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Das Historisch-Kulturwissenschaftliche Forschungszentrum (HKFZ) Mainz-Trier
stellt sich vor

  • Andrea Rapp / Michael Embach (Hg.): Rekonstruktion und Erschließung mittelalterlicher Bibliotheken. Neue Formen der Handschriftenpräsentation. (Beiträge zu den Historischen Kulturwissenschaften 1) Berlin: Akademie 2008. X, 186 S. 1 s/w, 19 farb. Abb. Gebunden. EUR (D) 49,80.
    ISBN: 978-3-05-004320-3.
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Gründung und Aufgaben des Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrums

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Im Rahmen des HKFZ, welches im Herbst 2005 gegründet wurde und vom Land Rheinland-Pfalz finanziert wird, wollen die Universitäten Mainz und Trier ihre Forschungskompetenzen in den historisch-kulturwissenschaftlichen Fächern bündeln und durch inter- und transdisziplinäre Kooperationen neue Fragestellungen entwickeln und beantworten. 1 Der Ausgangspunkt für den eigenen Forschungsansatz wird folgendermaßen formuliert: »Da kulturelle Sachverhalte historische Wurzeln haben, können relevante Beiträge zu ihrem Verständnis und zur Lösung bestehender Probleme nur aus der Kenntnis dieser Wurzeln erfolgen.« 2

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Als aktuelles übergreifendes Forschungsfeld bearbeitet das HKFZ das Thema »Räume des Wissens«. Die acht Arbeitsgruppen, die inzwischen rund 60 Teilprojekte entwickelt haben, stellen sich wie folgt dar:

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1. Konstitutionsbedingungen von Wissensräumen

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2. Raum als Organisationsform von narrativem Wissen

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3. Wissensraum Stadt

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4. Herrschaftsraum und Wissensraum Byzanz

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5. Medien und Methoden der Konstruktion von Wissensräumen

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6. Technik und Wissensraum

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7. Wissensräume religiöser Gruppen in der Frühen Neuzeit

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8. Wissensraum Kommunikation: Kulturelle Praktiken, Tradition und Wandel (S. IX f.).

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Ihre Ergebnisse wird das HKFZ in der neu gegründeten Reihe »Beiträge zu den Historischen Kulturwissenschaften« veröffentlichen. Der anzuzeigende Sammelband eröffnet diese Reihe, die sich zum Ziel gesetzt hat, »Forum für fachübergreifende Forschung zu werden« (S. VII). Der erste, schmale Band vereint Vorträge eines Workshops der Arbeitsgruppe »Medien und Methoden der Konstruktion von Wissensräumen«, welcher im April 2006 in Trier stattgefunden hat und unter der Prämisse stand: »Eine Bibliothek ist ein Mikrokosmos an Raum, der einen Makrokosmos an Wissen in sich birgt.« (S. 1)

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Beiträge der historischen Sektion

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Im ersten Beitrag (S. 7–16) stellt Eef Overgaauw seine Erschließungsarbeit von Handschriften im Landeshauptarchiv Koblenz vor. Seine bisherigen Forschungen zusammenfassend, gibt er zunächst einen kurzen Überblick zur wechselvollen Geschichte von Klosterbibliotheken aus dem mittelrheinischen Gebiet und dem Moselland, aus denen letztendlich rund 200 mittelalterliche Handschriften im Landeshauptarchiv landeten. Darunter befinden sich erstaunlich viele Autographe von mittelalterlichen Autoren. Zwei dieser Autoren und ihre Schriften stellt er dann näher vor. Es handelt sich dabei um den Bopparder Karmeliter Heinrich de Montabaur (1439–?) und den Dominikaner, Bischof und päpstlichen Nuntius Heinrich Kalteisen (um 1390–1465).

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Die 18 erhaltenen Handschriften Montabaurs sind Sammlungen mit Predigten und Predigtmaterialien, welche die seltene Möglichkeit eröffnen, einen Theologen des 15. Jahrhunderts bei der Arbeit zu beobachten. Zielgruppe seiner Predigten waren Angehörige des Karmeliterordens. Von Heinrich Kalteisen besitzt das Landesarchiv mehrere dutzend Schriften im Autograph, darunter Reden und Predigten, die er zwischen 1432 und 1434 während des Basler Konzils gehalten hat. Die Überlieferungszusammenhänge lassen Overgaauw vermuten, dass es während des Konzils ein Kopierbüro gab, in welchem die Schriftstücke vervielfältigt wurden. Dies gab den Konzilsteilnehmern die Möglichkeit an die Hand, diese Abschriften für die Ausarbeitung ihrer eigenen Reden heranzuziehen.

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Sehr knapp geraten ist Reiner Noldens Studie »Zu den Eberhardsklausener Handschriften und Inkunabeln in der Stadtbibliothek Trier« (S. 17–22). Man wird darüber informiert, wie rund 200 Handschriften – wovon inzwischen 85 Codices neu katalogisiert sind – und eine ungenannte Zahl von Inkunabeln aus dem 1456 gegründeten Augustiner-Chorherrenstift in die Stadtbibliothek Trier gelangten, wie die dortigen Erschließungsbemühungen der letzten 200 Jahre verlaufen sind und wie man aufgrund verschiedener Merkmale den Buchbesitz aus Eberhardsklausen eindeutig bestimmen kann.

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Ebenfalls mit Eberhardsklausen beschäftigt sich Marco Brösch (S. 23–44), der eine umfangreiche Arbeit zum dortigen Bibliothekssaal vorbereitet und hier erste Ergebnisse seiner Forschungen vorlegt. Der Bibliotheksraum wurde während des Priorats von Gerhard von Lippe (1483–1527) im Obergeschoss der Sakristei eingerichtet, die von 1483 bis 1491 erbaut wurde. Dabei handelt es sich um eine quadratisch angelegte Magazinbibliothek mit rund 60 m2, an deren Wänden entlang Bücherkästen oder -schränke aufgestellt waren. Besondere Aufmerksamkeit widmet Brösch der Beschreibung und Interpretation der erhaltenen Seccomalereien in den sechs Spitzbogenfeldern der Wandnischen mit 19 Darstellungen von Propheten, Heiligen und Kirchenvätern, die nach seiner Ansicht im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts entstanden sind. Das Bildprogramm entsprach dabei dem Bildungsprogramm der Devotio moderna. In Resten erhalten ist ein ähnlicher Bildzyklus in Böddeken in Westfalen, einem der Mutterklöster von Eberhardsklausen. Bei der Aufhebung des Klosters 1802/03 wurde nicht der ganze Bibliotheksbestand in die Stadtbibliothek Trier überführt, weshalb sich dort noch fast 2.000 Bücher vom 15. bis 20. Jahrhundert befinden. Die neueren Bestände aus dem 18. bis 20. Jahrhundert sind ehemaliger Besitz von Pfarrbibliotheken.

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Einen Zwischenbericht zur Erschließung von hebräischen und aramäischen Einbandfragmenten in Mainz und Trier gibt Andreas Lehnardt (S. 45–64). Die zahlreichen Funde in den dortigen Bibliotheken lassen nur den Befund zu, dass Buchbinder nicht selten Hebraica als Binde- und Makulaturmaterial verwendeten, obwohl sich aus jüdischer Sicht eine solche Praxis verbat. Lehnardt äußert die Vermutung, dass nach Einführung des Buchdrucks größere Mengen hebräischer Pergamenthandschriften veräußert wurden beziehungsweise dass durch die Ausräumung von Geniza altes Pergament in größerem Umfang auf den Markt kam, ohne hierfür einen Beleg liefern zu können. Wo, wann und auf welchem Wege christliche Buchbinder in den Besitz von hebräischen Pergamenthandschriften kamen, ist jedoch eine Frage, die sich in der Regel nicht beantworten lässt. Nach einem Überblick zum Stand der deutschen und internationalen Erschließung von hebräischen und aramäischen Einbandfragmenten geht Lehnardt auf die Situation in Mainz und Trier ein. Dabei ist der Umfang der Überlieferung in Trier um vieles umfangreicher als in Mainz, und ein Großteil der Funde stammt aus der Bibliothek der Augustinerchorherren von Eberhardsklausen. Etwa 20 zusammenhängende Schriften sollen sich auf diese Weise erhalten haben. 3

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Eine völlig andere Herangehensweise bei der Erschließung einer mittelalterlichen Bibliothek beschreibt Thomas Falmagne bezüglich der Katalogisierung der Echternacher Handschriften in Luxemburg (S. 65–74). Um berücksichtigt zu werden, waren zwei Kriterien zu erfüllen: Der Codex mußte in der Echternacher Bibliothek nachweisbar sein, und sei es auch nur für kurze Zeit, und vor 1628 entstanden sein. Beschrieben werden insgesamt 87 Handschriften, 16 handschriftliche Notate in Drucken sowie 148 Fragmente. Nach dem ersten erhaltenen Bibliothekskatalog von etwa 1756 besaß die Bibliothek zum damaligen Zeitpunkt 155 Codices und 4.400 Druckwerke, wobei die Handschriften größtenteils noch nachweisbar sind, während der Druckbestand große Verluste hinnehmen musste. In gleicher Weise sollen noch die Handschriftenbestände aus der Abtei Orval und die nur noch in geringem Umfang überlieferten Bibliotheken der Benediktinerabtei Münster sowie der Niederlassungen der Dominikaner, Franziskaner und Jesuiten in Luxemburg erschlossen werden.

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Silke Diederich legt einen Projektentwurf zur Erforschung der mittelalterlichen Klosterbibliotheken in Trier vor (S. 75–86). Das intellektuelle Niveau der reichen Bibliothekslandschaft Triers (St. Maximin, St. Eucharius, St. Simeon, St. Maria ad Martyres, St. Alban und St. Martin) soll durch den Vergleich zum Beispiel mit der Kölner Dombibliothek bestimmt werden. Mit einem umfangreichen Fragenkatalog, der sich auf die Schwerpunkte Wissensselektion und -organisation, Wissensinhalte, Wissenstransfer und -vernetzung, Wissensraum und Gesellschaft sowie interkulturelle Auseinandersetzungs- und Verschmelzungsprozesse bezieht, möchte Diederich das Spannungsverhältnis zwischen geistlicher und weltlicher Sphäre sowie zwischen christlicher humilitas und monastischem Elitebewusstsein an Hand der Klosterbibliotheken ausloten. Inwieweit dieses Vorhaben zu realisieren ist, ein differenzierteres Bild aufgrund der sehr unterschiedlichen Überlieferungssituation zu den einzelnen Klöstern zu entwerfen, bleibt abzuwarten.

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Frank Fürbeth will den Versuch unternehmen, eine Typologie der Sachordnungen mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Bibliotheken zu erstellen, um mit deren Hilfe die Gebrauchs- und Rezeptionsinteressen der Benutzer besser verstehen zu können (S. 87–103). Dieser Ansatz könnte in der Tat weiterhelfen, wo für die Rekonstruktion einer Bibliothek entweder (Teil-)Bestände an Drucken und Handschriften oder Quellen wie Inventare und Kataloge vorliegen, was bekanntermaßen häufig der Fall ist. Für das Vorhaben wurde eine Datenbank zu 900 Bibliotheken angelegt, für die bereits 1.200 Dokumente in publizierter Form vorliegen. Für die Typologie sind jedoch rund 300 Quellen von Bedeutung, die eine Sachordnung enthalten. Diese Inventare und Kataloge stammen jedoch zum größten Teil aus dem Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit, so dass ein differenziertes Bild nur für diese Periode möglich sein wird.

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Am Ende der historischen Sektion spricht sich Albert Derolez dafür aus, den traditionellen Handschriftenkatalog nicht als überholt abzulehnen, sondern ihn auf solche Weise umzugestalten, dass er für die mittelalterliche Bibliotheksgeschichte von Nutzen ist (S. 105–117). Die Handschriftenkunde und -beschreibung solle sich aus ihrer dienenden Funktion für Historiker und Philologen lösen, um als eigenständige Disziplin ihren Beitrag für die Bibliotheks- und Buchgeschichte des Mittelalters leisten zu können.

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Beiträge der technologischen Sektion

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Die hier vereinten Aufsätze befassen sich mit Online-Datenbanken, virtuellen Bibliotheken und Digitalisierungsprojekten. Den Auftakt bildet ein Beitrag von Eva Effertz (S. 119–125), die erläutert, welche Rolle die Handschriftenerschließung für die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen ihrer Strategie spielt, ein Gesamtsystem der digitalen Informationsversorgung für die Wissenschaft aufzubauen. Die DFG hat hierzu 2001 ein neues Konzept zur beschleunigten Erschließung der rund 60.000 in Deutschland erhaltenen Codices beschlossen, welche längerfristig vollständig in der zentralen Datenbank »Manuscripta Mediaevalia« nachgewiesen sein sollen. Die Digitalisierung von Handschriftenbeständen soll eine Tiefenerschließung nicht ersetzen, sondern nur ergänzen, was besonders bei schwer zugänglichem Streubesitz sinnvoll erscheint.

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Im Mittelpunkt von Alessandra Sorbello Staubs Beitrag steht der Aufbau von virtuellen Bibliotheken an der Bayerischen Staatsbibliothek München, die im gesamtdeutschen System der Literaturversorgung für die Geschichts- und Altertumswissenschaften zuständig ist (S. 127–135). Unter den zahlreichen Datenbanken und Online-Diensten, welche die BSB bereitstellt, hebt sie besonders das geschichtswissenschaftliche Portal »Chronicon« hervor, das sowohl Recherchen nach digitalen als auch nach konventionellen Angeboten ermöglicht. 4

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Das Digitalisierungsprojekt der Trierer Papyri, welches bereits seit März 2005 abgeschlossen ist, stellt Bärbel Kramer vor (S. 138–145). Die Trierer Sammlung umfasst gegenwärtig 637 zumeist griechische Papyri vom 3. Jahrhundert v.Chr. bis zum 6. Jahrhundert n.Chr. Nach einem kurzen Überblick zu weiteren Digitalisierungsmaßnahmen seit den 1980er Jahren wird über die Vorgehensweise in Trier berichtet. Gleichzeitig mit der Digitalisierung wurde die wissenschaftliche Erschließung und Sicherung der Bestände vorgenommen. Kramer betont, dass mit der Bereitstellung der Digitalisate ein Grundbedarf der papyrologischen Forschung erfüllt wird, weil nur auf diese Weise eine Zusammenführung der erhaltenen Bestände möglich ist.

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Andrea Rapp und Michael Embach bearbeiten eine Bibliothek, die weitgehend vollständig erhalten ist, deren Bestände jedoch europaweit verstreut sind (S. 147–169). Dabei handelt es sich um die Trierer Benediktinerabtei St. Matthias. Durch die Volldigitalisierung aller überlieferten Textzeugen soll dieses Hindernis ausgeräumt werden, das sich für die Erforschung von Bedeutung und Funktion dieser Sammlung bisher gestellt hat. Der Bibliothek von St. Matthias kommt herausragende Bedeutung zu durch ihre besonders enge Verbindung zum Trierer Erzbischof, welche dazu führte, das St. Matthias in mancher Hinsicht die Funktion einer Kanzlei für das Erzbistum übernahm. Die virtuelle Zusammenführung der Bibliothek ermöglicht eine gründliche Erforschung dieses Zusammenwirkens zum Beispiel auf den Gebieten der Schulbildung, Kanonistik und Geschichtsschreibung. Rapp und Embach können dabei auf die Katalogisierung der Handschriften durch Petrus Becker zurückgreifen.

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Der Band wird durch ein Orts-, Personen- und Handschriftenregister erschlossen.

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Fazit

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Ziel des Workshops der Arbeitsgruppe »Medien und Methoden der Konstruktion von Wissensräumen« des HKFZ war es wohl, sich einerseits Anregungen von außen zu holen und andererseits die eigenen Vorhaben vorzustellen. Der Sammelband vereint daher Beiträge, die inhaltlich und vom Umfang sehr heterogen sind. Unter den vorgestellten Projekten befinden sich solche, die gerade erst angelaufen sind, und andere, welche schon abgeschlossen wurden. Von der Projektskizze bis zum Abschlussbericht ist also alles zu finden. Mehr als einen ersten Einblick in die Forschungsvorhaben und -ansätze der Arbeitsgruppe V des HKFZ kann der schmale Band daher nicht leisten.

 
 

Anmerkungen

Vertreten sind gegenwärtig die Fächer Bibliothekswissenschaft, byzantinische Kunstgeschichte, Byzantinistik, Computer-Philologie, evangelische und katholische Theologie, Germanistik, Geschichte, Jiddistik, klassische Philologie, Kunstgeschichte, Musikwissenschaft, Philosophie, Romanistik und Wissenschaftsgeschichte.   zurück
Vgl. URL: http://hkfz.uni-trier.de/. Hier sind auch nähere Informationen zu den Arbeitsgruppen, den Teilprojekten und den beteiligten Personen zu finden.   zurück
Die Verzeichnung beziehungsweise Digitalisierung von hebräischen Einbandfragmenten würde sich auch an weiteren Standorten lohnen. In der Staats- und Stadtbibliothek und im Stadtarchiv Augsburg stieß der Rezensent bei der Durchsicht der Bestände wiederholt auf Einbände, die aus hebräischen Pergamenthandschriften, aber auch Drucken stammten.   zurück