourcen konkurrierte. Mit dem kurzen Beitrag über Musikverlage von Axel Beer klingt der erste Teilband aus.
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Kapitales Standardwerk mit Problemen und viel Potential
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Der Teilband selber ist angemessen proportional illustriert. Die gezielt eingesetzten Abbildungen und Illustrationen haben im jeweiligen Kontext eine dem Verständnis des Textes dienende Funktion und frönen nicht der Selbstbeschau, die sich an einer Galerie berühmter Akteure erfreuen würde. Alle Autoren sind jeweils ausgewiesene Meister ihres Fachgebietes. Zum Teil haben sie bereits vorher zu ihrem Abschnitt Grundlagenforschung publiziert, die nun verdichtet zusammengetragen ist, zum Teil finden sich aber auch aus den Quellen neu erarbeitete Forschungsergebnisse.
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Es bleibt ein Problem, dass die Aufsätze von einer Ausnahme abgesehen davor zurückschrecken, ein Resümee ziehen. Freilich geht es um ein Handbuch, das auf nachhaltige Brauchbarkeit zielt. Doch hinter diesem Argument sollte man sich nicht verstecken, um der Verantwortung auszuweichen, die eigenen Beobachtungen abschließend zu einem klar formulierten Ergebnis zu bringen. Ein solches Standardwerk ist dadurch innovativ, dass es verstreutes Material sammelt, aber auch dadurch, dass es Erkenntnis fördert und die Autoren in die Pflicht nimmt, diese selber vorzutragen.
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Die Beiträge sind kaum aufeinander bezogen und bieten daher wenig Deutungs- und Diskussionsstoff. Während, um zwei Extreme zu benennen, Hentschel die bekannte Politik- und Wirtschaftsgeschichte der Weimarer Republik referiert, ohne die Buchbranche zu berücksichtigen, begnügt sich Kastner damit, die Produktionsstatistiken einzelner Verlagszweige auszubreiten, ohne die kulturellen und wissenschaftlichen Diskurse der sogenannten »Demokratie ohne Demokraten« für eine Erklärung der Konjunkturverläufe heranzuziehen. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der Weimarer Republik werden hier völlig ausgeblendet. Gewiss müssen sich die Autoren auf ihr Thema konzentrieren. Doch eine verstärkte Verschränkung von Buchhandelsgeschichte mit Sozial- und Allgemeingeschichte hätte dem Band an einigen Stellen gut getan. Auch eine abschließende Redaktion hätte hier Querverbindungen ziehen und manche Kleinigkeiten bemerken können, wie etwa die Tatsache, dass drei Mal dasselbe, Buchwissenschaftlern durchaus vertraute Zitat von Kurt Wolff (1927) ausgebreitet wird:
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Wer noch Bücher kauft, fragt zuerst und nur, was es »Neues« gibt. Das vor sechs oder zehn Monaten erschienene Buch, das der Käufer nicht gelesen, ist uninteressant, weil es nicht »Novität« ist.
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Es fällt ferner auf, dass die Spannungen des Buchhandels mit dem Staat und den Zensurbehörden, mit der Wirtschaft, mit unterschiedlichen Preisvorstellungen, mit der schwer abschätzbaren Kundschaft stärker gewichtet werden als die horizontalen Konkurrenzverhältnisse etwa zwischen bestimmten Verlegern untereinander, die um dasselbe Marktsegment stritten, oder zwischen Buchgestaltern, die um Profil und eine Position in ihrem Feld kämpften. Nicht nur die Hervorhebung der »Branchenleistungen« und der dynamischen Entwicklung, sondern gerade auch die Analyse der Abgrenzungs- und Positionierungskonflikte, wie es Scheideler für die Schriftsteller und Keiderling ansatzweise für die Lexika exerzieren, hätten das Werk noch näher an den Standard aktueller Forschungsdebatten herangebracht. Die Absicht, ein modischen Tendenzen nicht nachlaufendes Nachschlagewerk vorzulegen, rechtfertigt nicht den weitgehenden Verzicht auf theoretisch informierte Analysen.
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Auch internationale Seitenblicke – insgesamt zwei verstreute von 530 Seiten –, die das Spezifische der Geschichte des deutschen Buchhandels, der deutschen Krisenrhetorik und dieses »konservativen Berufsstandes« (S. 5 – in anderen Ländern nicht?) hätten profilieren können, sind nicht die Stärke des Projektes, was jedoch für die Cambridge History of the Book in Britain ebenso zutrifft. Der Wandel des Kulturgutes Buch zur massenhaft konsumierten Ware etwa, die »Partizipation bisher minderprivilegierter gesellschaftlicher Gruppen am politischen Geschehen« war nicht nur ein »Kennzeichen« des Systemwechsels 1918/19 in Deutschland. In vielen europäischen Ländern wie Dänemark und Schweden, Großbritannien, Polen, Italien erhielten Frauen das Wahlrecht und partizipierten auch als Leserinnen am politischen Geschehen. Welche Kennzeichen dieser Buchhandelsepoche mithin wirklich auf den deutschen Systemwechsel zurückzuführen sind, bleibt fraglich. Noch immer liegen in der internationalen Komparatistik und wenigstens im asymmetrischen Vergleich große Chancen, auch wenn manche Geschichtswissenschaftler längst darüber hinaus gehend für eine transnationale Buchhandelsgeschichte plädieren würden. Dennoch hätten viele Behauptungen in Band 2.1. wenigstens doch unter Hinweis auf allgemeine europäische Tendenzen abgewogen und modifiziert werden können. Immerhin hat schon Friedrich Kapp im ersten Band 1886 dem Ausland sogar ein eigenes Kapitel gewidmet.
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Es bleibt zu wünschen, dass die noch ausstehenden Teilbände 1.3 und 2.2. außer einem notwendigen Register ein Fazit beinhalten. In ihm müssten die wesentlichen Entwicklungstendenzen und Spezifika der Epoche gebündelt präsentiert, aber auch komparativ die möglichen deutschen Besonderheiten und die transnationalen Verflechtungen reflektiert werden, um den Anschluss an das erreichte Niveau der Geschichtswissenschaft nicht zu verlieren, ohne dabei jedoch einem transnationalen Modetrend hinterher zu laufen
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. Will das Projekt sich nicht damit begnügen, dass andere es bloß als Daten- und Faktensteinbruch verwenden, sollte es selber die Synthese anstreben, in der die eigenen Beobachtungen auf den Punkt gebracht werden. Wo sonst, wenn nicht in diesem Standardwerk, fände sich ein prominenterer Platz, um diese Leistung zu erbringen?
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Andererseits weiß jede Buchwissenschaftlerin und Historikerin, die sich für den Buchhandel interessiert, wie sattsam bereits die Zusammenhänge für das 16. bis frühe 19. Jahrhundert erforscht sind, wie dramatisch dagegen aber der Kenntnisstand für die verbleibenden Jahrzehnte, insbesondere das kurze 20. Jahrhundert sinkt, zumal je weiter man in die Gegenwart gelangt. Die an spektakulären Themen reiche Diktatur bildet eine Ausnahme. Gerade angesichts der großen Forschungslücke, die sich für das vergangene Jahrhundert auftut, erweist sich das vorliegende Werk als unverzichtbar. Man darf es sehr zu schätzen wissen, die Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert neben sich stets griffbereit im Regal stehen zu haben.
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