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So dark the con of man

  • Joachim Valentin (Hg.): Sakrileg. Eine Blasphemie? Das Werk Dan Browns kritisch gelesen. Münster: Buchverlag Aschendorff 2007. 170 S. Kartoniert. EUR (D) 12,80.
    ISBN: 978-3-402-11785-9.
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In der Pariser Kirche Saint-Sulpice wird in mehreren Sprachen vor Dan Browns Thriller gewarnt: »Le risque de Da Vinci Code: semer le doute«. In der Tat lässt sich verstehen, dass gläubige Katholiken mit diesem Weltbestseller ihre Probleme haben, wirft dessen männlicher Held, der Harvard-Symbolologe Robert Langdon, dem Papsttum doch eine »deceitful and violent history« vor:

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Their brutal crusade to ›reeducate‹ the pagan and feminin-worshipping religions spanned three centuries, employing methods as inspired as they were horrific. 1
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Wäre der Da Vinci Code nicht ›A Novel‹, wie es im Untertitel heißt, sondern ein Sachbuch, dann würden darin in der Hauptsache folgende Behauptungen aufgestellt: Jesus hat mit seiner Gattin Maria Magdalena eine Tochter namens Sarah gezeugt, die in Frankreich aufgewachsen ist und eine bis heute nicht abgerissene weibliche ›bloodline‹ hervorgebracht hat; der Heilige Gral meint daher − als der ›Kelch Christi‹ − gar nicht den Abendmahlskelch, sondern Maria Magdalena selbst bzw. ihre sterblichen Überreste, die unter dem Schutz der Prieuré de Sion stehen. Weil die katholische Kirche auf dem Konzil von Nicäa ihr weibliches Fundament aber unterdrückt und eine männliche Hierarchie etabliert hat, bilden Maria Magdalenas Gebeine gewissermaßen das Unterpfand einer − urweiblichen − Wahrheit, deren Manifestation die weltliche Herrschaft des Vatikan vernichten würde. Insofern beruht die Autorität des Papstes auf gewaltsamer Geschichtsfälschung und bräche mit der Offenbarung des Grals zusammen, um einem genuineren Christentum Platz zu machen.

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Rechtschaffene Katholiken müssten an solchen Thesen in der Tat Ärgernis nehmen, wenn es denn kirchengeschichtliche Thesen wären und nicht bloß poetische Fiktion. Zu allem Überfluss beruft sich Dan Brown sogar auf − freilich übel beleumundete − Sachliteratur 2 und lässt als ›Autor‹ in Interviews sowie auf seiner Homepage eine gewisse Sympathie für die Glaubwürdigkeit der erzählten Ideen erkennen: »It is my belief that some of the theories discussed by these characters may have merit«. 3 Kirchenrepräsentanten haben sich seitdem unterschiedlich verhalten und zumindest in Deutschland auf Boykott-Aufrufe o. ä. verzichtet − vermutlich eingedenk schlechter Erfahrungen sowohl mit dem eigenen Protest gegen die MTV-Serie Popetown als auch mit der islamischen Reaktion auf Salman Rushdies The Satanic Verses (1988) und die dänischen Mohammed-Karikaturen. An die Stelle des Index librorum prohibitorum, der heutzutage nicht mehr in Frage kommt, tritt daher die Philologie, um den heiklen Text nach Möglichkeit zu entschärfen bzw. gar den eigenen Interessen dienstbar zu machen.

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Vorliegender Sammelband ist zum größten Teil aus einem Dies academicus hervorgegangen, »der paritätisch von der Katholischen Akademie Rabanus Maurus, der Fachschaft katholische Theologie und dem Fachbereich der Johann Wolfgang Goethe-Universität im Juni 2006 veranstaltet wurde« (Vorwort des Herausgebers, S. 9); weitere Beiträge sind im Anschluss an die Diskussion hinzugekommen.

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Der Herausgeber betont programmatisch, dass »zwischen Kommentar und Bericht, zwischen Roman und wissenschaftlichem Text zu unterscheiden« sei (S. 9). Freilich argumentieren nicht alle der durchweg theologisch gebildeten und kirchlich gebundenen Autoren auf diesem narratologischen Niveau: Claus Arnold etwa untersucht ›Dogmenkritik und Antikatholizismus bei Dan Brown‹ unter der Prämisse, der Autor dürfe mit seinem Protagonisten identifiziert werden, und will das »postmoderne Religionsverständnis« von »Brown / Langdon« logisch ad absurdum führen (vgl. S. 24); demzufolge freut er sich zuletzt auch darüber, dass Dan Brown durch die Wahl Joseph Ratzingers im Jahr 2005 mittlerweile auch empirisch widerlegt sei:

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Brown sagte 2003 einen ›liberalen‹ Nachfolger für Johannes Paul II. voraus, der das Opus Dei aus der Kirche entfernen würde [...]. Die Ereignisse von 2005 haben diese Vorhersage nicht bestätigt [...]. (S. 31)
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Auf allzu vordergründiger Lektüre beruht auch Kornelia Siedlaczeks Beitrag Männerphantasien. Frauen in ›The Da Vinci Code‹. Dass sich die Verfasserin zwar nicht über die »exegetischen, kirchenhistorischen Fehler«, sondern über Dan Browns »Frauenbild maßlos geärgert« (S. 111) hat, weil das »scheinbar ›feministisch‹« (S. 111) auftretende Buch die weibliche Hauptfigur Sophie Neveu ›begriffsstutzig‹ vorführt (vgl. S. 112), lässt sich am Wortlaut des Romans nicht recht nachvollziehen: Es ist ja gerade Sophie Neveu, die die Thriller-Handlung erst in Gang bringt, indem sie den ahnungslosen Gelehrten Langdon mit einem raffinierten Trick aus den Fängen der Pariser Polizei befreit und dann immer wieder aktiv in den Handlungsablauf eingreift − die letzte Nachfahrin Jesu bleibt also, anders als Kornelia Siedlaczek das sieht, keineswegs wie eine Penelope »zuhause und wartet« nur auf ihren Odysseus (S. 112).

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In der Mehrzahl geben sich die Artikel allerdings redlich Mühe, Dan Browns Sakrileg, wie der deutsche Titel des Da Vinci Code lautet, als Roman zu lesen und damit als Fiktion zu entschärfen. Sie diskutieren den Thriller als ›Herausforderung für Kirche und Theologie‹ (Joachim Valentins Scharlatanerie oder neue Religion?) und stellen unter Berufung auf Paul Ricœur die Grundfrage nach Religion und Ethik, wobei sie nach Lesergruppen unterscheiden (Hille Haker); Reinhold Zwick rekonstruiert ›Dan Browns Rezeption gnostischer Traditionen‹ und Iris Gniosdorsch präsentiert ›theologische und kunsthistorische Bemerkungen‹ zu Maria Magdalena − Heilige oder Hure; Theresia Heimerl informiert kompetent über die ›esoterische Vorgeschichte‹ des Da Vinci Code, Lutz Lemhöfer zeigt die ›Aktualität alter Verschwörungstheorien bei Dan Brown‹ auf und Peter Hasenberg erläutert die Verfilmung des Da Vinci Code in der Genre-Tradition des ›religiösen Thrillers‹.

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So unterschiedlich sie auch ihre Akzente setzen, sind diese Beiträger übereinstimmend daran interessiert, sich keine literaturtheoretische Blöße zu geben und das Beste aus dem Sakrileg zu machen. In diesem Sinn gibt der Herausgeber den Tenor vor, den Erfolg des vordergründig kirchenkritischen Thrillers als − allerdings ›etwas verschleierten‹ − »Ausdruck einer neuen Sehnsucht nach christlicher Religion zu lesen« (S. 10) und als Chance einer »erfolgreichen und im besten Sinne des Wortes zeitgenössischen Schul- und Bildungsarbeit« zu begreifen. Religionspsychologisch (bzw. religionssoziologisch) könnte das durchaus nicht abwegig sein. Für eine letztlich doch eher theologische als literaturwissenschaftliche Sicht auf Dan Brown spricht allerdings der grundsätzliche Verzicht aller Artikel auf Ironie. The Da Vinci Code wird nun einmal bei weitem zu bierernst gelesen, wenn es letztlich doch darum gehen soll, »die historischen Fehler und inneren Inkonsistenzen offen zu legen und mit der Position von Kirche und Theologie zu konfrontieren« (S. 20). Da macht sich mit aller Macht ein Anspruch auf Wahrheit geltend, der am sonst demonstrierten »Interpretations- und Gattungswissen« (S. 9) vorbeigeht und übersieht, dass Lessing und Mendelssohn in Pope ein Metaphysiker! schon 1755 jeden Dichter von der Verpflichtung auf logische Pünktlichkeit freigesprochen haben.

 
 

Anmerkungen

Dan Brown: The Da Vinci Code. A Novel. New York, London, Toronto, Sidney, Auckland 2003, S. 134.   zurück
In erster Linie zwei ›non-fiction‹-Werke von Michael Baigent, Henry Lincoln und Richard Leigh: The Holy Blood and the Holy Grail (zuerst 1982) und The Messianic Legacy (zuerst 1986).   zurück
Vgl. Dan Browns ›official website‹: http://www.danbrown.com/novels/davinci_code/faqs.html (14.06.2008).   zurück