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Ein Ausstellungskatalog als »Faksimile-Ersatz«
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Die Ottheinrich-Bibel – eines der spektakulärsten Erzeugnisse der Buchkunst aus der Umbruchzeit zwischen dem ausgehenden Mittelalter und der frühen Neuzeit – ist erst in den letzten Jahren in den Blick einer breiteren Öffentlichkeit geraten und hat im Jahre 2008 durch die endgültige Zusammenführung aller ihrer Teile in der Bayerischen Staatsbibliothek in München geradezu den Status eines »Kult-Objekts« erworben, dem nun eine auf insgesamt drei Jahre ausgedehnte Ausstellungstour von München (2008) über Frankfurt am Main und Berlin (2009), Gotha und Bamberg (2010) Rechnung trägt. Zur Ausstellung, die an verschiedenen Orten jeweils neu zusammengestellte Einzel- und Doppelseiten des heute aus acht Teilbänden bestehenden Monumentalwerks präsentiert, ist ein repräsentatives Begleitbuch erschienen, das dieses »erste illustrierte Neue Testament in deutscher Sprache« in seiner Gesamtheit umfassender würdigt als alle älteren Publikationen zum Thema.
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Zum Stand der Forschung
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Aufgrund ihrer verwickelten Besitzgeschichte war es einer ganzen Generation von Germanisten und Kunsthistorikern spätestens seit Beginn des Zweiten Weltkriegs, vielleicht abgesehen von einigen Einzelfällen, kaum mehr möglich, die Handschrift in ihrer Gesamtheit im Original untersuchen zu können. Damit ist wohl auch zu erklären, dass seither nur noch selten umfassendere Studien zu ihrer Geschichte, ihrem Text und ihrer aufwendigen Ausstattung entstanden, obgleich wenigstens einzelne Teile gerade in den letzten Jahrzehnten immer wieder bei Ausstellungen gezeigt wurden.
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Die neue Aufmerksamkeit, die diesem ehemals einbändigen Codex seit kurzem in allen Medien reichlich zuteil wird, ist zwei zeitlich naheliegenden, jedoch nicht unmittelbar miteinander in Verbindung stehenden Umständen zu verdanken: Der Faksimilierung ihres ersten, als Cgm 8010/1.2. in der Bayerischen Staatsbibliothek verwahrten Teiles im Jahre 2002
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sowie dem Erwerb der fünf bislang noch in Privathand befindlichen Teile im Jahre 2008, mit dem der gesamte Textcorpus endgültig in der Bayerischen Staatsbibliothek zusammengeführt wurde.
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Zu diesem Anlass, sicherlich aber auch zur öffentlichen Rechtfertigung und Würdigung des Ankaufs der bislang fehlenden Teilbände durch private Geldgeber sowie die Kulturstiftung der Länder wurden und werden noch immer die einzelnen Teilbände in einer Reihe von Ausstellungen präsentiert. Hierzu ist der vorzustellende Band als Begleitbuch konzipiert; er dokumentiert gleichzeitig als Heft 334 der Reihe PATRIMONIA die wesentliche Beteiligung der KulturStiftung der Länder an der Erwerbung der bislang noch im Besitz der Sammlungen der Herzog von Sachsen Coburg und Gotha’schen Stiftung für Kunst und Wissenschaft verbliebenen Teile der Ottheinrich-Bibel.
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Ausstellungskatalog – Kurzkommentar – Bildbestandsrepertorium
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Bei aller Sorge um den optimalen Erhalt des Originals stellt sich die Bayerische Staatsbibliothek in einem mitunter schwierigen Spagat offensiv der Verpflichtung zur wissenschaftlichen Erforschung wie zur – kulturelle Identität stiftenden – Vermittlung an die Öffentlichkeit,
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betont Rolf Griebel, der Generaldirektor der Bayerischen Staatsbibliothek, im Vorwort des ungewöhnlich umfangreichen und opulent bebilderten Katalogs (S. 7). Dieser doppelten Zielsetzung trägt der Begleitband bewusst Rechnung, indem er in einer ersten Abteilung (S. 15–69) insgesamt 28 Blätter (12 einzelne, 8 Doppelseiten) aus allen acht Teilbänden in seitengroßen, auf 62 % der Originalgröße
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verkleinerten Bildwiedergaben präsentiert und diese jeweils eingehend erläutert. Es handelt sich um jene Blätter, die in wechselnder Zusammensetzung in den von 2008 bis 2010 stattfindenden Ausstellungen präsentiert werden.
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Daran schließen sich in einer zweiten Abteilung eine Reihe von Aufsätzen an, die sich unter verschiedenen Blickwinkeln mit der Handschrift beschäftigen (S. 73–113). Die einzelnen, teilweise von den Verfassern des Faksimile-Kommentars von 2002 und der Münchener Ausstellung desselben Jahres betreuten oder aber deren Textbeiträge einer »extensiven Nachnutzung« unterziehenden Aufsätze (S. 10) sind bewusst für eine breitere Leserschaft gedacht und verzichten deshalb durchgängig auf einen Anmerkungsapparat bzw. eine eingehendere Auseinandersetzung mit der bereits vorliegenden Spezialliteratur, doch wird diese durch ein thematisch gegliedertes Literatur- und Bildquellenverzeichnis sowie einen Index der illuminierten Bibelstellen (S. 211–215) und insbesondere bei Heranziehung des Kommentars zur Faksimile-Edition durchaus ermöglicht.
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Mit Nachdruck herauszuheben ist schließlich die dritte Abteilung des Bandes (S. 115–203), in der alle Miniaturen der Ottheinrich-Bibel sowie die wichtigsten Zierinitialen in ihrer Abfolge in farbigen Abbildungen erscheinen. Zusammen mit einer jeweils beigefügten Kurzbeschreibung unter Angabe der illustrierten Textstelle und des Malers ergibt sich ein vollständiger Bild-Katalog, der im Zusammenhang mit dem leider etwas kargen Aufsatz zur »Kodikologie und Restaurierung der Ottheinrich-Bibel« von Luise Karl, Christl Beinhofer und Irmhild Schäfer (S. 83–85) gesehen werden muss. Hier wäre eine eingehendere kodikologische Beschreibung der Handschrift, etwa mit tabellarischer Übersicht über die Abfolge der Miniaturen in den einzelnen Teilbänden, weitaus hilfreicher gewesen, hätte der interessierte Benutzer doch auf einen Blick die quantitative Verteilung der Textillustrationen über die einzelnen Biblischen Bücher des Neuen Testaments, das jeweils dargestellte Bildthema und die zugehörige Textstelle sowie den Anteil der jeweils ausführenden Buchmaler übersehen können.
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Teilung und Wiedervereinigung. Eine spannende Entstehungs- und Besitzgeschichte
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Selbst wenn inzwischen die wesentlichen Etappen der Entstehungs- und Ausstattungsgeschichte der Handschrift sowie ihre wechselnden Aufbewahrungsorte bekannt sind, erscheint ein kurzer Blick auf die wechselhaften und verwirrenden Geschicke der Bibel sinnvoll.
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Der Auftrag zur Bibel geht auf Herzog Ludwig VII. von Bayern-Ingolstadt (1368–1449) zurück. Der gesamte deutsche Text wurde von einem in Diensten des Herzogs stehenden Schreibers in Ingolstadt um 1430 kopiert und durch ausgesparte Freiräume von Anfang an für eine außergewöhnlich umfangreiche, durchgehende Illuminierung bestimmt. Als die hauptsächlichen Vorbilder für eine bislang niemals auch nur annähernd ebenso üppige Bebilderung eines Neuen Testaments in deutscher Sprache nimmt Brigitte Gullath zu Recht nicht allein die intensive Auseinandersetzung Ludwigs VII. mit der zeitgenössischen Buchkultur in Frankreich, besonders am Hof des Herzogs von Berry an. Gewissermaßen als »Nachahmungsmodell« dürfte daneben auch die etwa zwischen 1389 und 1395 für König Wenzel IV. von Prager Hofilluminatoren ausgestattete Wenzelsbibel
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, die das Alte Testament in deutscher Übersetzung bietet, gedient haben. Ludwig VII. könnte sie bei seinen in den Quellen belegten Aufenthalten in Prag (1395) oder in Ungarn (zwischen 1422 und 1425) gesehen haben. Der Auftrag zur Illuminierung erging an drei verschiedene Regensburger Buchmalereiateliers, doch wurde die Ausstattung noch vor Vollendung des Markus-Evangeliums abgebrochen, ohne dass gesicherte Gründe dafür vorlägen.
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In diesem Zustand, allerdings vermutlich bereits gebunden, gelangte die Handschrift im Erbgang über Herzog Heinrich von Landshut schließlich an Ruprecht von der Pfalz und nach dessen Tod an Ottheinrich, den (Mit-)Regenten des Herzogtums Pfalz-Neuburg. Dieser beauftragte Anfang des Jahres 1530 den Lauinger Maler Mathis Gerung, die Illuminierung des Codex weiter zu führen. Dazu sind zwei Verträge überliefert, dessen zweiter am 24. September 1531 die noch ausstehende Ausmalung der Apokalypse regelte.
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Damit ist nach nahezu einem Jahrhundert die Illuminierung der Handschrift abgeschlossen. Diese wurde mutmaßlich bis 1544 in der Bibliothek Ottheinrichs in Neuburg an der Donau aufbewahrt und gelangte – über einen kurzen Zwischenaufenthalt in der Stiftsbibliothek – in die Heidelberger Schlossbibliothek zurück, wie Nachrichten aus der 2. Hälfte des 16. und des frühen 17. Jahrhunderts belegen (S. 78). Nach der Eroberung Heidelbergs 1622 kam die Handschrift nach München, entging allerdings dem Abtransport der Bibliotheca Palatina nach Rom. Vermutlich bei der Besetzung Münchens durch das schwedische Heer im Jahre 1632 wurde die Ottheinrich-Bibel zusammen mit ihrer »Schwesterhandschrift«, dem als Furtmeyr-Bibel bekannten Alten Testament (Cgm 8010a), als Kriegsbeute über Weimar nach Gotha verbracht und dort in der Schlossbibliothek der Herzöge von Sachsen-Gotha aufbewahrt und – anlässlich einer Neubindung in den 1860er Jahren – in acht Teilbände zerlegt, die gemeinsam in einer Hülle aufbewahrt wurden.
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Ein historischer Einband als Leihgabe
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Diese Einbandhülle
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, die als Relikt eines älteren Einbandes der Gesamthandschrift erst vor einigen Jahren in der Forschungsbibliothek Gotha aufgefunden wurde und heute als Dauerleihgabe der Universität Erfurt ebenfalls in der Bayerischen Staatsbibliothek aufbewahrt wird, stellt Brigitte Gullath eingehend vor (S. 70–71). Sie kann zwar keinesfalls als ein Meisterwerk der Einbandkunst gelten, und doch handelt es sich bei dem wohl nach der Trennung der Handschrift in acht Teile zusammengefügten Konglomerat von einzelnen Bestandteilen um ein historisches Zeugnis, das die gewaltigen Dimensionen des ursprünglich einbändigen Bibelwerkes widerspiegelt und gleichzeitig die Besitzgeschichte des Bandes in kolorierten Wappenzeichnungen, einem Exlibris, alten Signaturen und einer Beschreibung der Handschrift aus dem 19. Jahrhundert dokumentiert. Schade nur, dass der Wortlaut dieser historischen Beschreibung des Codex im Text keine Berücksichtigung findet und im Katalog auch nicht abgebildet wird.
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Das Schicksal der Bibel in den letzten 100 Jahren
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Kurz nachdem die Bibel 1928/34 mit den Herzoglichen Kunstsammlungen in die neugegründete Herzog von Gotha’sche Stiftung für Kunst und Wissenschaft überführt wurde, gelangten auf dem Weg eines Tauschs gegen zwei Porträts Lucas Cranachs d. Ä.
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fünf Teilbände der Bibel als Leihgaben in das Kurpfälzische Museum in Heidelberg, wo sie über den Zweiten Weltkrieg hinaus verblieben, während mit einem Teil des Handschriftenbesitzes des Hauses Sachsen-Gotha auch die zunächst in Gotha verbliebenen drei Teilbände 1, 2 und 7 nach Coburg geflüchtet wurden; sie wurden schließlich 1950 von der Bayerischen Staatsbibliothek erworben. Der immer noch in Heidelberg befindliche Teil der Bibel musste 2001 im Zuge von Rückgabeverhandlungen vom Kurpfälzischen Museum an das Herzogliche Haus Sachsen-Coburg und Gotha rückerstattet werden. Da ein Eintrag der Bände in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes in der Folge nicht gelang, eröffnete sich dem Besitzer des Codex die Möglichkeit, seine fünf Teilbände über das Auktionshaus Sotheby’s in London am 4. Dezember 2007 zum Verkauf anzubieten als »one of the finest manuscripts in existence, western or oriental«.
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Kurz vor dem Auktionstermin gelang es schließlich »dem Freistaat Bayern nach intensiven Verhandlungen, die Bände 3 bis 6 und 8 der Ottheinrich-Bibel für die Bayerische Staatsbibliothek zu erwerben« (S. 80). Nachdem auch der Einband des 19. Jahrhunderts von der Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt / Gotha als Leihgabe der Staatsbibliothek überlassen wurde, ist die Ottheinrich-Bibel in München wieder vereint und Anlass für die Ausstellungstour und das zugehörige Begleitbuch.
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»Was macht die Ottheinrich-Bibel so besonders?«
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Von dieser Frage ausgehend, erörtert Elisabeth Wunderle in einer konzentrierten, auf die wesentlichen Entwicklungen beschränkten Darstellung zunächst den Text der Handschrift (S. 87–92). Dabei streift sie die wichtigsten Stationen der Bibelübersetzung, die einen ersten Höhepunkt in der Karolingerzeit erfuhr und sich – nach einer längeren Periode nachlassender Bemühungen um weitere Eindeutschungsversuche – vor allem im 14. und 15. Jahrhundert wieder intensivierte. Diesen Bemühungen ist auch die Textgestalt der Ottheinrich-Bibel zuzurechnen. Unter Berufung auf grundlegende Untersuchung stellt die Verf. die in nordbairischer Mundart geschriebene und 1350 datierte Augsburger Bibel als Grundlage der vorliegenden Textfassung heraus, zu der sich zwei kurze Zeit später entstandene Nachträge gesellen. Freilich ist die Übersetzung der Ottheinrich-Bibel durchaus nicht mit dem – im übrigen völlig schmucklosen – Übersetzungsvorbild identisch. Gewisse Umarbeitungstendenzen gehen vor allem auf eine Textfassung zurück, deren Zeugnisse einer sogenannten »Gruppe s« zugewiesen werden können, wie Elisabeth Wunderle an verschiedenen Textvergleichen nachweisen kann.
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Doch selbst im Vergleich mit dieser überarbeiteten Textfassung ergeben sich signifikante Abweichungen, die nicht allein die Einfügung der Illustrationen betreffen. Da diese gerade auf jene Bibelstellen folgen, die in den Evangelienlesungen des Gottesdienstes Berücksichtigung finden, liegt die Vermutung nahe, Ludwig der Bärtige habe als Auftraggeber der Bibel »ein vollständiges Neues Testament gewollt [...], welches Bezüge herstellt zum gottesdienstlichen Rahmen und zur Liturgie«, vielleicht um »als Gottesdienstbesucher die lateinischen Lesungen in seiner deutschen Übersetzung mitzulesen, wenn sie in der mittelalterlichen Messe lateinisch vorgetragen wurden.«
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Dass der Herzog sich einer idiomatisch fortschrittlichen, gegenüber dem lateinischen Vulgatatext freieren, in der besseren Verständlichkeit geradezu »modernen« Textversion bedienen konnte, belegt Wunderle an weiteren Textvergleichen. In diesem Sinne ist die deutsche Übersetzung des Neuen Testaments in dieser Gestalt als einer der wichtigsten Vorläufer von Luthers Übersetzung des Neuen Testaments zu betrachten.
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Dem »Besonderen« an der Ottheinrich-Bibel, seiner überaus reichen künstlerischen Ausstattung mit 294 ornamentalen Deckfarbeninitialen und insgesamt 146 großformatigen Bildminiaturen, wendet sich Karl-Georg Pfändtner im anschließenden Beitrag zu (S. 99–113). Ausgehend von allgemeinen Bemerkungen zum Entstehungsprozess, der die maßgebliche Mitwirkung eines Konzeptors bei der Planung voraussetzt, wird die bei aller Vielgestaltigkeit und stilistischen Unterschiedlichkeit in der Bildgröße und Position der Miniaturen im Ergebnis dennoch homogene künstlerische Gestaltung trotz zweier etwa ein Jahrhundert auseinanderliegender Arbeitsprozesse herausgestellt. Einer der Gründe dafür dürfte in der Ausgangsplanung des Gesamtwerks liegen, bei dem bereits alle für Bildfelder vorgesehene Freiräume an genau vorherbestimmten Stellen des Textes ausgespart wurden. Hinzu kommen die überwiegend noch vorhandenen, teils ausführlichen Maleranweisungen in lateinischer Sprache, die von den beteiligten Künstlern freilich nicht immer getreu ins Bild gesetzt wurden.
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An den Miniaturen selbst sind die beiden Ausstattungsphasen deutlich abzulesen. Zunächst besorgten drei unabhängige, aber nebeneinander in Regensburg tätige Werkstätten die Ausstattung des Matthäus- und Markusevangeliums sowie der vorangestellten Hieronymusprologe. Die jeweiligen Hauptmeister der einzelnen Werkstätten werden nach den von ihnen maßgeblich ausgestatteten Textabschnitten als Hieronymus-, Matthäus- und Markusmaler bezeichnet, denen jeweils weitere Mitarbeiter zugeordnet werden. An ausgewählten Bildbeispielen zeigt Pfändtner dabei nicht nur die künstlerische Eigenart der beteiligten Künstler, unter denen auch Martinus Opifex als namentlich bekannter Maler nachgewiesen werden kann, sondern auch ihre künstlerische Herkunft. Sowohl für den Matthäus- wie den Markusmaler werden wesentliche Anregungen aus der Regensburger Werkstatt des Meisters der Worcester-Kreuzigung wahrscheinlich gemacht, die freilich von beiden Malern stilistisch unterschiedlich verarbeitet werden. Weitere Stileinflüsse weisen in technischer Hinsicht zurück auf den in Paris um 1405–1420 tätigen Boucicaut-Meister, aber auch auf die Kenntnis von Wiener und Prager Vorlagenmaterial (bes. S. 102–103). Für die meisten der an der ersten, wohl nach 1430 zu datierenden Ausstattungsphase beteiligten Maler sind übrigens weitere illuminierte Handschriften nachzuweisen, wie der Katalog unter Bezug auf die weitaus ausgedehnteren Studien im Faksimile-Kommentar von 2002 hervorhebt.
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Für die zweite, um 1530 begonnene und 1532 laut der Schlussschrift auf fol. 306r abgeschlossene Ausstattungsphase, die neben einigen im ersten und zweiten Teilband noch nicht ausgeführten Miniaturen die gesamte Ausstattung der restlichen Teilbände umfasst, sind wir weitaus besser informiert. Ausführender Miniator ist jeweils der in Lauingen tätige Maler Mathis Gerung (um 1500 – 1570), der gelegentlich von einem Gehilfen, möglicherweise einem Mitglied seiner Familie, unterstützt wurde. Seine häufig mit dem Monogramm MG bezeichneten und datierten Bilderfindungen, die wiederum auf den vorhandenen, aber selten ganz getreu ausgeführt Malanweisungen fußen, wurden durch Vorzeichnungen sorgfältig vorbereitet und stützen sich häufig auf druckgraphische Vorlagen, insbesondere die weit verbreiteten Holzschnitt- und Kupferstichfolgen Albrecht Dürers, Lucas Cranachs d. Ä. und Hans Burgkmairs d. Ä., die durchaus frei zitiert, kombiniert oder verändert werden können. Es ist dies ein eklektizistisches Verfahren, das in der gleichzeitigen Nürnberger Buchmalerei und anderswo ebenfalls weit verbreitet ist.
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Hinzu kommen freilich weitere Bildquellen, wie Pfändtner an treffenden Vergleichbeispielen aufzeigt. Bei Bildthemen wie den Wundern Jesu, den Gleichnissen, bei Darstellungen zu den neutestamentlichen Briefen und der Apostelgeschichte, für die sich eine eindeutige Bildikonographie noch nicht etabliert hatte und sich dementsprechend noch keine Vorlagen nachweisen lassen, tritt der Eigenanteil Gerungs an den Bildschöpfungen deutlich zutage. Ausgehend von diesen Befunden, die durch Verweise auf entsprechende Darstellungen in der Ottheinrich-Bibel und Vergleichsabbildungen aus dem Vorlagenmaterial überzeugend präsentiert werden, gelingen Pfändtner abschließend präzise Aussagen zu den besonderen Stil- und Kompositionsprinzipien Mathis Gerungs, der mit seinen Miniaturen an der noch immer unterschätzten reichen Spätblüte der süddeutschen Buchmalerei in der Renaissance ganz erheblichen Anteil hat.
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Die Monumentalität und Pracht der Bibel wird schließlich im eigentlichen Katalogteil des Bandes nicht allein durch die seitengroßen Abbildungen ausgewählter Einzel- und Doppelseiten deutlich; erst sinnfällig wird sie bei der Lektüre der jeweils beigefügten Begleitkommentare, die nicht allein eine inhaltliche und formale Beschreibung der Miniaturen leisten, sondern wenn immer möglich eine Transkription der Malanweisungen, farbige Detailabbildungen sowie Wiedergaben der jeweiligen graphischen Vorlagen zum unmittelbaren Vergleich bereitstellen. Vielfach tritt ein theologischer Kommentar hinzu, der eine weitere Dimension der Bildaussage eröffnet.
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Ein vollständiges Bildrepertorium in vorzüglichen Farbaufnahmen
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Naturgemäß ist die vorliegende opulente Publikation nicht in erster Linie für den Fachwissenschaftler, sondern für ein breites interessiertes Lesepublikum bestimmt, das nicht allein ein exzellentes Kunstwerk würdigen, sondern die Sinnfälligkeit des kostspieligen Erwerbes der in München noch fehlenden Teilbände deutlich zum Ausdruck bringen soll. Dennoch bietet der Band weit mehr, als von einem Ausstellungskatalog gemeinhin erwartet werden kann. Die einleitenden Aufsätze ebenso wie die Bildkommentare zu den vorzüglichen, deutlichen und weitestgehend farbgetreuen Abbildungen erschließen die Handschrift auf dem neuesten Stand der Forschung, indem sie die maßgeblich an der Erschließung beteiligten Wissenschaftler selbst zu Wort kommen lassen oder aber zumindest auf ihre in den jüngsten Fachpublikationen vorgelegten Erkenntnisse verweisen. Dank der farbigen Wiedergabe einer jeden Miniatur des Codex, sei es im Katalogteil oder aber in der Zusammenstellung am Ende des Buches, die manchmal in stärkerer Verkleinerung, oft aber auch ganzseitig jede einzelne Miniatur farbig abbildet und mit einer prägnanten Kurzbeschreibung versieht, wird sich in den allermeisten Fällen die Einsichtnahme in das hoch gefährdete Originalmanuskript, häufig auch in das ohnehin nur die ersten beiden Teilbände umfassende Faksimile erübrigen. Für eine weitere Beschäftigung mit der Ottheinrich-Bibel bieten vor allem das (freilich nur die wichtigsten Titel berücksichtigende) Literaturverzeichnis sowie das »Verzeichnis der Drucke, Gemälde, Graphiken, Handschriften und Plastiken«, das zwar die im Katalog genannten Denkmäler in der alphabetischen Reihenfolge der Aufbewahrungsorte nennt, aber leider nicht mit Verweisen auf den Text versehen ist, wertvolle Hilfestellung.
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Gerade weil es durchaus nicht sicher zu sein scheint, ob eine Faksimileausgabe der neu erworbenen Teilbände 3 bis 6 und 8 sowie des in München bereits vorhandenen Teilbandes 7 jemals wird erscheinen können,
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ist diese Form der Erschließung der wohl bedeutendsten durchgängig illuminierten Handschrift des Neuen Testaments in deutscher Sprache ganz besonders begrüßen. Sicher werden daraus »neue Impulse ausgehen für die nun intensivierte und auf guter Grundlage einsetzende, differenzierte und interdisziplinäre Erforschung dieses einmaligen Werks« (Rolf Griebel, S. 7).
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