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Vierecksgeschichten, oder: und, und, und

  • Jarmila Mildorf / Hans Ulrich Seeber / Martin Windisch (Hg.): Magic, Science, Technology, and Literature. (Kultur und Technik 3) Münster u.a.: LIT 2006. 272 S. Broschiert. EUR (D) 29,90.
    ISBN: 3-8258-9311-1.
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Der vorliegende Band entstand aus dem Symposium »Magic, Science, Technology, and Literature«, das im Januar 2005 an der Universität Stuttgart stattfand. Von den sechzehn Beiträgern sind fünfzehn Anglisten; zu etwa zwei Dritteln konzentrieren sich die Aufsätze dementsprechend auf die englische Literatur von der Renaissance bis ins 20. Jahrhundert. Nicht nur historisch gesehen eröffnet der Band also ein weites Feld; auch die vier titelgebenden Begriffe sind notorisch schwer zu definieren. Das Grundpostulat des Bandes, wenn man ihm ein solches unterstellen möchte, verbirgt sich am ehesten in dem unscheinbaren Wörtchen and: Magie, Naturwissenschaft, Technologie und Literatur sind keine klar von einander abgrenzbaren Praktiken bzw. Diskurse. Sie haben zum Teil gemeinsame historische Wurzeln und stehen auch synchron betrachtet in komplexen Abhängigkeitsverhältnissen zueinander. Diese Einsicht ist nun so neu nicht; die Stärke des Bandes liegt darin, dass er die unterschiedlichen historischen Ausprägungen des im Titel umrissenen Spannungsfeldes in einer Vielzahl von Einzelanalysen unmittelbar anschaulich macht.

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Dass diese Einzelanalysen ein breites Spektrum unterschiedlicher Interessen und Ansätze verfolgen, ist angesichts des doch eher vage eingegrenzten Gegenstands nur zu erwarten. Abgesehen von einer Einteilung in vier Artikelgruppen unternehmen die Herausgeber des Bandes auch keinen Versuch, dieser Disparatheit Herr zu werden. Die knappe, fast sparsam gehaltene Einleitung enthält sich jeder theoretischen Verortung des Gegenstands, jeder Erläuterung seiner Forschungsgeschichte, jeglicher Begriffsbestimmung. Sie erklärt auch nicht, warum der Band die in den einschlägigen Publikationen sonst üblichen Dy- und Triaden (wie zum Beispiel: Elmar Schenkel / Stefan Welz (Hg.): Lost Worlds & Mad Elephants. Literature, Science and Technology 1700–1990. Berlin: Galda & Wilch 1999; Pamela Thurschwell: Literature, Technology and Magical Thinking, 1880–1920. Cambridge: Cambridge University Press 2001; Sharon Ruston (Hg.): Literature and Science. Cambridge: Boydell & Brewer 2008) gleich zu einem Viergespann der Begriffe ausbaut. Ist damit gesagt, dass sich alle vier gegenseitig beeinflussen und befruchten, oder gilt das nur für ausgewählte Zweier- und Dreierkonstellationen? Angesichts der klar literaturwissenschaftlichen Ausrichtung der Tagung wären auch einige Worte über die Rolle der im Titel fast nachsatzhaft angehängten Literatur (»and literature«) zu erwarten gewesen. Solchen Sinn- und Kohärenzstiftungen verweigert sich die Einleitung jedoch. Stattdessen verweist sie, in gelegentlich unsicherem Englisch, auf die Breite des Forschungsfelds, die Aktualität des Themas (müssen selbst in anglistischen Fachkreisen dafür unbedingt Harry Potter und die Kinoversion von Tolkiens Lord of the Rings herhalten?) und eine ›Technologie des Effekts‹ (»technology of effects«, S. 13), die sich aus der Zusammenschau der Beiträge ableiten lasse. Dieser Punkt wird jedoch nie näher ausgeführt, so dass es dem Leser selbst überlassen bleibt, sich auszumalen, warum von den vier titelgebenden Begriffen nun gerade dem der Technologie – der in den Einzelbeiträgen vergleichsweise stiefmütterlich behandelt wird – solche Erklärungsmacht zuerkannt wird. Konzeptuelle Stringenz ist von einem Konferenzband nicht zu erwarten und würde dem Zweck einer solchen Publikation zu einem gewissen Grad auch zuwiderlaufen. Die Herausgeber von Magic, Science, Technology, and Literature haben sich jedoch mehr zurückgenommen, als es die oft sehr guten Einzelbeiträge verdient haben.

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Bühnenzauber

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Die Abteilung »Magical Renaissance«, die den Band eröffnet, widmet sich dem englischen Drama der frühen Neuzeit und ist eine der stärksten und in sich geschlossensten des ganzen Buches. Andreas Höfeles Aufsatz widmet sich einem Phänomen, das die Neuzeit naturwissenschaftlich, die frühe Neuzeit jedoch »magisch« bzw. religiös erklärt: dem (Un-)Wetter. Er liest Shakespeares Tempest im Kontext einer von der einschlägigen Forschung bislang vernachlässigten Gattung, der Wetterpredigt, wie sie nicht nur in England, sondern auch auf dem Kontinent gängig war. Prosperos Zauberkunst (die nicht nur Stürme zu entfachen, sondern auch Tote zu wecken vermag: »graves at my command/Have waked their sleepers« 1 ) erscheint in diesem Kontext als Anmaßung göttlicher Macht über die Elemente und damit als Ausdruck von Hybris: »[The tempest] is not merely the image of divine execution, but rather the appropriation of it.« (S. 30) Zum anderen präsentiert das Stück Prosperos Fähigkeiten aber auch als science, Wissenschaft im Sinne Francis Bacons, und, wie es einer Epoche entspricht, die das Theater als Weltmodell heranzog, als Spektakel. Shakespeares Stück löst diese vermeintlichen Widersprüche nicht auf: Prosperos Magie ist übernatürlich und szientifisch deutbar, wobei das Theatrale als verbindendes Element zwischen den beiden Diskursen fungiert. Höfeles Aufsatz beschreibt damit einen historischen Moment, in dem Zauberei, Wissenschaft und Literatur (hier: Drama) noch nicht als separate Konzepte fassbar sind. Den Nachweis, dass diese Scheidung nie eine absolute gewesen sei oder überhaupt sein könne, führen viele der anderen Beiträge auch; als Epoche stellt die Renaissance aber insofern einen Sonderfall dar, als sie auch die Vorstellung einer solchen klaren Trennung nicht kennt.

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Dies zeigt sich deutlich auch an Tobias Dörings anregendem Beitrag zu Marlowes Doctor Faustus. Döring wendet sich gegen eine Tradition, die Magie im wesentlichen auf schriftliche Überlieferungsformen reduziert. Ihn interessiert Magie als Praxis, »as a set of practices, as ways of interacting or performing, as modes of physical and verbal exchange which can also change the way things are.« (S. 41) Dieser performative Blickwinkel bringt auch Döring zur medialen Spezifik des Theaters, genauer: den Funktionen des Magischen für die und auf der Bühne. Döring betont hier vor allem die metatheatrale Dimension des Zauber(n)s: Wo magische Handlungen auf der Bühne inszeniert werden, schließt dies immer auch eine Reflexion des Mediums auf sich selbst mit ein, eine Thematisierung seiner prekären Position zwischen wahr und falsch, Realität und Täuschung. Marlowes Doctor Faustus fördert dabei eine durchaus skeptische Rezeptionshaltung gegenüber der überwältigenden Macht der Bühnenillusion, wie sie sich im elisabethanischen Zeitalter in verschärfter Form auch unter den expliziten Gegnern der Bühne findet. Wenn Magie in der frühen Neuzeit, wie Döring es formuliert, im neuen Medium des Theater vom (verschriftlichten) Geheimwissen zur öffentlichen Darbietung wird (»popular spectacle«, S. 50), dann bedeutet das keineswegs eine Minderung der ihr zugesprochenen subversiven Kräfte. In der Performanz mehr noch als in der Schrift entziehen sich diese der Kontrolle dessen, der sie entfesselt hat: Faustus, der entmachtete Autor, bringt dies sinnbildlich zum Ausdruck.

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Stephan Laqués Beitrag zu Shakespeares A Midsummer Night’s Dream liest das Stück als Gegenüberstellung zweier Weltbilder, des animistischen und des mechanistischen. Als Ausgangspunkt dafür dient ihm das Phänomen der Anziehung – sowohl der emotionalen Anziehungskraft zwischen zwei Menschen als auch der Anziehung zwischen bestimmten Gegenständen, die die Neuzeit unter dem Begriff des Magnetismus fasst. Noch für Milton waren diese beiden Formen der Anziehungskraft nicht klar voneinander geschieden. Laqués Artikel beschreibt unterschiedliche Theorien der Anziehung bzw. des Bindens (bonding) in der frühen Neuzeit und postuliert, dass die Handwerker in Shakespeares Stück als Parodie auf streng mechanistische Theorien der Anziehung zu lesen seien. Die Fähigkeit vermeintlich einander Ausschließendes gleichzeitig darzustellen und gelten zu lassen spielt allerdings, ähnlich wie bei Höfele und Döring, auch für Laqué eine große Rolle. So plädiert der Sommernachtstraum aus seiner Sicht letztendlich nicht für eine animistische Sicht der Welt, sondern stellt animistisches und mechanistisches Modell als einander ergänzende Denkweisen vor.

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Martin Windischs Aufsatz widmet sich zunächst nicht dem Wort, sondern dem Bild bzw. der Bildmagie (pictorial magic) in Shakespeares Richard II. Diese Magie fasst Windisch zunächst durchaus auch als Technologie auf; entsprechend befasst sich der erste Teil des Aufsatzes mit frühneuzeitlichen Innovationen in der Optik, namentlich vergrößernden, verkleinernden und polyoptischen (verzerrenden) Linsen. Diese erschließen Windisch zufolge neue Aspekte der »Perspektivszene« (II,2) in Richard II. Nach einem eher unmotiviert wirkenden Einschub zu Freuds Macbeth-Lektüre bewegt sich Windischs Interpretation der Szene allerdings weitgehend auf dem Boden der mittlerweile nicht mehr ganz neuen Arbeiten Ernst Kantorowicz’ zu den zwei Körpern des Königs (body politic/body natural), ohne dass die eingangs vorgestellten Entwicklungen in der Optik eine allzu große Rolle spielen würden.

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Magie und Aufklärung

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Einen Band wie den vorliegenden mit einem Kapitel zur Frühen Neuzeit zu eröffnen, ist historisch gesehen schlüssig, gilt die Renaissance doch als Beginn der von den Beiträgern naturgemäß vielzitierten »Entzauberung der Welt« (Weber) und ihrer Scheidung von Magie und Wissenschaft. Die Implikationen eines verwissenschaftlichten Weltbilds für den Umgang mit Literatur, insbesondere für die Philologie, lassen sich im ersten Beitrag der Abteilung »Cultural Transformations«, Susanne Rupps Ausführungen zu Alexander Popes Homer-Übersetzungen, exemplarisch nachvollziehen. Pope, so Rupp, steht bei seiner Auseinandersetzung mit Homer vor einem grundlegenden Problem: Homers Darstellung des Magischen bzw. des Wunderbaren kollidiert mit dem Wahrscheinlichkeitsgebot, mithilfe dessen im 18. Jahrhundert »respektable« Texte von der zunehmend stigmatisierten Gattung der Romanze (romance) abgesetzt werden. Pope verwendet unterschiedliche Strategien, um dieser Schwierigkeit zu begegnen. Problematische Passagen werden entweder allegorisch gelesen oder ›faktualisiert‹, d.h. als Ausdruck dessen behandelt, was das antike Griechenland für Tatsachen hielt. Bemerkenswerterweise entwickelt Pope aber auch eine Art Poetik des Wunderbaren, die Homers vermeintliche ›Schwächen‹ grundsätzlich legitimiert. Das Magische überlebt so auch in der rationalen Weltsicht der Aufklärung.

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Ähnliche Transferprozesse stehen auch im Mittelpunkt von Walter Göbels Beitrag zum magischen Realismus der afroamerikanischen Schriftstellerin Tina McElroy Ansa. Göbel geht es hier um positive Figurationen des Magischen, die nicht mit einer Außenseiterfigur oder böswilligen Absichten in Verbindung stehen und im Zusammenhang postkolonialer Emanzipationsbestrebungen letztendlich ein neues Genre begründen: die magische Pastorale (magic pastoral). Diese rehabilitiert mit dem Magischen das ehemals als marginal, unterlegen und unmoralisch Gebrandmarkte und ist insofern als expliziter Gegenentwurf zum westlich geprägten, ›weißen‹ Diskurs der Aufklärung zu denken.

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Dass solche Gegenentwürfe durchaus auch innerhalb der dominanten Kultur entstehen können, zeigt Roger Luckhursts exzellenter Aufsatz zum mummy curse im England des späten 19. Jahrhunderts, d.h. der Legende vom Fluch der Pharaonen. Luckhurst liest diesen zum einen als eine Art Unterform des wieder neu populär gewordenen Schauerromans (Egyptian gothic), vor allem aber als Reaktion auf den blutigen Verlauf der Kolonialisierung Ägyptens durch die Briten. Luckhursts Beitrag beschreibt einen Diskurs über Magie, der diese stigmatisiert und mit dem ebenso stigmatisierten kolonialen Subjekt identifiziert; genau den Diskurs also, gegen den eine Autorin wie Ansa letztendlich anschreibt. Brean Hammonds Artikel zur literarischen Repräsentation des Raums in Popes Dunciad hat mit dem Thema des Bandes wenig zu tun und erscheint eher als Fremdkörper.

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Grundsätzliches

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Die dritte Abteilung des Buches beginnt mit einem Artikel, den man sich aufgrund seiner Verbindung von historischer und systematischer Perspektive eher am Anfang des Bandes gewünscht hätte, Gregor Schiemanns »Physics and Magic: Disenchanting Nature«. Dieser zählt zu den wenigen des Buches, die etwas wie eine Definition ihres Gegenstandes bieten und damit erheblich zur Erhellung des im Titel des Bandes umrissenen Problemfelds beitragen; er leistet genau die theoretische Unterfütterung, die man sich eigentlich in der Einleitung schon gewünscht hätte. Schiemanns Beschreibung eines magischen Naturverständnisses (»a concept of nature which asserts the possibility of gaining knowledge of secret natural forces, and the possibility of man’s influencing some of them«, S. 153) liegt explizit oder implizit vielen der anderen Beiträge zugrunde; ebenso die Aristotelische Unterscheidung von physis und techne, deren philosophiegeschichtliche Weiterentwicklung bis hin zu Galileos entschiedener Absage an das Magische Schiemann nachzeichnet. Zwar existieren innerhalb der post-galileischen Naturwissenschaften durchaus Nischen magischen Denkens. Dass das Magische dem Szientifischen aber letztendlich unterliegt, zeigt sich schon daran, dass es selbst zum Gegenstand wissenschaftlicher Erklärungsversuche avanciert – ein Sachverhalt, den der vorliegende Band nicht nur beobachtet, sondern in den er auch selbst impliziert ist.

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Begriffliche Klarheit und das Bemühen, das Verhältnis zwischen Magie, Wissenschaft, Technologie und Literatur konzeptuell zu erschließen, kennzeichnen auch Robert Stockhammers Beitrag zum Tagungsband, »The Techno-Magician: A Fascination Around 1900«. Dessen besonderes Verdienst ist es, dass er gerade auch das Verwischen der Grenze zwischen Begriffen wie ›Magie‹ und ›Technik‹ theoretisiert. Dabei bedient sich Stockhammer der Denkfigur der doppelten Verneinung; es geht darum, »what magic is not not« (S. 168): Magie ist nicht das Gegenteil von Psychologie und auch nicht das Gegenteil von Technologie oder Naturwissenschaft, jedenfalls nicht in den Texten der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, die im Mittelpunkt von Stockhammers Untersuchung stehen. Die für diesen Zeitraum charakteristische Vorstellung einer ›unwissenschaftlichen Wissenschaft‹ (»unscientific science«, S. 172) führt den Autor dabei zu grundsätzlicheren Reflexionen über die Rolle der Literatur in der Rekonfiguration des Magischen um 1900. Hervorgehoben wird dabei insbesondere der Aspekt der Schriftlichkeit, der als neuer Faktor (wie neu er wirklich ist, wäre aus Sicht einiger anderer Autoren vermutlich diskussionsbedürftig) neben ursprünglich mündliche, rituelle und/oder theatrale Formen des Magischen tritt. Die von Stockhammer untersuchten Referenztexte, namentlich Villiers’ L’Eve Future (1886), transferieren das Magische in den Bereich der Narrativik und leisten damit einen wesentlichen Beitrag zum Magieverständnis, ebenso aber auch zum Literaturbegriff ihrer Epoche.

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Die etwas irritierend »Scientific Perspectives« benannte Abteilung (weder sind die Autoren Naturwissenschaftler noch argumentieren sie aus einer in irgendeinem Sinne als naturwissenschaftlich zu bezeichnenden Position heraus) bietet mit Dirk Vanderbekes »›Science is magic that works‹: The Return of Magic in Literature on Science« einen weiteren Aufsatz der viel dazu beiträgt, die Problematik der bzw. einiger der im Titel des Bandes aufgezählten Begriffe und ihres Verhältnisses zueinander zu erschließen. Ähnlich wie Schiemann geht es Vanderbeke vor allem um die Begriffe science und magic, spezieller um die Dichotomie zwischen wahr und falsch, die eine naiv verstandene Aufklärung direkt auf die Unterscheidung zwischen Magie und vermeintlich ›harter‹ Wissenschaft projiziert. Demgegenüber zitiert Vanderbeke James Frazer, der bereits 1922 darauf hinweist, dass Zauberei in dem Moment zur Wissenschaft wird, in dem sie sich als »wahr«, d.h. effektiv und nützlich, erweist (»[…] were magic ever to become true and fruitful, it would no longer be magic but science.« 2 ). Diesen pragmatischen Ansatz stellt Vanderbeke selbst allerdings in Frage, da er mindestens drei wichtige Punkte vernachlässige:

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a) Within cultures based on a belief in magic the conviction in the practical effects of magic were probably equally strong as ours in the useful application of science. b) Wrong theories can lead to useful knowledge and practical results. c) Science itself is historically contingent. (S. 212)
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Die historische Kontingenz des Begriffs ›Wissenschaft‹ zieht eine ebensolche Kontingenz seines vermeintlichen begrifflichen Gegenpols, der Magie, nach sich. In der (vorwiegend englischen) Literatur der Gegenwart, so Vanderbeke, wird die Familienähnlichkeit zwischen den beiden auf zwei verschiedene Weisen instrumentalisiert: naturwissenschaftliche Entdeckungen werden entweder zur Bestätigung vermeintlich vorwissenschaftlicher ›magischer‹ Konzepte verwendet oder als Anzeichen dafür interpretiert, dass ein wie auch immer gearteter Wissenszuwachs letztendlich nicht existiert: verschiedene Theorien und Erzählungen lösen einander lediglich ab. In beiden Fällen, so scheint es, ergibt sich letztendlich ein anti-aufklärerischer Impuls, der dem des magischen Realismus, wie ihn Walter Göbels Beitrag zu MacElroy Ansa beschreibt, nicht unähnlich ist.

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Der interessierte Laie

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Neben den drei bereits genannten, programmatischen Beiträgen bietet die dritte und längste Abteilung von Magic, Science, Technology, and Literature noch einen Beitrag Jarmila Mildorfs zur Darstellung der Biochemie in Sinclair Lewis’s Arrowsmith (1925) und einen von Elmar Schenkel zur vierten Dimension in der Literatur. Beide sind thematisch orientierte close readings heute eher weniger beachteter Werke der englischen bzw. amerikanischen Literatur, die weitgehend ohne konzeptuelle Überlegungen auskommen. Mildorf widmet sich der Frage, wie die arkane Welt der Biochemie dem impliziten Leser von Lewis’ Arrowsmith nähergebracht wird und argumentiert, dass dies über eine Bildersprache der Magie geschehe, die naturwissenschaftliche Sachverhalte zugänglicher und auch für den Laien ansprechend mache, wobei durchaus auch die negativen Konnotationen des Magischen auf die Naturwissenschaft übertragen werden. Die Vermischung der beiden Diskurse, so Mildorf, habe in der westlichen Welt eine lange Tradition – kein besonders neuer oder aufregender Befund; fraglich ist auch, ob es wirklich einen ausführlichen Forschungsbericht zu Arrowsmith braucht, um der Argumentation des Artikels folgen zu können. Mit dem Laientum, dem Nicht-Wissen, Nicht-Können, Nicht-Initiiertsein greift Mildorf einen durchaus interessanten und von den anderen Beiträgen eher vernachlässigten Aspekt gerade des Verhältnisses zwischen Literatur und Naturwissenschaft heraus; schade nur, dass dieser im Verlaufe des Artikels immer mehr in den Hintergrund rückt. Das Fazit – die klischeehafte Darstellung sowohl der Naturwissenschaft als auch des Magischen helfe dem Leser dabei, seine eigenen Vor- und Fehlurteile zu korrigieren – bleibt dementsprechend schwach.

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Elmar Schenkels Beitrag bietet zunächst eine Art Ideengeschichte der vierten Dimension im ausgehenden 19. Jahrhundert, um dann die Verbreitung des Konzepts in der englischen Literatur des selben Zeitraums zu beleuchten. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um eine deskriptive Bestandsaufnahme, die sich wenig Gedanken darüber macht, warum die Vorstellung einer vierten Dimension auf H.G. Wells und seine Zeitgenossen eine solche Faszination ausübte. Der abschließende Versuch, die vierte Dimension als inhaltlichen Aspekt eines Romans (The Inheritors (1901), eine Kollaboration zwischen Joseph Conrad und Ford Madox Ford) mit bestimmten innovativen erzählerischen Verfahren in Verbindung zu bringen, wirkt wenig überzeugend.

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It’s magic: Wer erbt den Zauberstab?

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Hans Ulrich Seebers Beitrag »Magic and Literary Fascination: The Return of Magic in Art and the Aesthetics of Fascination« eröffnet die letzte Abteilung des Buches, »Media Differences«. Seeber untersucht die Verbindung von Magie und Literatur innerhalb einer ›Ästhetik der Faszination‹: »Fascination is a characteristic of magic and of art.« (S. 236) Er systematisiert zunächst diejenigen Punkte, die Dichtung und Magie aus seiner Sicht verbinden oder zumindest einander ähnlich machen. Dabei legt er besonderes Gewicht auf eine affektive Theorie der Literatur, die ihre zerstörerische, verstörende Wirkung auf den Leser ebenso berücksichtigt wie ihre heilsame Kraft (»healing powers«, S. 229). Die ›Ästhetik der Faszination‹ ist ein grundsätzlich säkulares Gedankengebäude (oder vielmehr: ein Verbund unausgesprochener Annahmen), deren Wurzeln allerdings im Magisch-Übernatürlichen liegen. Sie nimmt eine grundsätzliche Trennung zwischen Naturwissenschaft und Technik auf der einen und Magie und Sprache auf der anderen Seite vor. Während erstere ins Nicht-Sprachliche streben, haben letztere keine außersprachliche Existenz: »[…] unlike science and technology which aim at doing way with natural lan­guage altogether, magic and literary art rely on the power of evocative, poetically organised language to overwhelm and enchant the recipient.« (S. 236)

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Als einer der theoretisch dichtesten des gesamten Bandes leistet Seebers Artikel einen wesentlichen Beitrag zur systematischen Erschließung des Forschungsfelds, das der Titel des Buches umreißt. Dessen sich so selbstverständlich gebende Begriffskette – magic, science, technology, and literature – wird durch seinen Beitrag allerdings noch problematischer als sie es ohnehin schon ist. Wenn Naturwissenschaft und Technologie sich so grundlegend von Magie und Literatur unterscheiden, wie Seeber (durchaus einleuchtend) postuliert, welchen Sinn macht dann das Thema des Bandes als ganzes, welchen Sinn macht es dann, das Begriffskonglomerat so gut wie ausschließlich von Literaturwissenschaftlern bearbeiten zu lassen? Antworten auf diese Fragen sind durchaus denkbar; sie werden vom vorliegenden Band jedoch nicht ansatzweise geliefert. Stattdessen findet sich Seebers Plädoyer für die spezifische Affinität zwischen Literatur und Magie in einer Abteilung namens »Media Differences«, neben zwei Artikeln, die das ›Magische‹ an Film und Musik untersuchen, an einem nicht ausschließlich sprachlichen und einem außersprachlichen Medium also.

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Johann N. Schmidts »Magic and the [sic] Film« präsentiert das Bild als Schnittpunkt zwischen Wissenschaft und Magie, zwischen Realität und Täuschung. Die Bilderfolgen des Films werden durch Technologie erst möglich, bringen aber Effekte hervor, die vom Rezipienten als »magisch« (magic – ein in der anglo-amerikanischen Alltagswelt, aber auch von einigen Beiträgern dieses Bandes definitiv überstrapaziertes Wort) empfunden werden. Nicht zufällig ist einer der wichtigsten Vorläufer des Filmprojektors die laterna magica. Schmidts klar argumentierender Aufsatz präsentiert den Film als Kombination aus realistischen und illusionistischen, entmaterialisierenden Effekten und insofern als Schnittstelle zwischen Magie und Technologie: »[Film] is the demarcation line where magic profits from technology and technology unveils its portion of fantasy, affectivity, and visual magic. This lies at the heart of the sense of wonder which has played such an important role ever since the early times of cinema.« (S. 245) Mit dieser Sicht auf das Medium Film verbindet Schmidt eine Kritik an der Rhetorik der Authentizität, die am Film vor allem sein Potential zur Manipulation und zur Täuschung hervorhebt: Illusion ist das eigentliche Wesen des Kinos und kann ihm insofern, so Schmidt, nicht zum Vorwurf gemacht werden. Mit der Lokalisierung des Magischen im Bild liefert Schmidts Aufsatz eine wertvolle Ergänzung zu den anderen, fast durchweg schriftzentrierten Beiträgen des Bandes. Walter Windisch-Laubes abschließender Beitrag über die Windharfe (Aeolian harp) in der Musikgeschichte hingegen lässt kaum einen Bezug zum Thema des Bandes erkennen; der Leser muss sich zudem durch einen Text kämpfen, dem man ein sorgfältiges Lektorat durch einen englischen Muttersprachler gewünscht hätte. Die Schlachten um die Wissenschaftssprache Deutsch sind geschlagen, und der vorliegende Band macht deutlich, mit welchem Erfolg: 14 der 16 Autoren sind Deutsche, die sich des Englischen als einer Fremdsprache bedienen. Gelegentlich ist das offensichtlicher, als den Beiträgern lieb sein kann.

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Die Gattung »Tagungsband« ist eine notorisch schwierige. Qualität und inhaltliche Ausrichtung der einzelnen Beiträge liegen in der Verantwortung der jeweiligen Autoren und sind dem Einfluss der Herausgeber faktisch weitgehend entzogen. Trotzdem sei hier noch einmal gesagt, dass das Buch von einer ambitionierteren Einleitung sehr profitiert hätte. Auch die Gruppierung der einzelnen Aufsätze in Abteilungen und die Anordnung dieser Abteilungen innerhalb des Bandes erscheinen zumindest der Rezensentin alles andere als zwingend. Das Buch hätte insgesamt gewonnen, wenn die eher systematisch orientierten Aufsätze (Schiemann, Seeber, Stockhammer, Vanderbeke) an den Anfang gezogen worden wären. Fraglich ist allerdings, ob Magic, Science, Technology, and Literature überhaupt als Band im Sinne eines zusammenhängenden Verbunds von Einzeluntersuchungen gelesen werden will. In der vorliegenden Form erweckt das Buch eher den Eindruck einer im Wesentlichen pragmatisch motivierten Sammelpublikation. Die Leistung der einzelnen Autoren schmälert das nicht, wohl aber die der Herausgeber.

 
 

Anmerkungen

William Shakespeare: The Tempest. Hg. von Stephen Orgel. Oxford: Oxford University Press 1987, S. V, 1, 49.   zurück
James George Frazer: The Golden Bough [abridged edition, 1922]. New York: Touchstone 1996, S. 57.   zurück