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Mehr Kontinuität als Wandel:

‚DDR-Autoren’ vor und nach der ‚Wende’

  • Astrid Köhler: Brückenschläge. DDR-Autoren vor und nach der Wiedervereinigung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007. 255 S. Gebunden. EUR (D) 29,90.
    ISBN: 978-3-525-20853-3.
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Nach dem Fall der Berliner Mauer und der Vereinigung beider deutscher Staaten am 3. Oktober 1990 wurde sowohl in den Feuilletons als auch von der Literaturwissenschaft die Frage nach der Bedeutung dieser Ereignisse für die Literatur gestellt. Dabei dürfte der Blick auf Veränderungen und Brüche stärker im Vordergrund gestanden haben als die Suche nach möglichen Kontinuitäten. Auch der Begriff der ›DDR-Literatur‹ kam auf den literaturgeschichtlichen Prüfstand – immerhin mit dem Ergebnis, dass ein Fortbestehen der ›DDR-Literatur‹ nach dem Ende des Staates DDR zumindest nicht ausgeschlossen werden kann. 1

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Fragestellung und Konzeption

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Auch Astrid Köhler betrachtet die ›DDR-Literatur‹ »nicht als ›abgeschlossenes Sammelgebiet‹« (S. 14). In ihrer Monographie über »DDR-Autoren vor und nach der Wiedervereinigung« richtet sie den Blick auf Kontinuitäten im weitesten Sinne; dabei geht es ihr um »Brückenschläge«, wie bereits der Titel verrät. Dieser für Köhlers Arbeit zentrale Begriff ist zu verstehen

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im räumlichen Sinne, über die Grenzen der damaligen DDR hinweg, oder im zeitlichen, das Ende derselben überschreitend. Ihre literarisch logische Komplettierung finden solche gesellschaftlichen Brückenschläge darin, dass etwa den Fremden Freund und Willenbrock weit mehr verbindet als nur der Autorname; das eine Buch klingt deutlich im anderen nach. (S. 10; Hervorhebungen im Original)
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Besonderes Augenmerk will die Verfasserin auf den Aspekt des ›intertextuellen Brückenschlags‹ (ebd.) legen. Diese »Figur« gehöre »zu den wesentlichen Merkmalen des literarischen Schaffens nicht nur eines Christoph Hein« (ebd.), sei aber von der Forschung »bisher weithin unbeachtet geblieben« (ebd.). Im Zentrum von Köhlers Untersuchung stehen Prosatexte von Christa Wolf, Klaus Schlesinger, Ulrich Plenzdorf, Irina Liebmann, Christoph Hein, Angela Krauß und Kerstin Hensel. Dabei strebt Köhler Repräsentativität an, »nicht nur Alter und Geschlecht, sondern auch Themen, Schreibweisen, Anerkennung von Seiten der Literaturkritik und Popularität beim Lesepublikum betreffend« (S. 15 f.).

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Ergebnisse

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Ihre Untersuchung, so Köhler, »richtet sich mithin auf die Wertentwicklung ausgewählter DDR-Autoren von ihren ersten Publikationen an bis heute« (S. 15). Damit sind Schriftstellerinnen und Schriftsteller gemeint, »die bereits in der DDR geschrieben und publiziert haben und die nach wie vor schriftstellerisch tätig sind« (ebd.). Als eines von Köhlers zentralen Ergebnissen kann festgehalten werden, dass die Prophezeiung wende- bzw. einheitsbedingter Umbrüche in der Literatur sich nicht erfüllt hat; »selbst dort, wo ›Wende‹ und Wiedervereinigung bei unseren Autoren explizit thematisiert werden, finden sich keine signifikanten Veränderungen in der Ästhetik ihrer Werke« (S. 214 f.).

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Dies belegt die Literaturwissenschaftlerin überzeugend am Beispiel der von ihr gewählten Schriftstellerinnen und Schriftsteller bzw. Texte, aus denen teilweise umfassend zitiert wird. Bei Christa Wolf, Christoph Hein und Klaus Schlesinger zeichnet sie vor allem deren kontinuierliche Reflexion von Geschichte nach, bei Ulrich Plenzdorf die »sympathischen Rebellenfiguren« (S. 214). Kontinuum in den Werken Irina Liebmanns ist Berlin als »raum-zeitlicher Rahmen für ihre Geschichten« (ebd.). Angela Krauß betreibe nach wie vor »ästhetisch wie thematisch die ›Rettung des Eigensinns vor dem Gemeinsinn‹« (ebd.), und Kerstin Hensel verfasse seit ihren ersten Texten »mit wunderbar scharfem Blick Geschichten vom ›Irrsinn des Alltags‹« (ebd.).

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Den letzten Teil ihrer Untersuchung widmet Köhler dem »literarischen Umgang« der Autorinnen und Autoren mit »der Auseinandersetzung mit Geschichte und der Frage nach dem Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft« (S. 215). Dabei baut sie konsequent auf die Ergebnisse der Einzelanalysen auf und kommt zu dem Schluss, dass alle von ihr gewählten Schriftstellerinnen und Schriftsteller in ihren Werken die Geschichtsschreibung und die damit verbundenen Prozesse in Frage stellen bzw. dieser äußerst skeptisch gegenüber stehen.

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Kritik der Ergebnisse

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Die Auswahl und der selbst auferlegte Anspruch auf Repräsentativität ist zweifellos diskussionswürdig, zumal Köhler nur einschlägige, auch im Westen bekannte Autorinnen und Autoren betrachtet, deren Werke größtenteils als kanonisiert gelten können. Sie läuft somit Gefahr, gängige Klischee-Vorstellungen über Literatur in und aus der DDR zu bestärken. 2 Zudem sind Erklärungen wie die folgende nicht nur stilistisch, sondern auch inhaltlich weniger überzeugend: »Zwei der gewählten Autoren haben die DDR – physisch – in den achtziger Jahren verlassen: Auch das ist repräsentativ.« (S. 16) Insofern führt Köhler indirekt einmal mehr die Problematik von Zuschreibungen wie ›DDR-Autoren‹ und ›DDR-Literatur‹ vor Augen.

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Die Stärken von Köhlers Untersuchung liegen zweifellos in den sorgfältigen Textanalysen und der genauen Kenntnis der ausgewählten Werke. Dass Köhler dabei weitgehend ohne literaturtheoretische Modelle auskommt, mag angesichts der Breite ihrer Fragestellung zumindest bedingt nachvollziehbar sein; die Theorieferne der Arbeit wird jedoch problematisch, wenn es um die Beschreibung von Phänomenen auf der Textebene geht: So heißt es über einen Schlesinger-Roman: »Nach all dem Rückblick und Vergleich endet Trug freilich mit einem gewitzten Dreh« (S. 71; Hervorhebung im Original). Dass die Literaturwissenschaftlerin von ihrem Gegenstand begeistert ist, spricht für sie – dem steht jedoch die Verwendung exakter Begriffe keineswegs entgegen.

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Es sind also nicht zuletzt sprachliche Details und Ungenauigkeiten, die Fragen aufwerfen, etwa wenn Brigitte Reimanns Franziska Linkerhand als ›ehemaliger Klassiker der DDR-Literatur‹ bezeichnet wird (S. 227) oder konsequent der zwar verbreitete, aber historisch falsche Begriff der ›Wiedervereinigung‹ erscheint. Mit Recht wendet Köhler sich gegen die problematische Kategorie ›Wendeliteratur‹ (S. 14), kennt jedoch die einschlägige Forschungsliteratur nur zum Teil. 3 Angesichts der Fülle von Sekundärliteratur ist das verzeihlich. Doch hätte deren intensivere Rezeption Köhler vor Augen führen können, dass ihre Ergebnisse vielfach keineswegs neu sind, weder grundsätzlich noch im Detail, etwa wenn sie nochmals »ein dichtes Netz literarischer Verweisungen« (S. 34) zwischen Christa Wolfs Kassandra und Medea vorführt.

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Fazit

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Köhlers Darstellung verdient Beachtung – gerade auf Grund ihres umfassenden Anspruchs, den die Verfasserin – akzeptiert man die von ihr getroffene Auswahl und die damit verbundenen Prämissen – durchaus einlösen kann. Zudem überzeugt das Buch aufgrund seiner exemplarischen Textanalysen, die zahlreiche Erkenntnisse in konzentrierter und zugleich gut lesbarer Darstellung bieten. Als treffende Zusammenfassung können die Schlusssätze der Untersuchung gelten:

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Die Rückgriffe der Autoren auf Arbeiten aus der Zeit der DDR sind Erprobung ihrer gesellschaftlichen Transferierbarkeit und Versicherung ihrer ästhetischen Haltbarkeit in einem. Literatur, von der auch ich meine, sie bleibt, haben sie und einige mehr, und zwar unverändert über 1990 hinweg, hervorgebracht. (S. 229)
 
 

Anmerkungen

Vgl. z.B. Heinz Ludwig Arnold (Hg.): DDR-Literatur der neunziger Jahre. Sonderband IX/00. München: edition text + kritik 2000. Die Problematik des Begriffs ›DDR-Literatur‹ bzw. ›DDR-Autor‹ kann hier nicht eigens diskutiert werden. Es sei lediglich festgestellt, dass Versuche der Kopplung ästhetisch motivierter mit historischen bzw. politischen Begriffen per se heikel sind und zwangsläufig wesentliche Aspekte ausblenden.   zurück
Dies mag erst recht gelten, wenn sie betont: »Ohne Selektion ist Prägnanz nicht zu haben, und die Konturen sind mir wichtiger als das vollständig ausgemalte Bild.« (S. 17) Ob die gewählten Autorinnen und Autoren tatsächlich zur Darstellung solcher »Konturen« ausreichen, sei dahingestellt.   zurück
Exemplarisch genannt seien Julia Kormann: Literatur und Wende. Ostdeutsche Autorinnen und Autoren nach 1989. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag 1999; Frank Thomas Grub: ›Wende‹ und ›Einheit‹ im Spiegel der deutschsprachigen Literatur. Ein Handbuch. Band 1: Untersuchungen. Band 2: Bibliographie. Berlin/New York: de Gruyter 2003.    zurück