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Metapher zwischen Sprache und Kognition

Katrin Kohls aktueller Beitrag zur
und über die Debatte um Tropen

  • Katrin Kohl: Metapher. Stuttgart: J. B. Metzler 2007. 160 S. Paperback. EUR (D) 14,95.
    ISBN: 978-3-476-10352-9.
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Das sehr weite Feld der Metapher ist in den letzten Jahren wieder verstärkt ins Zentrum sowohl der literatur- und medien-, als auch der kultur- und kognitionswissenschaftlichen Aufmerksamkeit gerückt. Nach mehreren einzelnen Vorschlägen und Vorstößen folgen wieder Überblicksarbeiten und zusammenfassende Theorien. 1 In der Sammlung Metzler legt Katrin Kohl zeitgleich mit einer längeren Monographie über die Poetologie der Metapher in der deutschsprachigen Literaturgeschichte 2 einen schmalen Band vor, der bewusst selektiv zugleich einen groben Überblick über einige zentrale Fragen des Problembereichs, kritische Wertungen mehrerer traditionsreicher Ansätze und eigenständige Vorschläge bietet.

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Dabei stehen die Vielfalt der Phänomene und beteiligten Aspekte sowie die behauptete Unabschließbarkeit der analytischen Auflösung metaphorischer und anderer tropischer Figuren und Denkweisen im Vordergrund der Darstellung: »Ziel des Buches ist es, die grundlegende Bedeutung der Metapher für unser normales Denken und unsere alltägliche Sprache zu verdeutlichen und zugleich die abenteuerlichen Möglichkeiten der Kreativität aufzuzeigen, die sie uns eröffnet« (S. vii); indessen sei »die Forschung [...] sich einig darüber, dass man über Metaphern nur in Metaphern sprechen kann. Im Laufe des Buches sollte deutlich werden, warum dies unvermeidlich ist« (S. vi).

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Sprache und Denken

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»Generell besteht die Neigung, je nach Interesse einen Teil des metaphorischen Prozesses zu isolieren« (S. 2). Fast unmittelbar folgt auf diese Feststellung die Konzentration der vorliegenden Studie auf zwei Teilbereiche: Sprache und Kognition sowie ihre Interaktion. Ästhetische, appellative, psychologische und handlungsprägende Funktionen treten demgegenüber in den Hintergrund und werden auch in Beispielanalysen jeweils als sekundäre Elemente angeführt, die eher die Wirkung und die Absicht als das Wesen der Tropen betreffen. Genau die Situierung der Trope zwischen Sprache und Denken sei sowohl für platonisch-sophistische als auch für gegenwärtige Diskussionen um Tropen zentral, weil in ihr die Differenzen von Nominalismus und Realismus, Konstruktivismus und Objektivismus verhandelt werden. Entsprechend steht schon am Eingang des Bandes eine kurze Wiedergabe Saussure’scher Sprachphilosophie, deren Konzeption von Sprache und sprachlichem Zeichen als Kreislauf psychischer, physiologischer und äußerer physischer Vorgänge aufgefasst wird und den Rahmen für alle weiteren Gedanken bietet.

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Die weitere Rechtfertigung des Fokus auf Sprache und Kognition verbindet wiederum antike mit kognitionswissenschaftlichen Diskursen. Eine einfache Substitutionstheorie, die einen uneigentlichen Begriff anstelle eines eigentlichen gesetzt sieht, ist zunächst nur in einem rein sprachlichen Modell der Metapher möglich. Betrifft die Uneigentlichkeit der übertragenen Inhalte dagegen auch die Kognition, muss die Sachlage komplexer sein, als dass sie durch wechselnde Zuordnungen zwischen nur zwei Bereichen verba und res oder verba und imago beschrieben werden könnte. Eine starke Annahme desselben Modells für die Architektur des Gehirns oder wenigstens seiner kognitiven Vorgänge, die die Verfasserin verfolgt, würde zwar in seiner simpelsten Form von der jüngeren Hirnforschung eher nicht gestützt: Eine stringente Division zwischen rein bildlichen und rein sprachlichen Prozessen ist physiologisch vermutlich nicht durchgehend gegeben. 3 Kohl betont dies und entwaffnet die sich anbietende Schlussfolgerung mit einem faszinierenden Vorschlag:

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Dann jedoch wäre es der Leistung des kreativen metaphorischen Denkens zuzuschreiben, dass wir über ein mentales ›Sehen‹ verfügen: Die ›Übertragung‹ des physischen Auges vom Herkunftsbereich der physischen Sinne auf den Zielbereich des abstrakten Denkens wäre somit Voraussetzung für das Denken selbst. (S. 13)
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Zwar ist diese Interpretation keineswegs so zwingend, wie sie hier präsentiert wird: Die Übertragung der Anschaulichkeit auf andere Denkvorgänge könnte durchaus erst eine im wörtlichen Ausdruck und in der introspektiv zugänglichen bewussten und selbstreflexiven Kognition auftretende Folge einer sinnlich vielfältigen oder von Sinnesgrenzen unabhängigen grundlegenden Denkweise sein. Als mögliche Konzeption ist diese Auffassung vom Denken durch Anschaulichkeit jedoch eine für die Strategie der Theoriebildung entscheidende, scharfsinnige Option, die es erlauben könnte, neben antiken Sprach- auch idealistische Verstandes- und Vernunftbegriffe in ihrem Bezug auf die Metaphorologie zu retten, ohne auf die Fortschritte der empirischen Kognitionswissenschaft verzichten zu müssen. Entsprechend sieht Kohl eine wesentliche Funktion der Metapher in ihrer Konkretisierung abstrakter Begriffe und begibt sich damit in die Nähe zu Kants Symbolbegriff.

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Antike Metapherntheorie und
jüngste Kognitionswissenschaft

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Der Band konzentriert sich vor dem 20. Jahrhundert vor allem auf antike Rhetorik und Poetologie und weist neben Quintilian vor allem Aristoteles eine alles beherrschende Rolle zu. Im Verlauf der verschiedenen Erläuterungen und Diskussionen gelingt es, diese Präferenz voll zu rechtfertigen und zu demonstrieren, wie umfassend antike Begriffe nahezu alle jüngeren Teilschauplätze und an historische Interessen gebundene Debatten innerhalb der Metaphorologie vorzeichnen, strukturieren und oft bereits weitestgehend vorwegnehmen. So finden sich hier bereits Beschreibungen der verschiedenen Bereiche, in denen Tropen vorkommen, ihrer unterschiedlichen Funktionalisierungen, Formen und Reichweiten. In der aristotelischen Poetik und Rhetorik werden viele der über 2500 folgende Jahre hinweg aktuellen und kontroversen Fragen differenziert behandelt, so etwa die Ubiquität und dennoch auf einzelne idiosynkratische Begabungen und Leistungen bezogene Spezifizität der Metapher, ihre epistemologische Fruchtbarkeit und ihre rhetorische Ambivalenz.

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Mit den antiken Begriffsklärungen verbindet Kohl in produktiver Ergänzung und Abwägung Überlegungen aus der jüngsten, freilich weniger empirischen, sondern vor allem spekulativen Kognitionsforschung. Lakoff und Johnson stehen dabei erwartungsgemäß im Vordergrund; insbesondere schenkt Kohl auch den sukzessiven Änderungen und Korrekturen der beiden Theoretiker zu Recht Aufmerksamkeit. Deren wiederholter und nicht immer konsequent durchgeführter Versuch, die Spekulation direkt auf neueste empirische Grundlagen zu stellen, wird plausibel mit der Kontroverse um ihr Modell der Alltagsmetapher und Fauconniers und Turners Blending-Theorie verbunden.

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Aus diesen beiden Quellen schöpft Kohl einen eigenen ›ganzheitlichen‹ Ansatz, der im von Saussure gegebenen Rahmen Sprache und Kognition in der Metapher in besonderer Weise vermittelt und verbunden sieht:

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In der kognitiven Metapherntheorie – oder richtiger: in der Vielzahl kognitiver Ansätze – geht es vorrangig (und zum Teil ausschließlich) um den gedanklich-psychologischen Aspekt der Metapher und die entwicklungspsychologischen Prozesse, die in der Metapher zum Ausdruck kommen. In der Rhetorik geht es um die sprachliche Ausprägung der Metapher im Kontext sprachlicher Praxis und unter Einbeziehung der Psychologie der Rezeption. Für ein Verständnis der Metapher sind Kognition und Artikulation, Produktion und Rezeption gleichermaßen wesentlich. (S. 123)
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Von diesem Standpunkt aus werden die Einwände gegen eine rationalistische Beschränkung der Metapher auf ein rein sprachliches oder ein rein kognitives Phänomen noch einmal präzisiert. Zurückgeführt wird dieser Fehlschluss auf die »Grunderfahrung von der Körpergrenze« (S. 125), die geäußerte Sprache von verinnerlichten mentalen Prozessen zu scheiden scheint. So sehr das Beharren auf die zyklische und ganzheitliche Natur der Metapher überzeugt, bedarf Kohls Begründung vielleicht noch weiterer Unterfütterung. Denn dass Schlussfolgerungen und Emotionen im Inneren des menschlichen Körpers lokalisiert seien, ist gerade nicht alltägliche individuelle Erfahrung, sondern naturwissenschaftliche Erkenntnis oder kulturelles Schema. In der unmittelbaren Erfahrung werden gerade diese seelischen Vorgänge sehr wohl ebenso sehr an Wahrnehmungen aus der Umgebung wie aus dem eigenen Leib geknüpft. Diese Tatsache ließe sich in Kohls Modell freilich leicht als eine weitere Bestätigung der ganzheitlichen metaphorischen Funktionsweise unserer Erkenntnis lesen; dem steht die Zuordnung der Seele zur Innerlichkeit wiederum als spezifische Metapher gegenüber. Damit ist die Auseinandersetzung von Ganzheitlichkeit einerseits und Sprach-/Körperdifferenz andererseits innerhalb der Theorie keineswegs ein Widerspruch. Das Modell reicht aber auch nicht aus, um die behauptete Asymmetrie zugunsten des holistischen Entwurfs zu rechtfertigen: Woher wissen wir, dass angesichts der konkreten Erfahrung ubiquitärer Metaphorizität die abstrakte ganzheitliche der abstrakten rationalistischen Theorie überlegen ist?

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Einführung an Beispielen

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Herzstück des Bandes ist jedoch das ausführliche dritte Kapitel, in dem zentrale Aspekte der Metapher ausführlich deskriptiv dargestellt werden. Hier werden zugleich die wesentlichen Grundbegriffe der antiken sowie die jüngeren Erkenntnisse der kognitionswissenschaftlichen Theorie an Beispielen ausgeführt. Konzepte der Substitution, Interaktion, Konvention, Kreativität usw. werden noch einmal von Grund auf neu erklärt. Auf eine einheitliche systematische Gliederung wird dabei zugunsten einer addierenden Betrachtung von wenigen größeren Schwerpunkten aus unterschiedlichen Perspektiven verzichtet. Dieser Abschnitt ließe sich daher auch selbständig und gerade im Grundstudium als eine erste Einführung in Analyse und Begrifflichkeit von Tropen lesen, obwohl einige Beispielanalysen nicht mit letzter Genauigkeit zu Ende geführt werden. Das hervorragende Personen- und Sachregister des Bandes kommt der Zugänglichkeit dieses Abschnitts besonders zugute; nur der unmodifizierte Begriff ›blending‹ fehlt überraschenderweise in den sonst sinnvoll, umfassend und überschaubar angelegten Indizes und versteckt sich allein unter C –›conceptual blending‹.

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Fazit

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»Der Band klärt alle Fragen.« 4 Dieses etwas vollmundige Versprechen aus der Verlagswerbung ist für die Verfasserin glücklicherweise kein Anlass, es auf knapp 200 Seiten tatsächlich auf Vollständigkeit oder auf eine abschließende Klärung aller Theoreme und Phänomene zur Metapher anzulegen. Stattdessen wird »die Wirkungsweise der Metapher zwischen Denken und Sprache« als Entwicklungs- und teilweise als Erkenntnisprozess »verfolgt« (S. 3): Aus zweieinhalb Jahrtausenden werden vor allem antike Philosophie, strukturalistische Linguistik und gegenwärtige Kognitionsforschung in den Mittelpunkt gestellt und ansonsten eher systematisch als historiographisch begriffliche Fragen erläutert und Antworten vorgeschlagen. Gerade das macht den Band zugleich zu einem nützlichen ersten Überblick über das Feld und zu einem konzentrierten Beitrag zur fortlaufenden Debatte.

 
 

Anmerkungen

Vgl. z.B. Anselm Haverkamp: Metapher. Die Ästhetik in der Rhetorik. Bilanz eines exemplarischen Begriffs. München: Wilhelm Fink 2007; Jörg Jost: Topos und Metapher. Heidelberg: Winter 2007; Eckard Rolf: Metaphertheorien. Typologie – Darstellung – Bibliographie. Berlin, New York: Walter de Gruyter 2005; Hans Georg Coenen: Analogie und Metapher. Grundlegung einer Theorie der bildlichen Rede. Berlin, New York: Walter de Gruyter 2002. René Dirven und Ralf Pörings (Hgg.): Metaphor and Metonymy in Contrast. New York: Walter de Gruyter 2003.   zurück
Katrin Kohl: Poetologische Metaphern. Formen und Funktionen in der deutschen Literatur. Berlin, New York: Walter de Gruyter 2007.    zurück
Vgl. u.a. Jerry Fodor und Zenon Pylyshyn: Connectionism and cognitive architecture: A critical analysis. In: Cognition 28 (1988), S. 3–71; Kent Johnson: On the Systematicity of Language and Thought. In: Journal of Philosophy101 (2004), S. 111–139; Aarre Laakso und Garrison Cotrell: Content and Cluster Analysis: Assessing Representational Similarity in Neural Systems. In: Philosophical Psychology 13 (2000), S 47–76.   zurück
Inhaltsangaben zu Kohl: Metapher. (2007) In: Marcus Kühne-Vahlbruch (Hg.): J.B. Metzler Verlag und Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar. J.B. Metzler Verlag. URL: www.metzlerverlag.de/index.php?mod=bookdetail&isbn=978–3–476–10352–9&show=KUR (zit. 22. 3. 2008).   zurück