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Die kunsthistorischen Forschungen der letzten Jahre zu Leonardo da Vincis heute im Louvre in Paris aufbewahrten Porträt der Mona Lisa sind mehrheitlich zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei der Dargestellten tatsächlich um die Florentiner Kaufmannsgattin Lisa del Giocondo handelt. Hauptquelle dieser Zuschreibung ist der florentinische Architekt und Kunsthistoriker Giorgio Vasari, der 1550 und 1568 eine Biographie Leonardo da Vincis veröffentlicht hat. Giuseppe Pallantis Ziel ist es nun, Mona Lisa und ihren Mann Francesco del Giocondo sowie ihre Vorfahren und Nachkommen auf der Basis der reichen Überlieferung in florentinischen Archiven lebendig werden zu lassen. Dabei kann er sich auf bereits bekannte Archivalien, aber auch auf etliche Neufunde stützen.
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Das Buch gliedert sich in drei Teile. Es setzt mit einem Abriss der Geschichte von Florenz im 15. und 16. Jahrhundert ein. Dann werden die Familien von Lisa und Francesco, ihre Heirat und das, was man bis zu ihrem Tode und über ihre Nachkommen weiß, dargestellt. Schließlich untersucht Pallanti, in welcher Weise seine Forschungen bestätigen, dass es sich bei Leonardos Modell tatsächlich um Mona Lisa handelt.
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Florenz im 15. und 16. Jahrhundert
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Anfang des 15. Jahrhunderts lebten etwa 60.000 Menschen in Florenz, einer der größten europäischen Städte der Zeit. Aus dem Kreis der Oligarchie, die 1378 die republikanische Staatsform unterdrückt hatte, gingen im 15. Jahrhundert die Medici als Alleinherrscher der Stadt hervor, unter ihnen Cosimo (1389–1464) und Lorenzo (1449–1492). Zwei Jahre nach Lorenzos Tod mussten die Medici die Stadt verlassen, und Florenz wurde bis zu ihrer Rückkehr 1512 wieder Republik. 1527 erneut vertrieben, eroberten die Medici 1530 die Stadt wieder und sollten sie die nächsten etwa 200 Jahre beherrschen. 1537 wurde Cosimo I. Herzog von Florenz. Nach 1554 stand der 1511 in Arezzo geborene Giorgio Vasari in seinen Diensten. Unter seiner Aufsicht wurde zwischen 1563 und 1565 die Sala Grande im Palazzo Vecchio umgestaltet. Diesem Umbau fiel Leonardo da Vincis 1503 begonnenes und 1506 unvollendet zurückgelassenes Wandgemälde der Schlacht von Anghiari zum Opfer.
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Die Familien Gherardini und Giocondo
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Lisa Gherardini wurde am 15. Juni 1479 in Florenz geboren. Sie entstammte einer adligen Familie aus dem Chianti, weshalb ihr die Anrede Monna (Kurzform von Madonna) zukam. Die Gherardini-Dynastie verfügte noch über einigen Grundbesitz, von dessen Zinsen sie lebte, war aber längst im wirtschaftlichen Niedergang begriffen. Wie viele Familien aus dem ländlichen Umfeld von Florenz leisteten sich auch die Gherardinis nur bescheidene Wohnungen in der Stadt. 1495 wohnte Lisa in der Via de Buonfanti in der Nähe von Leonardos Vater Piero da Vinci, einem angesehenen Notar.
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Francesco del Giocondo wurde am 19. März 1465 in der gleichen Stadt geboren. Sein Vater Bartolomeo hatte als Seidenhersteller und -verkäufer großen wirtschaftlichen Erfolg. An diese Tradition konnte Francesco mit nicht immer lauteren Mitteln anschließen; unter anderem wurde er des Wuchers angeklagt. Francescos herausgehobene wirtschaftliche Stellung führte dazu, dass er auch politisch in der Stadt aktiv war. Sein Lebenszentrum war die Via della Stufa in Florenz.
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Francesco del Giocondo hatte 1491 Camilla Rucellai aus angesehener Florentiner Familie geheiratet. Sie starb bereits am 24. Juli 1494. Im März 1495 heirateten Lisa, die von ihrem Vater ein Landgut als Mitgift erhielt, und Francesco, alter Adel und neues Geld. Dem Paar wurden in der Folge sechs Kinder geboren. Am 29. Januar 1537 machte Francesco sein Testament und starb etwa ein Jahr später. Lisa zog sich in der Folge wohl wegen ihrer sich verschlechternden Gesundheit ins Kloster Sant’Orsola zurück, das sie schon länger mit Zuwendungen bedacht hatte und wo 1521 ihre jüngste Tochter Marietta als Suor Ludovica eingekleidet worden war. Mona Lisas Tod kann Pallanti für den 15. Juli 1542 belegen; sie wurde unter großer Anteilnahme im Kloster selbst begraben. Nach Francescos Tod setzte ein rapider wirtschaftlicher Niedergang der Familie Giocondo ein.
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Die Identität der Mona Lisa
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Die Hauptquelle für die Identifizierung von Lisa Gherardini, verheiratete Giocondo, als Leonardos Modell sind die Lebensbeschreibungen der hervorragendsten italienischen Baumeister, Maler und Bildhauer, die in erster Auflage 1550 und in zweiter 1568 erschienen sind. Vasari berichtet darin, Francesco del Giocondo habe Leonardo damit beauftragt, das Porträt seiner Ehefrau Mona Lisa zu malen. Der Künstler habe vier Jahre daran gearbeitet, ohne es zu vollenden. Vasari beschrieb das Bild ausführlich, obwohl er es nie gesehen hatte, und gab zutreffend an, dass es sich jetzt im Besitz des französischen Königs in Fontainebleau befinde. Verschiedene Aussagen späterer Zeitzeugen zu dem Bild widersprechen diesen Angaben, erweisen sich aber als nicht stichhaltig.
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Innerhalb Leonardos Biographie kommen nur die Jahre 1503 bis 1506, während deren er sich in Florenz aufhielt, als Zeitfenster für die Anfertigung des Porträts infrage, was sich mit Vasaris Angaben deckt. Eine unlängst entdeckte Marginalie vom Oktober 1503, die angibt, dass Leonardo zu dieser Zeit unter anderem an einem Porträt der Mona Lisa arbeitete, erhärtet dies.
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Der Anlass für den Porträtauftrag durch Francesco, für den es keine schriftlichen Belege gibt, waren wohl die Geburt des zweiten Sohnes Andrea im Dezember 1502 sowie der Kauf eines weiteren Hauses in der Via della Stufa Anfang 1503. Leonardo da Vinci und die Familie del Giocondo wohnten in dieser Zeit in unmittelbarer Nähe. Als wichtigstes Bindeglied zwischen dem Künstler und seinem Modell kann Pallanti das Servitenkloster Santissima Annunziata in Florenz namhaft machen. Hier befand sich das Familiengrab der Giocondo, und Francesco machte mit dem Kloster Geldgeschäfte. Leonardos Vater Piero, der am 9. Juli 1504 starb, war der Rechtsbeistand des Klosters, und der Sohn sollte ein Bild für den Hauptaltar malen. Ab dem Jahr 1500 wohnte Leonardo deshalb längere Zeit im Kloster, bis er in die Nähe der Via della Stufa umzog.
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Giorgio Vasari hielt sich zwischen 1524 und 1536 oft in Florenz auf. Ab etwa 1540 begann er mit den Vorarbeiten für seine Lebensbeschreibungen. Es ist somit möglich, dass er Francesco und Mona Lisa oder aber ihre zahlreichen Nachkommen gekannt und zu dem Bild befragt hat. Auch über die Verhältnisse im Kloster Santissima Annunziata war Vasari sehr gut unterrichtet. Während er in der zweiten Auflage der Lebensbeschreibungen an verschiedenen Stellen Fehler korrigierte, blieb dort das Kapitel über das Porträt der Mona Lisa unverändert. Auch dies ist ein Indiz dafür, dass Vasaris Aussagen von Anfang an korrekt waren und nicht angezweifelt werden mussten.
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Es ist Giuseppe Pallanti gelungen, durch gründliches Archivstudium zu zeigen, dass es sich bei Mona Lisa und ihrem Ehemann Francesco del Giocondo mitnichten um Phantome, sondern um in Florenz um 1500 lebende Personen handelt, die, wie auch ihre Vorfahren und Nachkommen, in den Quellen der Zeit reichliche Spuren hinterlassen haben. Diese Quellen lassen auch erkennen, dass die Familie Giocondo einerseits und Piero da Vinci sowie sein Sohn Leonardo andererseits unmittelbar nach 1500 im gleichen Bezirk der Stadt Florenz lebten und mit großer Sicherheit miteinander bekannt waren. Da ein schriftlicher Porträtauftrag fehlt beziehungsweise möglicherweise nie existiert hat, kommt diesem Sachverhalt, der eine direkte persönliche Verbindung zwischen Maler und Modell sehr wahrscheinlich macht, große Bedeutung zu. Das Buch ergänzen verschiedene Tafeln, unter anderem Stammbäume von Lisa und Francesco, sowie eine Edition seines lateinischen Testaments mit deutscher Übersetzung.
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