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Mythos und Gedächtnis

Mittelalterkonjunkturen des 20. Jahrhunderts in komparatistischer Perspektive

  • Stephanie Wodianka: Zwischen Mythos und Geschichte. Ästhetik, Medialität und Kulturspezifik der Mittelalterkonjunktur. (Spectrum Literaturwissenschaft, spectrum Literature 17) Berlin, New York: Walter de Gruyter 2009. X, 493 S. Gebunden. EUR (D) 119,95.
    ISBN: 978-3-11-020352-3.
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Themenstellung und Theoriedesign der vorliegenden Arbeit zeigen sich auf den ersten Blick forschungsinstitutionellen Voraussetzungen deutlich verpflichtet. Mit ihrer Untersuchung der Jeanne d’Arc- und Artus-Rezeption in Literaturen und Filmen des 20. Jahrhunderts habilitierte sich die Autorin 2008 für die doppelte Fachausrichtung Romanistik sowie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Gießen. Hervorgegangen ist die erinnerungstheoretisch orientierte Studie aus einem von Dietmar Rieger geleiteten Projekt zu »Inszenierungen des Mittelalters zwischen Mythos und Geschichte«, das im Gießener DFG-Sonderforschungsbereich 434 »Erinnerungskulturen« beheimatet war.

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Auf den zweiten Blick erweist sich die Aufarbeitung moderner Mittelalterrezeption mit dem Instrumentarium kulturwissenschaftlicher Erinnerungsforschung als glückliche Allianz, die auch unabhängig von ihrem Entstehungsrahmen intuitiv überzeugt. Seit seiner humanistischen Epochenkonstruktion steht das ›medium aevum‹ unter dem Bann einer Zeitschematik, die seine Beobachtung vorrangig unter Wahrnehmungsmuster von Vergessen oder Bewahren von Traditionen zwang. Das in jüngerer Zeit eher vernachlässigte Forschungsfeld der Mittelalterrezeption als konstruktive Erinnerungsarbeit neu zu perspektivieren, die auf je spezifische kulturelle Herausforderungen antwortet, ist daher ein zentraler Reflexionsschritt, mit dem Wodianka nicht weniger als eine gesamte Epochenkonstruktion zur Debatte stellt. Ein Schritt, so darf zur Leistung der Studie vorausgeschickt werden, der höchst fruchtbare Auswege aus den Verkürzungen älterer motivgeschichtlich oder einflusstheoretisch orientierter Rezeptionsforschung eröffnet: Nicht Motivgeschichten oder Stofftraditionen, sondern Stränge von Gedächtniskulturen geraten so in den Blick, die ihre Relevanz immer neu zu erzeugen und zu sichern haben. Stephanie Wodiankas Studie erschließt so ein faszinierendes Panorama zentraler Figuren mittelalterlicher Historiographie und Literatur in jüngeren und jüngsten Literaturen und Filmen.

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Inwiefern es allerdings zur Klärung der »Popularität des Mittelalters« (S. 1) im 20. Jahrhundert beitragen kann, das erinnerungstheoretische Erkenntnisinteresse mit Ansätzen der Mythosforschung zu verflechten, ist als theoretisches Wagnis der Studie abzuwägen. Eine disziplinenübergreifende Diskussion der letzten Dekade hat gezeigt, dass sich der Mythosbegriff nicht – oder nur unter dem methodologischen Risiko erheblicher Unschärfe – als Terminus fixieren lässt: 1 Wer ›Mythos‹ als Analysevokabel zu schärfen sucht, dem streckt die Hydra einer weitverzweigten Begriffsgeschichte für jede ausgetilgte unscharfe Redeweise immer schon sieben weitere entgegen. Mythoskonzepte sind nicht nur theoretische Konstrukte – in der europäischen Diskurstradition bezeichnet der Ausdruck vielmehr eine Pluralität von Bestimmungen, Wahrnehmungsmustern und Sachzusammenhängen, die sich schlechterdings auf keine Definition im Singular einkürzen lässt. Was also lässt sich unter einem solcherart schwierigen Titel gewinnen? Wie erscheinen Jeanne d’Arc und Figuren der ›Matière de Bretagne‹ im Lichte der traditionsreichen Unterscheidung von »Mythos und Geschichte«, die Wodianka ihrer Untersuchung zugrunde legt? Und wie konkretisiert die Studie jenes »zwischen«, das sie programmatisch im Titel führt?

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1. Metakomparatistik: Eine anspruchsvolle Forschungsagenda

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Erklärtes Erkenntnisziel der Arbeit ist, »die Binnenstrukturen der Konjunktur des Mittelalters seit dem Zweiten Weltkrieg differenziert sichtbar zu machen« (S. 3). Weniger geht es der Autorin darum, die Popularität der Jungfrau von Orléans und der Ritter der Tafelrunde im 20. Jahrhundert als Themenkonjunktur zu beschreiben; vielmehr werden die kulturellen Kontexte, Medialisierungsformen und Ästhetiken in den Blick genommen, die ihre Repräsentationen bedingen und prägen (S. 5).

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Solche grundsätzliche Vorsicht der Autorin gegenüber Pauschalkonstruktion des ›Erinnerungsobjekts Mittelalter‹ verbindet sich gleichwohl mit einem höchst umfänglichen Gegenstandscorpus. Die Spuren Jeanne d’Arcs und der Artusritter werden nicht nur durch die französische und italienische Literatur und Filmproduktion von den 1940er Jahren bis über die Jahrtausendwende hinaus verfolgt; auch anglo-amerikanische und deutsche Dramen, Romane und Filme werden mit ihren jeweiligen Kontexten in die Untersuchung einbezogen. Hinzu tritt ein einleitendes Kapitel zur mittelalterlichen Repräsentation Jeanne d’Arcs und des Artusstoffes (S. 45–135).

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Aufgearbeitet wird diese beeindruckende Materialfülle mit Hilfe einer vierfachen Komparatistik, wie sie die Autorin auch in ihrem präzisen Resümee festhält (S. 459–466): Vergleichend untersucht werden (1.) synchrone Querschnitte aus Mittelalter und Moderne sowie deren diachrone Differenzierung; (2.) verschiedene Medien und ästhetische Strategien der Erinnerung; (3.) spezifische Zustände verschiedener Sprach- und Kulturräume sowie (4.) mit Jeanne d’Arc und Artusrittertum zwei Stoffkreise, die für die Autorin als »repräsentative Mythenkomplexe« des Mittelalters (S. 6) gelten. Zeitdimension, Erinnerungsmodalität, Kulturspezifik und Gegenstandskomplex bilden damit vier Achsen einer komplexen Analysematrix, die Wodianka für jede Etappe des chronologischen Untersuchungsganges abarbeitet.

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Gesteigert wird die Komplexität dieses Untersuchungsdesigns zusätzlich durch die Entscheidung, auch die jüngere Mediävistik mit in den Kreis der Untersuchungsgegenstände zu rücken. Analog zu den Mythenanalysen Claude Lévi-Strauss’, die auch die wissenschaftliche Beschreibung eines Mythems zu dessen Variantenrepertoire zählten, kann Wodianka zeigen, dass auch wissenschaftliche Epochenkonstruktionen des Mittelalters auf einschlägige Erinnerungsstrategien (etwa der Alterisierung oder Popularisierung) zurückgreifen, wie sie auch literarische Adaptationen prägen (S. 137–175). Überzeugend gelingt hier der Nachweis, dass gerade einige der erfolgreichsten Beobachtungskonzepte der jüngeren Mediävistik, wie etwa das Paradigma der Alterität, Teil von Erinnerungspolitiken sind, welche die Gegenstände, die sie beobachten, zugleich durch »wissenschaftlich[e] Mythisierung« (S. 154) mitkonstituieren.

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So anspruchsvoll diese Forschungsagenda formuliert wird, so deutlich sind ihre Grenzen erkennbar. Dies betrifft zum einen den begrenzten Rahmen einer Habilitationsstudie: Während das metakomparatistische Modell höchste Komplexität und Reflexivität der Analysen verlangt, fordert die enorme historische und sachliche Gegenstandsstrecke Verkürzungen der Auswahl. Zum anderen führt die dezidiert kulturwissenschaftliche Ausrichtung der Arbeit auch zu notwendigen Verkürzungen in der philologischen Einzelanalyse; die Arbeit führt damit die Spannungslage aktueller Literaturwissenschaft zwischen kulturwissenschaftlicher Erweiterung und philologischen Ansprüchen unmittelbar vor Augen.

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Wiederholt müssen Wodiankas Lektüreskizzen dadurch Fragen unbeantwortet lassen: Inwiefern läuft etwa Brechts Gesichte der Simone Machard auf eine »hoffnungsvolle Deutung der mythischen Geschichte« (S. 231) Jeanne d’Arcs als Motivationsfigur der französischen Résistance zu, wenn doch die Protagonistin schließlich interniert, das Bühnenspiel mit historisierenden Traum- und Visionsbildern zunehmend episch und ironisch gebrochen wird (S. 179–181; 229–231)? Weshalb sollte ein filminterner Erinnerungsapell bereits bewirken können, dass auch die Filmrezipienten von John Boormans Excalibur sich als »Erben des Artusreiches« (S. 314) sehen können? Kann die Personalunion einer Schauspielerin in zwei Jeanne d’Arc-Verfilmungen schon mythische Identifizierung beider Filme verbürgen (S. 250)? Wie belastbar sind Interpretationshypothesen, die maßgeblich aus auktorialen Kommentaren in Vorworten, Einführungen, Interviewäußerungen oder aus Verlagstexten hergeleitet werden, ohne dass die besprochenen Werke eingehender Analysen unterzogen wurden? 2

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Wodianka verfolgt vor allem den vergleichenden Überblick. Dadurch erhalten einzelne Fachdiskussionen in manchen Passagen wie dem Kapitel zu mittelalterlichen Repräsentationen der ›Matière de Bretagne‹ (S. 54–93) geringere Aufmerksamkeit. Weshalb wählt die Autorin etwa den Perceval Chrétiens de Troyes, um »in besonders ansichtiger Weise [zu] zeigen, inwiefern Erinnerung und Gedächtnis als Erzählgegenstand« wirksam werden (S. 64), während doch der frühere Yvain-Roman wie auch dessen deutschsprachige Adaptation durch Hartmann von Aue in ihren Prologen in wesentlich offenerer Programmatik auf die Erinnerungswürdigkeit der Artuserzählung abstellen?

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Zweifel können so nicht vollständig ausgeräumt werden, dass Chrétiens Perceval wie auch Wolframs Parzival Exempel eines Lernprozesses böten, welcher höfische Kultur in Form eines »Erinnerungs-Habitus« (S. 70) anverwandele. Parzivals erstes Versagen im Gralsburg-Ritual oder seine hypnotische Wahrnehmung der berühmten Blutstropfen im Schnee lassen umgekehrt höfische Habitualisierungsprozesse paradox und problematisch umschlagen: Nicht Mangel an höfischer Kompetenz oder »Erinnerungsstörung« (S. 69) begründen diese Krisen Parzivals, sondern gerade die vollendete Beherrschung höfischer Etikette und höchste erotische Erinnerungspotenz. Als Kronzeugen für die demonstrative »Relevanz des dem Protagonisten abgehenden kulturellen Gedächtnisses« (S. 70) und als »Vorbild« des mythischen Erinnerns im höfischen Roman (S. 127) wären Chrétien und Wolfram somit skeptischer zu vernehmen.

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Kleinere Ungenauigkeiten wie zum Beispiel die irrtümliche Datierung von Wolframs Parzival, 3 Abweichung von konventioneller Namensflexion, 4 ungebräuchliche Textausgaben, 5 vereinzelte Übersetzungsprobleme 6 oder höchst selektive Bezüge zur aktuellen mediävistischen Forschung 7 zeigen, dass statt Mikrolektüren vor allem die komparatistische Generalisierung des Erinnerungsmodells angestrebt wird. Dieses erweist seine Leistungsfähigkeit besonders am modernen Untersuchungsmaterial.

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2. Mythos und Gedächtnis:
theoretische Ansätze und Methodik

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Mit ihrem erinnerungstheoretischen Mythosbegriff (S. 13–43) setzt die Autorin Überlegungen fort, die sie bereits in früheren Arbeiten vorgelegt hat. 8 Mythos wird grundsätzlich nicht als Sachzusammenhang, sondern als Modus der Repräsentation bestimmt: »als ein Modus des Erinnerns, der sich an verschiedene Narrationsformen und Erzählgegenstände anheften kann« (S. 14).

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Im Anschluss an Roland Barthes‘ Modell der doppelten Semiose und Ernst Cassirers Analysen zum spezifischen Zeitbezug ›mythischen Denkens‹ entwickelt Wodianka aus diesem modalen Ansatz die Unterscheidung von ›historischer‹ und ›mythischer Erinnerung‹, an denen sie die gesamte Untersuchung orientiert. Während ›historische Erinnerung‹ durch zeitliches Distanzbewusstsein zum Erinnerungsobjekt, hohe Selbstreflexivität des Erinnerns sowie kritische Beobachtung des Erinnerten gekennzeichnet sei, lasse ›mythische Erinnerung‹ diese Differenzen in charakteristischer Weise schrumpfen – dynamische Umschläge aus Ferne in Präsenz von Erinnerungsobjekten, das Unsichtbarwerden des Erinnerungsprozesses und infolgedessen hohe Identifikationspotenz sind entsprechend seine Kennzeichen. Historiographische Distanzierung und mythische Vergegenwärtigung bezeichnen für Wodianka somit nicht eine starre Binarität, sondern skalierbare und differenzierbar Pole von Erinnerungsnähe und Ferne.

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Der Gewinn dieses Ansatzes wird im weiteren Analysegang unmittelbar evident. Zum einen wird deutlich, dass moderne Mittelalterkonjunktur auf komplexen Verfahren der Vergegenwärtigung beruht, nicht einfachhin Vorhandenes variiert: Leistung der Analysen ist, statt statischer Zustände gerade dynamische Formen der ›Mythisierung‹ zu erhellen, die sich an Subjekten, Objekten und spezifischen Modalitäten ihrer Inszenierung abzeichnen. Wodianka kann so unter anderem zeigen, dass die französische Erinnerungskultur der Nachkriegszeit (unter anderem bei Audiberti, Maulnier, Anouilh) für die Repräsentation Jeanne d’Arcs einen Erinnerungsmodus bevorzugt, der vorübergehend Distanzen markiert, um diese jäh in mythentypische Nähe umschlagen zu lassen; in den 1960er und 1970er Jahren arbeitet Wodianka an Romanen wie Rosemary Sutcliffs Sword at Sunset oder Filmen wie Robert Bressons Procès de Jeanne d’Arc eine betont historische Erinnerungsweise heraus, deren Erzähler sich jedoch als ›mythische‹ Medien der Erinnerung inszenieren oder ihre herausgestrichene Quellendarstellung als »Hermeneutik der Bewunderung« (S. 265) präsentieren – und damit im Gegenzug gerade mythisch-identifikatorisch agieren.

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Solche Beobachtungsergebnisse beeindrucken in der Studie nicht nur durch Fülle und Vielfalt der untersuchten Kontexte und Medien. Innovativ ist der Untersuchungsansatz vor allem darin, dass er das strategische Ineinandergreifen von distanz- und unmittelbarkeitserzeugenden Verfahren sichtbar macht, das gerade postmoderne Mittelalterrezeption als schwierigen Untersuchungsgegenstand charakterisiert. Mythos und Geschichte bezeichnen somit komplexierbare Optionen der Mittelalterrepräsentation im 20. Jahrhundert, nicht binäre Oppositionen.

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3. Mythos als Stoff oder mythische Wahrnehmung?
Zur Justierung des Erinnerungsmodells

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Jedoch fallen auch systematische Schwierigkeiten ins Auge, die mit diesem Versuch verbunden sind, Erinnerungs- und Mythostheorie zu kombinieren. Dies betrifft zum einen die analytische Begriffsverwendung. Zurecht betont Wodianka, dass Mythos-Definitionen »in entscheidendem Maße vom Erkenntnisinteresse der Definition ab[hängen]« (S. 13). Als Analysekonzept erfüllt der Mythosbegriff demnach vor allem heuristische Funktion. Und für eine Untersuchung moderner Mittelalterrezeption ist ein erinnerungstheoretischer Mythosbegriff eine überzeugende Option.

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Wird ›Mythos‹ einleitend als »Erinnerungsmodus« (S. 14) angesetzt, so treten jedoch auch Begriffsverwendungen an die Stelle dieser Bestimmung, die andersgearteten Mythosverständnissen entspringen. Wiederholt werden besondere Stoffe und Figuren als »Mythos« tituliert, obwohl nach der Eingangsdefinition weder Stoff noch Figur per se als ›mythisch‹ bezeichnet werden können: Die Rede von »Karlsmythos« (S. 7), »Artusmythos« (unter anderem S. 8, 72, 198, 354, 377, 380), »Mythos der Jeanne d’Arc« (unter anderem S. 239f., 332; vgl. auch S. 13, 46, 196, 228), »Tristan-Mythos« (S. 300 f.; vgl. auch S. 112, 116, 388) oder von »antiken Mythen« (S. 132) wie zum Beispiel Achill (S. 58) wirkt so gesehen irritierend.

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Weitere Begriffsverwendungen werden herangezogen: Je nach Untersuchungskontext gelten ›Matière de Bretagne‹ und Jeanne d’Arc zum Beispiel genealogisch als »Gründungsmythos« (unter anderem S. 7, 9) oder politisch als »Nationalmythos« (unter anderem S. 16, 108, 180, 239, 401, 458); einmal ist überlieferungskulturell von Mythen als »Erzählformen der Unsterblichkeit« (S. 292) und »Mythostradition« (S. 304) die Rede, dann – mit umgekehrtem Zeitpfeil – von »mythischer Distanz« (S. 196); strukturalistisch gefärbt sind Bemerkungen zur »mythischen Plotstruktur« von Tristan und Isolde (S. 128), über »Mytheme« (S. 206) oder – in explizitem Bezug zu Lévi-Strauss – zur »Widersprüchlichkeit der Mytheme« (S. 231) in den Jeanne d’Arc-Dramen Brechts und Audibertis; »mythische Initiation« (S. 303) lässt ethnologische Mythos-Assoziationen anklingen. Mehrfach schwenkt die Untersuchung auf Blumenbergs Konzept der »Arbeit am Mythos« ein und versteht Mythos als »umdeutende Variation des Gleichen« (S. 22); unspezifischer ist häufig von einem »Mythos« (zum Beispiel S. 134), »Mythenkomplex« (S. 198) oder einer »mythische[n] Geschichte« (zum Beispiel S. 180) die Rede, ohne dass damit ein Modus der unmittelbaren Erinnerungsnähe bezeichnet ist. Jede dieser Begriffsverwendungen würde andere Definitionen voraussetzen, als das Erinnerungsmodell anbietet.

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Dass dies inkompatibel ist mit dem präzisen Leitmodell, bleibt unkommentiert. Sind dies Zugeständnisse an alltagsnähere Redeweisen? Wird der Mythosbegriff stillschweigend den Gegenständen angepasst, die jeweils zur Debatte stehen?

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Eine zweite theoretische Spannung der Untersuchung zeigt sich darin, dass sich manche Text- und Filmbeispiele nicht auf das Feld »zwischen Mythos und Geschichte« einordnen lassen, wie es das Erinnerungsmodell skizziert. Von den 1940er Jahren bis zur Artus-Romantrilogie Michel Rios (1989–2003) lassen sich Fälle anführen, die ›mythische‹ Erinnerungsnähe gerade durch selbstreflexiv-kritische Erinnerungshaltung zu erzeugen suchen. Verfahren werden sichtbar, die auf paradoxe Weise Erinnerungsdifferenzen markieren, während sie diese zugleich unterlaufen und so Distanzen ›mythisch‹ kurzschließen. Reflexive Quellendiskussionen zu Jeanne d’Arc können in unmittelbare Relevanzbekundungen umschlagen. Wie ist dieser so faszinierende Erinnerungsmodus zu fassen? Hier möchte der semiotisch eingestimmte Leser gerne mehr erfahren.

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In einem separat zum einleitenden Theoriekapitel ausgeführten Abschnitt schlägt Wodianka vor, solche Paradoxien als »metamythischen« Erinnerungsmodus zusammenzufassen (vgl. S. 214–216). Um Umschläge von erhöhter »Erinnerungsdistanz« in mythentypischen »›Glaube[n]‹ an die Erinnerungsrelevanz des Mythischen« (S. 448) darzustellen, ist das vorgeschlagene Erinnerungsmodell jedoch zu unterkomplex. Fraglich ist weniger, ob sich dieses Modell entsprechend nachjustieren ließe. Eher erweist sich hier die Grundentscheidung für Theorieväter wie Cassirer und Barthes hinderlich, schließen deren Theoriedesigns doch Reflexivität und Distanzierung für das Funktionieren ›mythischer‹ Wahrnehmung grundsätzlich aus. 9 Diese sind jedoch für ›metamythisches‹ Erinnern zentral.

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Entscheidungen der Autorin wie diese lassen vermuten, dass der Mythosbegriff für ihr zentrales Anliegen entbehrlich ist. Sowohl die Leitfrage der Studie als auch das Analysemodell der Erinnerungsnähe erfordern den Mythosbegriff nicht – er fungiert lediglich als zusammenfassende Bezeichnung einer bestimmten Konstellation von Modalitäten, Objekt- und Subjektnähe des Erinnerns. Entsprechend gewinnen die Studien an Präzision, wenn sie sich auf das Vokabular von Erinnerungsverfahren konzentrieren; einige Analysen gelingen überzeugend, auch ohne dass zur Beschreibung der Erinnerungskonstellation der Mythos-Begriff herangezogen wurde (vgl. zum Beispiel S. 63–72).

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4. Aufräumen im Museum der ›Mittelalter-Mythen‹:
Jeanne d’Arc und ›Matière de Bretagne‹

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Ohne Frage: Großer Bedarf besteht an Aufräumarbeit in der kulturwissenschaftlichen Wunderkammer, in der mit exotisierender Unschärfe ›Mittelalter-Mythen‹ gehäuft werden. 10 Mit Jeanne d’Arc und der ›Matière de Bretagne‹ durchmustert Wodianka zwei nicht nur inventarreiche, sondern auch höchst ungleichartige Schaukästen der Mittelalter-Erinnerung. Was verbindet Erzählungen um eine singuläre französische Nationalheldin des Spätmittelalters mit dem komplexen und hybriden Erzähluniversum um König Artus und seine Ritterkultur, welches ein halbes Jahrtausend früher begründet wird? Werden beide Großgegenstände in historischen Beschreibungen verbunden? Gibt es analoge Mythisierungsverfahren der Rezeption, die eine solche Doppelwahl für die Untersuchung rechtfertigen?

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Wodiankas Analysen arbeiten beide Gegenstandsbereiche abwechselnd für alle untersuchten Rezeptionsphasen auf. Und doch stimmt ihr Resümee letztlich ratlos. Zwar lassen sich einzelne Gleichläufe konstatieren (so unter anderem die »Bevorzugung des metamythischen Erinnerungsmodus« in verschärften kulturellen Herausforderungslagen wie der Nachkriegszeit, S. 460). Insgesamt aber gelangt die Studie zum Ergebnis, »dass die Frage nach den Binnenstrukturen der Mittelalterkonjunktur sowohl erinnerungskulturspezifisch und mythosspezifisch zu perspektivieren ist« (S. 464). Dies aber heißt: Jeanne d’Arc und Artusritter beschreiten getrennte Wege im kulturellen Gedächtnis des 20. Jahrhunderts.

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So darf man sich im Durchgang der Lektüren reich belehrt fühlen – erhellen können sich beide Rezeptionsreihen gegenseitig jedoch kaum. Zu groß ist der Zerfall allein einer Stoffgruppe wie der ›Matière de Bretagne‹ mit ihren Einzelphysiognomien von Parzival-, Tristan- oder Tafelrunden-Erzählungen, die wiederum spezifische Konjunkturmuster zeigen. Auch das ist Erkenntnisgewinn. Nicht wie sich Mittelalterkonjunktur im Licht von Erinnerungsanalyse zeigt, vermag Wodiankas Studie somit zu klären, sondern wie sich Jeanne d’Arc und Artus-Ritter im 20. und 21. Jahrhundert erinnern lassen.

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5. Wo Mythen entstehen:
Paratexte und Kontexte der Erinnerung

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Fragt man nach den Orten der Mythisierung, so fällt auf, dass vor allem Paratexte zu Wort kommen: Titel, Vorworte, Einleitungen und Stellungnahmen bilden zusammen mit Erzählauftakten und metafiktionalen Exkursen die privilegierten Passagen, aus denen Wodianka Erinnerungsprofile rekonstruiert.

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Für die Etablierung von ›Erinnerungsverträgen‹ besitzen diese Randzonen der Kommunikation zweifellos wichtige Funktion; die ›Erinnerungsrelevanz‹ von Jeanne d’Arc und ›Matière de Bretagne‹ wird hier explizit verhandelt, Erzähler installieren sich hier als Erinnerungssubjekte. Zudem ermöglichen diese konzentrierten Zugriffe, eine große Zahl von Texten, Filmen und Positionen in den Blick zu nehmen und komparatistische Überschau zu gewinnen. Besonders instruktiv sind dabei Analysen, die solche Entwürfe von Erinnerungssubjekten und –objekten abgleichen mit den Darstellungsverfahren, die im weiteren Text- und Filmverlauf performativ zum Tragen kommen. Dass dies auch in exemplarischer Verdichtung höchst aufschlussreich gelingen kann, belegen etwa Wodiankas Analysen zu Italo Calvinos Cavaliere inesistente (S. 209–214), Victor Flemings Film Joan of Arc (S. 242–246) oder Florence Trystrams Jeanne-Roman (S. 322–326).

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In weiten Untersuchungsstrecken überwiegt jedoch der Eindruck von paratextueller top-down-Argumentation: Was Autoren über ihre Texte deklarieren, erhält größere, manchmal sogar ausschließliche Autorität. Alles, was wir über Rosemary Sutcliffs Sword at Sunset erfahren, basiert so zum Beispiel auf einem Interview der Autorin sowie einer ›Authors Note‹ (S. 273–277).

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Literarische Darstellungsverfahren en detail fallen hingegen mehrfach Zusammenfassungen zum Opfer. So schnurrt die Parzivalgeschichte schließlich auf die bloße »Suche Percevals nach dem Gral« (S. 288 f.) zusammen, die Repräsentation des Artushofes in der Vendetta dei descendenti di Ettore wird nur als »anachronistisch[e] Bizarrerie« und »tugendhaftes Gehabe« (S. 133) erwähnt. Gerade angesichts der faszinierenden Materialfülle bleiben damit manche Frage offen: Inwiefern sind Einschätzungen des Erinnerungsprofils zu modifizieren, wenn man stärker die Selektionen, Kombinationen und Darstellungsverfahren der Texte und Filme in die Untersuchung einbezieht?

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Nicht nur Paratexte, sondern auch politische Kontexte der Erinnerung erhalten besondere Aufmerksamkeit. Materieller Wohlstand und Not im Artusreich von Boormans Excalibur legen Wodianka zufolge die Deutung als »Bedrohungspotential des Bösen in den marxistisch-atheistischen Kulturen des Ostblocks« (S. 315) nahe; das ausgeprägte ethische Interesse französischer Autoren der 1980er Jahre wird auf den erstarkenden politischen Rechtsextremismus des ›Front National‹ bezogen (S. 335); für italienische Autoren dieser Zeit werden Bezüge von Jeanne d’Arc-Figurationen zu NATO-Doppelbeschluss, Mafia-Terror und Friedensbewegung zunächst vorsichtig erwogen (S. 335 f.), wenig später aber als gewisser Motivationshintergrund postuliert (S. 359; so auch S. 464). Auf eigentümliche Weise springt die Untersuchung damit mitunter zu kurz und an manchen Stellen zugleich zu weit: vom partikularen Blick auf Paratexte zur Übergeneralisierung von Kontexthypothesen.

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6. belegen, beschweren, beschwören

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Mit bewundernswerter Klarheit strukturiert, geht die chronologische Gliederung des neuzeitlichen Untersuchungsfeldes auf: Auseinandersetzung mit Kriegserfahrung (1940er und 1950er Jahre, S. 177–253), Historisierungstendenzen und explizite Quellenreflexion (1960er und 1970er Jahre, S. 253–311), Absage an historisch-faktisches Erinnern (1980er Jahre, S. 311–359) und offene Auseinandersetzung mit nationaler und kultureller Zugehörigkeit (1990er Jahre und Jahrtausendwende, S. 372–458) werden als Paradigmen bestimmt, denen das besprochene Material jeweils schlüssig zugeordnet wird. Einzig die Binnenkonjunktur des »deutsche[n] ›Parzival-Syndrom[s]‹« (S. 359–372) scheint mit ihrer Auseinandersetzung um Wiedervereinigung und Vergangenheitsbewältigung einen erinnerungskulturellen Sonderweg zu bilden.

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Pointierte Zwischenzusammenfassungen sichern zusätzlich den Untersuchungsgang, der auch trotz gelegentlichem Eintreiben von Begriffen (zum Beispiel der ›Erinnerungsrelevanz‹) nicht mechanisch wird. Den Gebrauch der Studie als Referenzwerk (was sich schon angesichts der Gegenstandsvielfalt der Darstellung anbietet) hätte ein Sach- und Begriffsregister von Verlagsseite zusätzlich unterstützen können – dies bleibt für künftige Arbeiten der Reihe zu wünschen.

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Evidenz erzeugt Wodianka nicht nur durch belegenden Aufweis mythisierender Verfahren, sondern häufig auch dadurch, dass eigene Lektürehypothesen beschworen, Ergebnisse bestehender Forschung beschwert werden. Den »Hauch von Abenteuer und exotisch-mythischer Ferne« (S. 307) in den Jugendromanen Antonio Luglis und Nina Garelli Riggios möchte man nur zu gern nachvollziehen – hier und in anderen Auswertungspassagen der Untersuchung hält Wodianka Nachweis und Rekonstruktion dieser Phänomene jedoch zurück. Die Untersuchung wagt dadurch einerseits eine gewisse Offenheit von Postulaten. Andererseits schließt sie für einige Analysen (etwa zum Spätmittelalter oder zur Nachkriegszeit) eng an bestehende Forschungspositionen an.

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7. Wem gehören Mythen?
Komparatistische Grenzüberschreitung und die Wiederkehr der Nationalkultur

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Zu den methodischen Zielen der Arbeit gehört, die Spuren Jeanne d’Arcs und der arturischen Ritter gesondert für die Literaturen und Filme des französischen, italienischen, anglo-amerikanischen und deutschen Sprachraums nachzuverfolgen; entsprechend resümiert jedes Kapitel Gesamttendenzen der französischen, italienischen, anglo-amerikanischen und (in Auswahl) deutschen Rezeption.

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Der technische Arbeitsterminus der »Kulturspezifik« kann kaum verhüllen, dass so im komparatistischen Gewand die Wiederkehr der Nationalphilologie betrieben wird: Vergleichsbefunde werden mittels Argumentationsfiguren wie nationalspezifischer Aneignung und Konkurrenz organisiert; daneben werden Sonderwege, patriotische ›Rückführungsversuche‹ und nationale Verspätungen konstatiert. Unausgesprochen bleibt dabei die Doppelhypothese, die solcher Optik zugrunde liegt: eine gewisse Homogenitätsannahme einerseits, für einen Sprachraum gemeinsame Diskursbedingungen vorauszusetzen; eine interkulturelle Differenzannahme andererseits, dass Sprachgrenzen zugleich Diskursgrenzen markieren. Beides wird von der Arbeit nicht überprüft, sondern vorausgesetzt. Ob sich transkulturelle Mythosrezeption als eminentes Beobachtungsmedium von Kulturkontrast, –transfer und –interferenz nutzen lässt, ist eine der weitreichenden Fragen, welche das nationalkulturelle Darstellungsverfahren der Arbeit anstößt.

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8. Bilanz und Desiderate

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Will man die Verdienste der Arbeit bilanzieren, sind mindestens vier Leistungen zu würdigen. Die Studie entfaltet erstens ein faszinierendes Gegenstandsspektrum von mittelalterlicher Artus-Historiographie bis zur postmodernen Fernsehserie, dem schon als Exempel geisteswissenschaftlicher Aufgabenbreite Respekt gebührt.

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Die medien- und gattungsübergreifende Perspektive der Studie zeigt sich zweitens für die Leitfrage nach der Erinnerungsaktualität des Mittelalters an den Beispielen Jeanne d’Arc und ›Matière de Bretagne‹ nicht nur unverzichtbar – sie hilft auch eine kritische Lücke zwischen akademischen Mittelalter-Imaginationen und Populärkulturen zu schließen, die sich nach wie vor weitgehend ignorant gegenüberstehen. Damit setzt die Arbeit die Reihe jüngerer Pilotstudien erfolgreich fort, von denen Impulse zur Erforschung von Mittelalter-Entwürfen der Gegenwart zu erhoffen sind, die keineswegs nur die Rückwendung der Gegenwart ins Mittelalter betreffen müssen. 11

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Drittens: Das Mittelalter ist imaginärer Fluchtpunkt einer unablässigen, retroaktiv wie prospektiv produktiven Konstruktionsarbeit – hinter diese grundlegende Einsicht von Wodiankas Studie zurückzufallen kann sich keine Forschung mehr erlauben, die nicht zur bloßen Nachlassverwalterin der Wunderkammer von ›Mittelalter-Mythen‹ herabsinken möchte. Wenn auch weite Strecken dieser Imaginationsgeschichte bislang unaufgehellt sind, liefert Wodianka für ihre modernen Etappen ab den 1940er Jahren klärende Ein- und Überblicke.

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Methodisch stellt ihr erinnerungstheoretisches Analysemodell für die Ebenen von Zeitdimension, Erinnerungsmodalitäten, Kulturspezifik und Gegenstandsgruppen ein Untersuchungs- und Vergleichsformat bereit, das sich aufschlussreich auch für Mittelalter-Konstruktionen zwischen 1500 und 1800 transponieren ließe. Als Ausweg aus dem Methodenparadigma der ›Mittelalterrezeption‹ und seiner impliziten Linearitätsannahme besitzt Wodiankas Arbeit damit viertens Modellcharakter im besten Sinne.

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Skeptischer ist dagegen das Gegenstandsvolumen der Studie zu beurteilen, das die Autorin mitunter zu Pauschalisierungen nötigt: Weder kommt das Mittelalter als Konjunkturphänomen in den Blick, noch lässt sich die ›Matière de Bretagne‹ als Vergleichspartner Jeanne d’Arcs handhaben – zu deutlich verhindern dies Diversifizierungen nach Themen, Erzählkreisen, Figuren und Gattungen, die nur ansatzweise thematisiert werden.

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Auch die Verwendung des Mythosbegriffs wirft Zweifel auf. Einerseits laufen der Theoriearchitektur des Erinnerungsmodells die paradoxe Ausnahme der Meta-Mythik sowie eine Reihe von anderweitigen Mythosbegriffen (›Mythos als Stoff‹ etc.) entgegen, deren Anschließbarkeit an das Erinnerungsmodell noch näherhin zu klären bleibt. Andererseits ist der Mythosbegriff für das Analyseprogramm von emphatischer Relevanz – und verzichtbar zugleich. Auch diese Spannung verdiente eingehendere Diskussion. Als erinnerungstheoretische Studie kann die Arbeit somit überzeugen, als Versuchsanordnung mit kulturwissenschaftlicher Mythosforschung hingegen nicht.

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Mit den so umrissenen Leistungen und Desideraten verbinden sich mehrere Anschlussaufgaben. Dazu gehören differenzierte Verfahrensanalysen von Mittelalter-Imaginationen ebenso wie Untersuchungen jener Transformationsprozesse ›zwischen Mittelalter und Moderne‹, die ihre Unterscheidung als produktiven Abstand für Vergegenwärtigungsakte zuallererst möglich machen. Wie wird das Mittelalter zu jener Formation, die sich so programmatisch vergessen, verdrängen, überwinden oder erinnern lässt?

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Aufzurollen wäre dabei nicht nur die Frage, ob ihre Erforschung auf die Darstellung von Verlaufsgeschichten zu zielen hätte. Methodisch dringlicher noch wäre zu erörtern, ob Mythosforschung als literaturwissenschaftliche Komparatistik disziplinäre, interdisziplinäre oder transdisziplinäre Standards entwickeln kann, ohne Redundanz oder Theorieverwirrungen zu produzieren – und wie sie dabei dem Erbe der Nationalphilologien zu begegnen hätte, über das Mythosforschung ja programmatisch hinausreicht. Mit Stephanie Wodiankas Sondierungen ›zwischen Mythos und Geschichte‹ ist diese Debatte eröffnet.

 
 

Anmerkungen

Vgl. schon die Vorbemerkungen bei Gerhart von Graevenitz: Mythos. Zur Geschichte einer Denkgewohnheit. Stuttgart, Weimar: Metzler 1987, S. VII-XXVI; Christoph Jamme: »Gott an hat ein Gewand«. Grenzen und Perspektiven philosophischer Mythos-Theorien der Gegenwart. suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1433. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1999; Robert Segal: Myth. A Very Short Introduction. Oxford: Oxford University Press 2004; die Pluralität konkurrierender Begriffsverwendungen und Redeweisen über ›Mythos‹ dokumentiert auch Peter Tepe: Mythos & Literatur. Aufbau einer literaturwissenschaftlichen Mythosforschung. Würzburg: Königshausen & Neumann 2001. Auf die »Vielfalt theoretischer Beschreibungsversuche« (S. 13) verweist auch Wodianka, allerdings ohne diese Debatte auszuführen.   zurück
So beispielsweise zu Tankred Dorsts/Ursula Ehlers Parzival (S. 367), Franco Cardinis Giovanna d’Arco (S. 390–394), Georges Bordonoves Jeanne d’Arc et la Guerre de Cent Ans (S. 405 f.) oder Michel Peyramaures Jeanne d’Arc (S. 405–407).   zurück
Wie Joachim Bumke: Wolfram von Eschenbach. In: Kurt Ruh [u.a.] (Hg.): Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 2., völlig neu bearbeitete Auflage. Berlin, New York: de Gruyter 1978–2008. Bd. 10. Berlin, New York 1999, Sp. 1376–1418, insbes. Sp. 1378 ausweist, kann Wolframs Parzival nicht in der »zweite[n] Hälfte des 12. Jahrhunderts« (S. 72) entstanden sein, sondern ist zwischen 1200 und 1210 anzusetzen.   zurück
Vgl. die Überschrift zu Kapitel 3.2.4. (S. 63): »Chrétien de Troyes’ [recte: Chrétiens de Troyes] »Perceval« [...]«.   zurück
So hat die mittlerweile in 2. Auflage vorliegende Parzival-Studienausgabe mit der bewährten Übersetzung Peter Knechts die von der Autorin verwendete Ausgabe Wolfgang Spiewoks (vgl. S. 72, Fn. 75) ersetzt.   zurück
Wer ist »Bedus«, den Christine de Pizan erwähnt (S. 96 / Fn. 141 –»Car Merlin et Sebile et Bede [...]«)? Hier ist vermutlich Beda gemeint. – Auch die Frage Geoffroys of Monmouth nach dem Ursprung des »genus Britonum« ist als Frage nach der »englischen Rasse« (S. 57, Fn. 29) missverständlich.   zurück
Zur Blutstropfenszene des Perceval wird nur ein vierseitiger Aufsatz Erich Köhlers aus dem Jahr 1959 herangezogen (vgl. S. 69, Fn. 71), obwohl eine Vielzahl jüngerer Interpretationen zum Erinnerungskomplex vorliegen, nicht nur aus der Romanistik (zum Beispiel zuletzt von Mario Mancini [2004], Fernando Carmona Fernández [2001] oder Sarah Kay [1991]), sondern auch aus Nachbardisziplinen wie der Germanistik (zum Beispiel Burkhard Hasebrink [2005] oder Joachim Bumke [2001]). – Auch zum Verhältnis von ›fabula‹ und ›historia‹, Leitunterscheidung für das Analysekapitel zum Mittelalter, kann man Grundlegendes vermissen – über den als »richtungsweisend« in der »neueren Forschung« apostrophierten Aufsatz Walter Haugs von 1989 hinausgehend etwa die Studien Fritz Peter Knapps zu Historie und Fiktionsbewusstsein in mittelalterlicher Gattungstheorie.   zurück
Vgl. u.a. Stephanie Wodianka: Closeness and distance of memory to Joan of Arc. A national myth in transnational imagined communities. In: Marin Procházka / Ondreji Pilný (Hg.): Time refigured. Myths, Foundation Texts & Imagined Communities. Prag: Carolinum 2005, S. 51–65; Mythos als ›défilé d’images‹. Zur (Inter)Medialität mythischer Erinnerung. In: Sprache und Literatur 34 (2003), S. 69–83; Mythos und Erinnerung. Mythentheoretische Modelle und ihre gedächtnistheoretischen Implikationen. In: Günter Oesterle (Hg.): Erinnerung, Gedächtnis, Wissen. Studien zur kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung. (Formen der Erinnerung 26) Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005, S. 211–230; Reflektierte Erinnerung. Metamythische Renarrationen des Jeanne-d’Arc-Mythos im Drama. In: Klaudia Knabel / Dietmar Rieger / S. W. (Hg.): Nationale Mythen – kollektive Symbole. Funktionen, Konstruktionen und Medien der Erinnerung. (Formen der Erinnerung 23) Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005, S. 37–66; Was ist ein Mythos? Mögliche Antworten auf eine vielleicht falsch gestellte Frage. In: Dietmar Rieger / S. W. (Hg.): Mythosaktualisierungen. Tradierungs- und Generierungspotentiale einer alten Erinnerungsform, Berlin, New York: de Gruyter 2006, S. 3–17.   zurück
Wie können etwa »Historisierung und Relativierung ›wunderbarer‹ Elemente« bei Nina Garelli Riggio in »überzeitliche normative Verbindlichkeit« (S. 308) umschlagen? Dieses Zugleich von Erinnerungsdistanz und –nähe ist mit Barthes’ Konzept der ›Naturalisierung‹ von Geschichte ebenso wenig wie mit Cassirers Konzept der ›Konkreszenz‹ zu greifen, die Wodiankas Erinnerungsmodell zugrunde liegen.   zurück
10 
Vgl. hierzu exemplarisch die von Werner Wunderlich und Ulrich Müller herausgegebene Reihe Mittelalter-Mythen. Derzeit 5 Bde. Sankt Gallen, Konstanz: UVK 1996–2008.   zurück
11 
Vgl. zum Beispiel Christian Kiening (Hg.): Mittelalter im Film. (Trends in medieval philology 6) Berlin, New York: de Gruyter 2006.    zurück