IASLonline

Rede, nicht Sprache des Comics

Ole Frahms ergiebige Kunstlektüren als fröhliche Comicwissenschaft

  • Ole Frahm: Die Sprache des Comics. (Fundus 179) Hamburg: Philo Fine Arts GmbH Co. KG 2010. 380 S. zahlr. Abb. Gebunden. EUR (D) 22,00.
    ISBN: 978-3-86572-656-8.
[1] 

Comics ist in den vergangenen Jahren eine rasant zunehmende Aufmerksamkeit aus verschiedenen Wissenschaften zuteil geworden, sowohl international 1 als auch insbesondere in deutscher Sprache. 2 Mindestens für letztere gehört Ole Frahm sicher zu den meistbeachteten Autoren; seine brillante Dissertation zur Genealogie des Holocaust in Art Spiegelmans MAUS ist zu Recht zur Referenz geworden. 3 Entsprechend hoch sind vier Jahre später die Erwartungen an Frahms neuen Band, der mit dem Titel Die Sprache des Comics Grundsätzliches zu versprechen scheint.

[2] 

Zurück zum Lachen im Comic

[3] 

Diese Erwartung wird glücklicherweise bereits auf der ersten Seite geerdet: Als Antidot gegen »die Ernsthaftigkeit wissenschaftlicher wie großer philosophischer Entwürfe« greift Frahm zu Nietzsches Fröhlicher Wissenschaft, die er als Bravourstück eines im präzisen Sinne »parodistischen Humor[s]« versteht, der sich von »altvertrauten Konzeptionen des Subjekts, der Sprache und der Wahrheit« abwende, ohne ein neues System vorzuschlagen (S. 7). Vielmehr geht es für Frahm gerade um eine durchgehaltene Freiheit gegenüber systematischen Strukturen, die zwar als Bezugs- und Ausgangspunkte fungieren, aber keine Fundamente bieten können, sondern nur Mauern, aus denen Comics mit immer neuen Tricks ausbrechen.

[4] 

Die Orientierung an der Parodie leitet Frahms Reise in doppelter Hinsicht: Die Beschränkung auf das Bruchstückhafte, auf partielles und je einzigartiges ist nicht nur Prinzip seiner Comiclektüren, sondern nach seinem Verständnis entscheidend für die Ästhetik von Comics überhaupt. Denn diese

[5] 
etablieren im 20. Jahrhundert eine parodistische Ästhetik, die die rassistischen, sexistischen und klassenbedingten Stereotypen reproduziert und zugleich aufgrund ihrer immanent erkenntniskritischen Anlage reflektiert – durch den operationalisierten Modus der Wiederholung in der Konstellation von Bild und Schrift einerseits, die Serialisierungen von Bildern, Figuren und Geschichten andererseits. (S. 11 f.)
[6] 

Es wird sofort deutlich, worin die Herausforderung dieses Ansatzes besteht: Was Comics ausmacht, ist demnach eine unhintergehbare Sekundarität, die unhintergehbar sekundär zu bleiben droht. Typisch für Comics ist ihre Verwendung und Subversion von anderswoher adoptierten Stereotypen, angelegt ist ihre Struktur immanent – inhärent? – darauf, die jeweils fremde Struktur einer anderswo angebotenen Erkenntnis als falsche Verallgemeinerung zu entlarven. Was sich damit noch allgemein über Comics sagen lässt, bleibt in der generellen Formulierung fast notwendigerweise farblos formal: Wiederholungen also und Konfrontationen zwischen Bild und Schrift. Bunt, lebendig und reich kann diese Untersuchung eigentlich nur in der einzelnen Lektüre werden, die die Bezugspunkte der jeweiligen widerständigen Ästhetik, den Anlass für die jeweilige Fröhlichkeit mit aller Ernsthaftigkeit offenlegt.

[7] 

Denn eine besondere Stärke dieser Herangehensweise besteht darin, die Komik im Comic differenziert wiederzuentdecken: Nach früheren wissenschaftlichen Fehleinschätzungen, die die Kunstform als reine funnies missverstand, wurden Comicforscher einige Jahrzehnte lang nicht müde, immer wieder zu betonen, dass Comics nicht komisch sein müssen, sondern sich ernster Themen annehmen können. Frahms ›parodistische Ästhetik‹ verspricht demgegenüber eine Möglichkeit, in der mit vollem Ernst betriebenen Parodie die Verbindung von karikierender Zeichnung, spielerischer Erzählweise, pointierter Gliederung und ironischem Weltbezug mit einer künstlerischen und oft auch inhaltlichen Ernsthaftigkeit zu begreifen.

[8] 

Auch der Titel des Buchs ist parodistisch zu verstehen: Auf eine generelle Sprache des Comics kann nur ironisch verwiesen werden, denn »[a]nders als Sprache bildet der Comic« für Frahm eben gerade »kein System, keine langue, deren Struktur zergliedert werden könnte« (S. 13). Hier wird genau keine Grammatik des Panels, keine Syntax des Cartoons, keine Morphologie der Sprechblase und keine Etymologie des Zeichenstrichs geboten, wie viele Leser mit Erleichterung feststellen werden.

[9] 

Von Sprache unterscheiden sich Frahms Comics aber auch insofern, als sie sich gegen (sehr alte, von Frahm aber verallgemeinerte) linguistische Konzepte einer einfachen Referenz stellen: Die Schwierigkeit, eine parodistische und damit stets aufs parodierte Original bezogene Gattung aus dieser selbst heraus zu definieren, löst Frahm, indem er sie als Absage an den Vorrang des Originals versteht:

[10] 
Meine These ist, dass Comics die Vorstellung eines Originals und damit eines vorgängigen Außerhalb der Zeichen parodieren. Sie sind eine Parodie auf die Referenzialität der Zeichen. (S. 36)
[11] 

Die Wiederholung von Zeichen – aus dem parodierten Original im Comic, aber auch innerhalb des Comics in der Panel- und Heftsequenz – begründet damit im Anschluss an Linda Hutcheons Definition der Parodie als »a form of repetition with ironic critical distance« die eine grundsätzliche Eignung der Comicstruktur zur Gattung ohne unverrückbare Grundsätze und ohne analysierbare Struktur. 4 Die andere sieht Frahm in der Opposition von Sprache und Bild: Denn indem er einerseits weiterhin voraussetzt, dass Sprache sehr wohl über System, Struktur und Referenz verfüge, aber andererseits ihre Verbindung mit Bildern im Comic für unsystematisch, je an die besonderen Verfahren des einzelnen Comics gebunden erklärt, wird ihm diese Verbindung selbst zum Impuls einer semiotischen Widerständigkeit, deren Reiz die ganze Kunstform antreibt.

[12] 

Insofern deutet die Absage an allgemeine Erkenntnisse auf einer Ebene den Glauben an einige noch grundsätzlichere Setzungen an. Dazu gehört außer der Differenz zwischen Referenz und Parodie, der geschlossenen Systemhaftigkeit von Sprache und dem generellen parodistischen Wert der reinen Form von Wiederholungen und von Bild-Text-Kombinationen auch die Annäherung dieser semiotischen Einzigartigkeit an eine politische Widerständigkeit. Frahm plädiert für eine Repolitisierung der wissenschaftlichen Diskussion:

[13] 
Die Geschichte des Comics ist sicherlich nicht auf eine Geschichte von Klassenkämpfen zu reduzieren, aber die folgenden Lektüren sind doch von der Überzeugung getragen, dass bestimmte Auseinandersetzungen, die sich vielleicht ›Kulturkämpfe‹ nennen ließen, ihren Eingang in die Sprache des Comics gefunden haben. Ihre Zeichen lassen sich nicht von ihrem materiellen Erscheinen im historischen Kontext trennen. Comics beginnen erst zu sprechen, wenn diese Kämpfe um Deutungsmacht und Wahrheit mitgelesen werden. (S. 24)
[14] 

Dass die affirmierte Marginalität von Comics, ihre karikierende Ästhetik und ihr Reichtum an Bezügen auf andere Sprach- und Bildverwendungen gerade in ihrer politischen Dimension ernst zu nehmen ist, überzeugt. Dass die damit zugleich in den Vordergrund gerückte Einzigartigkeit der künstlerischen Leistung jedes einzelnen Comics Vorrang vor allgemeinen Verfahren des Comics haben soll, stellt jedoch alle verallgemeinernden Versuche in Frage, ihr parodistisches Vermögen nun doch an formale Bedingungen der Wiederholung oder der Konfrontation von Bild und Schrift zu knüpfen. Wirklich überzeugen kann die Auslotung der Parodie und der Politik von Comics nach diesen Voraussetzungen nur in den einzelnen Lektüren ausgewählter Comics, die den besonderen Impetus, das besondere parodistische und kritische Potential je eines vorliegenden Kunstwerks entwickeln.

[15] 

Lektüren statt Satzteile

[16] 

Genau diese Einzelanalysen machen den größten Teil des Bandes aus, dessen hervorragende, scharfsichtige und präzise demonstrierte Entdeckungen nicht nur eine reiche Lektüre bieten, sondern jeden der gelesenen Comics bereichern. Da es keine runde Struktur einer Comicsprache zu entdecken gibt, bildet die Zusammenstellung keinen geschlossenen Bogen: Dass die Kapitel wie Satzteile einer Comicgrammatik nach ›Figur‹, ›Zwischenraum‹ oder ›Panel‹ heißen, ist eher Teil der Parodie. Ernsthaft ist dennoch der Anspruch, »formale[] Fragen« anzusprechen, die »für andere Comics genauso gelten« (S. 27), aber wiederum nur in der stets neuen Bezugnahme »auf inhaltliche Momente« (S. 25).

[17] 

Tatsächlich handelt es sich großteils um – teilweise wesentlich überarbeitete – Wiederabdrucke von anderswo bereits publizierten Texten, deren Überlegungen in bestimmten Kontexten entstanden sind und deren Spuren nicht verbergen. Eher grob gegliedert sind die Analysen in eine erste Hälfte, die sich vor allem formalen und daher insbesondere selbstreflexiven Phänomenen widmet, und eine zweite, die mit besonderem Nachdruck politischen Momenten nachgeht. Wenn diese Lektüren auch belegen sollen, dass die ganze Kunstform durch eine ›parodistische Ästhetik‹ beschrieben werden kann, muss unter anderem interessieren, ob neben offensichtlichen Parodien auch solche ohne klaren kritischen Bezug, ob außer avancierten und ostentativen Selbstreflexionen auch Beiträge aus dem Gros der Massenproduktion behandelt werden. Mit Tintin, Donald Duck und Superman ist dies tatsächlich der Fall und es spricht sehr für den Ansatz, dass er eben nicht nur bei Spiegelman, Crumb, Herriman und Martin tom Dieck fündig wird.

[18] 

Die partikularisierende Bewegung der Wiederholung macht Frahm zunächst vor allem an den auf der Seite und in der Serie wiederholten Figuren fest. Vater und Sohn, Katzenjammer Kids sowie The Captain and the Kids, Krazy Kat, Tintin, die Geheimidentitäten aus Superman und Batman und eine Doppelgängererzählung um Donald Duck werden in die jeweilige Spannung ihrer parodistischen Ablehnung bestimmter Identitätskonzeptionen gesetzt: Die Ironie auf eine gutbürgerliche Dynastie bei Ohser, die Entkoppelung von Ähnlichkeit, Sozietät und Familie bei Dirks, die Umstellung von subvertierten Rassen- und Geschlechtszuschreibungen auf kritisierte Klassenzugehörigkeiten bei Herriman, die Unheimlichkeit des Doppelgängers in der Kriminalgeschichte bei Hergé, das Verwirrspiel zwischen äußerer Ähnlichkeit und Mitwisserschaft bei den Superhelden und die phantasmatische Unheimlichkeit des doppelten Donald, dessen falsche Kopie identifiziert werden muss, um getötet zu werden. 5 Vielfach nimmt dies Frahms bereits aus der MAUS-Analyse bekanntes Konzept der Cartoonzeichnung als ›lebendige Maske‹ auf, die als Metapher Stereotype reproduziert, durch die Abwesenheit eines ungezeichneten Gesichts unter der Maske aber aus der Bedeutung ihrer Metapher und ihres Stereotyps ausbricht. 6 In allen diesen Fällen stellt die »Vervielfältigung der Figuren innerhalb eines Panels […] die Vaterlosigkeit der Zeichen im Comic aus und reflektiert sie«: In der »Zerstreuung der Zeichen« passiert etwas, »das die Figur des Vaters, des Ursprungs, des Eigentlichen, mit sich selbst Identischen auflöst« (S. 108 f.).

[19] 

An dieser Argumentation ist exemplarisch nachzuvollziehen, wie die Balance zwischen der je besonderen Parodie und Politik der gelesenen Comics und der allgemeinen Festlegung der Kunstform auf ihre parodistischen und politischen Verfahren funktioniert: Die bestimmten Comics dekonstruieren jeweils bestimmte ideologische Zuschreibungen von Familie, Herkunft, Gruppenbildungen und individueller Identität, indem sie sie durch die ständige Reproduktion ihrer Zeichen unterlaufen. Mit der so angegriffenen Identitätslogik attackieren sie zugleich die Grundlage eines Originals- oder Ursprungsbegriffs, der Parodien nur als nachrangig begreifen könnte, und führen so ihr spezifisches kritisches Potential in die Bestätigung der referenzlosen Parodie als allgemeines Verfahren zurück.

[20] 

Es wird schnell deutlich, dass alle Beschreibungen damit auf starke Interpretationen angewiesen sind, und dass der besondere hermeneutische Zirkel zwischen einzelner Politik und allgemeiner Parodie kein übergreifendes Verfahren zulässt, sondern stets auf die einzelne Entdeckung angewiesen bleibt. Frahms Comiclektüren sind ein einziges immer neues Finden von Unvorhersagbarem, das dann am plausibelsten sein wird, wenn das überraschend Gefundene im Nachhinein augenfällig scheint. Dann wird durch die Analyse mehr aus dem Comic, wenn auch nicht immer klar ist, wie viel davon aus dem Comic kommt.

[21] 

Hervorragend funktioniert das etwa dann, wenn die Kombination von Bild und Schrift als Konfrontation von verlorenem Blick und separierender Ordnung gerade an Richard Outcaults Yellow Kid festgemacht wird, jener Comicfigur, die ihre Rede auf dem Körper (oder dem Kleid? – ununterscheidbare Maske) statt in einer Sprechblase trägt:

[22] 
Indem sich Schrift und Bild in dieser Figur zu vereinigen scheinen, ließe sich das als Ruhepunkt verstehen, der die Seite ordnet. Das Yellow Kid wäre der Ort, an dem im erwiderten Blick, in der zeigenden Geste das ganze Panel – diese Konstellation aus Schrift und Bild – transparent wird, wo sich die Kontrolle über den verlorenen Blick zurückgewinnen lässt. Doch bleibt die Schrift dem Nachthemd fremd wie das Kind letztlich selbst ein Fremder, der sich wundersam vervielfältigt […] in dem schwarzen Kind, das […] den Leser anlächelt. Es erinnert an das Faktum, dass Anfang 1896 das Oberste Gericht der USA in einem berühmten Urteil, das die Schulen ausdrücklich mit einschloss, die Rassensegregation bestätigt hat. Sein Schweigen, sein beschämtes und beschämendes Lächeln machen die offene Schule in Hogan’s Alley zu einem besonderen Ort. Sie entkommt der Transparenz und der Kontrolle […]. Die Seh-Schule des Yellow Kid erinnert […] an das Begehren der Kontrolle und lehrt den Blick ein anderes Begehren, in dem sich nichts so klar trennen läßt […]. (S. 196 f.)
[23] 

Der interpretatorische Gewinn ist offensichtlich erheblich. Hier geht die Reihung von der unsystematischen Bild-Schrift-Kombination über die parodistische Form der Wiederholung zur politischen Treffsicherheit nahtlos auf. Insbesondere die Identifizierung von geleugneter semiotischer Eindeutigkeit und subvertierter politischer Kontrolle kann deshalb überzeugen, weil sie eben nicht allgemein behauptet, sondern an den Inhalten, Verfahren und Kontexten gerade dieses Bildes entwickelt wird.

[24] 

Schwieriger ist der Nachweis, wo die Insistenz auf der parodierenden Kraft aller und also stets auch des jeweils vorliegenden Comics gegen weite Teile seines Inhalts und seiner Konvention ausgespielt werden muss. In einer Superman-Erzählung von 1942 verwendet ein Bösewicht ein hypnotisches Radio, das zunächst auch Superman einfängt, dem sich dieser dann jedoch durch seine »pure Willensanstrengung« (S. 259) im Gegensatz zu allen anderen Figuren des Comics entziehen kann. Frahm weist darauf hin, wie sehr dies dem formularischen Schema der Superman-Erzählungen vieler Jahrzehnte entspricht. Dass »sich die Erzählung nicht in einem Schema« erschöpft, weil »die Bilder nie ganz identisch sind« (S. 261), ist sicher richtig. Ob aber in dieser Übermacht von Supermans individueller Authentizität, die durch die Überwindung einer vorübergehenden Täuschung sofort die eine richtige Realität unverstellt erkennen lässt, ob also in diesem Inbegriff der Identitätslogik allein wegen der angenommenen identitätsbrechenden Kraft aller Wiederholungsstrukturen in allen Comics wirklich eine kulturkritische Pointe verborgen sein soll? »Die Geschichte erzählt, dass es durchaus möglich ist, sich dem gefährlichen Einfluss der Medien zu entziehen« (S. 262) – vielleicht. Frahm kennt natürlich die Grenzen dieser Interpretation: »Die Ideologie von Superman behauptet, dass ein Mann den Job für uns erledigen kann«, aber gerade deshalb hält er die parodistische Ästhetik des Comics für stärker als die ideologische Bedeutung:

[25] 
und Kritiker wie Umberto Eco schreiben diesen Mythos in ihrer Analyse fort, indem sie behaupten, sie könnten den Job der historischen Reflexion alleine und stellvertretend für alle erledigen. Aber das täuscht. Im Material der Superman-Geschichte ist allen lesbar die immer gegenwärtige Gefahr zu verstehen gegeben, von den Zeichen hypnotisiert oder sogar gelähmt zu werden […]. Eine Theorie des Comics sollte keineswegs versuchen, sich dieser Gefahr von vornherein zu entledigen, indem sie von Identifikation und Einfluss und der gefährlichen Ideologie der Superheldencomics spricht, sondern sie sollte vielmehr deren historische Materialisierungen lesen, um die Ideologie vom Einfluss der Medien infrage zu stellen. (S. 266)
[26] 

Ob diese Infragestellung wirklich allen jederzeit in Superman lesbar wird oder nicht eher Konsequenz einer zum allgemeinen Prinzip erhobenen Parodistik des Comics ist, der sich dann eben auch der systemtreueste Superman-Comic zu fügen hat, bleibt zweifelhaft.

[27] 

Rede versus Sprache

[28] 

»[G]ewiss gibt es […] keine Comics ohne strukturelle Parodie« (S. 38) – Es gibt eine Notwendigkeit in der »Vervielfältigung der Figur selbst – des Unheimlichen des Doppelgängers also, der die Comics notwendigerweise heimsucht« (S. 68) –»Wird in der Rezeption der Erzählung das strukturell parodistische Moment der Comics verdrängt? Wie wäre das möglich, wenn die Parodie den Comics ihr Erscheinen strukturiert und ermöglicht […]? «(S. 351). Wenn das nicht möglich ist, kann Superman freilich auch kein selbstidentischer Held und männlicher Leviathan sein, ohne dass die Superman-Zeichnungen dies alles demokratisierend hinterfragen. Das also steht auf dem Spiel: Sind Comics denkbar, die keiner strukturellen Parodie unterworfen sind? Behält die Kunstform die Freiheit, nicht zu parodieren? Verfügt sie doch über eine Sprache, mit der sich verschiedenes sagen lässt?

[29] 

Dass in Comics eine Ästhetik der Parodie eine wichtige Rolle spielt, beweisen Frahms Lektüren überreich: Überall finden sie neue Einsichten, legen den Reichtum der behandelten Werke frei oder bereichern sie. Ob die parodistische Ästhetik aber wirklich eine allgemeingültige Formel sein kann, ob es nicht auch ungebrochen ideologische Comics und eindeutige Comicerzählungen, also eine freier einsetzbare Sprache des Comics gibt, die nicht immer nur die Antwort auf eine durch sie entlarvte andere Ordnung sein muss, und deren Rede nicht in jedem Fall und sofort, ja automatisch in nichts anderes als widerständige Parodie verfallen muss, gilt es zu fragen.

[30] 

Und dies umso mehr, als Frahm seinen Entwurf eindeutig als Ausschluss positioniert: Nicht nur mit ausführlichen Polemiken gegen zahlreiche andere Ansätze (u. a. S. 12–24, 31 f., 127–132, 298 f.), 7 sondern vor allem durch allgemeine Erwägungen, die über die Beweiskraft der einzelnen Lektüren hinausgehen sollen. Diese gehen von einer vielleicht unerwarteten Stelle aus: Von Ulrich Kraffts (vielzitierter und immer noch unterschätzter) textlinguistischer Abhandlung Comics lesen von 1978. 8 Frahm zitiert ihn wie folgt:

[31] 
Bild und Text unterliegen jeweils den Gesetzmäßigkeiten des Codes, aus dem sie stammen. Die Synthese findet gerade nicht auf der Ebene des Zeichensystems, der langue, statt, sondern erst im jeweiligen Comic-Text, auf der Ebene der parole. (Frahm S. 13; Krafft S. 112)
[32] 

Frahm sieht darin die »Schwierigkeiten einer allgemeinen Comic-Theorie benannt: Anders als die Sprache bildet der Comic kein System, keine langue, deren Struktur zergliedert werden könnte« (Ebd.).

[33] 

Nun ist für diesen Standpunkt Krafft ein überraschender Zeuge. Schon die genaue Lokalisierung der Bild-Text-Beziehungen in der parole setzt ihre Differenz zu einer damit angenommenen langue voraus. Zwar ist gerade das eine hier beschriebene Phänomen – es geht Krafft um die Einordnung von Blocktexten in Panelfolgen – nur im Bereich der parole zu suchen. Damit steht es aber gerade im Gegensatz zu den auf den vorausgehenden einhundert Seiten beschriebenen, klassifizierten und paradigmatisierten Panelgliederungen, Verweisketten, Raumzeichen als semantischen und als funktionalen Einheiten, Substitutionen und Proformen, syntaktischen Kategorien und lexikalischen Gruppen. Ja Krafft redet sogar von Comic-Morphemen, bis hin zur Unterscheidung von Panellinien, die eckig als direkte, abgerundet als indirekte Rede zu verstehen seien. 9 Frahm muss für seine Argumentation daher gerade die Kombination von Bild und Schrift zum wesentlichen Bestimmungsmerkmal des Comics machen – und nicht etwa, wie dies Krafft 10 und viele andere vorschlagen, die Kombination mehrerer Bilder zu einer Einheit, die in vielen Fällen auch ganz ohne Schrift auskommt. An der Grenze zwischen Schrift und Bild wiederholt sich dann die grundlegendere Grenze zwischen parodierendem Comic und parodiertem Zeichensystem. Das andere parodierende Moment, das Frahm ausmacht, die Wiederholung von Zeichen in der Serialisierung des Comics, bewertet Krafft ganz anders: als Wiederaufnahmen in einer Kette, die wie die Thema-Rhema-Verkettungen bei Pronomina gebaut sei. 11

[34] 

Wollte man Krafft folgen und die Einschränkung auf die parole nur für bestimmte Phänomene gelten lassen, zu denen eben auch die parodistische Ästhetik gehören könnte, während zugleich eine langue der Bildergeschichten fortbesteht, so würde sich als unironischer alternativer Titel für Frahms Studie Die Rede anstelle der Sprache des Comics anbieten. Diese Vorstellung (1), wonach einige Phänomene zur einzelnen performierten Rede und nicht zum abstrakten System der verwendeten Sprache gehören, ist von zwei weiteren Vorstellungen zu trennen: Jener (2), nach der es in einer bestimmten Kunstform keine Sprache gibt; und jener (3), nach der in dieser Kunstform die Sprache der Rede nachgängig ist, also in besonderer Weise erst durch die Rede gestiftet wird. Aber (1) und (3) schließen einander nicht aus.

[35] 

Krafft sagt (1), Frahm schließt (2). (1) zu radikalisieren, und zwar über Krafft hinaus, hieße zu akzeptieren, dass eckige und runde Panelecken generell darauf festgelegt wären, direkte und indirekte Rede zu kennzeichnen – obwohl das doch offensichtlich nur für eine Teilmenge bestimmter Genres des franko-belgischen Comics gilt, die Krafft an dieser Stelle betrachtet. (2) zu radikalisieren, vielleicht über Frahm hinaus, hieße hinzunehmen, dass es keine systemtreuen, keine eindeutigen Comics geben kann, weil ihre reine Struktur sie gegen alle Absicht und gegen allen Gebrauch stets subversiv werden lässt.

[36] 

Aber Kraffts Bemerkung, die sich durch ihr französisch-strukturalistisches Vokabular von den anderen linguistischen Traditionen absetzt, die Krafft ansonsten vornehmlich zitiert, 12 nimmt wohl Bezug auf eine kontemporäre Diskussion in der Filmforschung, die in den späten 60ern und 70ern vor einer vergleichbaren Frage stand, und die schließlich bei Christian Metz mit eben jenem semiologischen Vokabular an prominenter Stelle auf (3) verfiel. Metz nämlich argumentiert, dass es zwar eine ›kinematographische Sprache‹ gibt, dass dies aber nicht auf einen einzigen Code hindeute, der alles in allen Filmen regiere, sondern auf eine der Vielfalt der Sprachen ähnliche allgemeine Sprachlichkeit, eine langage, deren paroles sich mehrerer verschiedener langues bedienen, weil letztere erst durch Abstraktion aus ersteren entstehen. 13 Wenn also, auf den Comic übertragen, runde und eckige Panelgrenzen in einem einzigen oder einer Gruppe von Comics systematisch für direkte und berichtete Rede eingesetzt werden, so ist die entstehende regelmäßige Struktur sprachähnlich. Aber anders als in einer einzelnen natürlichen Sprache, in der nach einer bestimmten obsoleten Vorstellung etwa jeder Akkusativ eines bestimmten Nomens immer genau eine Auswahl aus einem unsichtbar mitlaufenden Paradigma bedeutet, das auch den Nominativ, Genitiv und Dativ jederzeit bereithält, ist diese Bedeutung nicht beim ersten Vorkommen einer runden Panelgrenze selbstverständlich: Denn nicht aus einer vorausgehenden langue bestimmt sich die parole, sondern Gruppen von paroles abstrahieren verschiedentlich auf verschiedene langues. Daher auch das große Gewicht, das in weiten Teilen der Filmforschung Genres mit ihren je gruppenspezifischen Codes zugesprochen wird, und das sich vielleicht auch in weiten Teilen der Comicproduktion bewähren kann.

[37] 

So kann ein Superman-Comic einerseits an den Konventionen des Comics und seines besonderen Genres partizipieren, als wären sie einer Sprache vergleichbar, andererseits jederzeit diese Konventionen unterlaufen, verändern oder parodieren – er ist aber auch nicht von vornherein darauf festgelegt, diese Parodie leisten zu müssen, nur weil er ein Comic ist. Ein solcher flexiblerer Umgang, auf den Krafft hier anspielt, bleibt auch für die meisten Teile von Frahms Studie anschlussfähig; auf die Ausschlussargumentationen müsste dann freilich verzichtet werden.

[38] 

Diese Öffnung hätte noch einen weiteren Vorteil: Der emphatische Kunstbegriff, dem Frahm hier folgt, wäre in gewisse Grenzen verwiesen. Zwar beschränkt sich Frahm nicht auf avancierte Autorencomics, sondern schließt Disney und DC ein. Aber als Comic erkannt wird jedes dieser Werke nur, weil und insofern sich in ihm selbstreflexive, subversive und ästhetisch parodierende Effekte in je besonderen Kunstgriffen finden lassen. Dass Frahm sie auch wirklich jederzeit findet, macht den Begriff weniger exklusiv, aber nicht unbedingt weniger elitär; er schließt sich immer noch einem streng bürgerlichen Kunstverständnis von ästhetischer Differenz an, von der sich Krafft seinerzeit abgesetzt hat: »So interessant diese ›Intellektuellen-Comics‹ auch sein mögen, so sind sie doch für eine Untersuchung ungeeignet, die die Norm beschrieben will.« 14 Das setzt allerdings voraus, dass es beschreibbare Normen gibt.

[39] 

Fazit

[40] 

Auch wenn die behauptete Allgemeingültigkeit der parodistischen Ästhetik für alle Comics fraglich bleibt, ist mit ihrer präzisen Beschreibung und inspirierten Deutung ein weitreichendes und fruchtbares Moment in Comics gefasst. Die aufschlussreichen und immer ergiebigen Einzellektüren des Bandes sind von kaum zu überschätzendem Wert; das Lektüreverfahren umso mehr.

 
 

Anmerkungen

Vgl. Jeet Herr / Kent Worcester: »Introduction«. In: Dies. (Hg.): A Comics Studies Reader. Jackson: University Press of Mississippi 2009, S. xi-xv, hier bes S. xi ff.   zurück
Für eine Übersicht vgl. Daniel Stein / Stephan Ditschke / Katerina Kroucheva: »Birth of a Notion. Comics als populärkulturelles Medium«. In: Dies. (Hg.): Comics. Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums. Bielefeld: Transcript 2009, S. 7–27, hier bes. S. 7 ff.   zurück
Ole Frahm: Genealogie des Holocaust. Art Spiegelmans MAUS – A Survivor’s Tale, München: Wilhelm Fink 2006. Vgl. die Rezension bei IASL Online: Stephan Packard: Lebendige Masken. Ole Frahm zur Genealogie des Holocaust in Spiegelmans MAUS. In: IASLonline [01.07.2007]. URL: http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=1885>, Datum des Zugriffs: 23.09.2011.    zurück
Frahm S. 37; vgl. Linda Hutcheon: A Theory of Parody. The Teachings of Twentieth-Century Art Forms. New York/London 1986, hier S. 6. Frahms Übersetzung unterschlägt hier die Qualifikation als ›ironic‹, der er jedoch inhaltlich im Weiteren folgt.   zurück
Die Aufzählung stellt nebenbei aus, dass Frahm bei Mainstreamserien wie Superman und Donald Duck der Politik der Vertriebsfirmen folgt, indem er hier keine Autoren diskutiert (obwohl er sie in einer Fußnote ermittelt), sofern sie nicht wie Carl Barks die besondere Berühmtheit einer Ausnahmestellung genießen. Vgl. S. 94, Fn 44, und passim.   zurück
Vgl. Frahm: Genealogie, S. 37–41.   zurück
Um es nicht zu verheimlichen: Hier trifft es unter anderem auch den Rezensenten (S. 20 f.).   zurück
Ulrich Krafft: Comics lesen. Untersuchungen zur Textualität von Comics, Stuttgart: Klett-Cotta 1978.   zurück
Krafft (ebd.), S. 86.   zurück
10 
Krafft (ebd.), S. 13.   zurück
11 
Krafft (ebd.), S. 37 ff.   zurück
12 
Vgl. den Überblick in Krafft (ebd.), S. 13 f.   zurück
13 
Christian Metz: Langage et Cinèma, Paris: Librairie Larousse 1971, hier Kap. II.4 und IV.3.   zurück
14 
Krafft Comics lesen, S. 14.   zurück