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Batmans Metamorphosen als intermedialer Superheld in Comic, Prosa und Film:

Das Überleben der mythischen Figur, die Urszene -
und der Joker

Inhalt

[1] 

Für Peter Fricke,
Hans Keilson und James Nachtwey

[2] 
– Ich möchte, dass Du Deinen Freunden erzählst, wer ich bin.
– Wer bist’n Du?
– Ich bin Batman!
Batman im Gespräch mit einem Straßenräuber im Film Batman (1989). 1
[3] 
Wenn Batman so ein toller Hecht ist, warum trägt er dann seine Unterwäsche über seinen Hosen?
Anonymes Graffito. 2
[4] 
Du hattest irgendwann einen miesen Tag, habe ich Recht? Ich weiß, dass ich Recht habe. Du hattest einen miesen Tag, und alles hat sich verändert. Warum solltest Du Dich auch sonst als fliegende Ratte verkleiden? Du hattest einen miesen Tag, und das machte Dich wahnsinnig, so wahnsinnig, wie alle anderen. Nur, Du wolltest das nicht zugeben! Du musstest vorgeben, dass das Leben einen Zweck hat, das dies Rumgewürge irgendeinen Sinn macht. Jesus, ich könnte kotzen!
Joker zu Batman in Moore / Bolland: The Killing Joke (1988/2008,) o.S.
[5] 
Ach zur Hölle. Immerhin haben wir beide immer noch einen festen Arbeitsplatz.
Joker zu Batman in Bisley u.a.: A Black and White World (1996), S. 112.
[6] 

1. Vom Comic zum Film und weiter: Batman immer neu

[7] 
… denn der Batman ist eine Legende, und Legenden können niemals sterben!
Abschließender Satz in Wein: The Untold Legend of the Bat (1982) o.S.
[8] 

1.1 Warum lebt Batman?

[9] 

Im Sommer 2008 schwappte eine Superhelden-Welle in die Kinos. Eindeutiger Gewinner ist The Dark Knight, der zweite Batman-Film, für den Regisseur Christopher Nolan verantwortlich zeichnet. Auch auf dem Buchmarkt tat sich in Sachen Batman einiges, etwa mit neuen Werken, Nachdrucken, Sonderluxusausgaben, einer 400 Seiten starken umfangreichen Enzyklopädie von Greenberger oder einem aufwändig gestalteten gebunden Band zum Film The Dark Knight von Byrne.

[10] 

Woran mag dieses wieder erstarkte Interesse liegen? Was fasziniert Leser und Kinogänger immer noch an dieser seltsamen Figur?

[11] 

Eine Beleuchtung der Entstehungsumstände, der Quellen und der verschiedenen Entwicklungsschritte soll helfen, dies Problem genauer in den Blick zu bekommen. Warum hat Batman inzwischen Kultstatus? Ist er bereits zu einer quasi mythologischen Figur gereift? Und gibt es überhaupt den Batman? Oder produziert jeder neue Comic oder Film einen eigenen, neuen Batman durch die jeweils eigene, originelle Sichtweise? Lassen sich solche originellen Sichtweisen auch schon in früheren, kommerzielleren Comic-Werken beobachten? Und was lässt sich für die Zukunft möglicherweise noch erwarten?

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1.1.1 Die Anfänge: Die Figur bekommt Kontur

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Batman erblickte im Mai 1939 das Licht der Öffentlichkeit – als einer der ersten Superhelden, kurz nach dem legendären Superman. Superman war deutlich ein Produkt seiner Zeit, geschaffen von Jerry Siegel (1914–1996) und Joe Shuster (1914–1992), die bei Erscheinen des mit einer Startauflage von 200.000 Exemplaren innerhalb kürzester Zeit ausverkauften Heftes gerade einmal 24 Jahre alt waren: Gegen wirtschaftliche Rezession und Unsicherheit – 1933 betrug die Arbeitslosenquote in den USA 25 % – sollte »The man of steel« als Lichtgestalt die amerikanischen Tugenden verkörpern und durch seine übernatürlichen Kräfte eben diesen Tugenden zum Sieg verhelfen. Als Außerirdischer pflegte er seine Doppelidentität als kleiner Journalist. Jules Feiffer (*1929), vielleicht der erste Superhelden-Theoretiker, monierte 1965 entsprechend, ob Superman etwa ein verborgener Masochist sei, der ein ordentliches, kleines Leben – das Leben seiner Leser – um jeden Preis führen wolle, leider aber jeden Morgen als Superman aufwache, 3 anders als Batman, der sich als Wayne immer erst in sein Superhelden-Kostüm werfen muss: Batman bot von Beginn an die kompliziertere, andere, dunkle Seite.

[14] 

Entsprechend ist Batmans Stadt Gotham City in direktem Gegensatz zu Supermans Metropolis angelegt: In Gotham regnet es ständig, ist es fast immer Nacht und wirft jede Figur Schatten wie in einem Horror-Streifen. In Metropolis, dessen Namen zwar von Fritz Langs (1890–1976) berühmtem gleichnamigem Stummfilm entlehnt sein dürfte, aber mit dessen Atmosphäre der Stadt nichts zu tun hat, scheint fast immer die Sonne und ist alles bunt und fröhlich. Dennis O’Neil (*1939), lange Zeit verantwortlich für Batman bei DC, brachte es 1994 im Nachwort zu seiner Romanfassung der Knightfall-Trilogie um Batman auf den Punkt: Gotham sei »Manhattan unterhalb der 14. Straße um 11 Minuten nach Mitternacht in der kältesten Nacht des November«. 4 Umgekehrt, so könnte man sagen, ähnelt Supermans Metropolis New Yorks Central Park an einem warmen Tag im Juni mit strahlendem Sonnenschein während eines Volksfestes. Zu Anfang ging es entsprechend vor allem darum, an den unübersehbaren Erfolg der Superman-Comics anzuknüpfen, ohne sich eines Plagiats schuldig zu machen. Batman ist also ein Mensch (und kein Außerirdischer), ist verwundbar (hat also keine Superkräfte) und pflegt eine Doppelexistenz aus Sicherheitsgründen (und nicht wie Superman, um als Außerirdischer ein letztlich langweiliges, so weit wie möglich assimiliertes Leben als blasser Reporter führen zu können).

[15] 

Batmans Erfolg und Langlebigkeit überraschte auch seinen Erfinder, Bob Kane (1916–1998), der zusammen mit seinem alten Schulkollegen William »Bill« Finger (1914–1974) die Figur aus der Taufe hob (Finger ersetzte die Flügel aus Kanes Urentwurf durch einen Umhang, verpasste Batman eine Maske, die nun anders als die Augenbinde von Kane den gesamtem Kopf bedeckte, sparte die Augenschlitze der Maske weiß aus und tauchte das ursprünglich rote Kostüm in grau und blau) 5 .

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Doch erst im Verlauf der ersten Heftausgaben schälte sich ein bestimmtes Setting und eine genauere Anlage der Figur aus: In der Eröffnungsnummer der Detectice Comcis (= DC) # 27 vom Mai 1939 mit dem Titel The Case of the Chemical Syndicate wurde der Batman eher als eine Freizeitbeschäftigung des märchenhaft wohlhabenden Bruce Wayne verstanden. Batman benutzte Feuerwaffen und brachte sogar seine Feinde um (das erste Heft endete mit dem Tod des Verbrechers in einem Säuretank). Die Handlungen fanden an seltsamsten Orten statt: DC # 31 aus dem September 1939 beginnt explizit in New York (Gotham City als der später angestammte Wohnort war noch nicht erfunden), der Held flog anschließend mit seinem Bat-Flugzeug nach Paris, kämpfte gegen einen Mönch und mit einem riesigen Gorilla (die legendäre King-Kong-Verfilmung war 1933 in die Kinos gekommen), folgte in DC # 32 dem Mönch bis nach Ungarn und erschoss dort schließlich Vampire mit selbst gegossenen silbernen Kugeln.

[17] 

Erst in DC # 33 bzw. im Heft vom November 1939 wurde eine Begründung für Waynes/Batmans Aktivitäten nachgeliefert: Als Kind wurde Bruce Wayne Zeuge der Ermordung seiner Eltern auf offener Straße. Nach einem Kinobesuch wurden die drei von einem Straßenräuber überfallen und Bruce’s Eltern erschossen. Die Zerstörung der kindlichen Illusion, in einer sicheren Welt letztlich unverletzbar zu sein, dürfte (sieht man sich etwa eine der einflussreichsten Definitionen des Traumas 6 als einer todesähnlichen Erfahrung an, die das Selbst- und Weltverständnis des hilflosen Opfers grundlegend erschüttert) auch bei allergrößten Ressourcen nicht ohne Auswirkungen auf das folgende Leben des Kindes bleiben. Und vermutlich würde der Junge wie so viele Traumatisierte später pseudo-kausale Erklärungsmodelle suchen, um sich die eigentlich unerklärliche Situation doch irgendwie zu erklären (z.B. dadurch, dass er als Opfer trotz allem eine Mitschuld trägt) – obwohl die Familie eigentlich nur zur falschen Zeit am falschen Ort und schwächer als der Täter war. 7

[18] 

Die kurze Sequenz gehört zu den Kernstücken des Mythos: Unvermittelt steht der Straßenräuber dem Elternpaar gegenüber. Schon im nächsten Bild wird der Vater erschossen. Die Seite schließt mit der sich über ihren sterbenden Mann beugenden Frau. Die folgende Seite zeigt den verzweifelt neben den Leichen stehenden Sohn, der dann nachts vor dem Bett kniend Rache schwört. Die zweite Zeile der zweiten Seite zeigt seine Ausbildung im Labor und sein Körpertraining. Die letzte Zeile schildert die berühmte Szene, in der Bruce Wayne durch eine durch das geöffnete Fenster herein fliegende Fledermaus auf die Idee für sein Kostüm kommt. Das letzte Panel der zweiten Seite zeigt das Ergebnis: Batman ist geboren.

[19] 

[20] 

Abb. 1 und 2: DC # 33 (November 1939), nach Daniels (1999) S. 34 f.

[21] 

O’Neil, lange Zeit verantwortlich für Batman beim Rechteinhaber DC, formulierte in den 1970er Jahren eine (bisher nicht veröffentlichte, aber oft überarbeitete) Bat-Bible, die Grundlage für die Arbeit neuer Autoren sein sollte. Brookers kluge Kurzdefinition 8 liegt deshalb dem Folgenden zu Grunde:

[22] 
Batman ist Bruce Wayne, ein Millionär, der sich mit einem Bat-Kostüm verkleidet und Kriminalität bekämpft. Er hat spezielle Fähigkeiten, ist körperlich in bester Verfassung, stark und sehr intelligent. Er lebt in Gotham City. Er bekämpft Kriminalität aus dem Grund, weil seine Eltern getötet wurden, als er noch ein Kind war. Er wird oft von seinem jungen Assistenten Robin unterstützt. Er bekämpft Schurken wie den Joker.
[23] 

Prägend sind also die Doppelexistenz (»secret identity«), der Kampf gegen Kriminalität, der prinzipiell nie endet (und im Prinzip immer gegen dieselben Gegner geht) und der Batman eigene Moralkodex: Er befindet sich auf einem persönlichen Rachefeldzug. Wie Dick Giordano (*1932), einer seiner späteren Schöpfer, bemerkte, ergibt sich für die Gesellschaft also nur zufälligerweise ein Nutzen aus diesem Kampf: 9 Batman ist nicht darauf aus, die Gesellschaft zu verändern.

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[25] 

Abb. 3: Cover DC # 251 (Januar 1958): »Batman ist überhaupt kein Erdling – – er ist von einer anderen Welt!«; Abb. 4: DC # 355 (September 1966): »Hier! Nehmt euren Champ zurück, Gotham City! Von nun an ist der Maskierte Henker der Top-Mann in der Stadt!«; Abb. 5: DC # 373 (März 1968): »Du bist der Welt größter Künstler des Entkommens, Batman! Schaun’ wir mal, wie du aus dieser Falle entkommst!«

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Das aus diesem Grundansatz zwangsläufig resultierende Verständnis von Kriminalität und Gewalt ist entsprechend seltsam: Kriminalität bedeutet entweder die Kriminalität der Straße (etwa Diebstahl, Mord oder Entführung) oder die kriminellen Versuche der Gegenspieler Batmans, die in direkter Auseinandersetzung mit ihm Macht (oft über Gotham City) gewinnen wollen (vgl. z.B. Abb. 4: »Von nun an ist der Maskierte Henker der Top-Mann in der Stadt!«). Batman selbst hindert also letzten Endes die Gesellschaft daran, »besonders der Unangemessenheit des Rechtssystems und seiner Polizei ins Auge zu blicken«. 10 Viele der Gegenspieler scheint es tatsächlich nur deshalb zu geben, weil es Batman gibt, da nur mit ihm sich die Mühe lohnt, die Klingen zu kreuzen.

[27] 

Gewalt bedeutet in der Auseinandersetzung entsprechend körperliche Gewalt – meist in Prügeleien inszeniert. Doch was soll diese seltsame Instrumentalisierung von Gewalt? Jan Philipp Reemtsma hat eine Dreiteilung des Phänomens vorgeschlagen: Lozierende Gewalt versucht, »den Körper aus dem Weg oder an einen anderen Ort« zu schaffen, raptive Gewalt »will den Körper haben – meist, um ihn sexuell zu benutzen« (der Körper selbst ist also das Ziel), autotelische Gewalt zielt demgegenüber auf »die Zerstörung der Integrität des Körpers« selbst. Physische Gewalt besteht nun immer »in der Drohung, auf den Körper reduziert zu werden«.

[28] 

Die ausschließlich physische Gewalt, die Batman anwendet, ist nun erstaunlicherweise keiner dieser drei Kategorien allein zuzuordnen. Es geht dem Superhelden natürlich darum, den Körper des Angegriffenen im Wortsinne aus dem Weg zu räumen (der Erzschurke muss hinter Gitter – wird von dort aber wieder zurückkehren, auch aus dem Grunde, damit das Spiel von vorne beginnen kann). Raptive Momente sind seltener zu erkennen – doch ist ein autotelischer Ansatz kaum zu übersehen, zerstört doch autotelische Gewalt den Körper »nicht, weil es dazu kommt, sondern um ihn zu zerstören«. Dies ist umso erstaunlicher, hat doch unsere Kultur »gravierende Probleme, mit dem Phänomen der autotelischen Gewalt umzugehen« 11 : Etwa Politiker müssen Gewalt (wie drohende Kriege) immer als funktional-kausal hilfreiche Mittel (nur noch dieses eine Mal und nur, um den anderen die Freiheit zu bringen) begründen. Doch die in überdehnten Details gezeichneten Prügeleien sind kaum anders als autotelische Gewalt zu erklären: Es geht offensichtlich darum, dass physische Zerbrechen des Erzschurken en detail vorzuführen.

[29] 

Batman war selbst Opfer: In den Prügeleien nun wird er als Opfer, das jetzt zum Täter wird, gezeigt. Erstaunlicherweise bewegt er sich aber dabei in engen, selbst gesteckten Grenzen: Batman hat sich geschworen, niemals zu töten – er prügelt lieber. Was bedeuten aber diese Prügel? Horkheimer und Adorno hatten in ihrer Dialektik der Aufklärung den frühen Disney-Filmen vorgeworfen, sie hämmerten vor allem »die alte Weisheit in alle Hirne, daß die kontinuierliche Abreibung, die Brechung allen individuellen Widerstandes, die Bedingung des Lebens in dieser Gesellschaft« sei. Donald Duck erhalte »wie die Unglücklichen in der Realität« seine »Prügel, damit die Zuschauer sich an die eigenen gewöhnen«. 12 Doch hier prügelt umgekehrt der Held auf das (angeblich) Bedrohliche ein. Im Batman-Universum erscheint also umgekehrt Gewalt als auf den ersten Blick funktionales Mittel dafür, gegen die unübersichtliche Realität anzugehen, ohne dabei sich vollständig der Faszination autotelischer Gewalt hinzugeben: Der letzte Schritt, nämlich die Vernichtung des Körpers des Opfers allein um dieser Vernichtung willen, bleibt ausgespart.

[30] 

Eine neue Figur wurde Batman an die Seite gestellt: In DC # 38 vom April 1940 wird geschildert, wie der junge Dick Grayson Waise wird. Seine Eltern, beide Trapez-Zirkusartisten, waren ebenso wie Bruce Waynes Eltern ermordet worden. Dick will Rache nehmen und wird von Bruce Wayne, der in dem Jungen sich bzw. sein eigenes Schicksal wiedererkennt, in Wayne Manor, dem Sitz der Familie Wayne, aufgenommen und dort ausgebildet. 13 Kampfname »Robin« und Outfit der neuen Figur spielen dabei bewusst auf Robin Hood an.

[31] 

Das völlig neue Konzept des eigentlich nur versuchsweise eingeführten jugendlichen Assistenten schlug ein wie eine Bombe: Die Identifikationsfigur für die Hauptleserschaft, nämlich Kinder und Jugendliche vor allem männlichen Geschlechts, ließ die Absätze sich verdoppeln. 14 Dick in seinem rot-gelb-grünen Outfit hellte die Serie auf: Batman entwickelte sich weg vom einsamen Rachefeldzügler hin zu einer fürsorglichen Vaterfigur.

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[33] 

Abb. 6: Cover DC # 38 (April 1940).

[34] 

Der Erfolg der frühen Comic-Serie war derartig überraschend, dass Batman schnell (und das war ungewöhnlich) eine eigene, nach ihm allein benannte Heft-Serie erhielt (weiterhin aber auch in den DC anzutreffen war). Das erste Heft der neuen Reihe Batman begann mit der Wiederholung mit jener kurzen Sequenz von der Ermordung der Eltern von Bruce Wayne (in anderer Farbgebung) aus dem sechsten Batman-Heft der Detective Comics und brachte mit dem Joker den ersten großen und bis heute profiliertesten Gegenspieler auf die Bühne. Im Folgeheft kämpfte der dunkle Ritter und gleichzeitig der Welt größter Detektiv Batman gegen Dr. Hugo Strange und 15 Fuß große Riesen, die er am Ende der Geschichte (in erneuter Anlehnung an King Kong) mit einem Maschinengewehr aus seinem Batplane heraus abschoss.

[35] 

Interessanterweise wurde die Figur bereits früh auch in andere Medien übertragen: Ab 1943 brachten Zeitungen Batman-Comic-Strips, und eine Filmserie in 15 Kurzepisoden (fortgesetzt später mit einer zweiten Reihe) wurde im selben Jahr gesendet. Die Meinungen über diese Filme gehen auseinander – und zeigen eines der bemerkenswertesten Phänomene im Zusammenhang mit der Figur, dass nämlich im Rückblick kontroverse Debatten und gesellschaftliche Widerstände umgedeutet und vereinheitlicht oder schlicht verdrängt werden: Anscheinend produziert jede Generation in solchen verklärenden Rückblicken ihr eigenes Batman-Bild und gibt dies Bild als das einzig denkbare aus. 15 Der Film wurde (auch in Anschluss an eine Bemerkung von Bob Kane, der Schauspieler Lew Wilson, der Batman verkörperte, habe sich vor allem durch Übergewicht ausgezeichnet, das Ganze sei nichts anderes als ein Low-budget-Filmchen und die Story »eines dieser typischen Propagandavehikel, um die Kriegsbemühungen zu unterstützen« 16 ) ohne eigentliche Kenntnis verrissen: Der Erzschurke Dr. Draka sei eine stereotype Umsetzung der gelben Gefahr, die Handlung lächerlich.

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Schaut man sich die Episoden genauer an, so wird aber schnell klar, 17 das die filmische Adaptation sich relativ treu gegenüber der Comic-Vorlage verhalten – das Ganze ist alles andere als ein stereotyper Propaganda-Streifen: Dort, wo der Film sich in dieser Richtung bewegt, handelt es sich um Voice-over (also um Erzählerkommentar) oder um Szenen, in denen Batman gar nicht mitwirkt.

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Abb. 7: Screenshot aus den serials, nach Kane (1989) S. 126: Robin, Dr. Draka, Batman.

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Ähnliches gilt für einige (Vor-)Urteile über die Batman-Comics aus diesen Jahren, so etwa Cotta Vaz’ Behauptungen in seiner grundlegenden, oft gut informierten Studie, im II. Weltkrieg sei Batman wie alle Superhelden »auch in den Armeedienst gepresst worden« 18 , denn diese These ist (anders als etwa bei Superman, der sich z.B. 1943 Hitler und Stalin buchstäblich unter den Arm klemmte, vor ein internationales Tribunal verfrachtete und so den II. Weltkrieg beendete) nicht am Material zu belegen: 11 von 88 Covern aus der Zeit nach Eintritt Amerikas in den Krieg bis Kriegsende beziehen sich zwar (vor allem als Werbefläche für Kriegsanleihen im Sinne von »Keep the American Eagle Flying«) auf die Kriegszeit, doch bleiben diese Coverillustrationen ohne Verbindung zur Episode im Heft. Nur vier der in diesem Zeitraum erschienenen Geschichten beziehen sich direkt auf den Krieg – und nur eine von diesen hat ein militärisches Thema (nämlich Swastika over White House bzw. Batman # 14 vom Dezember/Januar 1943). Da sah es bei anderen Superhelden, nicht nur bei Superman, ganz anders aus: Die Juli-Ausgabe von Daredevil brachte 1941 die Geschichten The Claw Double Crosses Hitler, Daredevil With Dickie Dean […] Smashes Goebbels und Daredevil and Cloud Curtis Wreck Goerings’s Sky Fighters. Das Heft wurde beschlossen durch eine Comic-Biographie The Man of Hate: Adolf Hitler, Dictator of Germany. 19 Dennoch wurden auch Batman-Comics in gewaltigen Mengen an die Soldaten an der Front geschickt: Anscheinend hatte sich die Figur bereits derartig etabliert, dass ein Comic-Heft über diesen Superhelden fast als ein Stück Heimat angesehen wurde (die Graphiken und die in diesem Zusammenhang bewusst noch stärker vereinfachte Sprache machten Comics allgemein von Angehörigen aller sozialen Schichten im Heer vergleichsweise leicht konsumierbar). 20

[40] 

Woran mag diese Widerstandsfähigkeit gegen die Vereinnahmung für Propagandazwecke gelegen haben? Zum einen ist zu bedenken, dass die Figur ja bereits ihre erste große Veränderung über sich hatte ergehen lassen müssen: Die Maschinengewehr-Attitüden des entsprechend eigenen moralischen Grundsätzen handelnden Rächers aus Batman # 1 waren bei besorgten Eltern nicht sonderlich gut angekommen, Gewalt (und hier, um Reemtsmas Begrifflichkeit anzuwenden: offensichtlich autotelische Gewalt) in der Massenware Comics war auch in der Presse zum Thema geworden. Nyberg verzeichnet in ihrer Untersuchung der Geschichte des amerikanischen »Comic Codes« (also der Selbstzensur der Comicproduzenten), dass sich erste Angriffe gegen das Medium bereits früh formierten: Sterling North (1906–1974) etwa hatte sich in den Chicago News vom 8. Mai 1940 in seinem Artikel Eine nationale Schande (»A national disgrace«) gegen die neuen Comic-Hefte gewendet, die, so Norths Vorwurf, anders als die Comic-Strips in den Zeitungen nicht einer Sichtung in Form einer Vorzensur unterlägen. Er bezichtigte Eltern, die nicht gegen die Seuche Comics vorgingen, der kriminellen Nachlässigkeit – und sein Artikel wurde in 40 Zeitungen und Journalen nachgedruckt. Die Daily News erhielten in der Folgezeit 25 Millionen Nachfragen nach Kopien dieses Artikels und ein Jahr später immer noch »die erstaunliche Anzahl von eintausend Anfragen pro Tag«. 21 Die Verantwortlichen bei DC reagierten schnell: Batman # 3 aus dem Herbst 1940 beschließt ein einseitiger Aufruf Batmans: 22

[41] 
Der BATMAN sagt:
HALLO, Leser! Nachdem Ihr nun all diese neuen Abenteuer von mir und Robin gelesen habt, möchte ich mich MIT EUCH ein bisschen unterhalten.
Ich denke, dass Robin und ich es sehr deutlich gemacht haben, dass WIR KRIMINALITÄT UND KRIMINELLE HASSEN! Nichts tun wir lieber, als diese unappetitlichen Bewohner der Unterwelt zu zerschmettern. Warum? Weil wir stolz darauf sind, AMERIKANER zu sein – und wir wissen, dass in diesem unserem großen Land kein Platz für Gesetzesbrecher ist! […] Wenn […] Ihr also eindeutig auf der Seite von Gesetz und Ordnung sein, dann grüßen Euch Robin und ich und sind froh, Euch zu unseren Freunden zu zählen.
[42] 

Batman wurde also bereits deutlich vor Eintritt der Amerikaner in den II. Weltkrieg auf eine bestimmte Formel festgelegt, die sich vorzüglich verkaufte. Warum sollte also diese Formel in Kriegszeiten geändert werden? Die Verkaufszahlen gaben den Verantwortlichen Recht.

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1.1.2 Der Kreuzzug des Psychiaters Frederic Wertham
und der zweite Umbau

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Die Figur schien ihre erfolgreiche Formel also für alle Zeiten gefunden zu haben. Doch nach dem II. Weltkrieg ging es mit dem Genre Superheldencomics selbst rapide bergab: Die »besten Zeichner waren zur Armee gegangen«, viele betrachteten Comics nur noch »als Sprungbrett für einen Job bei den Zeitungen oder für Werbefirmen«, 23 und auch die Helden waren alt geworden. Zusätzlich gewann das Fernsehen als neues Medium immer mehr an Einfluss. Und die Grundstimmung in Amerika wurde immer angespannter: 1950 hatten die Russen zum ersten Mal erfolgreich eine Atombombe gezündet. Im gleichen Jahr begann der republikanische Senator Joseph McCarthy (1908–1957) mit der Hetze gegen Kommunisten und alles Unamerikanische. Die unterschwelligen Ängste der Amerikaner zeigten sich vielleicht am deutlichsten in den Horror- und Science-Fiction-Filmen der Zeit: Patrick Luciano fasst das damalige amerikanische Bewusstsein treffend in dem Begriff »Paranoia« 24 zusammen. All das, was irgendwie anders war, wurde schnell als bedrohlich abgestempelt, absolute Kontrolle erschien lebensnotwendig. Und umso genauer musste auf die Kinder bzw. auf diejenigen, die Einfluss auf sie hatten, geachtet werden.

[45] 

Bereits früh hatte sich wie erwähnt um Sterling Norths Artikel nach 1940 Widerstand gegen die Comics formiert. Doch nun zündete die Kritik erst richtig: Der Psychiater Frederic Wertham nahm sich des Themas an und veröffentlichte mehrere Artikel und schließlich mit seiner Verführung der Unschuldigen (»Seduction of the Innocent«) ein ganzes Buch zum Thema. Dabei brachte er ein völlig neues und für die Comic-Macher verblüffendes Argument gegen Batman vor (das einzige Argument, das im öffentlichen Bewusstsein von Werthams Argumentation überlebt hat): Die Beziehung zwischen Batman und Robin sei dazu angelegt, Jugendliche, die sich ihrer sexuellen Orientierung noch nicht sicher seien, in Richtung Homosexualität zu drängen. Um die wütenden Reaktionen, die bis heute Wertham entgegengebracht werden, zu verstehen, lohnt sich ein längeres Zitat: 25

[46] 
Viele Heranwachsende durchleben Zeiten vager Ängste, dass sie vielleicht homosexuell sein könnten. Solche Ängste werden vielleicht zur Quelle von großen psychischen Qualen, und diese Jungen haben normalerweise niemanden, von dem sie glauben, dass sie ihm vertrauen könnten. In einigen Fällen habe ich eine Kette von Ereignissen beobachtet: In jungen Jahren werden diese Jungen süchtig nach einer bestimmten Art homoerotisch angehauchter Comicbooks. Während und nach der Lektüre der Comicbooks geben sie Fantasien nach, die dann mit Macht unterdrückt werden. Erfahrungen im realen Leben – entweder solche, die ihr Interesse auf das große Tabu über Homosexualität oder auf das Gegenteil wenden, also Erfahrungen, die irgend eine Form von Versuchung bieten – provozieren Gefühle von Zweifel, Schuld, Scham und sexuelle Fehlorientierung. […]
[47] 
Ähnlich wie gewöhnliche crime-Comicbooks zur Fixierung auf gewalttätige und feindlich gesinnte Verhaltensmuster beitragen, indem sie klar umrissene Formen für den Ausdruck dieser Muster vorschlagen, helfen die Geschichten von der Art Batmans, homoerotische Tendenzen zu fixieren, indem sie die Form einer Heranwachsender-mit-Erwachsenem- oder Ganymed-Zeus-Liebesbeziehung vorschlagen.
[48] 
In den Batman-artigen Comics werden Kindern solche Beziehungen gezeigt, noch bevor sie überhaupt lesen können. […] Manchmal endet Batman verletzt im Bett, und der junge Robin wird gezeigt, wie er direkt neben ihm sitzt. Zu Hause leben sie ein idyllisches Leben. Sie sind Bruce Wayne und »Dick« 26 Grayson. Bruce Wayne wird beschrieben als ein »Angehöriger der feinen Gesellschaft«, und die offizielle Beziehung zwischen ihm und Dick ist die eines Vormunds. Sie leben in einer luxuriösen Unterkunft, mit schönen Blumen in großen Vasen, und haben einen Butler, Alfred. Batman wird ab und zu in einem Morgenmantel gezeigt. Sitzen sie am Kamin, macht sich der Junge manchmal Sorgen um seinen Partner: »Etwas stimmt nicht mit Bruce. Er war die letzten Tage nicht er selbst«. Das Ganze ist wie ein Wunschtraum zweier miteinander zusammenlebender Homosexueller. Manchmal werden sie auf einer Couch gezeigt, Bruce zurückgelehnt und Dick direkt neben ihm sitzend, mit abgelegtem Jackett, geöffnetem Kragen und der Hand auf dem Arm seines Freundes. Wie die Mädchen in anderen Geschichten, wird Robin oft von den Bösen gefangen gehalten, und Batman muss aufgeben, oder »Robin wird getötet«.
[49] 
Robin ist ein hübscher, ephebischer Junge, der normalerweise in seiner Uniform mit nackten Beinen gezeigt wird. Er strotzt vor Energie und ist auf dieser Erde oder sonstwo niemand anderem so sehr zugewandt wie Batman. Er steht oft mit gespreizten Beinen, die Genitalregion deutlich sichtbar.
[50] 
In diesen Geschichten gibt es praktisch keine anständigen, attraktiven, erfolgreichen Frauen. Ein typischer weiblicher Charakter ist Catwoman, die bösartig ist und eine Peitsche verwendet. Die Atmosphäre ist homosexuell und frauenfeindlich. […]
[51] 
In einer Studie an über tausend homosexuellen Fällen am Quaker Emergency Service Readjustment Center fanden wir heraus, dass der Anstieg von homosexuellen Fantasien, die Übertragung von Fantasien in die Realität und der Übergang von episodischen homosexuellen Erfahrungen zu einer festen Fixierung des Musters vielleicht auf die verschiedensten zufällig auftretenden Faktoren zurückzuführen ist. Die Batman-artige Geschichte stimuliert vielleicht Kinder in ihren homosexuellen Fantasien von jener Art, die ihnen möglicherweise unbewusst sind. Bei Heranwachsenden, die dies vielleicht bewusst erkennen, geben die Geschichten möglicherweise zusätzlich Stimulierung und Verstärkung.
[52] 

Die Reaktionen auf Wertham sind bis heute stereotyp. Am verblüffendsten sind vielleicht Frank Millers Äußerungen in seinem Vorwort zur Edel-Gesamtausgabe seiner Batman-Comics von 2006, in den 1950er Jahren habe ein Psychiater »ein völlig idiotisches Buch« geschrieben, das Millers eigene »wunderschöne Kunstform für eine Generation traumatisiert« habe. Der Name dieses »durchgeknallten Seelenklempners« und seines Werkes verdienten es nicht, genannt zu werden und seien auch längst vergessen – und Miller schreibt weiter und weiter: Es habe lange gedauert, bis »die Insassen die Klinik übernommen hätten« (Miller (2008) o.S.).

[53] 

Dabei drückte sich Wertham für die damalige Zeit vergleichsweise gemäßigt aus (Homosexualität war zu der Zeit in 48 Staaten strafbar – unter anderem auch in der Nachkriegs-BRD, in der bis zur Abschaffung des § 175 des Strafgesetzbuches mehr Prozesse gegen Homosexuelle als im Dritten Reich geführt wurden): Und Wertham spricht nicht (wie aber zu dieser Zeit in den USA zu erwarten gewesen wäre) von »perverser Sexualität« oder einem »Verbrechen gegen die Natur«, 27 sondern von »Tagträumen« und »Fantasien« und benutzt auffällig oft relativierende Wendungen. Man muss Brooker wohl zustimmen, der Wertham zwar Begriffe wie »sexuelle Fehlorientierung« (»sexual malorientation«) und einen nur assoziativen, keineswegs durch genauere Einzelfallbeschreibungen, Nachweise oder Statistiken untermauerten Aufbau der Untersuchung vorwirft, man müsse gleichzeitig aber auf andere Stellen in seinem Buch hinweisen, die für die damalige Zeit völlig ungewöhnlich sind, etwa Werthams Äußerungen über Ängste junger Frauen in Bezug auf die Attraktivität ihres Körpers im Vergleich zu den perfekt-ausufernden Körperformen der Comic-Heldinnen: Die »Frauen mit Riesenbrüsten, die als Ideal in den Comic-Geschichten geschildert werden«, beunruhigten »junge Mädchen lange vor ihrer Pubertät«. 28 In dieselbe Richtung deuten Werthams für die damalige Zeit erstaunlich radikale Attacken gegen Diskriminierung und rassistische Tendenzen: Die Tatsache, dass in Comics farbige Frauen oft mit nackten Brüsten, weiße Frauen aber immer bekleidet gezeigt würden, sei »für die Kinder eine Demonstration von rassistischem Vorurteil, angetrieben durch die Ansprache der sexuellen Instinkte« und damit »eine der übelsten Methoden, nahezulegen, dass Rassen mit Bezug auf ihre moralischen Werte grundsätzlich verschieden« und die »eine Rasse der anderen unterlegen« sei: An solch einer Stelle werde »eine psychiatrische Frage zu einer sozialen«. 29

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Zugegeben: Werthams Angst vor den »Fantasien und Tagträumen« von Kindern über »überwältigende Kraft, Dominanz, Macht, Rücksichtslosigkeit, Befreiung von der Moral der Gemeinschaft«, die in Comics verkörpert werden und zum »Nietzsche-Nazi-Mythos« 30 führten, ist ebenso unerfreulich wie sein Kunstideal. 31 Doch wird man mit vereinfachenden Aburteilungen hier nicht weiterkommen können.

[55] 

Erstaunlich sind nicht nur die deutlich später erfolgten Reaktionen von ausgewiesenen Comic-Kennern, 32 sondern auch die Tatsache, dass Homosexuelle tatsächlich Wertham indirekt Recht geben: In den rigiden 1950er Jahren und später habe Batman / Bruce Wayne durch seine Doppelexistenz und sein Doppelleben mit Robin / Dick Grayson tatsächlich als Chiffre für Homosexuelle gedient, die sich aus Angst vor der zu erwartenden vollständigen gesellschaftlichen Ausgrenzung natürlich nicht zu outen gewagt hatten. 33 Man kann sogar noch weiter gehen: Eine homosexuelle Lesart (und wäre sie nur eine Lesart im Sinne einer bricolage, also einer Zusammensetzung eigentlich nicht zueinander gehöriger Elemente zu einem neuen Bild, wie Levy-Strauss den Begriff versteht) wurde durch Wertham erst nahegelegt und zog in der Folgezeit weite Kreise. Es handelt sich bei der Anlage des Textes also eindeutig nicht um eine Camouflage im Sinne Heinrich Deterings, dass also »ein Schriftsteller, der A sagen will, aber nur B sagen darf«, das B so sagt, dass »alle, die es angeht, A heraushören können« – also als ein Versteckspiel bzw. als »intentionale Differenz zwischen (unanstößigem) Oberflächentext und (hier: homoerotischem) Subtext«, 34 denn die Macher waren völlig überrascht von den Angriffen Werthams. Diese unerwartete, neue Sichtweise der Figur setzte sich aber immer offener durch.

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[57] 

Abb. 8: Chris O’Donnel (der Robin-Darsteller aus Schumachers Verfilmungen) als Cover-Boy der Szenezeitschrift attitude. for real men aus dem Juli 1995 (nach Brooker (2005) S. 165); Abb. 9: Batman als Pin-up von Alex Ross aus Batman Black and White (1996), S. 234.

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1.1.3 Fernsehserie und Camp

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Die 1960er Jahre als dritte Phase wurden vor allem durch Batman als Pop- und Camp-Aushängeschild geprägt. Eigentlich war die Comic-Figur schon gar nicht mehr am Leben. Plötzlich interessierte sich aber die Künstler-Avantgarde für Comic als Medium selbst: Roy Lichtenstein (1923–1997) malte seine berühmten Rasterbilder im Stil eines gedruckten Comic, und Andy Warhol (1928–1987) zeigte sich auch in seinen Siebdrucken mindestens ebenso von der Annäherung von Kunst und Kommerz begeistert (sein Film Batman Dracula von 1964 ist leider verloren gegangen). Beide fühlten sich angesprochen von der Grundausrichtung der Comics als schnell produzierte Massenware in Serie, die von Anfang an als Wegwerfprodukt konzipiert war: »Popart« war das Zauberwort.

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In ähnliche Richtung deutete die Camp-Bewegung, die sich auf die schrille Überzeichnung des Gewohnten in schreienden Farben konzentriert. Susan Sontag umriss die Bewegung in ihren berühmten Notes on Camp: Essenz der Richtung sei die »Liebe zum Unnatürlichen: zum Künstlichen und zur Übertreibung«. Camp stellt, so Sontag, einen Weg dar, die Welt nicht in Kategorien von »Schönheit«, sondern vom »Grad der Künstlichkeit und Stilisiertheit zu sehen« (These 1), Camp ist apolitisch (S. 2) und wird vor allem umgesetzt in »Filmen, Kleidung, Möbel, Hits, Romanen, Menschen, Gebäuden« (S. 5), und zwar vor allem als optisches Dekor. »Nichts in der Natur« kann »campy« sein (S. 7). Camp reagiert auf den Massenmarkt, setzt alles in Anführungsstriche (S. 10) und in »doppelte Bedeutung« (S. 17), es ist dann wirkungsvoll, wenn es naiv ist (S. 18), beruht also auf Unschuld, und ist seiner Naivität entsprechend völlig ernst (S. 23) in seinem »zuviel« (S. 26). Camp glorifiziert den einzelnen Charakter (S. 32) als »instant-Charakter«, der sich auf keinen Fall entwickeln darf (S. 33). Es verkörpert den »Sieg von ›Stil‹ über ›Inhalt‹, von ›Ästhetik‹ über Moral, von Ironie über Tragödie« (S. 38). Das Pathos im Camp darf nicht mit Tragik verwechselt werden (S. 39), denn Camp versucht, »den Ernst vom Thron zu stoßen« (S. 41). Homosexualität ist nicht per se campy, es besteht aber eine »bestimmte Affinität und ein Überschneidungsbereich«. Homosexuelle bilden zumindest die größte potentielle Publikumsgruppe für Camp (S. 51). Der Grundsatz von Camp lautet: »Es ist gut, weil es schlecht ist«. 35

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Der Fernsehproduzent William Dozier (1908–1991) las im März 1965 im Flugzeug aus Langeweile als erklärter Comic-Hasser einige Batman-Hefte und hatte eine Idee: Warum sollte man Batman nicht einfach völlig überdrehen und als Fernsehserie für die ganze Familie herausbringen? Die doppelt angepeilte Zielgruppe – begeisterte Kinder, die das Ganze ernst nehmen, und Erwachsene, die sich an der Schrillheit amüsieren – war von Beginn an richtungsweisend. Das Ganze schien gut in die Fernsehlandschaft neben andere Serien der Zeit passen – von I Dream of Genie über The Munsters, Star Treck (mit einem ebenfalls oft als homosexuelles Pärchen verstandenen Duo Kirk und Spock), The Monkeys (mit der gleichnamigen Popgruppe), The Addams Family bis zum technikverliebten Mission Impossible.

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[63] 

Abb. 10: Cover Batman # 183 (August 1966, »Nicht heute Nacht, Junge! Ich werde hier in der Bathöhle bleiben, um mich im Fernsehen zu sehen!«).

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[65] 

Abb. 11: Werbeblatt für den Batman-Film von 1966 aus DC # 356 (Oktober 1966, nach Cotta Vaz (1989) S. 88).

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Die erste Folge schlug ein wie eine Bombe, und eine neue (und die bis heute vielleicht bekannteste) Sichtweise der Figur setzte sich durch: Batman wurde gespielt von Adam West (*1929), der das Ganze völlig ernst nahm, indem er etwa seinen belanglosen Text wie einen großen Shakespearemonolog bedeutungsschwanger und mit überlangen Pausen deklamierte. Symptomatisch für die Interferenzen zwischen Comic und Film (Charaktere aus der Fernsehserie wurden plötzlich in den Comic eingeführt oder dort ausgebaut, etwa Alfred, der Butler, oder Batgirl, die Tochter von Comissioner Gordon) ist ein Cover aus dem August des Jahrs 1966: Batman wehrt Dicks Aufforderung ab, heute noch Gangster zu jagen, er wolle nämlich gerade seine Sendung im Fernsehen sehen (vgl. Abb. 10).

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In der Serie herrschte »ein femininer Ton« 36 – und eine Modewelle brach los: Ein eigener Haarstil wurde kreiert, der sogenannte »Batusi« (eine eher unfreiwillig-komische Tanzeinlage Wests) wurde zum Modetanz, und Merchandising-Artikel überschwemmten die Supermärkte, von Batman-Milchbechern über Batman-Cola und -Kaugummi, Erdnussbutter, Luftballons, Spardosen, ein Batman-Puppentheater und ein Batman-Auto-Steuerrad, Batman-Gürtel mit Sonderausrüstung, Buttons (etwa mit dem Aufdruck »I’m a Batman Crimefighter«), Masken und Kostüme bis hin zu kompletten Spielsets mit Action-Figuren. 37 Die wahren Fans (oder die, die sich für solche hielten,) waren empört. Und interessanterweise wurden die offensichtlich homosexuell pointierten Späße der Fernsehserie niemals zum Thema gemacht – als habe es Werthams Angriffe nie gegeben. Die dritte Staffel der Fernsehserie ab 1967 war aber nicht mehr ganz so erfolgreich wie die ersten beiden, es gab folglich nur noch einen, nicht mehr zwei Sendeplätze wöchentlich.

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1.1.4 Die 1970er Jahre bis heute: Der Zwang
zur originellen Veränderung und die Wichtigkeit der Autoren

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Camp hatte nicht nur Fans. Doch war für die Umsetzung anderer, alternativer, vielleicht sogar dunklerer Sichtweisen von Batman der Boden noch nicht bereitet. Erste Ansätze zu einer solchen grundsätzlichen Veränderung zeigten sich in der wachsenden Wertschätzung der einzelnen Autoren, Inker, Letterer und Coloristen der Comics. Vor allem wurden die Fans ernster genommen (Fanzines, also eigene Magazine für die Fans, gab es bereits seit den frühen 1950er Jahren), denn sie erhielten z.B. eine eigene Plattform in den Fanbrief-Anhängen der Comicausgaben, um dort ihre persönliche Meinung zu äußern. Comic-Messen – die erste »New York Comicon« fand im Jahre 1964 statt – ermöglichten den ersten Kontakt zwischen Lesern und Comic-Machern. DC ließ sich zwar nicht vollständig in die Karten schauen bzw. gab immer noch nicht die Namen der jeweils an einer Geschichte Beteiligten Preis. Doch entwickelte sich aus dieser Geheimnistuerei ein beliebtes Ratespiel, bestimmte Stile und Handschriften zu erkennen: Wer hatte wo wie in welchem Umfang seinen persönlichen Stil einfließen lassen?

[70] 

Die Entwicklung kulminierte Mitte der 1980er Jahre in den sogenannten graphic novels, also vollständig unter dem Namen eines bestimmten Autors oder eines Kollektivs erscheinenden, in sich geschlossen, hochpreisig als gebundenes Buch mit Umschlag verkauften Großcomics. Den Beginn machte Frank Millers The Dark Knight Returns von 1986, gefolgt von Alan Moores (*1953) und Brian Bollands (*1950) The Killing Joke von 1988 sowie Arkham Asylum von Grant Morrison (*1960) und Dave McKean (*1963) von 1989.

[71] 

Über die Jahre war es also immer wichtiger geworden, den jeweils neuen Batman anders als alle vorausgegangenen Sichtweisen der Figur anzulegen. Diese Erwartungshaltung prägte wiederum die etwa zur selben Zeit produzierten ersten beiden großen Batman-Spielfilme von Tim Burton (*1958), Batman von 1989 mit dem sagenumwobenen, die alte Musik der Fernsehserie wiederaufnehmenden Soundtrack von Prince (damals Spitzenreiter in den Charts) und The Return of the Batman von 1992: Burton war auf Grund seines Erfolges der Verfilmung der Schicksale skurriler, am Rande der Gesellschaft stehender Einzelgänger bekannt geworden. Sein Batman (dargestellt vom keineswegs athletischen Michael Keaton, geb. 1951) wurde solch eine seltsame Figur, ein anders als in der Comic-Vorlage im Privatleben eher unscheinbarer, schwach wirkender Mensch, der sich auch aus diesem Grunde eine Doppelexistenz als Superheld gewählt hatte. Sein martialischer Anzug wirkte nicht wie im Comic als eng anliegende zweite Haut zur Unterstreichung jeder hart antrainierten Muskelfaser, sondern als künstliche Rüstung. Die wütenden Debatten um diese in den Augen der meistem Fans indiskutable Regie und Besetzung führte zu einem der interessantesten Kapitel im Zusammenhang mit der Figur, nämlich zum Aufbegehren der Hardcore-Fans unter anderem im Internet unter dem Schlachtruf »Don’t let the suits win!«, also gerichtet gegen die Anzugträger bei Warner Bros., die als inzwischen neue Eigner nun DC vorschreiben konnten, was diese in Sachen Batman auch in den Verfilmungen zu tun und zu lassen hatten. Zehn Jahre später galt der Film als Klassiker.

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1.2 Die Zusammensetzung des Helden

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Doch woraus speiste sich diese so widerstandsfähige und gleichzeitig so flexible Figur? Ihre Geschichte wurde von Beginn an durch Übernahmen von Vorbildern oder Details aus verschiedensten Medien geprägt. Einige der großen Figuren aus der Literatur standen Pate, so (besonders der von Bill Finger bevorzugte) Sherlock Holmes (also Arthur Conan Doyles (1859–1930) Fortentwicklung des genialen Detektivs Auguste Dupin von Edgar Allan Poe (1809–1849)), sowie dessen Gegenspieler, der Napoleon des Verbrechens, Professor Moriarty. Pulp-Magazine bzw. Groschenhefte gesellten sich hinzu, die sich in Amerika allergrößter Beliebtheit erfreuten. Besonders die aus den Pulps entwickelten Radiosendungen hatten es dem jungen Bob Kane angetan, etwa die Show um »The Shadow« (gesendet von 1931 bis 1949) um einen Kämpfer gegen das Unrecht, der eine Doppelidentität für diese seine Tätigkeit nutzt. Auch Comics hatten das Feld bereitet, so etwa der athletische, sparsam bekleidete »Flash Gordon« 38 von Alex Raymond (1909–1956), Star einer der frühesten Science-Fiction-Comics-Stories aus Zeitungen, oder Will Eisners (1917–2005) »Dick Tracy« mit seinen obskuren, hinreißenden Erzbösewichten.

[74] 

Doch noch aus anderen Wurzeln speiste sich die Figur »Batman«: Bob Kane war ein erklärter Fan von Filmen wie Little Caesar von 1931 mit Edward G. Robinson (1893–1973) in der Titelrolle über den Aufstieg und rasanten Fall von Rico, einem Mafia-Boss, oder The Public Enemy aus demselben Jahr über die Prohibitionszeit, ein Film, der James Cagney (1899–1986) berühmt machte: Kane war also begeistert von Filmen über Gangster, die in den 1930er Jahren in Zeiten der Korruption und Misswirtschaft im amerikanischen Staat als Gegenfiguren schnellstens Heldenstatus erlangten. Beide Streifen ziert ein mehr als fadenscheiniger Vorspann, in dem darauf hingewiesen wird, dass es im folgenden Film nicht um Glorifizierung der Kriminellen, sondern um die Darstellung eines drängenden Problems geht, das die Öffentlichkeit lösen müsse. Die Verkrampftheit und unfreiwillige Komik erinnern an Batmans Beschwichtigungsversuche aus Batman # 3 aus dem Herbst 1940 (s. hier S. 11).

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Doppel-Identitäten wie die von »The Shadow« waren schon länger zum Thema geworden: Spätestens seit Robert Louis Stevensons (1850–1894) The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde von 1886 (auch dort lebt der Titelheld mit seinem Butler allein in einem Haus und hat sich ein geheimes Laboratorium eingerichtet, um an diesem Ort von einer Identität in die andere zu wechseln 39 ) war klar, dass bestimmte Interessen sich nicht mit einer bürgerlichen Identität vereinbaren ließen bzw. es eine Deckidentität für bestimmte Taten brauchte: Der ehrenwerte Dr. Jekyll verwandelte sich in das Tierwesen Hyde, das nur den eigenen Instinkten gehorcht und seine Gelüste ohne Rücksicht auf Verluste auslebte. Ähnlich nahm der Graf von Monte Christo die titelgebende Zweitidentität in Alexandre Dumas Pères (1802–1870) Roman Le Comte de Monte-Christo von 1845/46 an, um sich so spät an seinen Peinigern rächen zu können.

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Die Doppelung Tier-Mensch ist spätestens seit den ägyptischen Gottheiten mit ihren Menschenkörpern und Tierköpfen wie Horus (mit dem Falkenkopf), Annubis (mit Schakalkopf), Thot, dem Gott der Gelehrten (mit Ibiskopf) oder Ra (der falkenköpfige Sonnengott) im kulturellen Gedächtnis der Menschheit aufgehoben. Auch in einigen Romanen der Zeit spielt die Kombination eine Rolle, etwa in H.G. Wells’ (1866–1946) The Island of Dr. Moireau von 1896 über des Titelhelden grausame Experimente an Tieren, diese durch chirurgische Eingriffe zu Menschen umzuoperieren. Bella Lugosi (1882–1956) hatte als Dracula im gleichnamigen Film 1931 Furore gemacht und segelte als Fledermaus bei seinen Opfern ein:

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Abb. 12: Screenshot aus Dracula (1931).

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Faszinierend scheint für viele der Gedanke gewesen zu sein, dass man die Darwinsche Evolutionsleiter auch wieder hinuntersteigen können müsse. 40 Fledermaus-Verkörperungen gab es entsprechend nicht nur bei den Vampiren, sondern in den verschiedensten Formen, etwa als The Bat 1934 im Pulp-Magazin Popular Detective (verfasst vielleicht sogar von Johnston McCulley (1883–1958), dem Erfinder von Zorro) 41 , der eine Maske mit schwarzem Fledermausemblem trägt und zu dieser Maske wie Batman durch eine in ein Fenster fliegende Fledermaus inspiriert wurde, oder als (zweite) Black Bat aus dem Juli 1939 um einen Staatsanwalt, der mit ähnlichem Schicksal wie Batmans Erzfeind Two-Face, nämlich nach einem Säureangriff auf sein Gesicht, mit Maske und Cape auf eigene Rechnung gegen Verbrecher loszog.

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[81] 

Abb. 13–15: Black Bat vom Oktober 1933; Zeichnung in einem The Bat-Heft; Serie um die zweite Black Bat ab Juli 1939, also kurz nach dem ersten Auftreten Batmans (nach Daniels (1999) S. 25).

[82] 

Mit der Fledermaus hängt die Faszination am Fliegen zusammen: Kane hatte als Junge begeistert die an eine Fledermaus erinnernden Entwurfszeichnungen Leonardo Da Vincis (1452–1519) für eine Flugmaschine studiert und entsprechende Zeichnungen angefertigt.

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[84] 

Abb. 16: Da Vincis Skizzen für einen Flugapparat (um 1486–1490); Abb. 17: Eine Rekonstruktion (nach Gibbs-Smith (1978) S. 14).

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[86] 

Abb. 18: Frühe Entwürfe von Kane noch vor der Erstveröffentlichung (in enger Anlehnung an Da Vinci, nach Kane (1985) S. 36).

[87] 

Schließlich bot der Film The Bat Whispers von 1930 direktes Anschauungsmaterial. Der Streifen war ein Remake des Stummfilms The Bat von 1926, der wiederum auf dem Roman von Mary Roberts Rinehart (1876–1957) von 1907 bzw. ihrem deutlich überarbeiteten Theaterstück The Circular Staircase beruhte, das zwischen 1920 und 1922 867 Mal am Broadway lief. Das Remake von 1930 wurde berühmt für seine für die Zeit erstaunlichen Kamerafahrten, für die am deutschen expressionistischen Film geschulten Kamerawinkel, die extremen Ausleuchtungen, die Einbeziehung von Modellen und die direkten Überblendungen aus diesen Modellen in reale Szenerien.

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[89] 

Abb. 19: Frühes Cover des Originalromans.

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[91] 

Abb. 20: Filmplakat der 1922er Version; Abb. 21: Filmplakat der 1930er Version.

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Abb. 22 und 23: Screenshots aus dem Stummfilm (aus Kane (1989) S. 40).

[94] 

Ein Juwelenhalsband wird durch »The Bat«, einen »notorischen Wahnsinnigen« und Verbrecher gestohlen, der am Ort des Verbrechens immer eine Visitenkarte mit der Abbildung einer Fledermaus zurücklässt. Kane kannte das auch auf dem Umschlag des Romans abgebildete Bat-Signal (also des Lichtkreises eines Scheinwerfers, der die Umrisse einer Fledermaus als Schatten auf eine Fläche wirft), mit dem die Fledermaus ankündigte, wer als nächster an der Reihe sei, aus dem früheren Stummfilm – direktes Vorbild für das Bat-Signal, auf das auch noch heute im Zeitalter des Handy und des Internet Batman nicht verzichten kann. Niemand weiß, wer die Fledermaus ist. Es könnte, so die 1930er Version, »ein Händler, ein Anwalt, ein Doktor oder eine noch vertrauensvollere Person« sein. Zu der Geschichte um das Halsband gesellt sich ein Bankraub hinzu. In einem einsam stehenden Haus mit vielen Korridoren und steilen Treppen, Geheimgängen und einem geheimen Raum mit einem verborgenen Eingang kommt es in einer Gewitternacht zum Showdown, und der Schurke wird enttarnt. Der behauptet von sich, er habe »das größte Gehirn aller Zeiten« und sei nicht zu stoppen, denn es gebe »kein Gefängnis, das stark genug gebaut sei, um mich zu stoppen«: Denn »die Fledermaus fliegt immer bei Nacht. Und immer in gerader Linie«. Besonders interessant ist die Schlussrede des Bat-Schauspielers, der, nachdem der reale Vorhang im Film bereits gefallen ist, nochmals vor das Publikum tritt:

[95] 
Meine Damen und Herren. Ich bin hier, um mich an Sie zu wenden wegen eines lieben Freundes von mir, wegen der Fledermaus. Die Leute haben nun seine Identität entdeckt. Er ist untröstlich. […] Um nun also die Fledermaus glücklich zu machen, möchte ich Sie bitten mir zu versprechen, dass Sie seine wahre Identität niemandem offenbaren. […] Darf ich vielleicht noch hinzufügen, dass die Fledermaus ihr mörderisches Geschäft nur zu ihrer Unterhaltung ausführte und dass unter seinem schrecklichen Äußeren er gar kein so schlechter Kerl ist? Danke.
[96] 

Batmans Welt war auch aufgrund solcher Wurzeln von Anfang an kinogemäßer angelegt als etwa die Welt Supermans: Beeinflusst von der Kameraführung experimentierte Kane früh zumindest mit angle-shots und schaffte es als einziger Zeichner bei DC, den »nebelverseuchten Warner-Brothers-Look« 42 in das Medium Comic zu übertragen.

[97] 

Zumindest ebenso großen Einfluss wie The Bat bzw. The Bat Whispers dürfte die Verfilmung des Zorro-Stoffes von 1920 nach der in Teilen 1919 in All-Story Weekly veröffentlichten The Curse of Capistrano von Johnston McCully gehabt haben, jene Erzählung um den Lebemann Don Diego, der tagsüber langweilig-unverdächtig vor sich hin lebt, des Nachts aber als Zorro maskiert gegen Ungerechtigkeit kämpft. Nicht nur einzelne Motive finden sich direkt im Comic wieder (so die unter dem Herrenhaus liegende Höhle, in der Zorros Pferd steht, oder der Weg in diese Höhle, der im Haus hinter einer beweglichen Standuhr beginnt). Vor allem die legendäre Körperbeherrschung von Douglas Fairbanks sen. (1883–1939) waren direktes Vorbild für Batman:

[98] 

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Abb. 24–26: Screenshots aus The Mark of Zorro (1920), Don Diego, Zorro, Don Diego.

[100] 

Der Film war für den Batman-Erfinder Bob Kane auch in unerfreulicher Weise persönlich prägend: Auf dem Rückweg vom Geigenunterricht geriet der junge Bob in New York an eine verfeindete Straßengang. Kane war zu dieser Zeit Mitglied der Jugendgang »The Zorros«. Er rannte auf ein leeres Grundstück, versuchte, den Maschendrahtzaun am Ende des Grundstückes zu erreichen, und kletterte zu diesem Zweck auf einen 30 Fuß hohen Stapel Holz. Von diesem gewahrte er einen anderen, 15 Fuß tiefer liegenden Holzstapel: 43

[101] 

Ohne Alternative beschloss ich, mein Idol Zorro zu imitieren – ich nahm Anlauf und sprang, um die Lücke zwischen beiden Stapeln zu überbrücken, und landete auf dem tiefer liegenden. Instinktiv beugte ich meine Knie, um meinen Fall zu bremsen. Meine früheren Erfahrungen bei der Übung von Zorro-Sprüngen im Holzlager hatten mir geholfen.

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[103] 

Abb. 27–29: Screenshots; Zorro springt über seine Feinde hinweg.

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Im Anschluss griff Kane nach einem Flaschenzug und schwang sich weiter – wurde am Ende jedoch von der Gang überwältigt und übel zugerichtet: Er wurden die Vorderzähne eingeschlagen sowie ein Arm und beide Hände gebrochen. Zum Glück konnte er seine Zeichenhand bald wieder bewegen – und wurde später im II. Weltkrieg (als einer der wenigen Comiczeichner) auf Grund seiner Verletzungen als wehruntauglich ausgemustert: 44

[105] 
Diese ganze Geschichte überdauerte bis heute in meinem Unterbewusstsein als Albtraum. Ich hatte Zorro gespielt und verloren! Wäre es wirklich ein Traum oder ein Film gewesen, wäre ich aus dem Kampf siegreich hervorgegangen. Aber dieses Drama im wirklichen Leben hatte einen fünzehnjährigen leichtsinnigen Jungen fast das Leben gekostet.
[106] 

Quellen aus den verschiedensten Medien griffen also bei Batman ineinander, Vorbilder aus der Mythologie, der Technikgeschichte, aus Romanen, aus den Groschenheften, aus Comics, aus Radiosendungen und Filmen der Zeit und sogar biographischen Details. Doch warum wurde diese auf den ersten Blick beliebige Gemengelage mit Wurzeln aus den unterschiedlichsten Gebieten interessant und so widerstandsfähig? Was macht Batman zum Superhelden?

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1.3 Warum sollte Batman eine mythische Figur sein?

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1.3.1 Was macht einen Superhelden aus?

[109] 
Weißt Du, was das schrecklichste Ding auf der Welt ist? Nicht zu wissen, wo Dein Platz in der Welt ist. Nicht zu wissen, wer Du hier bist. Das – das ist ein ekliges Gefühl. […] Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben. Es gab so viele Momente, in denen ich mich selbst in Frage gestellt habe. Doch ich habe Dich gefunden. So viele Opfer, um Dich zu finden. […] Nun, da wir wissen, wer Du bist, weiß ich, wer ich bin. Ich bin kein Fehlgriff. Es macht alles Sinn. Weißt Du, wie man in einem Comic-Buch herausfinden kann, wer der Erzfeind sein wird? Er ist das genaue Gegenteil des Helden. Und fast immer sind beide Freunde, wie Du und ich. Ich hätte das schon früher erkennen sollen. Weißt Du warum, David? Wegen der Kinder. Die nannten mich [schon früher in der Schule, als ich noch ein Kind war,] »Mr. Glass«
Mr. Glass in Unbreakable (2002) zu dem von ihm zum Gegner gekürten angeblichen Superhelden.
[110] 

Schaut man auf die bisherige Untersuchung zurück, so zeigen sich bereits einige Merkmale eines Superhelden: Ein Superheld lebt (meist) allein, pflegt eine Doppelexistenz, hat sich einer Aufgabe (meist dem Kampf für Recht und Gerechtigkeit, was auch immer das sein soll) verschrieben, verfügt über besondere Fähigkeiten, die entweder angeboren (wie bei Superman) oder durch einen Unfall (wie bei Spiderman) entstanden sind oder die derjenige durch Training (wie Batman) erworben hat.

[111] 

Doch ist das die ganze Wahrheit? Betrachtet man sich die geradezu unerschöpflichen Heere der Erzschurken gegen die, wie Mr. Glass aus dem Anti-Superheldenfilm Unbreakable behauptet, der Superheld anzutreten hat, 45 so könnte man auf den Gedanken kommen, dass erst der Erzschurke aus jemandem einen Superheld macht (diesen Punkt gilt es im Zusammenhang mit der Figur des Jokers noch näher zu beleuchten).

[112] 

Und warum sollte nun ein Superheld auch noch eine geradezu mythische Gestalt werden können?

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1.3.2 Was ist eine mythische Gestalt? Was ist ein Mythos?

[114] 

Es existieren derartig zahlreiche Erklärungsversuche und die Definitionen sind so unterschiedlich, dass man feststellen muss, dass es »noch immer keine anerkannte Definition des ›Mythos‹« 46 gibt. Minimaldefinitionen sind wenig hilfreich: Versteht man das Phänomen wie Christoph Jamme etwa als »mündlichen Kommentar einer Kulthandlung«, provoziert diese Verengung kaum lösbare Schwierigkeiten. Laut Jamme soll der Mythos nämlich »eine Erzählstruktur« haben. Wiedergegeben würden »bestimmte wiederholbare Ereignisse, die außerhalb von Raum und Zeit liegen« und »an bestimmten Knotenpunkten menschlicher Existenz« wie etwa Geburt oder Tod ansetzten. Mythen »treten immer auf im Zusammenhang mit Ritualen« und seien »der kognitive Teil zur kultischen Praxis«. 47 Doch wie kann eine solche Definition auch noch im Zusammenhang mit fiktionalen Figuren wie Batman weiterhelfen?

[115] 

Aleida und Jan Assmann haben vorgeschlagen, den Begriff unter sieben Kategorien zu fassen: Erstens könne man den Begriff »Mythos« polemisch verstehen (nämlich als Gegenbegriff zum Logos bzw. zur Aufklärung). Zweitens sehen sie ihn historisch-kritisch, d.h. der Mythos wird in diesem Falle nicht von vornherein verworfen, sondern als »zeitlose Wahrheit« interpretiert. Drittens führen beide einen funktionalistischen Begriff von Mythos an, der einen »kulturellen Leistungswert«, nämlich eine fundierende, legitimierende und weltmodellierende Funktion als lebendiger Mythos, aufweist. Viertens beziehen sie sich auf den Alltagsmythos, also »mentalitätsspezifische Leitbilder, die kollektives Handeln und Erleben prägen« (so etwa der American Dream). Fünftens könne man den Begriff als narrativen Begriff verstehen (diese Variante greift sehr weit aus, geht es doch dann letztendlich um erfundene, fiktive Geschichten). Sechstens beziehen sich beide im Sinne von Hans Blumenberg auf literarische, insbesondere auf abendländische Mythen (also auf einen bestimmten Fundus), die ständig umgeschrieben werden. Mythos sei entsprechend dieser Sichtweise »gerade nicht verbindlich, sondern immer schon als Rezeption verstanden«. Ihre siebte Verständnisvariante zielt auf Ideologien oder Weltenwürfe wie Hegels »Weltgeist« oder auch den »clash of civilaziations« von Huntington. 48

[116] 

Batman als relativ junge Comic-Figur lässt sich nun durch keine dieser Partial-Definitionen erschöpfend beschreiben, doch könnte man immerhin einige Punkte aus den sieben Ansätzen festhalten, nämlich den Charakter als mentalitätsspezifisches Leitbild, das (auf einem bestimmten Fundus beruhend) ständig umgeschrieben wird, sowie die Tatsache, dass er von Beginn an andere Mythen einbezieht, sowie die Tatsache, dass er sich auf Ideologien und andere Weltentwürfe bezieht.

[117] 

Man sollte diese vergleichsweise flexible, patchworkartige Annäherung an den Begriff nicht unterschätzen, ist sie doch in der Lage, übertragen bzw. angewendet auf andere Phänomene auch so genannte klassische mythische Figuren wie etwa Prometheus besser zu verstehen, denn klassische Mythen sind selbst alles andere als eindeutig. Ein Beispiel: Benjamin Hederich (1675–1748) listet in seinem einflussreichen Mythologie-Lexikon (das Goethe immer wieder zu Rate zog) verschiedenste Versionen etwa von Prometheus Herkunft auf. Zum einen sei sein Vater ein Titan gewesen. Jedoch »machten auch welche den Uranus oder Cölus und die bemeldete Klymene […] oder den Eurymedon, einen Riesen, und selbst die Juno [also Zeus’ Frau] zu seinen Aeltern«. Prometheus, so einer der Kerne der Sage, wurde an den Kaukasus geschmiedet, weil er den Menschen das Feuer (nach anderen auch die Mathematik oder das Wissen um die Bearbeitung von Metall) gebracht hatte. Einige meinten aber, »ihm sey diese Strafe nicht so wohl wegen des entführten Feuers, als weil er der Minerva Gewalt anzuthun gesucht, angethan worden«. Befreit wurde er dann von Herkules, nach einer anderen Version aber von Jupiter selbst, weil Prometheus den Göttervater vor einer drohenden Gefahr gewarnt hätte. Der berühmte Adler, so wollen einige wissen, habe nicht nur die Leber des an den Kaukasus Gefesselten, so die gängige Version, sondern auch sein Herz angefressen, die beide jeweils über Nacht nachwuchsen. Der Ort der Strafe wird verschieden lokalisiert: Der griechische Dramatiker Aeschylus (525–456 v. Chr.) hat ihn z.B. »nicht an den Kaukasus, sondern an europäische Gegenden des Oceans angefesselt«. Einige erklären Prometheus dann schlicht zum biblischen Noah, da er wie jener eine große Sintflut überlebt haben soll. Zwei Hauptdeutungen der Figur lassen sich ausmachen: Zum einen wurde er als Gründungsvater der Kultur verehrt und »hatte zu Athen, selbst in der Akademie, seinen Altar«. 49 Anderseits wurde er zum »Exempel, wie Gott die strafe, welche aus Hochmuthe gleichsam in den Himmel zu steigen, und ihn zu betriegen suchen«, gesetzt. Eine Nebenversion des Mythos, die Juno zu seiner Mutter erklärt, nutzte Goethe (so zumindest eine Lesart), um in seinem berühmten Gedicht Prometheus in typischer Sturm-und-Drang-Manier den Konflikt zwischen dem hoch über den Menschen agierenden Göttervater und Ehemann Junos, Zeus, und dem den Menschen nahen, genieartigen Menschenfreund Prometheus als Konflikt zwischen Vater und Sohn zu begreifen – und damit im Gegensatz zum eigentlichen Kern-Mythos, für den Prometheus ja zum ältesten, und gerade nicht zum jüngeren Göttergeschlecht gehört.

[118] 

Mythen sind also alles andere als eindeutig festgelegte Geschichten von klar umrissenen Figuren, sondern leben auch und vor allem durch ihre immer neue Umerzählung. Die oben angeführten flexiblen Bezugspunkte des mentalitätsspezifischen, immer wieder neu umgeschriebenen Leitbilds, das von Beginn andere Mythologeme einbezieht und auf Ideologien und Weltentwürfe verweist, sollen bei der Beschäftigung mit den intermedialen Ausformungen von Batman als Orientierungspunkt angewendet zu werden. Man könnte, denkt man diesen Ansatz weiter, sogar so weit gehen zu behaupten, dass dann, wenn der Mythos am Ende nicht mehr umerzählt wird, die Figur versteinert und schließlich nur noch museal in der Rückschau von Interesse ist.

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1.3.3 Ecos verkürzte Sicht

[120] 

Umberto Eco hat sich in den 1960er Jahren bewundernswert früh mit den Grundlagen der Massenkultur und dabei besonders mit Comics beschäftigt. Das Hauptinteresse seiner Untersuchungen ist dabei gesellschaftskritischer Art. In seinem Aufsatz über den Mythos Superman differenziert er zwischen zwei Formen des Mythos: Eine Figur des griechischen Mythos besaß »eine Geschichte«, und »diese Geschichte prägte seine göttliche Physiognomie«. Jedenfalls habe sich »die Geschichte ereignet« und sei »zu einem Abschluß gelangt«. Das Personal aus den Comics seien hingegen Geschöpfe »der Romankultur«, also nicht beheimatet in »geschlossenem Geschehen«, das »bereits geschehen war«.

[121] 

Die Romanpersonen leben von der Unvorhersehbarkeit und sind dadurch »verfügbar für unsere Anteilnahme«. Die mythologische Person des Comic befindet sich nun, so Eco, in einer einzigartigen Lage, denn sie muss »einerseits archetypisch sein, bestimmte kollektive Hoffnungen zusammenfassen und deshalb emblematisch [also in einer Kombination aus Bild und Schrift, H.F.] in einer Weise fixiert sein, die sie leicht wieder erkennbar macht (eben dies geschieht mit Superman)«. Gleichzeitig muss sie aber »einer Entwicklung unterzogen werden«. Superman sei aber nun ein Held ohne tatsächliche Gegner »und damit ohne Entwicklungsmöglichkeiten«. Nach jeder kurzen Geschichte fange er »konsequenzlos wieder von vorne an«. Würde er demgegenüber »die Handlung an der Stelle wieder« aufnehmen, an der er »sie verlassen, sie unterbrochen hat«, so hätte er »einen Schritt auf den Tod hin gemacht«. So aber lebt er quasi in einer Traumwelt.

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Darin zeigt sich, so Eco, ein Problem: Geschichten können Strukturen anbieten, um »unser Verhältnis zur Realität zu definieren und damit die Realität zu beschreiben«. Das ist bei Superman aber nicht möglich, weil »die verworrene Auffassung der Zeit«, an die die kleinen, in sich abgeschlossen Geschichten geknüpft sind, die »einzige Bedingung der Glaubwürdigkeit der Erzählung« ist. Superman ist also, so Eco, ein »Modell der Außensteuerung«, ist »nichts anderes als eines der pädagogischen Werkzeuge dieser Gesellschaft«, und die »Zerstörung der Zeit«, die er betreibt, ist »Teil ihrer Programmatik, nun von den Gedanken eines Programms der Selbstverantwortung abzulenken« und befriedige nur den »Hunger nach Redundanz«. Unerfreulich sei, dass in Superman-Comics die »einzige sichtbare Form, die das Böse annimmt«, der »Anschlag auf das Privateigentum« ist, jede Autorität aber »von Grund auf gut und unverdorben, jeder Böse ohne Aussicht auf Rettung« ist. Hingegen tritt das Gute allein »in der Gestalt von Wohltätigkeit« auf. Batman nun wird von Eco mit Superman in einem Atemzug genannt – unter besonderer Berücksichtigung der »an Männerbünde erinnernden Lebensbedingungen«, an denen man »Elemente von Homosexualität« erkennen kann. 50

[123] 

In einigen Punkten muss Eco weiterhin Recht gegeben werden, z.B. in Bezug auf das lange Zeit höchst naive Verständnis von Gut und Böse oder von Kriminalität im Comic. Jedoch ist die Übertragung der Untersuchungsergebnisse von Superman auf Batman ungerecht, denn zum einen hat Batman sehr wohl eine Geschichte hinter sich (Kernpunkt dieses immer wieder leicht variiert erzählten Mythos um seine Person ist ja etwa die Ermordung der Eltern). Außerdem finden sich ab der Mitte der 1980er Jahre verschiedenste Ausdeutungen des Superhelden, die besonders seine Abnutzung bzw. sein Alter thematisieren (so etwa in Frank Millers The Dark Knight Returns) und im Ernstfall mit dem Tod aller Beteiligten enden können (so etwa die Splatter-Vampir-Trilogie von Moench u.a. 1991/1994/1998). Diese langen (!), in sich geschlossenen graphic novels oder Heftserien, die später in Buchform veröffentlicht wurden, entwerfen jeweils ein eigenes Universum für Batman. Besonders diese Großformen – von den intermedialen Umsetzungen und der ab Mitte der 1980er Jahre auch immer politisch gesehen radikaleren Ausrichtung ganz zu schweigen – kann Eco aber mit seinem Instrumentarium nicht erfassen.

[124] 

2. Die traumatische Urszene: Einzelinterpretationen

[125] 

2.1 Comics

[126] 

Die Reihe der Batman-Comics wurzelt wie ausgeführt in einer Urszene, auf die in den verschiedenen späteren Ausdeutungen der Figur immer wieder Bezug genommen wird (zu nennen sind als Grundbestandteile der Kinobesuch, der Raub und der Mord an den Eltern, später der Schwur, Ausbildung und Training sowie die Findung des Kostüms). Bemüht um eine geordnete Wiedergabe, wird wie erwähnt die Geschichte in DC # 33 Bild für Bild nachgezeichnet. Die Folge zeigt in den Einzelbildern immer möglichst die gesamte Szene und stellt keine Ausschnitte verfremdend heraus. Keine harten Wechsel zwischen den Bildern oder unerwartete Sprünge stören den zeitlich und kausal klar geordneten Ablauf: Am Ende ist Batman geboren. 51

[127] 

Doch wie sehen andere Autoren die Szene? Wie beziehen sie die Urszene in ihrer Neufassung des Mythos ein? Verändern sie diese oder erzählen sie sie nur nach? Ein Beispiel für eine bloße Modernisierung bietet Loeb 2003 in seinem Batman. Hush mit ähnlicher Bilderabfolge:

[128] 

[129] 

Abb. 30 und 31: Loeb u.a. (2003) o.S.

[130] 

Wie gehen die jeweiligen Autoren also vor: ähnlich wie die Nacherzähler klassischer Mythen? Einige Beispiele sollen das erläutern.

[131] 

2.1.1 Das erste Jahr als Hauptbezugspunkt der Saga

[132] 

Obwohl Batman. Year One 1988, also zwei Jahre nach Millers The Dark Knight Returns erschien, soll dieser Comic hier als erster genauer untersucht werden, da er von den im Folgenden betrachteten Beispielen der am wenigsten komplexe ist. Die Vereinfachung hat dabei System: Die Verantwortlichen bei DC hatten entschieden, die verschiedenen Paralleluniversen, in denen Batman bis Mitte der 1980er Jahre unterwegs war, auf eine Version zu beschränken – mit nur »einem Batman, einem Joker, einem Superman«, um die Inkonsistenzen der verschiedenen Variationen auf ein Minimum zu reduzieren (doch wurde dieser Ansatz nicht lange durchgehalten). 52

[133] 

Frank Miller, auch bei diesem Comic der Autor, und David Mazzuchelli pointieren in ihrem Year One die Urszene als Rückerinnerung des Twens Bruce Wayne (vgl. hier Abb. 32 und 33). Der von einem Polizisten angeschossene, inzwischen erwachsene Wayne schleppt sich dem Tode nahe zurück nach Wayne Manor und wirft sich in einen Ohrensessel, ohne seinen Butler Alfred zu rufen, der sich seiner Wunden annehmen würde. Er erinnert sich an den Abend, an dem seine Eltern zu Tode kamen: Die Farbgebung der Panels wechselt in düsteres Blau-Grau wie auf einem vergilbten, alten Erinnerungs-Foto. Das Eröffnungspanel dieser Erinnerungssequenz, das nun die gesamte Breite der Seite einnimmt, zeigt die glückliche Familie: Der kleine Bruce sitzt zwischen seinen Eltern im Kino, gegeben wird ein Film über Zorro.

[134] 

Das nächste Panel zeigt unvermittelt die Szene des Überfalls in der Straße bzw. den Versuch der Mutter von Bruce, ihren Ehemann zu beruhigen. Die nächsten beiden Panels nehmen jeweils die Hälfte der Seite ein. Dargestellt wird dabei exakt der Moment des Schusses: Die Szenerie wird wie bei einer Blitzlicht-Fotografie für einen Moment geisterhaft durch den Schuss erhellt. Im ersten Panel steht der Mörder rechts von seinem ersten Opfer, Bruce’s Vater, im nächsten Panel links von seinem zweiten Opfer, Bruce’s Mutter. Der scharfe Wechsel des Blickwinkels suggeriert eine schnelle Abfolge der Schüsse, auch nahegelegt durch die Verdoppelung der Panelanzahl pro Zeile. 53

[135] 

Das folgende, nun wieder die gesamte Seitenbreit einnehmende Panel muss im Zusammenhang mit dem nächsten, unmittelbar folgenden und die Seite abschließenden Panel gesehen werden: Der junge Bruce Wayne kniet im Lichtkreis einer Straßenlampe zwischen seinen toten Eltern, während man im Lichtkreis einer anderen Laterne den Mörder fliehen sieht. Nimmt man jedoch das darunter liegende Panel hinzu, so liegt der erste Lichtkreis, der die beiden Toten und den Jungen beleuchtet, innerhalb des im unteren Panel gezeigten Kopfes des Jungen: Der Text unterstreicht die Grundaussage, dass nichts anderes seitdem seinen Kopf füllte: » … seitdem ist mein Leben ohne Sinn«. Tatsächlich findet sich der Junge – bis auf das Doppelpanel der Erschießung – jeweils auf der exakten vertikalen Mittelachse in Verlängerung bis auf den Seitenrand hinunter.

[136] 

Der Seitenwechsel von einer rechten auf eine neu aufzuschlagende linke Seite zeigt jetzt denselben Gesichtsausschnitt von Bruce Wayne, springt nun jedoch wieder in die Gegenwart nach Wayne Manor zurück: Die Beibehaltung des Gesichts-Ausschnitts legt nahe, dass sich seitdem buchstäblich im Kopf des Jungen nichts verändert hat. Der anders als in der Urfassung nun tödlich Verletzte beobachtet in direkter Wiederaufnahme der Urfassung des Mythos eine Fledermaus, die im anschließenden Panel durch das Fenster bricht (anders als in der Urversion, in der sie durch das geöffnete Fenster schwebte, hier also als Zitat von Millers Version, vgl. hier Abb. 38). Und Bruce Wayne klingelt lächelnd nach dem Butler: Die Fledermaus steht im Zentrum der drei Bilder der letzten Zeile, thront dort, hat endgültig die Mittelachse übernommen und dominiert das Geschehen wie auch in Zukunft.

[137] 

[138] 

Abb. 32 und 33: Miller / Mazzuchelli: Batman.Year One (1986) o.S.

[139] 

Deutlich werden durch die Farbgebung die zwei Zeitebenen bzw. die Ebene der Gegenwart und die der Rückerinnerung voneinander getrennt. Der schnelle Perspektivenwechsel lässt die beiden Schüsse wie nahezu gleichzeitig abgegeben erscheinen. Das Ergebnis des Überfalls wird durch die seltsame Aufweichung der Panelgrenzen – der Lichtkreis erscheint als Teil des Kopfes von Bruce Wayne – symbolisch als das das kommende Leben vollständig ausfüllende Geschehen gedeutet. Die Wiederaufnahme des Gesichtsausschnittes des Jungen als eben derselbe Ausschnitt des Gesichtes des Twens unterstreicht die Unveränderlichkeit der Situation. Von einer solchen deutenden Pointierung des Geschehens mit den Mitteln des Comics als einer sequenziellen Kunstform, die der Leser erst durch Induktion als in sich geschlossene Abfolge zusammenfügen muss, war in der Urversion nichts zu entdecken.

[140] 

2.1.2 Millers Rückkehr des dunklen Ritters

[141] 

Ein anderes, noch komplexeres Verständnis der Urszene bietet Frank Millers früher entstandene grandiose Adaptation des Stoffes in seinem The Dark Knight Returns von 1986. In Gotham regiert der Mob (Miller selbst wurde in New York zwei Mal auf offener Straße ausgeraubt und ist ein großer Bewunderer von Clint Eastwood (*1930) und dessen vielleicht berühmtester Rächer-Figur »Dirty Harry« 54 ). Batman steht den offiziellen Institutionen reserviert gegenüber: Die (falsche) Meldung von seinem Tod am Ende der Geschichte im Fernsehen besagt, er sei während eines Kampfes mit Regierungstruppen gefallen (man stelle sich solch eine Aussage in einem Batman-Comic zu Beginn der 1950er Jahre vor!). In völliger Verkehrung der bisherigen Sichtweise ist nun Kriminalität nicht frei gewähltes Spielfeld oder steht das Böse nicht im Gegensatz zur Gesellschaft, sondern werden beide Erscheinungen zur »strukturellen Eigenschaft der Stadt als Ganzes«. 55 Entsprechend taucht im Comic der damalige amtierende Präsident der USA, Ronald Reagan (1911–2004), als die »amerikanische Antwort auf den Sonnenkönig« 56 auf, der nebenbei einen Atomkrieg anzettelt.

[142] 

Millers Bezugnahme auf die traumatische Urszene ist hochkomplex: Über drei (bzw. fünf, doch dazu später) Seiten reiht sich in einem einzigen Format im Staccatorhythmus Bild an Bild: Pro Seite sind jeweils 16 gleich große Panels in Reihen zu je vier Panels angeordnet (diese Struktur findet sich an keiner anderen Stelle in Millers Band in dieser Länge und Ausschließlichkeit). Die Sequenz beginnt auf Seite 14 des ersten Teils: Wayne ist alt geworden, sitzt vor dem Fernseher. Eine Verfilmung von Zorro wird durch die Programmansagerin angekündigt. Abrupt erfolgt ein inhaltlicher (und zeitlicher) Wechsel: Man sieht im nächsten Bild eine dreiköpfige Familie vor einem Kino mit dem Reklame-Schriftzug »Zorro« (es handelt sich hier also um eine Ausweitung des Mythos – von einem speziellen Film war in der Urversion nicht die Rede – also um eine Aufnahme von Kanes Selbstaussagen über seine Quellen), Wayne erlebt seine Urszene erneut (Panel 6). Das folgende Bild springt in die Gegenwart zurück und zeigt das nun verkrampfte Gesicht des alten Mannes, das durch den Fernseher von unten angeleuchtet wird (Panel 7). Die nächsten vier Bilder konzentrieren sich in der Rückblende wieder auf die fröhlich-ausgelassene Familie (Panel 8–11). Auf dem dann folgenden Bild erkennt man den Schatten einer Fledermaus gegen den Vollmond vor dunklem Nachthimmel, eine Vorausdeutung auf das erst später von Wayne gewählte Kostüm (Panel 12). In den nächsten Bildern hält der Vater seinen erschrockenen Sohn an der Schulter zurück (Panel 13–15). Als vergrößerter Ausschnitt erscheint eine automatische Pistole (Panel 16). Der Vater stellt sich dem Angreifer entgegen (Panel 17–20). Der Ausschnitt aus Bild 16 wird im Folgenden immer weiter vergrößert: Man sieht zunächst den vollständigen Abzug, den Schutzbügel und den Abzugsfinger, dann die Explosionsflamme der Munition und den Auswurf des leeren Hohlmantelgeschosses aus dem Lauf, nachdem durch die Explosion der Schlitten der Waffe zurückgeschleudert wurde (Panel 21–25). Zwei Bilder zeigen dabei den Flug der Patronenhülse und überdehnen dadurch dieses Detail (Panel 24–25). Drei Bilder zeigen die sich verkrampfende Hand des sterbenden Vaters auf der Brust des Jungen (Panel 26–28). Sechs Bilder zeigen, wie die Mutter des Jungen sich auf den Räuber wirft, dieser sich in ihrer Perlenkette verfängt und ihr die Pistole an den Hals setzt (Panel 29–34). Dabei rückt von Bild zu Bild in immer weiter vergrößertem Ausschnitt die Perlenkette der Mutter immer stärker in das Zentrum des Bildes. Das folgende Bild zeigt nochmals den Abzugsfinger (Panel 36).

[143] 

Nach schnellen Wechseln erscheint in Panel 40 ein Nachrichtensprecher und nimmt damit die Einblendung von Medien (bzw. Fernsehschirmen) als Leitmotiv wieder auf – hier jedoch nicht wie an anderen Stellen dieser graphic novel als Nachrichten- oder Interviewkommentare zum Geschehen im Comic, die sowohl die Fernsehanstalten als auch die Masse der im Interview Befragten als oberflächlich-hirnlose, nur auf den eigenen Vorteil Bedachte enttarnten. Diese Stelle sollte deshalb (als vielleicht einzige im Band) auch nicht als offensive Medienkritik verstanden werden (Blackmores Unterscheidung von vier Aufgaben dieser eingeblendeten Fernsehbilder, nämlich als Möglichkeit für extrem schnellen Perspektivwechsel ähnlich der Betätigung einer Fernbedienung, als Verwendung pseudo-objektiver Kamera-Auge-Perspektiven, als Vorführung der Inszenierung eines Geschehens als bloßes Medienevent sowie als Kritik am Fernsehen als Ersetzung von Kommunikation durch Fernsehen in einer fragmentierten Gesellschaft mit voneinander abgeschottet lebenden Individuen greift hier also nicht 57 ). An dieser Stelle geht es vielmehr darum zu zeigen, dass es Wayne endlich gelungen ist, den Auslöser bzw. Trigger für sein Flashback (also den Auslöser für seine kausal und zeitlich ungeordnete Erinnerung an das für ihn anscheinend traumatische Erlebnis, 58 nämlich den Zorro-Film) durch einen Wechsel des Fernseh-Kanals zu entgehen – doch nur scheinbar. Die folgende Sequenz (Panel 41–48) zeigt jeweils in extremen Ausschnitten abwechselnd den alten Bruce Wayne und verschiedene Nachrichtensprecher (nun wieder in der Gegenwart), die von Gewalttaten und Katastrophen berichten. Jeweils ein Bild Waynes und ein Bild eines Fernsehmoderators werden dabei in eines der 4x4-Kästchen gezwängt, die also wiederum den Rahmen vorgeben und das Geschehen in der bereits bekannten 4x4-Struktur unauflösbar zusammenschweißen:

[144] 

[145] 

Abb. 34–36: Aus Frank Millers The Dark Knight Returns (1986), S. 22–24.

[146] 

Die Struktur der gesamten Sequenz ist für Comics mehr als ungewöhnlich. Scott McCloud hat in seinem grundlegenden Buch über Comics sechs Gruppen der Übergänge von Panel zu Panel herausgearbeitet. Gewechselt wird von Augenblick zu Augenblick (der gleiche Bildausschnitt kurze Zeit später), von Handlung zu Handlung (der gleiche Bildausschnitt mit demselben handelnden Subjekt, aber mit neuer Handlung), von Gegenstand zu Gegenstand (ein anderer Ausschnitt der Handlung, z.B. erst ein Sportler, dann die seine Leistung messende Stoppuhr), von Szene zu Szene (ein Orts- und Zeitwechsel größeren Ausmaßes wird dargestellt, z.B. textlich gelöst als »10 Jahre später«), von Gesichtspunkt zu Gesichtspunkt (ein anderer Aspekt der Szene wird beleuchtet) oder es werden die Panels paralogisch nebeneinander gezwungen, d.h. es besteht zwischen ihnen kein offensichtlicher Zusammenhang. In der ersten Gruppe ist die vom Leser geforderte induktive Leistung, nämlich einen Zusammenhang zwischen den Panels zu stiften, am einfachsten, in der sechsten am anspruchsvollsten. 59

[147] 

Statistisch gesehen werden die Panelverbindungen aus der zweiten (65 %), dritten (20 %) und vierten Gruppe (15 %) am häufigsten verwendet. 60 In Frank Millers Sequenz wird jedoch detailgenau und zeitüberdehnt von Augenblick zu Augenblick die Szene ausgeleuchtet. Es wird in diesem Fall der Darstellung von Batmans Urszene also entsprechend der ersten Gruppe verbunden, die selten Verwendung findet. In diese Sequenz werden dann aber paralogisch – wie man nach McClouds Einteilung vermuten könnte – Bilder eingestreut. Die Szene besteht also aus Panelverbindungen der ersten und vermutlich der sechsten Gruppe, die, so McCloud, von Comiczeichnern weder einzeln noch in Verbindung oft benutzt werden.

[148] 

Doch noch in anderer Hinsicht ist Millers Adaptation des Stoffes ungewöhnlich: Im Comic stehen »Raum und Zeit« und »Zeit und Bewegung« 61 in engster Beziehung zueinander. Eine Handlung, die längere Zeit in Anspruch nimmt, kann, wie gesagt, etwa durch viele ähnliche oder im Vergleich zu den umgebenden Panels großflächigere Panels umgesetzt werden. Im Panel selbst kann Bewegung (also Raum, der in einer bestimmten Zeit durchmessen wird) zusätzlich durch »speed lines« oder »action lines« 62 verdeutlicht werden: Ein Sprinter wird im Comic meist einen Schweif von Strichen hinter sich herziehen, die seine Geschwindigkeit symbolisieren. 63 Doch ist davon in der besagten Szene bei Miller erstaunlicherweise nichts zu finden: Die Patronenhülse hängt wie festgenagelt in der Luft. Miller unternimmt also keinen Versuch, das Panel in Zusammenhang mit den anderen zu stellen bzw. dem Leser so die induktive Verbindung der Panels zu erleichtern. Die Bilder stehen vielmehr vereinzelt, zusammenhanglos und wirken damit so (immerhin handelt es sich um eine Erinnerungssequenz!), als seien sie als fragmentierter Ausschnitt unveränderlich in der Erinnerung Waynes eingebrannt. Mit den Mitteln des Comics wird – so könnte man sagen – eine der weder kausal noch temporal geordnet gespeicherten Trauma-Erinnerung adäquate Struktur gefunden.

[149] 

Und Miller geht noch weiter: Die harte 4x4-Struktur wird zwar anscheinend verlassen, denn Wayne ist vom Fernseher weg geflohen und stürzt in einem Saal in Wayne Manor eine Statue um. Doch wird die Struktur nur scheinbar aufgegeben: Das Panel, in dem der alte Mann die Statue zerstört, nimmt dann eine halbe Seite und damit eigentlich den Platz von zwei Reihen mit jeweils vier Bildern ein, doch sind die im Hintergrund sichtbaren acht Fensterrahmen (in zwei Reihen mit jeweils vier Rahmen) exakt gleich groß wie die Panels der Trauma-Sequenz.

[150] 

Diese Rahmen-Struktur bleibt auch im weiteren Verlauf beherrschend: Tatsächlich versucht sich der alte Mann unter der Dusche zu beruhigen, doch wird diese Dusch-Szene wieder in die 4-Bilder-Reihen gezwängt. Noch schlimmer: Einzelne Motive aus der vorher durchlebten, für den Jungen traumatischen Raub-Szene werden unvermittelt und anscheinend paralogisch ohne Zusammenhang in den Ablauf gezwängt: die fliegende Patronenhülse, der entsetzte Blick des Jungen auf die Hand seines sterbenden Vaters, die drei fallenden Perlen. Auf textlicher Ebene wird Waynes Auseinandersetzung mit seinem Ichanteil in der Gegenwart wiedergegeben, der sich in der Fledermaus, dem »Reinste[n] Kämpfer … wütend, voller Hass« seine Gestalt gesucht hat: Wayne sei »nichts – eine hohle Schale, eine rostige Falle, die mich nicht festhalten kann, doch immer noch versuchst Du es, rennst du weg […]. Aber Deine Stimme ist schwach«. 64

[151] 

Was passiert hier? Comics kennzeichnet u.a. eine Grenze zwischen den meist in einem Rahmen eingeschlossenen Bildern. Dieser so genannte gutter oder Rinnstein zwischen den Panels trennt die Bilder und muss deshalb vom Leser durch eine induktive Leistung überwunden werden, d.h. der Leser ist dafür zuständig, die Bilder trotz der Grenze des Rinnsteins als zusammenhängend zu erkennen und durch Ergänzung der Zwischenschritte oder -stufen eine fortlaufende Handlung entstehen zu lassen.

[152] 

Will Eisner hat die Auswahl eines Panels als eine dem Filmen bzw. dem Auswählen einer Einstellung ähnliche Tätigkeit beschrieben: Derjenige, der einen Film anschaut, werde nun aber auch daran gehindert, »den nächsten Rahmen zu sehen, bevor es ihm der Schöpfer des Films erlaubt, denn die Rahmen, aufgedruckt auf Streifen durchsichtigen Films«, werden ja »nur einer nach dem anderen gezeigt«. Auf diese Weise »genießt der Film, der eine Ausweitung des Comic-Strips ist, absolute Kontrolle über das Lesen« – ein Vorteil, den auch das Theater hat, denn in einem Theater kann die Bühnenbrüstung und die Seiten der Bühne ein einziges Panel schaffen, »während das Publikum in einer festgelegten Position sitzt, von der sie die in dem Ort umschlossene Handlung beobachten können«. Im Comic gebe es nun zwei Rahmen, nämlich »die gesamte Seite, auf dem sich eine bestimmte Anzahl von Panels« finde, und »das Panel selbst«. Diese beiden Rahmen seien »die beiden Kontrollinstrumente in der sequentiellen Kunst«. 65

[153] 

Miller weist nun jedoch dem Rinnstein selbst, der eigentlich nur Nicht-Panel und damit gar kein sinntragendes Bildelement sein kann, 66 symbolische Funktion zu: Die unbenutzte Fläche trennt nicht mehr nur die Bilder, sondern zeigt die Ausweglosigkeit der Situation durch die Gleichartigkeit der 4x4-Aufteilung und deren vereinzelnde Wirkung. Wiederum gelingt es Miller (wie schon durch die ungewöhnlichen Verbindungen zwischen den Bildern, so jetzt durch die Funktonalisierung des Rinnsteins) eine Form zu finden, die der traumatischen Struktur angemessenen ist.

[154] 

Die fünfte Seite der langen Sequenz zeitigt einen weiteren qualitativen Sprung: Die Gitterstruktur wird nun sogar in das einzelne Bild selbst hineingenommen, die Szene wird unwirklicher, wirkt wie aus einem expressionistischen Film. Eine Gitterstruktur prägt dabei nicht nur den Hintergrund des Panels, sondern wirft in anderem Winkel als die Ausgangsstruktur Schatten auf einen Schreibtisch, über den Wayne gebeugt steht. In der zweiten 4er-Reihe der Seite wechselt jeweils eine Aussicht aus dem Fenster durch ein Kreuz der Gitterstruktur hindurch ab mit einem Blick auf Waynes Gesicht, auf das bei jedem zweiten Bild Schatten eben dieses Fensterkreuzes fallen. Der Blick aus dem Fenster zeigt zuerst nur einen schwarzen Himmel, dann eine langsam heranfliegende Fledermaus, die im nächsten Bild fast das gesamte Fenster ausfüllt und die dann – als Abschluss der Sequenz und des gesamten Großteils bzw. Kapitels – in der vierten Reihe in einem einzigen, die Breite der ganzen Seite einnehmenden Panel mit weit aufgerissenem, feuerspeiendem Rachen durch das Fenstergitter bricht. Die 4x4-Struktur wird also durch das Tier vernichtet, das inhaltlich gesehen das Fundament von Waynes Reaktion auf den gewaltsamen Tod seiner Eltern bildet: Die Fledermaus zerschlägt anscheinend die Struktur, aus der der Traumatisierte vorher nicht entweichen konnte. Für Bruce Wayne scheinen also immer wieder neu durchlebte Rachefeldzüge im Zeichen der Fledermaus die einzige Lösung zu sein, mit dem Trauma fertig zu werden: Batman wird wieder auf der Bildfläche erscheinen. Doch ist dies nur eine scheinbare Lösung: Das wiederholte, unzusammenhängende Auftreten von Zitaten aus der Trauma-Urszene in verschiedensten Zusammenhängen zeigt, dass die Fledermaus das Trauma gar nicht gelöst (also die 4x4-Struktur zerstört) hat, sonder der eigentliche Garant für das Fortleben der Trauma-Struktur ist – Wayne wird Batman und dadurch auch den Tod seiner Eltern nicht loswerden:

[155] 

[156] 

Abb. 37 und 38: Aus Frank Millers The Dark Knight Returns (1986) S. 25 f.

[157] 

Dass diese Interpretation zutreffend ist, belegt die Tatsache, dass diese bestimmte Form der so erstaunlich vereinzelnden Panelsequenz sich auch auf den gesamten folgenden Comic auswirkt: Immer wieder tauchen Strukturen oder Motive dieser Traumasequenz vereinzelt und auf den ersten Blick zusammenhanglos in den folgenden Bilderfolgen auf. Gegen Ende des ersten Teils auf S. 55, als Batman den gefährlichen Harvey Dent bzw. Two-Face stellt, erscheint in zwei 4er-Reihen eingestreut der feuerspeiende Kopf der Fledermaus. Als im dritten Teil auf S. 136 Batman erfährt, dass der Joker – sein Todfeind – eine Kirmes in die Luft sprengen will, wird jenes Bild in die 4er-Reihe eingestreut, auf dem der junge Bruce auf die sich von ihm lösende Hand seines sterbenden Vaters starrt. Am deutlichsten geschieht der Aufgriff im vierten Teil auf S. 187, als Batman sich anschickt, nach einer Atombombenexplosion in Gotham City gegen den plündernden Mob vorzugehen: Die Panelsequenz aus Fledermausschatten, Perlenkette und Pistole am Hals der Mutter, die sich in ihrer Kette verfängt, gipfeln im Bild des flammenden Fledermauskopfes.

[158] 

Betrachtet man die Stelle isoliert, scheint in der Trauma-Sequenz eine Panelverbindung entsprechend der sechsten Gruppe nach McClouds Einteilung vorzuliegen, also eine Verbindung aus der Gruppe der paralogischen, akausal und atemporal nebeneinander gestellten Panels. Doch dieser Eindruck täuscht, denn die Bilder werden durch die zuvor festgelegte Bedeutung auf einer tieferen Ebene gesehen auch als Einzelbilder sinnvoll platziert, denn ihr plötzliches, unerwartetes Auftreten geschieht analog dem Geschehen um das Trauma: Ein Flashback mag für den Außenstehenden ohne Bezug, also unverbunden bzw. paralogisch zur momentanen Szene bleiben. Für den, der um die bestimmte Struktur des Traumas weiß, ist die Verbindung aber folgerichtig und könnte etwa der zweiten Gruppe der Panelverbindungen zugeordnet werden. Letzten Endes erfindet Miller also eine eigene Form der Panel-Verbindung: Die über das Manuskript verteilten, also nicht nebeneinander stehenden Panels sind durch die traumatischen Inhalte verknüpft und haben einen deutlich höheren Informationswert als bloße leitmotivische Wiederaufgriffe eines Motivs oder die exakte Wiederholung eines Panels, und zwar auf andere Art und Weise, als Film oder Prosa oder welches andere Medium auch immer dazu in der Lage wären.

[159] 

2.1.3 Morrisons intertextuelles Geflecht

[160] 

Vielleicht die komplizierteste, aber auch beeindruckendste Sichtweise der Figur des Dunklen Ritters entwarfen 1989 Grant Morrison und Dave McKean: Der Joker hat in Arkham Asylum, also in jener geschlossenen Anstalt, in der alle Erzverbrecher und damit Gegner Batmans einsitzen, die Macht übernommen und zwingt Batman dazu, nach Arkham zu kommen, da ansonsten Geiseln getötet würden. Batman hat »Angst, dass wenn ich nach Arkham hineingehe und sich Türen hinter mir schließen, es wie ein Nachhausekommen« sein werde: Er findet sich in einer faszinierenden, grausigen Welt wieder, die sich aus Zitaten aus Alice’s Adventures in Wonderland aus dem Jahre 1865 und Through the Looking-Glass and what Alice found there von 1872 von Lewis Carroll (1832–1898), Anspielungen auf ägyptische Götter, christlicher Ikonographie oder aus Filmen zusammensetzt (vor genauerer Betrachtung einiger Stellen der Endfassung muss auf die beeindruckende Differenz zwischen der ursprünglichen präzisen, leicht wieder erkennbaren Anlage des Batman für diese Geschichte und seiner verwischten und konturarmen Umsetzung in der Endversion – die Jubiläumsausgabe hat die Entwürfe bzw. die Thumbnail-Layouts wenigstens in Auszügen dankenswerterweise abgedruckt – hingewiesen werden: Batman war als konturschärfere Figur geplant, vgl. hier Abb. 42).

[161] 

Als Batman durch die Flure von Arkham irrt, überfällt ihn plötzlich die Erinnerung an die Ermordung seiner Eltern. Die Seiten werden (bis auf eine Ausnahme) in zwei Reihen zu je vier lang gezogenen Panels aufgeteilt. Die Bilder der ersten Panelzeile der eröffnende linken Seite wechseln zwischen dem durch die Gänge irrenden Batman und seinen Rückerinnerungen (ähnlich wie bei Miller als Geschehen auf zwei Zeitebenen): Die Familie steht vor einem Kino, in dem jedoch erstaunlicherweise nicht wie Millers Sichtweise in The Dark Knight Returns entsprechend Zorro, sondern Bambi, also ein Walt-Disney-Zeichentrick-Kinderfilm, gezeigt wird. Der junge Bruce tanzt vor Freude (eine erneute Anspielung auf Miller, sagte doch dort S. 21 der alte Mann zu sich vor dem Fernseher:

[162] 
Du hast es so geliebt … Du bist herumgesprungen und herumgetanzt wie ein Idiot … Du erinnerst Dich« – unmittelbar bevor dort das Flashback Wayne überrollt). Der junge Bruce scheint untröstlich über das Schicksal des Rehkitzes Bambi zu sein und wird von seinem Vater barsch zurechtgewiesen: »Bruce, ich warne Dich! Wenn Du nicht aufhörst, zu weinen, und Dich nicht stattdessen wie ein Erwachsener benimmst, werde ich Dich genau hier zurücklassen!
[163] 

In der folgenden unteren Zeile wird ein Motiv des Comic-Beginns wiederaufgenommen: Der Gründer von Arkham Asylum, Amadeus Arkham, hatte als Junge den Wahnsinn seiner Mutter beobachtet und dabei zum ersten Mal »einen kurzen Blick auf diese andere Welt geworfen. Die Welt der dunklen Seite«. Im entsprechenden Panel beugt sich eine geisterartige Figur über den kleinen Jungen. Eben diese geisterartige Figur beugt sich nun in Arkham Asylum auch über Batman, im anschließenden Panel wird also jene erste Begegnung von Amadeus Arkham und dem Bösen exakt zitiert. Die Seite wird durch ein neues Bild der Familie Wayne vor einem Kino abgeschlossen – diesmal jedoch vor einem Kino, in dem Zorro gegeben wurde. Die Botschaft ist eindeutig: Als Deckerinnerung überlagert Zorro Bambi, um das entsetzliche Geschehen für Bruce irgendwie rationalisierbar zu machen. Als Kind nahm er die Äußerung seines Vaters ernst, ihn im nächsten Moment zu verlassen – denn dies tat sein Vater letzten Endes tatsächlich: Er starb. Bruce gibt sich aus diesem Grunde also eine Mitschuld an der Tat. Hätte er nun aber Zorro gesehen, so hätte er sich gar nicht kindisch verhalten können, man wäre nicht zu diesem Zeitpunkt vor Ende des Films aus dem Kino gekommnen, sein Vater wäre also auch nicht durch die Schuld des Sohnes (zumindest so in Bruce’s Fantasie) gestorben.

[164] 

Die rechte Seite der Sequenz zeigt Ausschnitte aus dem Mord an Bruce’s Eltern (unter diesen wieder die reißende Perlenkette). Als Text werden Ausschnitte aus den von ihm in der Rückschau als Verfluchung verstandenen letzten Worten des Vaters mit dem Bild überlagert. Die nächste Seite zeigt Batman, wie er sich, nachdem er einen Scheinwerfer zerschlagen hat, eine große Glasscherbe durch die Hand treibt: Die einzige Möglichkeit, den für ihn entsetzlichen Erinnerungen entkommen zu können, besteht für ihn anscheinend in einer Selbstverletzung. 67 Voller Schmerz stöhnt er auf, als die Scherbe durch seine Hand dringt, presst zwischen zusammengepressten Zähnen hervor »Jesus!« (Batmans Aussagen erscheinen weiß auf schwarzem Grund, die des Jokers rot auf dem Hintergrund der Szene, sind also eigentlich kaum zu lesen). Auf der rechen Seite wechseln Bilder von fallenden Blutstropfen, die wie festgeeist wirken (und damit an die ausgeworfenen Patronenhülsen bei Miller erinnern), mit Ausschnitten seines Gesichts. Im rechten unteren Panel der rechten Seite fragt er »Mommy?« – und die neu aufzuschlagende linke Seite bricht die Sequenz völlig unvermittelt ab bzw. zitiert ohne Überleitung eine andere große Täterfigur, die ihr ganzes Leben auf seine Mutter ausgerichtet hat: Alfred Hitchcocks (1899–1980) vielleicht berühmtester Film Psycho aus dem Jahre 1960 endete zumindest in einigen der Kopien mit einem Bild von Norman Bates (gespielt von Anthony Perkins), der in einer Polizeizelle in eine Decke gehüllt sitzt und den Zuschauer angrinst – während unvermittelt ein Bild des verwesten Schädels seiner Mutter über sein Gesicht geblendet wird. Opfer und Täter werden eins, Norman Bates scheint unrettbar auch nach dem Tod seiner Mutter in der symbiotischen Beziehung zu ihr gefangen zu sein:

[165] 

[166] 

[167] 

Abb. 39–42: Morrissons Arkham Asylum (2004) o.S. und Abb. 40: Anhang S. 43.

[168] 

Dieser Sprung durch das Umwenden der Seite und durch das unvermittelte Anzitieren einer älteren kulturellen Ikone vergangener Zeiten 68 ist – soweit ich das überblicke – in keinem anderen Medium in dieser Unvermitteltheit und Schnelligkeit umsetzbar.

[169] 

2.2 Uminterpretation der Urszene im Film

[170] 

Besonders originell wendet Christopher Nolans (*1970) Batman Begins die Urszene. 69 Der Film nimmt eine im Comic Batman. Year One ausgearbeitete Situation als Eröffnungsszene auf: Der junge Bruce Wayne stürzt auf dem Gelände von Wayne Manor in eine verborgene Höhle und starrt zu Tode erschrocken auf die aufgescheuchten und auf ihn eindringenden Fledermäuse. In einer späteren Rückblende ist zu sehen, wie der Vater seinem Sohn ein neues Perlencollier zeigt, das er seiner Frau schenken will, und wie die Eltern (anscheinend also am selben Tag, an dem der Junge in die Höhle stürzte) mit Bruce in die Oper (also nicht ins Kino!) gehen. Ein Teufel erscheint auf der Bühne, teufelartige Gestalten mit Flügeln hangeln sich an Seilen hinab: Bruce hat ein Flashback auf die ihn tödlich erschreckenden Fledermäuse aus der Höhle, bittet seine Eltern, mit ihm frühzeitig aus der Oper zu gehen, und die drei verlassen das Theater durch einen Hinterausgang in eine düstere Nebenstraße. Die Raumaufteilung der Szene, in der der Junge dann zwischen seinen toten Eltern kniet, erinnert erneut stark an Batman. Year One:

[171] 

[172] 

Abb. 43: Screenshot aus Batman Begins (2005); ähnlich Abb. 44: Cover DC # 457 (März 1976): »Eine zutiefst eindrückliche Geschichte: Der Mord, der Batman schuf«.

[173] 

Nach der Beerdigung bricht der Junge, inzwischen mit Butler Alfred allein, in Tränen aus: »Es war mein Fehler, Alfred, ich brachte sie dazu, das Theater zu verlassen. Wenn ich mich nur nicht gefürchtet hätte«. Doch der Butler wehrt ab: »Du hast gar nichts getan. Es war er, er allein!«.

[174] 

Doch anscheinend hat der Junge seinem Butler Alfred nicht geglaubt: Hauptaufgabe während seiner Ausbildung zum Ninja durch seinen späteren Gegenspieler Henri Ducard wird für ihn die Bewältigung seiner Angst. Während eines Schwertkampfes auf einem zugefrorenen See konfrontiert und unterweist ihn sein Meister: »Der Tod Deiner Eltern war nicht Dein Fehler. Es war der Fehler Deines Vaters. Wut kann nicht die Tatsache ändern, dass er es versäumt hat, zu handeln«. Bruce wehrt ab: »Der Mann hatte eine Pistole«. Doch der Meister lässt sich nicht beirren: »Würde Dich das stoppen?« Bruce’s Einwand, er sei im Gegensatz zu seinem Vater trainiert, lässt der Meister nicht gelten: »Das Training ist nichts. Es ist der Wille!« Am Ende macht er seinem Schützling das Kompliment, er sei anscheinend stärker als sein Vater. Bruce wehrt ab, der Meister kenne seinen Vater doch gar nicht, doch der führt aus:

[175] 
Aber ich kenne den Hass, der Dich vorantreibt. Diese unglaubliche Wut erstickt Deine Trauer, bis die Erinnerungen an Deine Nächsten nur noch Gift in Deinen Adern ist. Und eines Tages ertappst Du Dich dabei, dass Du Dir wünschst, dass die Person, die Du liebst, am besten niemals existiert hätte. So wärest Du vor dem Schmerz bewahrt worden.
[176] 

Tatsächlich hatte Jahre zuvor der junge Bruce Wayne die abschließende Gerichtsverhandlung gegen den Mörder seiner Eltern besucht und wollte nach der Urteilsverkündigung den verantwortlichen Joe Chill töten, jedoch kam ihm jemand unmittelbar zuvor. Die Verzweiflung darüber, seinen Wunsch nach Rache nicht ausgelebt haben zu können, übermannte ihn völlig, und er floh. Das Hauptanliegen von Nolans Kinofilm liegt also anscheinend darin, das Ausleben des alten Schuldkomplexes, der sich durch die nicht ausgeführte Rachehandlung verstärkte, möglichst tief auszuloten.

[177] 

3. Übertragung der Ergebnisse:
Der symbiotische Feind – der Joker

[178] 
Batman: Ich werde Dich töten!
Joker: Du Idiot! Du hast mich gemacht, erinnerst Du Dich? […]
Batman: Du hast meine Eltern getötet!
Joker: Was? Wovon redest Du überhaupt?
Batman: Ich habe Dich gemacht, aber Du hast mich zuerst gemacht.
Joker: Hey, Fledermaus-Hirn! Ich war ein Kind, als ich Deine Eltern getötet habe. Wenn ich sage, ich habe Dich gemacht, musst Du sagen, Du hast mich gemacht. Wie kindisch soll’s denn bitte noch werden?
Joker und Batman beim letzten Showdown in Burtons Batman von 1989.
[179] 

3.1 Wurzeln und Entwicklung

[180] 

Der Joker ist der hartnäckigste und anscheinend auch widerstandsfähigste von Batmans Erzfeinden – und erblickte als einer der ersten das Licht der Welt. Ähnlich wie sein Gegenspieler wurde die Geschichte des Joker nach und nach ausgebaut und seine Handlungsweise und vor allem sein Aussehen motiviert: Durchgesetzt hat sich die Version, dass er beim Überfall auf die Monarch Playing Card Company in ein Becken mit chemischen Abfällen fiel und so zu seiner weißen Haut, seinen roten Lippen und dem grünen Haar kam. Nicht zu Unrecht bezeichnen McCue und Bloom den Joker als das »objektive Korrelat zu Batmans Wunsch, zu bestrafen«. 70 In beiden Figuren erkenne man »den Impuls im Kapitalismus«, also einen von Zeit und Raum und Realität abgezogenen »Geist des Unternehmertums«: Joker bietet die Ware Verbrechen an, die Batman unersättlich wie ein Vampir konsumiert. 71

[181] 

Auch die Wurzeln dieser Figur sind vielfältig (und wiederum ist unklar, wer welchen Anteil beigesteuert hat). Vermutlich hat die Verfilmung des Victor Hugo-Klassikers von 1869 L’Homme qui rit als The man who laughed (1928) unter der Regie von Paul Leni (1885–1929) deutlich Einfluss genommen. Bill Finger soll Fotos der Verfilmung beigesteuert haben: Conrad Veidt (1893–1943), berühmt durch seine Rolle im Stummfilmklassiker Das Cabinet des Dr. Cagligari, spielt einen Zirkus-Star, der als Kind von sog. Comanchicos entführt wurde, die diese entführten Kinder mit einem chirurgischen Eingriff bzw. Schnitten in die Mundwinkel für ihre Vorführungen präparierten: Gwynplaine sieht aus, als ob er immer lachen würde. Veidt trug dabei einen Zahnaufsatz mit Haken, die letztlich auch den eigentlichen Grund dafür lieferten, warum der Film als Stummfilm mit Toneinlagen angelegt wurde: Veidt konnte mit den Klammern nicht sprechen (und hatte außerdem einen scheußlichen Akzent). Natürlich gibt es noch eine weitere Version von der Entstehung des Joker: Jerry Robinson (geb. 1922, der auch bei der Entwicklung der Batman-Figur seine Rolle gespielt haben dürfte, von Kane aber anders als Bill Finger nicht genannt wurde) beanspruchte, die Figur nach einer Spielkarte entworfen zu haben. Schließlich führe Bill Fingers Sohn Fred an, die Figur beruhe auf einer Jahrmarktsattraktion in Coney Island:

[182] 

[183] 

Abb. 45: Conrad Veidt als Gwynplaine, Vorbild für den Joker, sowie die Spielkarte und die Ankündigung der Attraktion auf Coney Island (nach Daniels (1989) S. 40).

[184] 

Wie dem auch sei: Die Figur mit ihrer weißen Haut, den roten Lippen und den grünen Haaren hatte sofort enormen Erfolg und war einfach nicht totzukriegen.

[185] 

3.2 Comics

[186] 

Eine kurze Szene aus Millers The Dark Knight Returns zeigt wiederum mit Mitteln, die nur dem Medium Comic zur Verfügung stehen, die geradezu symbiotische Verknüpfung zwischen Batman und seinem Gegner: Gibt es den einen nicht, löst sich der andere in Luft auf, erscheint der eine aber wieder auf der Bildfläche, so steigt der andere wie Phönix aus der Asche. Auf S. 41 von Millers Meisterwerk kann man verfolgen, wie sich der Joker aus einem normalen, offensichtlich ängstlichen Menschen wieder in seine angestammte Rolle hineinfindet. Miller versteht den Joker dabei als Antithese zu Batman, ist dieser doch »eine Kraft, die zum Chaos drängt«, im Gegensatz zum »Kontrollfreak« Batman, der seine Sicht der Welt aufdrückt. 72

[187] 

In einer geschlossenen Anstalt sieht der ehemalige Joker mit anderen Patienten im Fernsehen die Nachrichten – in denen über Batman berichtet wird. Sein Blick wird klarer bzw. er reißt die Augen immer weiter auf: Die einzelnen Panels bewegen sich wie in einer Kamerafahrt immer näher an sein Gesicht heran, bis ein Panel (der früher erwähnten 4x4-Trauma-Struktur auf einer halben Seite) nicht mehr ausreicht: Das Grinsen des Jokers ist wieder da und spannt sich nun über zwei Panels. Das folgende Panel zeigt wiederum wieder das vollständige Gesicht (nun mit v-förmig überrissenen, viel buschigeren Augenbrauen und dem geöffneten, grinsenden Mund), bis im Abschluss-Panel sogar das Haar des Jokers deutlich grüner als im ersten und zweiten Panel der Doppelreihe erscheint. Mit Recht nennt dies Stephan Packard in seiner bahnbrechenden Untersuchung der Möglichkeiten des Comic eine Cartoonisierung: Der Joker verwandele sich »zusehends von einem eher geschlossenen Cartoon [also von einem Zeichen, das nicht sonderlich stark stilisiert verwendet wird und so eine Identifikation des Lesers mit der Figur eher erschwert, also vergleichsweise geschlossen ist] in das sehr viel offenere Zeichen des unmenschlich grinsenden Joker« zurück: Die »Augen werden größer, die Augenbrauen prononcierter und spitzer, die Hälfte des Gesichts« wird »vom Mund eingenommen«. Auf diese Weise werde »seine Aktivierung und Rückkehr im Zentrum der abschließenden Cartoongruppe« 73 markiert. Der Batman ist aus der Versenkung aufgetaucht – und so auch der Joker, der am Schluss der 4x4-Struktur im Zentrum des Bildes steht:

[188] 

[189] 

Abb. 46: Der Joker cartoonisiert sich offener (Frank Miller: The Dark Knight Returns (1986) S. 41).

[190] 

Allan Moores und Brian Bollands The Killing Joke demonstriert diese Abhängigkeit beider Charaktere (anders als Miller, der wie gesagt den Chaos-Sohn Joker gegen den Kontrollfreak Batman stellt) voneinander in noch grundlegenderer Form: Die ganze Geschichte erweist sich als ein in der Geschichte selbst erzählter Witz. Auf der dritten Seite des Comic findet sich en passant der einzige Erzählerkommentar (im Film würde man sagen: das einzige Voice-over) im gesamten Comic: »Da waren diese zwei Typen im Irrenhaus«.

[191] 

[192] 

Abb. 47: Regen-Eröffnungspanel von Moore / Bolland: The Killing Joke.

[193] 

[194] 

Abb. 48: Erzählerkommentar: »Da waren diese zwei Typen im Irrenhaus« oben links im unteren Panel (1989) o.S.

[195] 

Außerordentlich seltsam sind die Anspielungen auf andere Sichtweisen der Figuren aus früherer Zeit. So betrachtet Gordon einen Ordner mit eingeklebten alten Zeitungsartikeln über Batman – die eigentlich nur die Cover alter Batman-Ausgaben sind, oder sinniert Batman in der Höhle über alten Erinnerungsstücken – nämlich Ausschnitten aus alten Comics, die den Joker darstellen, während in der Ecke auf dem Schreibtisch eine Karte mit Greetings from the Batfamily steht – einst eine Werbebeigabe, die in vielen Heftausgaben nachgedruckt wurde:

[196] 

[197] 

Abb. 49: Aus The Killing Joke o.S.

[198] 

[199] 

Abb. 50: Alte Grußkarten-Beilage (nach Daniels (1999) S. 92).

[200] 

Die erwähnte Zeile des Erzählerkommentars greift am Ende der Joker wörtlich auf, wenn ihn Batman endlich gestellt und ihm angeboten hat, mit ihm zusammenzuarbeiten, ihn zu rehabilitieren: Der Joker müsse nicht mehr allein sein. Dem vergeht (wie sonst selten) das Grinsen, und er erzählt Batman einen Witz: »Da waren diese zwei Typen in einem Irrenhaus«. Der Witz macht die Ausweglosigkeit der Situation klar: Die beiden Protagonisten im Witz wollen aus dem Irrenhaus türmen, gelangen auf das Dach des Gebäudes und »sehen die Dächer der Stadt, ausgebreitet im Mondlicht« – wie Joker und Batman im Moment die Dächer von Gotham. Der eine springt über die die beiden von der Freiheit trennende Häuserschlucht, der zweite traut sich nicht zu folgen, der erste bietet an, mit seiner Taschenlampe zu leuchten, sodass der zweite auf dem Lichtstrahl gehend gehen könne, doch dieser wehrt ab: »Du würdest sie ausschalten, wenn ich auf halbem Wege wäre«. Während der Joker den Witz erzählt, sieht man kurz im Hintergrund eine Losbude mit der Aufschrift: »Versuch Dein Glück!« – doch der Joker kann seine Chance nicht ergreifen, hat er doch vor dem eigenen Wahnsinn weniger Angst als vor der Realität. Wie in dem Witz versuchen im Moment Batman und der Joker der Situation zu entkommen und eine Lösung zu finden, doch der Wahnsinn beider verhindert dies.

[201] 

[202] 

Abb. 51 und 52: Abschluss von The Killing Joke (mit Regenpanel).

[203] 

Der Witz wird durch die Verwendung im Erzählerkommentar als Grundlage des gesamten Buches enttarnt. Die Wiederaufnahme der Formulierung zeigt die Erzählstruktur als kreisförmig – auch das erste Bild zeigte eine Pfütze im Regen, und die Geschichte endet mit demselben Bild: Die Situation ist ausweglos und wird immer ausweglos bleiben, der Wahn hält sie beide wie in einem Irrenhaus fest, aus dem es eigentlich auszubrechen gilt. Einen Ausweg wird es für beide also nicht geben, verbinden sich beide doch auch am Ende im Soundword des »Hahahahah«, 74 das zum ersten Mal die Panels ausfüllte, als der Joker erkannte, dass er sich durch die Einwirkungen der Chemikalien derartig verändert hatte, und wahnsinnig wurde.

[204] 

3.3 The Dark Knight: Dilemmata,
autotelische Gewalt und das fehlende Lachen

[205] 
Du wirst mich nicht töten, aus irgendeinem falschen Sinn von Selbstgerechtigkeit … und ich werde Dich nicht töten, weil Du mir zu viel Spaß machst. Wir werden also für immer so weiter machen.
Joker zum Batman, nach Byrne (2008) S. 229.
[206] 

Schon lange vor der Premiere in Amerika war klar, dass Christopher Nolans zweiter Batman-Film The Dark Knight von 2008 beeindrucken würde: Der Tod des Joker-Darstellers Heath Ledger, der an einem Cocktail aus Schmerz- und Beruhigungsmitteln in seinem New Yorker Apartment verstarb, tat ein übriges (es ist bis heute ungewiss, ob es sich um einen Suizid oder um einen Unfall handelte).

[207] 

Nolan, der zusammen mit seinem Bruder Jonathan das Drehbuch schrieb, legte den Joker als geschichtsloses Wesen an, das in dieser »Schlacht um die Seele Gothams« (S. 229) 75 die Richtigkeit seiner These beweisen will, dass »ihre Moral, ihr Code« ein »schlechter Witz ist«, »fallengelassen beim ersten Zeichen von Schwierigkeiten«. Die Menschen seien »nur so gut, wie die Welt es ihnen erlaubt zu sein«. Sobald es ernst werde, »fressen sie einander« (S. 174). Batman bleibt also nicht mehr alleiniges Ziel der Bemühungen des Joker, obwohl er Batman gegenüber behauptet, er wolle ihn nicht töten, weil er nicht wisse, was er ohne ihn tun soll: »Du. Komplettierst. Mich.« (S. 173). Er wird aber vor allem als Stellvertreter Gothams (wie auch Harvey Dent, der Staatsanwalt, der»weiße Ritter der Stadt«, den der Joker »auf sein Level heruntergezogen hat«, wie er am Ende Batman verkündet, S. 230) sowie auf Grund seines Grundsatzes, niemals zu töten, für den Joker interessant. Doch wie weit kann der Joker Batman treiben?

[208] 

Um seine These von der Verworfenheit aller Menschen zu beweisen, inszeniert der Joker mit Vorliebe Situationen, aus denen sich die Beteiligten nur durch Tötung anderer Menschen herausziehen bzw. so überleben können: Drei Mafia-Mitgliedern wirft er einen zerbrochenen Billiardqueue vor die Füße, eine Stelle sei in seiner Bande noch frei, die Herren mögen sich bitte beeilen.

[209] 

In einer zweiten Szene lässt sich der Joker in das Gefängnis sperren: Dort foltert ihn Batman (wie parallel der Staatsanwalt Harvey Dent einen Verdächtigen; der Staatsapparat ist also auch hier im Film zutiefst fragwürdig geworden, die Guten sind nicht mehr die Guten bzw. es gibt keine Guten mehr). 76 Als Batman den Joker auf den Kopf schlägt, beschwert sich dieser: »Nicht gleich auf den Kopf. Das macht das Opfer verwirrt. Dann spürt es nicht den nächsten …« – und wird durch eben diesen nächsten Schlag unterbrochen. Doch befindet sich in dieser Situation eigentlich Batman in der Zwickmühle: Zwei Menschen wurden vom Joker an weit auseinander liegenden Plätzen der Stadt jeweils an eine Bombe neben Benzinfässer gekettet, die in Kürze detonieren werden (es handelt sich also um ein aus den Comics wohlbekanntes Szenarium, doch normalerweise muss Batman aus solchen Situationen entkommen, vgl. hier z.B. Abb. 5). Die Zeit ist knapp – nur einer kann gerettet werden. Der Joker hat also die Regeln des Spieles festgelegt: »Du musst mein Spielchen mitspielen, wenn Du einen von ihnen retten willst« (S. 175). Er ist also keineswegs irgendein »Spinner, der einen billigen lila Anzug und Schminke trägt« –»ein Niemand«, so aber der Mafia-Boss Maroni (S. 97).

[210] 

Das dritte Planspiel des Jokers ist eigentlich gar kein Dilemma (der Joker verlangt von der Bevölkerung, innerhalb einer Stunde denjenigen zu töten, der im Fernsehen angekündigt hatte, Batmans wahre Identität zu entlarven – anderenfalls würde er ein Krankenhaus in die Luft sprengen).

[211] 

Doch die vierte Situation kann man geradezu als Experimentum cruxis bezeichnen: Zwei Fähren liegen manövrierunfähig im Fluss, beide mit Sprengstoff bestückt. Die Passagiere des einen Schiffes haben jeweils den Zünder für den Sprengstoff des anderen Schiffes vom Joker ausgehändigt bekommen. Der Funkkontakt ist unterbrochen. In wenigen Minuten werden beide Schiffe von dem Joker gesprengt – es sei denn, dass eine Gruppe das Schiff der anderen Gruppe vernichtet (spieltheoretisch gesehen ergibt sich ein verschärftes Gefangenendilemma: Was werden die tun, weil sie denken, das wir etwas tun, weil wir vermuten, was sie tun werden, weil die denken, dass wir denken …): Entweder tötet man – oder man wird getötet (seltsamerweise geht der Plan des Jokers nicht auf, da sich beide Gruppen nicht auf diese Regeln einlassen bzw. sich weigern, die Zünder zu verwenden).

[212] 

Anders als seine Vorgänger wird der Joker im Film als geschichtsloses Wesen inszeniert (die Überprüfung seiner Fingerabdrücke und DNA bleibt ohne Ergebnis). Diese Geschichtslosigkeit macht der Joker selbst deutlich, erzählt er doch an mehreren Stellen im Film, wie er zu seinem vernarbten Mundwinkeln, die wie ein Grinsen aussehen, gekommen ist – jedoch immer wieder in einer neuen Version. Man sollte dabei nicht vergessen, dass alle bisherigen Joker-Figuren gar keine Narben hatten. Man kann diese Umerzählung des Joker-Mythos also ähnlich wie die Ausarbeitung des Kino-Zorro-Mythos’ bei Miller als Verbeugung vor den Quellen der Figur werten, hier natürlich als Verbeugung vor Gwynplaine aus dem Stummfilm The Man who laughs bzw. den Comanchicos, die dessen Gesicht zerschnitten hatten, um ihn im Zirkus als ewig Lachenden auftreten lassen zu können. Dieser Bezug wird an einer anderen Stelle in Nolans Film ebenso wieder aufgenommen: Der Joker eröffnet aus einem Lastwagenanhänger das Feuer – der einem Zirkus gehört und auf dem zu lesen ist: »Lachen ist die beste Medizin«.

[213] 

Doch in welcher Form erzählt der Joker von seinen Narben? Einige Schlagetots behaupten gegenüber der Mafia, sie hätten den Joker getötet, und rücken mit dessen Leiche bei der Mafia an (diese Szene wurde aus der amerikanischen Version des Films herausgeschnitten, angeblich aus Gründen der Pietät gegenüber dem verstorbenen Schauspieler Heath Ledger). Doch der Joker springt auf, drückt dem Mafiaboss Gambol eine Klinge zwischen die Lippen und fragt (S. 108):

[214] 
Willst Du wissen, wie ich diese Narben bekam? Mein Vater war ein Trinker und ein übler Geselle. Er schlug Mammi immer direkt vor mir. Eines Nachts wurde er verrückter als üblich, Mammi bekommt das Küchenmesser zu fassen, um sich zu verteidigen. Er mag das nicht. Nicht. Ein. Bisschen. Also, während ich zuschaue, nimmt er das Messer, lacht, während er es tut. Kommt zu mir mit dem Messer und fragt: »Warum so ernst?« Steckt das Messer in meinen Mund: »Lass uns ein Lächeln auf dies Gesicht zaubern« und …
[215] 

Der Joker zieht das Messer durch und tötet Gambol.

[216] 

In einer zweiten Szene bedrängt der Joker Rachel Daves (die sich zwischen Bruce Wayne / Batman und Harvey Dent, dem Staatsanwalt, entscheiden muss) und zwängt ihr ebenso eine Klinge zwischen die Lippen (S. 133 f.).

[217] 
Hallo, Schönheit. Du musst Harveys Puppe sein. Und Du bist schön. Du siehst nervös aus – es sind die Narben, stimmt’s? Willst Du wissen, wie ich die bekam? Ich hatte eine Frau, so schön wie Du. Die mir sagt, ich sorge mich zu sehr. Die sagt, ich müsste mehr lächeln. Die um Geld spielt. Und sich tief mit den Haien einlässt. Eines Tages zerschneiden die ihr Gesicht, und wir haben kein Geld für die Behandlung. Sie erträgt es nicht. Ich will sie nur wieder lächeln sehen. Ich will nur, dass sie weiß, dass mir ihre Narben egal sind. So stecke ich mir ein Rasiermesser in den Mund und tue mir dies selbst an … Und weißt Du was? Sie kann meinen Anblick nicht ertragen. Sie verlässt mich! Weißt Du, jetzt sehe ich die lustige Seite davon. Jetzt lächle ich immer.
[218] 

Die Versionen werden aus der Situation heraus geboren: Einmal ist der Joker Opfer, dann Täter, einmal geht es um seinen Vater (er steht einem Mann gegenüber, dem er die Geschichte erzählt), dann um seine Frau (er steht einer Frau gegenüber). Schnell wird klar: Es geht nicht um den realen Hintergrund, sondern im Wortsinne um die Übertragung der Narben auf das Opfer: Wie der Joker gelitten hat, soll nun auch das neue Opfer leiden – und sterben (am Ende versucht der Joker, die Herkunft seiner Narben Batman zu erklären – der greift ihn jedoch sofort an). Einzig die die Geschichten prägende Affinität des Jokers zu durch Schneidewerkzeuge verursachte Narben verbindet die Erzählungen (eine der seltsamsten Szenen zeigt die dem Joker im Gefängnis abgenommenen Messer in einer Reihe ordentlich aufgereiht auf einem Tisch – mit einem Kartoffelschäler als krönendem Abschluss).

[219] 

Doch wird der Joker vor allem von der Idee getrieben, Menschen ihre eigene Niedrigkeit nachzuweisen, indem er sie dazu zwingt, andere zu töten. Reicht dies aber aus, um die Anlage des Jokers zu erklären? Die erneute Anwendung der von Reemtsma vorgeschlagenen Differenzierung des Phänomens Gewalt in autotelische, raptive und lozive Gewalt kann hier weiterhelfen. Alfred, Bruce Waynes Butler, bemerkt an einer Stelle, der Joker sei jemand, der die Welt »einfach nur brennen sehen wolle« (S. 138), sieht ihn also getrieben von der Faszination an autotelischer Gewalt. Das mag sein, am kompromisslosesten vielleicht in jener Szene, in der der Joker einen Bleistift, den er in eine Tischplatte gebohrt hat, als Zaubertrick dadurch verschwinden lässt, dass er den Kopf eines Mannes auf den Tisch rammt, oder auch in dem Moment, als er den chinesischen Kriminellen Lau auf einem riesigen Scheiterhaufen von Dollarnoten verbrennt. Auch eine dritte Szene spricht (neben den Messer-Vorträgen) zumindest auf den ersten Blick für diese Theorie: In einem Verhörraum eingesperrt provoziert der Joker den wachhabenden Polizisten Stephens, indem er ihm von jenen Polizisten erzählt, die er, der Joker, umgebracht hat (S. 180):

[220] 
Weißt Du, warum ich ein Messer benutze, Wachtmeister? Schusswaffen sind zu schnell. Man kann gar nicht all die kleinen Emotionen genießen. Siehst Du, in ihren letzten Momenten zeigen die Menschen, wie sie wirklich sind … Auf diese Weise habe ich also Deine Freunde besser kennengelernt, als Du es jemals getan hast.
[221] 

Stephens lässt sich provozieren: »Ich weiß, Du wirst das jetzt genießen. Aber ich werde es noch mehr genießen«, geht auf den Joker zu – und wird von diesem überwältigt. An dieser Stelle scheint also der Joker dem Entwurf der Figur von Miller in The Dark Knights Return zu ähneln, der mit seinem tödlichen Lachgas ein ganzes Fernsehstudio in den Tod reißt und am Ende auf einer Art kleiner Rakete triumphierend durch das Studio fliegt: Es geht ihm um Zerstörung und Tötung als Genuss um des Genusses willen – es geht darum, Batman zu provozieren. Doch trifft das auch hier zu? Geht es tatsächlich immer um autotelische und raptive Gewalt? Denn anscheinend muss der Joker in der Zelle den Polizisten reizen, um an ihn herankommen und so aus seiner Zelle ausbrechen zu können, verfolgt er also einen bestimmten Plan. Stimmt also seine Geschichte von den Quälereien?

[222] 

Doch eine andere Frage ist viel entscheidender: Interessieren ihn andere Formen der Gewalt? Wie legt er die Dilemmata an? Diese setzen ja vor allem auf lozide Gewalt (die Menschen sollen andere töten bzw. im Wortsinne aus dem Weg schaffen, um so selbst an deren Stelle zu überleben). Eine tatsächliche Verführung zur Gewalt als Genießen von autotelischen Formen ist aber anscheinend gar nicht sein Ziel (und kann es wohl auch gar nicht sein). Wollte man sich etwa die Szene mit den beiden Dampfern im Sinne des Millerschen Joker als autotelische Gewalt-Orgie für den Joker vorstellen, so hätte der die Zünder vertauschen müssen: Die Partei, die die anderen in die Luft sprengen will, wird sich durch die Zündung selbst töten – und sollte nach Möglichkeit noch einige Zeit eingeräumt bekommen, dies zu bemerken und in Panik zu verfallen, bis der Erzfeinds Batmans schließlich beide Sprengladungen zündet und alle umbringt.

[223] 

Doch um solches scheint es dem Joker gar nicht zu gehen: Der Versuch, im Dilemma eigentlich Unbeteiligte zur Gewalt zu verführen, hat nämlich nicht den Genuss autotelischer Gewalt durch ihn selbst zum Ziel (es sei denn, man würde die Gewissensqualen der Betroffenen als quasi körperliche Vernichtung sehen wollen). Die Aussage des Butlers Alfred, dem Joker ginge es um gar nichts anderes, als alles brennen zu sehen, greift zu kurz bzw. deckt nicht die ganze Figur ab: Er wird damit auch – und das vielleicht zum ersten Mal – zu einer zutiefst widersprüchlichen Figur.

[224] 

Diese Mehrschichtigkeit, Widersprüchlichkeit und Ambivalenz zeigt sich, ist man erst einmal auf solche Strukturen aufmerksam geworden, auch an anderer Stelle: Sein den Gewalt-Reigen eröffnender Bankraub und die Dilemmata verlangen genaueste Planung, eine Fähigkeit zu präzisem Vorausdenken, die er sich im Gespräch mit Harvey Dent/Two-Face aber gerade abspricht (S. 199): 77 »Ich bin ein Hund, der Autos jagt … Ich wüsste gar nicht, was ich machen sollte, wenn ich eines fangen würde. Ich tue die Dinge nur. […] Ich hasse Pläne«. Der Joker ist also letztlich unberechenbar – auch in seiner Fähigkeit zu genauester Berechnung: Es zeigt sich eine völlig neue Sichtweise der Figur.

[225] 

Dies gilt auch für seine äußere Erscheinung: Der Joker ist anders als im Comic auch kein dandyhafter Gentleman in allerbesten Anzügen wie etwa in Moores The Killing Joke. Bei der Auswahl der Kleidung vor Drehbeginn orientierten sich die Kostümdesigner an Johnny Rotten von den Sex Pistols, an Iggy Pop, an der Jugendbande aus Kubricks Verfilmung von A Clockwork Orange oder an dem Gemälde Screaming Pope von Francis Bacon. Diese Differenz zeigt sich auch in der Tatsache, dass seine grünen Haare, seine roten Lippen und seine weiße Haut nicht wie gewohnt aus einem Unfall mit chemischen Abfällen stammen, sondern dass es sich um Messernarben, unterstrichen durch anscheinend von ihm selbst aufgetragene Schminke, handelt. Der Maskenbildner John Caglione jr. erläutert (Presseinformation (2008) S. 23 f.):

[226] 

Heath verzog sein Gesicht zu bestimmten Grimassen, runzelte die Stirn, kniff die Augen zusammen, und ich pinselte die Schminke über dieses verzerrte Gesicht. Durch diese Technik entstand eine Struktur, ein Ausdruck, wie man ihn durch das einfache Bemalen des Gesichts mit normalem Weiß nicht hätte erreichen können. Dann verwendete ich schwarzes Makeup für Heaths Augen, wobei er sie fest zukniff – auch dadurch ergaben sich entsprechende, dazu passende Strukturen. Nach dem Auftragen der schwarzen Farbe sprühte ich Wasser über seine Augen, und er kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf, sodass das Schwarz zerlief und verschmierte.

[227] 

Ledger unterstützte diesen abgerissenen äußeren Eindruck durch seine Anlage der Figur, die er schlaksig und ungelenk mit plötzlichen Energieausbrüchen spielt, stimmlich unterstützt durch Nuscheleien und Schmatz-, Schnalz- und Schlucklaute, in seinem Sprechen immer wieder unterbrochen durch seine in die Mundwinkeln wandernde Zunge. Der Joker besteht jedoch darauf (und auch das ist neu), nicht wahnsinnig zu sein (anders, als Morrisons Joker, dessen sämtliche Handlungen ja darauf abzielen, auch andere wahnsinnig zu machen). Vor allem aber lacht er selten, vermutlich deshalb, weil er sein Lachen nicht immer wieder neu erzeugen muss, sondern ohne innere Beteilung durch seinen vernarbten Mund immer zur Schau stellt.

[228] 

[229] 

[230] 

Abb. 53–55: Zwei wahnsinnige Joker, zum einen aus Arkham Asylum (2008) o.S., zum anderen aus The Killing Joke (1989) o.S. (der Joker nimmt in dieser Szene seine Veränderungen nach dem Bad im chemischen Abfall zum ersten Mal wahr und verliert den Verstand); schließlich der neue, geschminkte und vernarbte Joker aus The Dark Knight (2008), der behauptet, nicht verrückt zu sein.

[231] 

Anders als bei seinen Vorgängern umfließt ihn sein »HAHAHAHAHAH« nicht wie Girlanden. Nur ironisch wird diese Tradition anzitiert, wenn der Joker zum ersten Mal voll sichtbar bei der Mafia erscheint – und sein Auftauchen mit Lauten ankündigt, die wie abgelesene Sound-Words aus dem Comic durch die verschiedenen Vokalkombinationen Haha, Hehe, Hihi und Huhu wirken. Am Ende wird der Joker an einem Seil mit dem Kopf nach unten hängen – doch die Kamera wird sich um ihre eigene Achse drehen, bis die fettigen, eigentlich entsprechend der Schwerkraft nach unten hängenden Haare in den Augen des Betrachters wie unter Strom gesetzt nach oben abstehen: Am Ende ist oben unten, ist alles möglich.

[232] 

Dem Joker wurde also eine völlig neue Kontur verschafft, ein neuer Joker-Mythos geschaffen. Und diese neue Sichtweise ist derartig überzeugend und kompromisslos, dass sich einem die Vermutung aufdrängt, der Schauspieler Heath Ledger habe bei der Ausfüllung seiner Rolle ähnlich wie Robert Mitchum (1917–1997) bei seiner legendären Darstellung des Max Cady in Cape Fear aus dem Jahre 1962 etwas abbekommen: Mitchum war über seine Fähigkeit, solch eine Angst einflößende, erschreckende Figur derartig glaubwürdig umzusetzen, so erschrocken, dass er lange über diese Rolle kaum sprach.

[233] 

4. Warum lebt Batman weiter?

[234] 

Wie es mit der Figur Batman weitergehen wird, bleibt unklar. Wollte man Brooker folgen, bestehen drei Möglichkeiten: Entweder wird die Figur weiter vom Rechteinhaber DC gemanagt und damit zu einer Quasi-Institution (und es würden abweichende Sichtweisen entsprechend unterbunden), oder die Figur kann vom jeweiligen Autor flexibel eingesetzt werden: Im Prinzip wäre also alles möglich bzw. es könnte sich ein eigenes Batman-Genre herauskristallisieren. Schließlich besteht noch die Möglichkeit, dass die Figur unabhängig vom Rechteinhaber als mythische Figur wie Sherlock Holmes, Robin Hood oder Dracula in die Freiheit entlassen bzw. dass sie bereits Teil des kulturellen Gedächtnisses geworden ist.

[235] 

Die Flexibilität in der Anlage mag aber allein kein hinreichender Grund für ihre Widerstandsfähigkeit sein. Auch eine Erklärung aus der Vielzahl der Quellen aus verschiedensten Medien hilft nur bedingt weiter. Vor allem die Entwicklung seit den 1990er Jahren gibt einige Aufschlüsse – und widerlegt nochmals Ecos Angriff, Comic-Helden seien grundsätzlich apolitische, alterungs- und veränderungsresistente Wesen. Denn Batman beweist sich als unerwartet flexibel: Elseworld-Geschichten versetzen Batman in andere Zeiten oder Universen, so z.B. in den beeindruckenden Gotham By Gaslight von Augystin aus dem Jahre 1989: Batman kämpft in viktorianischer Zeit und enttarnt Jack the Ripper – tatsächlich verantwortlich für die Ermordung von Batmans Eltern, weil Martha Wayne einen Antrag des Wahnsinnigen an sie mit einem Lachen quittierte. In anderen Geschichten ging es dann in den amerikanischen Bürgerkrieg, in das deutsche Mittelalter, in das Feenland und nach Camelot an den Hof von König Artus. Eine völlig in sich geschlossene Welt bietet Moench u.a. mit seiner bereits angesprochenen Splatter-Vampir-Saga (1996/1998/2001), an deren Ende alle Erzfeinde, aber auch Butler Alfred, Commissioner Gordon und Batman selbst tot sind.

[236] 

1992 starteten The Animated Series im Fernsehen mit einem durch Bruce Timm sehr flächig und cartoonesk angelegten Batman, der in den Kinofilm Batman. Mask of the Phantasm (inspiriert von der Kameraführung aus Orson Welles Citizen Kane) übernommen wurde, aus dem 1992 in The Batman Adventures wieder ein Comic wurde (diesmal von Kelley Puckett), bis Bruce Timm nach The Animated Series zusammen mit Paul Dini 1994 mit Mad Love wieder einstieg und erneut einen Comic, diesmal über Harley Quinn, die Freundin des Jokers, verfasste. 78

[237] 

In den drei umfangreichen Teilen der zwischen 1993 und 1995 mit der Beteiligung vieler namhafter Autoren und Zeichner entstandenen Knightfall-Saga (mit insgesamt 850 Seiten, die zuerst als Einzelhefte veröffentlicht wurden) wird Batman von dem gewaltigen Bane zum Krüppel geschlagen, kämpft sich aus dem Rollstuhl wieder hoch und besiegt den von ihm als seinen eigenen Nachfolger eingesetzten Azrael (der seinerseits Bane besiegte). Die komplizierte Geschichte ist mit der Jagd nach fast allen zum festen Bestand gehörenden Gegnern Batmans (wie Joker, Two-Face, Poison Ivy oder The Mad Hatter) verbunden. Das Ganze wurde als Prosa-Roman in zwei Fassungen (die für die ältere Leserschaft verfertigte Dennis O’Neil höchstpersönlich) und als Radio-Hörspiel umgetopft – wiederum eine der erstaunlichen, nahezu ausschließlich im Zusammenhang mit Batman anzutreffenden intermedialen Neuverwertungen eines bestimmten Ausgangsmaterials.

[238] 

Kingdom Come von 1996 zeigt wiederum den alten Batman, diesmal aber als mächtigen Herrscher über Gotham City: Durch ihn stellvertretende Roboter und ein allmächtiges Computerprogramm regiert er geradezu protofaschistisch seine Stadt und hilft Superman und anderen Superhelden in deren Kampf gegen Bösewichter.

[239] 

Gotham Central von 2003/04 handelt von der Arbeit der Polizei in Gotham City – mit nur sporadischem, eher seltsamem Auftauchen von Batman.

[240] 

Batman hat sich also als erstaunlich widerstandsfähig gezeigt. Doch wie sind diese extrem unterschiedlichen Neu- und Umerzählungen zu verstehen, war Batman doch vor Ausstrahlung der Fernsehserie in den 1960er Jahren und Mitte der 1980er Jahre vor Erscheinen von Frank Millers The Dark Knight Returns schon fast verstorben? Eine Erklärung dieses seltsamen Phänomens könnte lauten wie folgt: Anders als bei Superman gab es nahezu von Beginn an einen klar identifizierbaren, das Publikum ansprechenden Kern des Mythos (nämlich das traumatisierte Kind, das sein folgendes Leben nach dieser Traumatisierung ausrichtet). Außerdem profitierte die Figur am meisten von der Möglichkeit bzw. dem Zwang für alle Autoren (in welchem Medium auch immer), eine jeweils neue, originelle Sichtweise quasi in einem eigenen Universum anzubieten und Geschichten zu schreiben, die sogar mit dem Tod Batmans enden können. Schließlich gehorcht die Anlage der Figur klaren Regelen (etwa in Bezug auf die Gewalt). Eine derartige Festigkeit bei gleichzeitiger Flexibilität (die damit dem der Untersuchung zugrunde liegenden flexiblen Mythosbegriff entspricht) und ein solches Nebeneinander verschiedenster Sichtweisen der Figur, die jeweils dem Publikum einen neuen Superhelden in Teilen des alten Gewandes anbieten, lag außerhalb der Vorstellung der frühen Comics – und damit auch außerhalb der engen Vorstellungen z.B. Ecos. Doch reicht die bloße Feststellung, dass es mit Batman schon irgendwie weitergehen wird, nicht aus, das vor allem intermediale Überleben Batmans zu erklären. 79

[241] 

Ein Vergleich mit einer anderen sagenumwobenen Gestalt, einer anderen kulturellen Ikone mag hier weiterhelfen: Bennett und Woollacot haben in ihrer beeindruckenden Analyse von Umsetzungen der Figur James Bond festgestellt, dass ein literarischer Effekt dieser Filme bzw. Texte im weitesten Sinne nichts sei, was den Werken per se zukomme: Es gehe vielmehr darum, wie der auf den ersten Blick gleiche Text »verschieden in verschiedenen Formen der Verbreitung organisiert« werde. Eine Lesart wird dabei niemals als ›Wahrheit‹ privilegiert und andere als ›Verzerrung‹ abgeurteilt. Es geht eher darum, dass die Ursprungsgeschichten als »Basis für ein neues Set an Bedeutungen« dienten, wenn sie »in ein bestimmtes Set von Ideologien und kulturellen Koordinaten« 80 und abgelöst von diesen wieder als Ausgangspunkt für eine neue Sichtweise dienten.

[242] 

Damit entspricht diese Sichtweise einer kulturellen Ikone letztlich der dieser Untersuchung zu Grunde liegenden flexiblen Definition des Begriffes »Mythos« 81 im Sinne der immer wieder neuen Umerzählung eines für das Publikum interessanten Kerns einer Geschichte. Überspitzt könnte man sagen, dass – anders als Brooker oder O’Neill vermuten – nicht die Bat-Bible oder eine möglichst weitgefasste Definition (Millionär, Bat-Kostüm, besondere Fähigkeiten, Gotham City, Kampf gegen Kriminalität, Robin, spezielle Schurken) sein Überleben sichern, sondern die Umerzählung und Pointierung einzelner Facetten: Was passiert etwa, wenn Batman doch tötet oder am Ende einer Geschichte stirbt (wie dies etwa Moench u.a. in ihrer Dracula-Adaptation versuchen)? Auf jeden Fall scheint Batman uns vor allem auf Grund der Externalisierung seines inneren, ihn traumatisierenden Konfliktes als Kern seiner Geschichte anzusprechen, ähnlich, wie es Märchen und Mythen immer noch tun. 82

[243] 

5. Literaturverzeichnis

[244] 

5.1 Quellen

[245] 

5.1.1 Comics

[246] 

• Augystin, Brian u.a.: Gotham By Gaslight. New York 1989/1991.

[247] 

• Bader, Hilary J. / Burchett, Rick u.a.: Batman Beyond. New York 1999.

[248] 

• Batman Black and White. New York 1996.

[249] 

• Batman Black and White. Volume Two. New York 2000.

[250] 

• Batman. From the 30s to the 70s. Mit einer Einleitung von E. Nelson Bridwell. New York 1971.

[251] 

• Batman in Detective Comics. Featuring the complete Covers of the first 25 Years. New York u.a. 1993.

[252] 

• Batman in Detective Comics. Volume Two. Featuring the complete Covers of the second 25 Years. New York u.a. 1994.

[253] 

• Batman: Knightfall. Part One: Broken Bat. New York 1993/2000.

[254] 

• Batman: Knightfall. Part Two: Who rules the night. New York 1993/2000.

[255] 

• Batman: Knightfall. Part Three: Knightsend. New York 1995.

[256] 

• Brubaker, Ed / Rucka, Greg u.a.: Gotham Central. Unresolved Targets. New York 2003/2004.

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• Dimi, Paul / Timm, Bruce: Mad Love. New York 1994.

[258] 

• Englehart, Steve / Wein, Len: Batman. Strange Apparitions. New York 1999.

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• Gaiman, Neil / Bisley, Simon / Constanza, John: A Black and White World. In: Batman Black and White. New York 1996, S. 105–115.

[260] 

• Loeb, Jeph / Sale, Tim: The Haunted Knight. New York 1996.

[261] 

• Dies.: Batman. The Long Halloween. New York 1998.

[262] 

• Dies.: Batman. Dark Victory. New York 2001.

[263] 

• Ders. / Lee, Jim / Williams, Scott: Batman. Hush. Volume One. New York 2003.

[264] 

• Ders. / Lee, Jim / Williams, Scott: Batman. Hush. Volume Two. New York 2003.

[265] 

• Miller, Frank: The Dark Knight Returns. New York.

[266] 

• Ders. / Mazzucchelli, David: Batman – Year one. New York 1988.

[267] 

• Ders. / Varley, Lynn: Batman: The Dark Knight Strikes again. New York 2001/2002.

[268] 

• Ders.: Absolute Dark Knight. New York 2006.

[269] 

• Moench, Doug / Jones, Kelly / Jones, Malcolm: Red Rain. New York 1991.

[270] 

• Dies.: Bloodstorm. New York 1994.

[271] 

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[272] 

• Ders.: The Forensic Files of Batman. The World’s Greatest Detective. New York 2005.

[273] 

• Moore, Alan / Gibbons, Dave: Watchmen. New York 1986/1987.

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• Ders. / Bolland, Brian: The Killing Joke. The Deluxe Edition. New York (1988) 2008.

[275] 

• Morrison, Grant / Janson, Klaus: Batman Gothic. New York 1999.

[276] 

• Ders. / McKean, Dave: Batman: Arkham Asylum (15th Anniversary Edition). New York (1989) 2004.

[277] 

• Peterson, Scott / Burchett, Rick; The Story of the Batman (= Scholastic Reader). New York u.a. 2006.

[278] 

• Raymond, Alex: Alex Raymond’s Flash Gordon. Volume I. 3. Auflage. West Carrolton 2007.

[279] 

• Slott, Dan u.a.: Arkham Asylum. Living Hell. New York 2003.

[280] 

• Starlin, Jim / O’Neil, Dennis / DeCarlo, Mike: Batman. Death in the Family. New York (1988) 1995.

[281] 

• Waid, Mark / Ross, Alex: Kingdom Come. New York 1996/1997.

[282] 

• Wein, Len / Aparo, Jim / Byrne, John: The Untold Legend of the Batman. New York 1982.

[283] 

5.1.2 Filme (in zeitlicher Ordnung)

[284] 

• The Mark of Zorro. Regie: Fred Niblo. Zorro: Douglas Fairbanks sen. Universal 1920.

[285] 

• The Man Who Laughs. Regie: Paul Leni. Mit Conrad Veidt und Mary Philbin. Universal 1928.

[286] 

• The Bat Whispers. Regie: Roland West. Universal 1930.

[287] 

• Dracula. Regie: Tod Browning. Dracula: Bela Lugosi. Universal 1931.

[288] 

• Little Caesar. Regie: Mervin LeRoy. Little Caesar: Edward G. Robinson. Warner Bros. 1931.

[289] 

• Public Enemy. Regie: William A. Wellman. Mit James Cagney. Warner Bros. 1931.

[290] 

• Batman (15 Episoden). Regie: Lambert Hilfyer. Batman: Douglas Croft. Columbia 1943.

[291] 

• Batman (Spinoff der Fernsehserie). Regisseur: Lesli Martinson. 1966.

[292] 

• Batman. Regie: Tim Burton. Batman: Michael Keaton. Warner Bros. 1989.

[293] 

• The Return of The Batman. Regie: Tim Burton. Batman: Michael Keaton. Warner Bros. 1992.

[294] 

• Batman. Mask of the Phantsam. Regisseur: Eric Radomski und Bruce W. Timm. 1993.

[295] 

• Batman Forever. Regie: Joel Schumacher. Batman: Val Kilmer. Warner Bros. 1995.

[296] 

• Batman & Robin. Regie: Joel Schumacher. Batman: George Clooney. Warner Bros. 1997.

[297] 

• Unbreakable. Regie: M. Night Shyamalan. Touchstone Pictures 2002.

[298] 

• Batman Begins. Regie: Christopher Nolan. Batman: Christian Bale. Warner Bros. 2005.

[299] 

• The Dark Knight. Regie: Christopher Nolan. Batman: Christian Bale. Joker: Heath Ledger. Warner Bros. 2008.

[300] 

5.2 Sekundärliteratur

[301] 

• Assmann, Aleida / Assmann, Jan: Mythos. In: Hubert Cancik u.a. (Hg.): Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1998, S. 179–200.

[302] 

• Bachmann, Holger: Die Funktion idiomatischer Wendungen in populärer Kultur am Beispiel Comicbook. Mit einer Beispielinterpretation von Alan Moores The Killing Joke. In: Sprachwissenschaft 21 (1996), S. 337–366.

[303] 

• Banhold, Lars: Batman: Konstruktion eines Helden. Bochum 2008.

[304] 

• Barner, Wilfried u.a. (Hg.): Texte zur modernen Mythentheorie. Stuttgart 2003.

[305] 

• Bennett, Tony / Woollacott, Janet: Bond and Beyond. The Political Career of a Populular Hero. London u.a. 1987.

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• Bernardo, Susan M.: Recycling Victims and Villains in Batman Returns. In: Literature – Film Quarterly 22 (1994), S. 16–20.

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• Blackmore, Tim: The Dark Knight of Democracy: Tocqueville and Miller cast some Light on the Subject. In: Journal of American Culture (1991), S. 37–56.

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• Bridwell, Nelson E.: Introduction. In: Batman. From the 30s to the 70s. New York 1971, S. 9–16.

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• Brody, Michael: Psychic Trauma and its Solution. In: Journal of Popular Culture 28 (1995), S. 171–178.

[310] 

• Broichel, Bill: Batman: Commodity as Myth. In: Pearson u.a. (1991), S. 4–17.

[311] 

• Brooker, Will: Batman. One Life, many Faces. In: Cartmell, Deborah / Whelehan, Imelda (Hg.): Adaptations. From Text to Screen. London, New York 1999, S. 185–198.

[312] 

• Ders.: Batman Unmasked. Analyzing a Cultural Icon. New York 2005.

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• Burkert, Walter: Mythos-Begriff, Struktur, Funktionen. In: Graf, Fritz (Hg.): Mythos in mythenloser Gesellschaft. Das Paradigma Roms. Stuttgart, Leipzig 1993, S. 9–24.

[314] 

• Byrne, Craig (Hg.): The Dark Knight. Featuring Production and full Shooting Script. New York 2008.

[315] 

• Caruth, Elaine: Hercules and Superman: The Modern-Day Mythology of the Comic Book. In: Journal of the American Academy of Child Psychiatry (1968), S. 1–12.

[316] 

• Collins, Jim: Batman: The Movie, Narrative: The Hyperconscious. In: Pearson u.a. (1991), S. 164–181.

[317] 

• Cotta Vaz, Mark: Tales of the Dark Knight. Batman’s First Fifty Years: 1939–1989. New York 1989.

[318] 

• Daniels, Les: Batman. The Complete History. New York u.a. 1999.

[319] 

• Detering, Heinrich: Das offene Geheimnis: Zur literarischen Produktivität eines Tabus von Winckelmann bis zu Thomas Mann. Göttingen 1994.

[320] 

• Eco, Umberto: Der Mythos von Superman. In: Ders.: Apokalyptiker und Integrierte. Zur kritischen Kritik der Massenkultur. Frankfurt/M. 1984, S. 187–222.

[321] 

• Ders.: Die Welt von Charlie Braun. In: Ders.: Apokalyptiker und Integrierte. Zur kritischen Kritik der Massenkultur. Frankfur/M. 1984, S. 223–232.

[322] 

• Eisner, Will: Comics & Sequential Art. 27. Nachdruck (mit der Erweiterung von 1990). Tamarac/Florida 2005.

[323] 

• Feiffer, Jules: The Great Comic Book Heroes. Seattle (1965) 2003.

[324] 

• Fricke, Hannes: Selbstverletzendes Verhalten: Über die Ausweglosigkeit, Kontrollversuche, Sprache und das Scheitern der Erika Kohut in Elfriede Jelineks Die Klavierspielerin. In: LiLi 119 (2000), S. 50–81.

[325] 

• Ders.: Das hört nicht auf. Trauma, Literatur und Empathie. Göttingen 2004.

[326] 

• Ders.: Über Nutzen und Nachteil naturwissenschaftlich-empirischer Erkenntnisse für die Literaturwissenschaft: Neurobiologie, Hirnphysiologie, Traumaforschung: Margarete im Kerker. In: Goethezeitportal (26.01.2006). URL: http://www.goethezeitportal.de/fileadmin/PDF/db/wiss/goethe/faust-margareteundtrauma_fricke.pdf (zuletzt aufgerufen am 11.03.2008).

[327] 

• Gibbs-Smith, Charles: Die Erfindungen von Leonardo Da Vinci. Stuttgart, Zürich 1978.

[328] 

• Gifford, Dennis: The International Book of Comics. London 1988.

[329] 

• Greenberger, Robert; The Essential Batman Encyclopedia. New York 2008.

[330] 

• Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770.

[331] 

• Horkheimer, Max / Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt/M. (1944) 1988.

[332] 

• Jamme, Christoph: »Gott an hat ein Gewand«. Grenzen und Perspektiven philosophischer Mythos-Theorien der Gegenwart. Frankfurt/M. 1999.

[333] 

• Kane, Bob (mit Tom Andreae): Batman & Me. An Autobiography by Bob Kane. Forestville 1989.

[334] 

• Leverenz, David: The Last Real Man in America: From Natty Bumppo to Batman. In: Murphy, Peter F. (Hg.): Fictions of Masculinity. Crossing Cultures, Crossing Sexualities. New York, London 1994, S. 21–53.

[335] 

• Lowentrout, Peter: Batman: Winging through the Ruins of the American Baroque. In: Extrapolation: A Science-Fiction Newsletter 33 (1992), S. 24–31.

[336] 

• Luciano, Patrick: Them or Us! Archetypical Interpretations of Fifties Alien Invasion Films. Bloomington/Indianapolis 1987.

[337] 

• Mason, Jeffrey D.: The Face of Fear. In: Readmont, James (Hg.): Melodrama. Cambridge 1992, S. 213–221.

[338] 

• McCloud, Scott: Comics richtig lesen. Die unsichtbare Kunst. Veränderte Neuausgabe. Hamburg 2001.

[339] 

• Ders.: Comics neu erfinden. Hamburg 2001.

[340] 

• Ders.: Comics machen. Alles über Comics, Manga und Graphic Novels. Hamburg 2007.

[341] 

• McCue, Greg S. / Bloom, Clive: Dark Knights. The New Comics in Context. London u.a. 1993.

[342] 

• Nash, Jesse W.: Gotham’s Dark Knight: The Postmodern Transformation of the Arthurian Mythos. In: Slocum, Sally K. (Hg.): Popular Arthurian Traditions. Bowling Green (Ohio) 1992, S. 36–45.

[343] 

• Nyberg, Amy Kiste: Seal of Approval. The History of the Comics Code. Jackson/Mississippi 1998.

[344] 

• O’Neil, Dennis: Afterword. In: Ders.: Knightfall. A Novel. New York u.a. 1994, S. 343–49.

[345] 

• Packard, Stephan: Anatomie des Comics. Psychosemiotische Medienanalyse. Göttingen 2006.

[346] 

• Parsons, Patrick: Batman and his Audience: The Dialectic of Culture. In: Pearson u.a. (1991) S. 66–89.

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[348] 

• Dies.: »I’m Not Fooled By That Cheap Disguise«. In: Dies. (1991), S. 182–213.

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• Presseinformation The Dark Knight. Welcome to a World without Rules. O.O. 2008.

[350] 

• Rebello, Stephen: Alfred Hitchcock and the Making of Psycho. New York 1990.

[351] 

• Reddemann, Luise / Sachsse, Ulrich: Stabilisierung. In: Persönlichkeitsstörungen 3 (1997), S. 113–147.

[352] 

• Reemtsma, Jan Philipp: Vertrauen und Gewalt. Versuch über eine besondere Konstellation der Moderne. Hamburg 2008.

[353] 

• Reichenstein, Andreas: Batman – An American Mr. Hyde? In: Amerikastudien 43 (1998), S. 329–350.

[354] 

• Sharrett, Christopher: Batman and the Twilight of the Idols: An Interview with Frank Miller. In: Pearson u.a. (1991), S. 33–46.

[355] 

• Sontag, Susan: Notes on »Camp« [1964]. In: Dies: Against Interpretation and other Essays. London 1967, S. 275–292.

[356] 

• Spigel, Lynn / Jenkins, Henry: Same Bat Channel, Different Bat Times: Mass Culture and Popular Memory. In: Pearson u.a. (1991), S. 117–148.

[357] 

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[358] 

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[359] 

• Thomas, Roy: Stan Lee’s Amazing Marvel Universe. New York 2006.

[360] 

• Wertham, Fredric: Seduction of the Innocent. London 1955.

 
 

Anmerkungen

Alle englischsprachigen Zitate übersetzt von H.F.   zurück
Zitiert nach Banhold (2008) S. 9.   zurück
Vgl. Feiffer (2003) S. 12 f. Eines der auffälligsten Phänomene im Umgang mit Interpretationen von Comics ist die Tatsache, dass häufig sich angebliche Fachleute des Themas annehmen, die offensichtlich so gut wie keine eigenen Leseerfahrungen vorweisen können: Elain Caruth, eine klinische Psychologin, behauptete 1968 allen Ernstes, Superman sei »eigentlich schwach und verletzlich in seiner angenommenen Identität als Clark Kent« und finde erst »nach und nach Sicherheit in seiner Geheimidentität«. Seine »magischen Kräfte« würden jedoch »sofort verschwinden, wenn seine Identität der Welt offenbart würde« (Caruth (1968) S. 2). Das ist schlicht falsch.   zurück
O’Neil (1994) S. 344.   zurück
Vgl. Daniels (1999) S. 23.   zurück
Vgl. zu problematischen Verwendungen des Traumabegriffs (z.B. als ›kollektives Trauma‹), dessen Anwendung jedoch – um nicht jeder spezifischeren Bedeutung entkleidet zu werden – nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Stärken und Schwächen des einzelnen Betroffenen und der jeweiligen Situation sinnvoll ist, Fricke (2004) und (2008), passim.   zurück
Brody bietet eine entsprechende absurde pseudo-kausale Erklärung, dass nämlich der Straßenräuber den kleinen Bruce nicht deshalb auch noch getötet habe, weil die Zeit knapp geworden sei (Brody (1995) S. 173).   zurück
Brooker (2005) S. 40.   zurück
Vgl. Pearson und Uricchio (1991) S. 195.   zurück
10 
Nash (1992) S. 39. Wie Nash mit einiger Berechtigung anführt, zeigt sich hier eine Denkweise, die an König Artus’ berühmte Tafelrunde erinnert: Kriminalität ist etwas, das sich ein ›Verbrecher‹ bewusst aussucht, und das Böse steht immer im Gegensatz zur bestehenden, per se bewahrenswerten Gesellschaft, ist also vor allem kein Teil dieser Gesellschaft.   zurück
11 
Reemtsma (2008) S. 113, S. 116, S. 129, S. 117, S. 119.   zurück
12 
Horkheimer / Adorno (1988) S. 147.   zurück
13 
Dick Grayson, der erste Robin, kam in DC # 38 im April 1940 dazu, wurde später durch Jason Todd als Robin II in Batman # 357 (März 1983) und nach Jasons Tod – ermöglicht durch eine makabre Abstimmung der Lesergemeinde über seine Zukunft für A Death in The Family von 1988 – durch Tim Drake in Batman # 436 (August 1989) ersetzt.   zurück
14 
Vgl. Kane (1989) S. 46.   zurück
15 
Vgl. Brooker (2005) S. 238.   zurück
16 
Kane (1989) S. 125 f.   zurück
17 
Ähnlich argumentiert Brooker (2005) S. 84–98.   zurück
18 
Cotta Vaz (1989) S. 33.   zurück
19 
Zitiert nach Gifford (1988) S. 134.   zurück
20 
Vgl. Brooker (2005) S. 70 ff.   zurück
21 
Nyberg (1998) S. 4.   zurück
22 
Wiederabgedruckt in Batman: The Dark Knight Archives (1992) S. 169.   zurück
23 
Feiffer (2003) S. 69.   zurück
24 
Luciano (1987) S. 13.   zurück
25 
Wertham (1955) S. 189–191.   zurück
26 
Anführungszeichen wohl wegen Nebenbedeutung von engl. »dick« = Penis.   zurück
27 
So drückte sich aber die offizielle amerikanische Politik der Zeit etwa in dem von Brooker (2005) S. 121 zitierten Papier Homosexuals and other Sex Perverts aus.   zurück
28 
Wertham (1955) S. 201.   zurück
29 
Wertham (1955) S. 105.   zurück
30 
Wertham (1955) S. 97. Vgl. ebd. S. 34 bzw. die Bemerkung, Superman habe »ein großes S« auf seiner »Uniform – wir sollten, so meine ich, froh darüber sein, dass es kein SS ist«.   zurück
31 
Dies Kunstideal sieht er verkörpert in einem fiktiven Roman über »einen kleinen Jungen und ein kleines Mädchen, die beieinander sitzen und dem Regen zusehen«, dabei berichteten die Seiten des Romans davon, »was ihre geheimsten kleinen Gedanken seien«. Doch solcher Genuss des Romans sei nach zu ausuferndem Comic-Genuss leider nicht mehr zu goutieren (Wertham (1955) S. 33).   zurück
32 
Besonders unangenehm wird etwa Daniels, Wertham habe das Publikum davon zu überzeugen versucht, Robin und Batman seien homosexuell, obwohl es doch offensichtlich absurd sei, fiktionalen Figuren Leben außerhalb der Geschichten zuzusprechen. Außerdem sei es den Erfindern der Figuren niemals aufgefallen, »dass homosexuelle Motive in die Figuren hätten hineingelesen werden können«. Einige würden behaupten, dass Homosexualität genetisch festgelegt, andere, dass sie eine Frage der Umwelt sei, doch »nur Wertham konnte behaupten, dass Homosexualität durch Comics verursacht« werde (Daniels (1999) S. 84 f.). Vgl. auch McCloud (2001) S. 90 f., mit Portraitzeichnungen von Wertham im Stil eines Grusel-Comics.   zurück
33 
Vgl. Brooker (2005) S. 136–142, mit zahlreichen Belegen.   zurück
34 
Detering (1996) S. 10, S. 30.   zurück
35 
Zitiert nach Sontag (1967).   zurück
36 
So Brooker (2005) S. 203.   zurück
37 
Vgl. die Fotoserien in Daniels (1999) S. 97 ff.   zurück
38 
Sontag nennt Flash Gordon als einen der wichtigen Vorreiter für die Camp-Bewegung (vgl. dies. (1968) S. 278).   zurück
39 
Vgl. Reichenstein (1998) S. 339.   zurück
40 
Vgl. Reichenstein (1998) S. 346 f.   zurück
41 
Vgl. Daniels (1999) S. 28.   zurück
42 
So Feiffer (2003) S. 30.   zurück
43 
Kane (1989) S. 10.   zurück
44 
Kane (1989) S. 9.   zurück
45 
Eindrücklich in den Lexika zum Thema, etwa in DeFalcos ausuferndem Werk über Spiderman (2007) oder im knapp 400 Seiten starken Lexikon über Batman von Greenberger (2008).   zurück
46 
Burkert (1993) S. 9.   zurück
47 
Jamme (1999) S. 21.   zurück
48 
Zur Einführung vgl. den hilfreichen Sammelband von Barner u.a. (2003), besonders dessen Einleitung Mythos und Mythostheorie, ebd. S. 8–19.   zurück
49 
Hederich (1770) Spalte 2091, 2093, 2095 und 2096.   zurück
50 
Eco (1984) S. 195, 196, 201 f., 204 f., 207, 211, 217, 215.   zurück
51 
Vgl. hier Abb. 1 und 2.   zurück
52 
Vgl. Greenberger (2008) Vorwort S. vii.   zurück
53 
Vgl. zu Timing, Rhythmus und Beschleunigung Eisner (1985) S. 30 ff.: Größere Panels lassen die dargestellte Handlung langsamer erscheinen, kleinere Panels ermöglichen zwangsläufig mehr Panels auf demselben Platz und ziehen so das Tempo an.   zurück
54 
Vgl. Blackmoore (1991) S. 53.   zurück
55 
Nash (1992) S. 41.   zurück
56 
So Lowentrout (1992) S. 25.   zurück
57 
Blackmore (1991) S. 43.   zurück
58 
Zum traumatheoretischen Hintergrund akausal-atemporal gespeicherter traumatischer Inhalte und Triggerreize, die später bei Auftauchen in völlig anderen Situationen den Traumatisierten in diese Situationen zurückkatapultieren können (der Traumatisierte erinnert sich also nicht an die traumatisierende Szene, sondern durchlebt sie erneut) und die Prägung folgender Situationen durch Anwendung bzw. Umsetzung eines entsprechenden Traumaschemas, das sich aus der traumatisierenden Situation erklären lässt, vgl. Fricke (2004) und (2008) passim.   zurück
59 
Vgl. McCloud (2001a) S. 78–80 und S. 82–85.    zurück
60 
Vgl. McCloud (2001a) S. 83.   zurück
61 
McCloud (2001a) S. 115.   zurück
62 
McCloud (2001a) S. 119.   zurück
63 
In japanischen Mangas wird dies auf die Spitze getrieben (vgl. McCloud (2007) S. 216), so vermittele sich »subjektive Bewegung« und dem Leser der »Eindruck, dass er sich mit einer Figur durch die Handlung bewegt, statt nur steif an der Seitenlinie zu stehen«.   zurück
64 
Miller (1986) S. 17, 25.   zurück
65 
Eisner (1985) S. 40 f.   zurück
66 
So letztlich auch Eisner (2005) S. 40 ff., der dem Panelrand bzw. den »gutters« nur trennende Funktion zuweist.   zurück
67 
Vgl. hierzu Fricke (2000) passim: Selbstverletzendes Verhalten (das als gegen die eigene Person, nicht aber nach Außen gerichtete Gewalt eigentlich eher bei Frauen anzutreffen ist) ist »das beste bekannte Antidissoziativum« (das also auf den einzelnen einstürmende, für einen bestimmten, einzelnen Menschen traumatische Erinnerungen und die damit verbundene »Derealisation und Depersonalisation« abbricht) und ist »allen Medikamenten deutlich überlegen«: Nur »15 bis 30 Sekunden nach einem Hautschnitt ist der Kopf wieder klar, der Körper ist lebendig, die Körpergrenzen sind spürbar, die Gefühle sind spürbar, und ›der Druck ist raus‹«, so Reddemann und Sachsse (1997) S. 118.   zurück
68 
Hitchcock war sich seiner Sache nicht sicher, so erinnert sich Marshal Schlom, »welche der beiden Versionen [also mit bzw. ohne Überblendung] er nehmen« sollte. Er soll gesagt haben: »Es muss so schnell erscheinen und verschwinden« und mit den Finger geschnipst haben: »Ich will, dass das Publikum sagt: ›Habe ich das gesehen?‹«, so Rebello (1990) S. 134 f.   zurück
69 
Tim Burtons ironische Anzitierung als Eröffnungssequenz in seinem Film Batman von 1989 braucht hier nicht weiter zu interessieren (die Eröffnungsszene zeigt eine dreiköpfige Familie, die vom völlig überforderten, orientierungslosen Vater in eine dunkle Seitengasse gelotst und glücklicherweise von Batman vor Straßenräubern gerettet wird). Thomas’ Interpretation der Szene, der Vater werde hier feminisiert und gleichzeitig als Quasi-Farbiger ausgelegt (denn nur Farbige bekommen keine Taxis), stellt einen symptomatischen Auswuchs der monothematisch interessierten, oft ertrag- und witzlosen Postcolonial Studies dar (vgl. Thomas (2004) S. 220).   zurück
70 
McCue und Bloom (1993) S. ix. Tatsächlich entschieden Kane und Finger aber gar nicht darüber, den Joker nach erstem Versterben am Ende der ersten Geschichte wiederzubeleben, so aber S. 25 die auch anderen Stellen oft schlecht informierten Autoren.   zurück
71 
In diesem Sinne spricht Bernardo deshalb in Bezug auf den Joker des ersten Batman-Films Batman von Burton als von einem »gefährlichem Recycling der Bösewichte«, das niemals enden könne (Bernardo (1994) S. 20). Wenig überzeugend ist Masons Ansicht, dass in diesem Film und vor allem im Schluss-Showdown (vgl. das Motto dieses Kapitels) aber gerade Batman das Böse definiere und so das Gute zwinge, durch Anerkennung der eigenen Angst vorzutreten, sich so einen eigenen Namen zu geben, und auf diese Weise zu versuchen, das Böse zu besiegen (Mason (1992) S. 220).   zurück
72 
Miller im Interview, vgl. Sharrett (1991) S. 36.   zurück
73 
Packard (2006) S. 156 f.   zurück
74 
Vgl. in seiner vorzüglichen Analyse Bachmann (1996) S. 349. Banholds Bemerkung, der Joker sei »lächerlich« und stehe »Batmans grimmig-wortkarger Präsenz diametral entgegen«, versteht den Comic sehr anders (seine vor allem kompilierende Untersuchung zeigt an dieser Stelle nicht zum ersten Mal ihren begrenzten Wert, vgl. Banhold (2008) S. 30).   zurück
75 
Der Text des Films wird übersetzt nach Byrne (2008). In der weiteren Untersuchung soll Batman nur im Zusammenhang mit dem Joker interessieren. Dabei wäre die Fortentwicklung der Batman-Figur auch hier eine eigene Untersuchung wert, hat er sich etwa mit selbsternannten neuen Batmans auseinanderzusetzen, versteht den neuen Staatsanwalt als »Held mit einem Gesicht« (S. 127), der ihn ersetzen kann und soll, und bringt (anders als in Byrne (2008) angegeben) am Ende den Joker um, der tot neben Two-Face / Kent am Fuße eines Baugerüstes liegen bleibt.   zurück
76 
Nicht nur in der Problematisierung der Folter offenbart sich direkt amerikanische Befindlichkeit: Das offizielle Filmplakat zeigt Batman vor einem Hochhaus, und ein Geschoss des Hauses steht in Flammen – etwa auf zwei Dritteln der Gebäudehöhe, also dort, wo die Passagierflugzeuge in die Twin-Towers des World Trade Center einschlugen. Alle im Film gesprengten Gebäude implodieren – wie eben diese Twin-Towers. Und die Passagiere einer Fähre (Gefangene aus Arkham Asylum) tragen orange Kleidung – wie die Gefangenen in Guantanamo.   zurück
77 
Nolan versteht seine Figur des Jokers erstaunlicherweise ebenso eng, bemerkte er doch in einem Interview, der Joker sei »die extremste Variante eines Anarchisten«,»eine chaotische Naturgewalt, ein Krimineller ohne Konzept, der nichts erreichen will und den man auch nicht verstehen kann«. Der Joker solle »das reine, unverfälschte Böse verkörpern, das heißt: Es gibt kein logisches Motiv für sein Verhalten« (Presseinformation (2008) S. 7, 12). Der Joker im Film aber ist ein anderer.   zurück
78 
Vgl. Daniels (1999) S. 86.   zurück
79 
Wenig hilfreich ist dabei letzten Endes auch der ansonsten informative Sammelband von Pearson und Uricchio, ebenso wie Banhold (2008) mit seinen abschließenden Bemerkungen unter der Überschrift »Batman geht weiter«, denn der behauptet, die weitere Entwicklung sei »an keinerlei feststehendes Zentrum mehr gebunden«, sondern es könne aus einem »Minimum beliebig ausgewählter Elemente« ein »Wiedererkennungseffekt« erreicht werden. Doch wie soll das funktionieren, wenn es tatsächlich kein Zentrum mehr gibt und beliebig – also ohne Kriterien – ausgewählt werden kann? An dieser Stelle zeigt sich erneut, in welche Untiefen ein wenig reflektierter, höchst problematischer Postmoderne-Begriff führen kann, zu dem sich Banhold am Ende flüchtet.   zurück
80 
Bennett und Wollacot (1987) S. 235, 241.   zurück
81 
Den Begriff verstehe ich also nicht als »›Mythos‹ in Anführungsstrichen« bzw. als »Zitation eines alten Textes« und deshalb vor allem nicht als den »unschuldigen, direkten Ausdruck transzendentaler Werte« (so aber Collins (991) S. 179), denn von unschuldiger Direktheit oder Eindeutigkeit kann wie gesagt schon bei klassischen Mythen nicht die Rede sein.    zurück
82 
Vgl. Nash (1992) S. 177.   zurück