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Sinnbilder als sprechende Natur

Allegorische Weltdarstellung und Naturdeutung in einer Emblemhandschrift des Joachim Camerarius

  • Joachim Camerarius d. J.: Symbola et emblemata tam moralia quam sacra. Die handschriftlichen Embleme von 1587. (Neudrucke deutscher Literaturwerke 54) Tübingen: Max Niemeyer 2009. XXV, 636 S. Gebunden. EUR (D) 199,95.
    ISBN: 978-3-484-28054-0.
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Der Nürnberger Arzt und Botaniker Joachim Camerarius d. J., Sohn des Theologen und Reformators Joachim Camerarius d. Ä., verfasste in den Jahren zwischen 1580 und 1590 eine große Zahl von Emblemen, die in der Folge eine nicht nur lokale Wirkung entfalteten, sondern einen wesentlichen Beitrag zur europäischen Emblematik darstellten. Im Druck erschien eine in vier Centurien eingeteilte Auswahl von Camerarius’ Emblemen mit zoologischen und botanischen Themen in den Jahren 1590 bis 1604 in Nürnberg, dem Wirkungsort von Camerarius. Eine Faksimile-Ausgabe dieses Emblemdrucks, herausgegeben von Wolfgang Harms und Ulla-Britta Kuechen, liegt seit geraumer Zeit vor. 1

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Umso begrüßenswerter ist es, dass jetzt auch die ebenso wichtigen handschriftlichen Embleme, die teils den im Druck veröffentlichten Emblemen zur Vorlage dienten, einem größeren Leserkreis zugänglich gemacht werden. Die nun vorgelegte Edition gibt die Emblemhandschrift von 1587 im Autograph Camerarius’ wieder, die heute in der Stadtbibliothek Mainz aufbewahrt wird. 2 Aufbauend auf ihre frühere Forschung gelingt es den Herausgebern, in einer knappen und konzisen Einleitung die Emblemhandschrift des Camerarius in den frühneuzeitlichen Kontext von Literatur-, Kunst- und Wissenschaftsgeschichte einzuordnen und ihre Relevanz für die Emblemforschung aufzuzeigen.

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Embleme als exemplarische Auslegungen
des frühneuzeitlichen Weltbilds

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Joachim Camerarius’ Embleme gehören zweifellos zu den einflussreichsten Werken des Genres und stellen in ihrer spezifischen Konzeptualisierung von Naturforschung exemplarische Auslegungen des frühneuzeitlichen Weltbilds und Ordnungsverständnisses dar. Die Gattung der Emblematik bietet im Zusammenwirken von Bild und Sprache die besondere Möglichkeit einer konkreten Visualisierung von Ideen mittels allegorischer Figurationen, die den Wissensidealen und Wissenskulturen der frühen Neuzeit Ausdruck verleihen.

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Die Emblematik bildet sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts als eine bimediale Sonderform der Allegorie mit einer dreiteiligen Struktur von Motto, Pictura und Epigramm heraus. Das Motto leistet dabei die inhaltliche Vorgabe des Themas, die Subscriptio erläutert den Inhalt, der wiederum durch das Bild oder die dargestellte Sache in der Pictura ausgedrückt werden soll. Die hybride Denkfigur verbindet die beiden Medien von Wort und Bild in einer Weise, die eine gegenseitige Auslegung der Elemente nicht nur ermöglicht, sondern gerade notwendig macht. Auf der Basis übertragener Bedeutungen, die von Konvention und Tradition bestimmt sind, wird dabei ein Bild mit einem abstrakten Begriff verbunden. Die Methode solcher Kodierung und Dekodierung von Bildinhalten greift auf rhetorische und ästhetische Modelle zurück, die auf Analogien beruhen.

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Die »Erfindung« von Emblemen
als kreativer Prozess

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Die nun erstmals veröffentlichte Emblemhandschrift Camerarius’ stellt ein äußerst wichtiges Dokument dar, zumal nur sehr wenige handschriftliche Vorlagen für gedruckte Emblembücher überhaupt erhalten geblieben sind, an denen sich kreativer Prozess und Produktionsvorgehen ablesen lassen. Die einschlägige Bibliographie der erhaltenen europäischen Emblembuchhandschriften verzeichnet unter den über 400 dort erschlossenen Emblemhandschriften nur knapp 70 Manuskripte, die als Vorlagen für ein gedrucktes Werk gedient haben oder in irgendeiner Form auch im Druck publiziert wurden. 3 Unter diesen wenigen Handschriften können die Symbola et emblemata tam moralia quam sacra des Camerarius als weltweit eines der eindrucksvollsten und für die Gattung wichtigsten Beispiele gelten.

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Entstanden ist Camerarius’ Handschrift in den Jahren zwischen 1580 und 1587, wie aus dem Datum der Widmung hervorgeht, und wurde wohl für den Fürstbischof von Bamberg, Ernst von Megersdorf, verfasst. Camerarius zeichnet für die Konzeption und die Abfassung der Texte verantwortlich, während nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden kann, ob der Illustrator des späteren Druckwerks, der Kupferstecher und Wappenmaler Hans Siebmacher, auch die Pictura-Darstellungen der Handschrift ausgeführt hat.

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Die detaillierten Nachweise der wichtigsten Quellen fur die Bildmotive und Themen der Embleme in der Handschrift belegen die Breite der humanistischen Bildung des Autors. Prägend sind vor allem italienische Impresenwerke, mit denen der weitgereiste Camerarius gut vertraut war, darunter Juan de Borja, Luca Contile, Battista Pittoni, Paolo Giovio, Girolamo Ruscelli, Scipio Bargagli, Achille Bocchi, Giovanni Piero Valeriano, Barthélemy Aneau, Maurice Scève, Claude Paradin, Sebastián de Covarrubias Orozco, Diego de Saavedra Fajardo, Cesare Ripa, Jacobus Typotius sowie zeitgenössische Emblemwerke aus dem deutschen Sprachraum von Nicolas Reusner, Nicolaus Taurellus und Matthias Holtzwart.

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Handschrift und Druck:
Die besondere Aussagekraft
dieses Manuskripts

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Mit 200 Emblemen ist die Handschrift nicht nur eine der umfangreichsten erhaltenen Emblemhandschriften, sie weicht auch in signifikanter Weise von den später im Druck publizierten Emblemen ab. Nur etwa die Hälfte der handschriftlichen Embleme aus dieser Sammlung geht mehr oder weniger überarbeitet in die Druckausgabe von 400 Emblemen ein. Ungewöhnlich selten ist es auch, dass mittels archivarischer Quellen und durch erhaltene Briefwechsel belegt werden kann, wie die Handschrift zirkuliert haben muss und einzelne Embleme daraus als Vorlagen für Altdorfer Medaillen und Preisreden gedient haben. Es gibt nur wenige so reiche Belege für die Verwendung von Emblemen in der materiellen Kultur wie für die Anwendung der handschriftlichen Embleme.

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Relevant ist die Handschrift darüber hinaus deshalb, weil sie einen Einblick in die Produktionsverfahren emblematischer Literatur bietet. Aus den Änderungen, Bearbeitungen von Text und Bild und aus den Differenzen in der Auslegung mancher Bildmotive, die zwischen Handschrift und Druckausgabe nachvollzogen werden können, lassen sich eindrucksvoll Rückschlüsse auf den Prozess der »Erfindung« von Emblemen ziehen.

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Die hauptsächliche Differenz zwischen der Emblemhandschrift und dem Druckwerk, das vorwiegend naturgeschichtliche Motive und Themen enthält und behandelt, ist die stärker religiöse Ausrichtung in den Emblemen der Handschrift. Diese theologisch-moralische Kontur ist reflektiert in der Anordnung der Embleme, beginnend mit einem Emblem über das Alte und Neue Testament und abschließend mit einem Emblem über das Jüngste Gericht. Die programmatische Ausrichtung zieht sich durch die Thematik der Handschrift, während die Auswahl im Druckwerk deutlich von deskriptiven botanischen und zoologischen Themen dominiert wird, wobei Anlehnungen an antike Naturkunde in den Prosakommentaren im Vergleich zu den entsprechenden Emblemen in der Handschrift verstärkt sind.

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Die Handschrift ist also nicht einfach nur eine Vorlage, die im Druckwerk genau umgesetzt wird, sondern ein Vergleich beider stellt klar heraus, dass sich im kreativen Prozess eine Entwicklung und Variation abzeichnet. Schon allein die Zahl der übernommenen Embleme beschränkt sich auf nur knapp die Hälfte der 200 handschriftlichen niedergelegten Embleme, das heißt dass nur etwa ein Viertel der Embleme im Druckwerk in irgendeiner Form auf die Emblemhandschrift zurückgeht.

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Variabilität und Polyvalenz
innerhalb der Emblematik

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Besonders interessant ist die Beobachtung, dass Varianten der handschriftlich niedergelegten Embleme gegenüber den ausgewerteten Quellen der Emblem- und Impresenliteratur zuweilen in der Druckversion des Emblems wieder zurückgenommen sind, so dass dort ein Emblem als direkte Übernahme zum Beispiel aus Borja oder Contile wirkt, während es jedoch auf der Stufe der Bearbeitung für die Handschrift eine deutlich andere Bild- oder Textgestaltung beinhaltete. Es zeigt sich darin eine prinzipielle Variabilität, da die Bedeutungen von Bild oder Motto keineswegs festgeschrieben sind, sondern sich je nach Kontext durch Akzentverschiebungen bis hin zur Verkehrung ins Gegenteil beliebig variieren lassen. Hier liegt reiches Material für künftige Emblemforschung, die sich mit dem kreativen Vorgang, Variabilität und Polyvalenzen in der Emblemerfindung beschäftigen will, statt von einer eindimensional-linearen, invariablen Dependenz von Quellen auszugehen.

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Aufbau der Edition

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Der Hauptteil des nun vorliegenden Neudrucks besteht neben der informativen Einleitung der Herausgeber aus den gut 400 Seiten mit dem Faksimile der handschriftlichen Embleme des Manuskripts der Stadtbibliothek Mainz (Handschrift II / 366), gefolgt von einem ausführlichen Kommentar der Widmung und der einzelnen Embleme. Der Kommentar für jedes der Embleme setzt sich zusammen aus

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1. einer Identifikation des Themas,

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2. der Transkription des Mottos, dem seine deutsche Übersetzung beigefügt ist,

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3. einem Nachweis der biblischen Zitate,

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4. einer Transkription der lateinischen Subcriptio-Verse (die aber unübersetzt bleiben),

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5. einer kurzen Beschreibung der Bildelemente der Pictura und

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6. einer inhaltlichen Erläuterung.

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Die Erläuterungen zeichnen sich durch große Sachkenntnis aus und verzeichnen Quellen und Anregungen aus der Emblem- und Impresenliteratur vor 1587 sowie Verwendungen der Bildmotive und Motti in Medaillen der Altdorfer Akademie (Levinus Hulsius, Georg Rem), in Stammbüchern oder in der Ausstattung des Nürnberger Rathauses (Peter Isselburg). Auf zeitgenössische und lokale Einflüsse wie zum Beispiel durch Albrecht Dürer wird hingewiesen und vor allem die Kenntnis naturwissenschaftlicher Schriften der Antike sowie der frühen Neuzeit (Conrad Gesner, Petrus Andreas Matthiolus) ist berücksichtigt.

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Abgeschlossen wird der Band durch eine Bibliographie der Quellentexte und Referenzwerke sowie der nach 1750 erschienenen Literatur. Verdienstvoll ist hier, dass für die Quellen und Referenzwerke die Standnummern der verwendeten Ausgaben, vornehmlich aus der Bayerischen Staatsbibliothek und der Universitätsbibliothek München, angegeben sind. Bedauerlicherweise ist das reiche Material der Kommentare nicht durch ein Namens- und Sachregister erschlossen. Auch ein Bild- und Motivindex und ein Verzeichnis der lateinischen Motti wären wünschenswert gewesen, um einen zielgerichteten, schnellen Zugriff auf die Fülle der in den Erläuterungen gesammelten Informationen und Verweise zu ermöglichen. Abgesehen davon ist der Band äußerst sorgfältig und vorbildlich redigiert.

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Fazit

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Die vorliegende vorzügliche Edition bietet Grundlage und Anregung für neue Analysen und theoretische Untersuchungen der emblematischen Denkweise und Produktion und leistet somit einen wichtigen Beitrag nicht nur zur europäischen Emblemforschung, sondern auch zur Kulturgeschichte visueller Kommunikation und der Rolle emblematisch-allegorischer Bildlichkeit und Bedeutungsvermittlung in der frühen Neuzeit.

 
 

Anmerkungen

Joachim Camerarius: Symbola et emblemata (Nürnberg 1590 bis 1604). Hg. von Wolfgang Harms und Ulla-Britta Kuechen. 2 Bde. Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1986, 1988.   zurück
Bibliography of Emblem Book Manuscripts. Hg. von Sandra Sider und Barbara Obrist. (Corpus Librorum Emblematum) Montreal: McGill-Queen’s University Press 1997 [= BEMA] Nr. 139.   zurück
Zum Beispiel Boissard: BEMA Nr. 126; Kleppis: BEMA Nr. 303; Strada / Typotius: BEMA Nr. 397–403.   zurück