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Metaphysik und die Folgen: Was ist ein Medium?

  • Stefan Münker / Alexander Roesler (Hg.): Was ist ein Medium? (stw 1887) Frankfurt / M.: Suhrkamp 15.10.2008. 341 S. Paperback. EUR (D) 13,00.
    ISBN: 978-3-518-29487-1.
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Inter-esse: Metaphysik und Medien

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Es dürfte kein Geheimnis sein, dass in Medientheorien fast sämtliche Probleme der Metaphysik und ihrer Verwindung zum Vorschein kommen und diese entweder explizit verhandelt werden oder aber subkutan wirken. 1 Die wohl klassischste Frage der abendländischen Philosophie, »Was ist…?«, und die ebenso notwendige Frage, »Was ist ein Medium?« als Titel, steht der etwas lapidaren Feststellung Gadamers, »Auch das Wort ›Medium‹ ist ein interessantes Wort«, als Umschlagstext gegenüber. Damit ist bereits ein grundlegendes Spannungsfeld heutiger Medienphilosophien, -theorien und -wissenschaften angegeben: Sind dezidiert moderne Medientheorien zu einem großen Teil einem antimetaphysischen Impetus verpflichtet, so bewegen sie sich subkutan größtenteils innerhalb metaphysischer Grundannahmen. Doch selbst in einer möglichen ›Verwindung‹ wird die Unmöglichkeit klar, aus diesen geschichtlich gewordenen, wenn auch nicht notwendigen, Voraussetzungen radikal auszubrechen.

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Eine Philosophie oder auch Theorie der Medien und Medialität ist – gerade aufgrund der historisch so breiten und heterogenen Bezugspunkte – in eminenter Weise aufgefordert, die eigenen geschichtlich gewordenen Bedingungen und Voraussetzungen mitzudenken, denn die Auseinandersetzung mit Medien und Medialität zeigt sich als nichts weniger denn als Auseinandersetzung mit der abendländischen Denk- und Kulturgeschichte.

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Insofern sind die in dem Band versammelten Beiträge durchaus paradigmatisch, und zu Recht wird auf Konzepte einer rein instrumentellen und scheinbar neutralen Übertragung verzichtet. Die Grundannahme, »Was Medien vermitteln, ist, wie es ist, nur, weil es medial vermittelt wurde« (Stefan Münker: Was ist ein Medium? Ein philosophischer Beitrag zu einer medientheoretischen Debatte, S. 329), wird denn auch in zahlreichen Beiträgen erweitert zu – wenn auch nicht immer selbstreflexiven – Positionen, die dem ›Zwischen‹, der Zwiegesichtigkeit von Medien und Übertragung, dem Geschehen der Mediation, auf der Spur und insofern (selbst) ›interessant‹, im Sinne eines ›inter-esse‹, sind.

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Aristoteles, Thomas und die Folgen:
Zur Anlage zur Bandes

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Die historischen Felder des ›Begriffs‹ – und mit ihm die »impacts der christlich abendländischen Ontologie« (S. 28) – werden denn auch in dem nicht nur philologisch genauen, sondern auch denkerischen Eingangsbeitrag von Wolfgang Hagen aufgezeigt. Den Knackpunkt bildet – das ist als Beobachtung zwar nicht ›neu‹, in der Präzision der Ausarbeitung aber schon – die Anverwandlung des aristotelischen Corpus durch Thomas von Aquin. Was bei aller Problematik der relevanten Stellen aus Peri psyches als ›Rest‹ übrig bleibt – und auch dies weist sowohl positiv als auch negativ auf die philosophische Tradition und mit ihr auf die Auseinandersetzung mit ›Medien‹ voraus – ist die konstitutive Bezogenheit von Wahrnehmung auf Differenz, wodurch sich Annahmen in Bezug auf ›to metaxy‹ (als Abstand) und ›to diaphanes‹ (als Abstand des Abstandes) herausarbeiten lassen (vgl. S. 22 f.).

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Der Beitrag wird mit diesem Ansatz zur impliziten Folie für alle folgenden Beiträge. Gerade bei einem (auch historisch) so diffundierenden ›Begriff‹ wie dem ›Medium‹ rückt die unauflösliche Wechselwirkung von Phänomen und Bezeichnung in den Blick. So halten sich die Beiträge in der unumgänglichen und produktiv-paradoxen Wechselwirkung der (auch historisch vermittelten) Setzung von ›etwas‹ als Medium und der (›begrifflichen‹) Herausarbeitung des Medialen (an diesem).

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Den Schwerpunkt auf ein Medium setzen vor allem die Beiträge von Natascha Adamowsky (spiritistische Phänomene), Elena Esposito (Geld) und Stefan Rieger (Frosch), in abgeschwächter Form auch Sybille Krämer (Bote, postalisches Prinzip), Lorenz Engell (Film), Uwe Wirth (Brief, Briefträger, postalisches Dispositiv), Dieter Mersch (Kunst) sowie Hartmut Böhme und Stefan Matussek (»Mixed« statt »Virtual Realities«).

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Halten die ersten vier Aufsätze von Wolfgang Hagen, Natascha Adamowsky, Sybille Krämer sowie von Hartmut Böhme und Peter Matussek ihre theoretischen Bezugspunkte in der Schwebe bzw. geben einen breiten Überblick (wie bei Krämer), so sind die darauffolgenden Beiträge von Elena Esposito, Dirk Baecker, Siegfried J. Schmidt, Wolfgang Ernst, Lorenz Engell, Hartmut Winkler und Uwe Wirth vor allem von der Auseinandersetzung – ob in (partieller) Übernahme oder Absetzung – mit der Systemtheorie (Luhmann) und der Komplexitätstheorie, zum Teil in Kombination mit Ansätzen von Fritz Heider, McLuhan und Peirce sowie von der semiotischen und symbolischen Dimension geprägt. Die abschließenden Aufsätze von Lambert Wiesing, Ulrike Ramming, Josef Rauscher, Stefan Rieger und Dieter Mersch entfalten phänomenologische Ansätze in ihrer ganzen Breite, von Husserl über Heidegger bis zu Derrida und Fink, zum Teil in Kombination mit Positionen von Dewey, Wittgenstein und Barthes.

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Diese allzu groben Schematisierungen können selbstverständlich nur der Konturierung einer Tendenz des Sammelbandes dienen und werden der Komplexität und der Gewichtung der einzelnen Beiträge nicht gerecht. Einer vertiefenden Betrachtung können hier nur zwei weitere Beiträge unterzogen werden.

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Medien, Boten, Spuren

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Sybille Krämers Aufsatz »Medien, Boten, Spuren. Wenig mehr als ein Literaturbericht« kommt im Untertitel recht bescheiden daher, ist es vom Ertrag her jedoch nicht. Tendenzen der heutigen Medienforschung werden nicht bloß referiert, sondern in Reflexion auf den internationalen Forschungsdiskurs in einen überaus anregenden Zusammenhang gebracht.

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Als Gegenkraft zur vorherrschenden Depersonalisierung des Mediendiskurses macht Krämer das paradigmatische Medium des Boten stark (vgl. S. 69), der als Figuration des Dritten (vgl. S. 72) erscheint und in sich das Postalische Prinzip als Strukturform menschlicher Kommunikation birgt (vgl. S. 74). Bedeutet postalische Adressierbarkeit einerseits Subjektkonstitution im Sinne einer raum-zeitlichen Lokalisierbarkeit, so erweist sich die Idee der Post andererseits als Inkarnation der Übertragung, als strukturelles Prinzip der Metamorphisierung im Sinne eines Systems von Korrespondenzen, das Gleichartiges im Verschiedenen zu Tage fördert (vgl. S. 75 – 77).

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An der Botenfigur sowie dem Postalischen Prinzip kann eine Weise der Übertragung deutlich werden, die das Medium als in spezifischer Weise dazwischentretendes Drittes fasst und somit das kulturstiftende Potential von Medien erklärt, ohne sich an der bloßen Daten- und Informationsübertragung durch die Nachrichtentechnik oder an der Metapher im Sinne übertragener Bedeutungen zu orientieren (vgl. S. 78). Vielmehr soll die spezifische Übertragung, die durch Medien erfolgt, dahingehend bestimmt werden, dass an ihr die Mittlerrolle des Mediums als Drittes in dem Zwischenraum zwischen Zweien und folglich ihre grundsätzliche Heteronomie hervortritt (vgl. S. 82).

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Diese Heteronomie manifestiert sich – wie bereits an dem Boten herausgearbeitet – in der grundsätzlichen Funktion von Medien, Nichtwahrnehmbares wahrnehmbar zu machen, Abwesendes zu vergegenwärtigen in dem Verschwinden des Medialen (vgl. S. 83). Gerade darin besteht die spezifische Übertragung durch Medien, und diese verweist zugleich auf die Rückseite des Botenprinzips, die Spur (vgl. S. 85). Ist das Spurenlesen einerseits auf Entdeckung, Einsicht und Erkenntnis ausgerichtet und erfährt es somit eine Semiotisierung und Epistemologisierung (vgl. S. 88), so kommt in der Spur jedoch zugleich das Entzogensein des ›Absenders‹ und somit Abwesenheit, radikale Differenz, zur Erscheinung. ›Spur‹ fungiert somit andererseits auch als negativer Aufweis der Grenzen des Darstellens und Erkennens (vgl. S. 89).

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Mit der radikalen Fassung des ›Anderen‹ als ›Spur‹ durch Lévinas kehrt sich das Postalische Prinzip hinsichtlich der Akteursrolle abermals um, wodurch die Heteronomie des Mediums in Gestalt der Fremdbestimmung und Entzogenheit, als Spur, zur Chiffre von Intersubjektivität wird. Dies ist nur möglich – und darin kulminiert die Stoßrichtung des Beitrages –, wenn Medium und Spur nicht am Vorbild des Zeichens begriffen werden (vgl. S. 90).

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Dieser anregende Grundansatz provoziert zahlreiche weitergehende Fragen, von denen hier nur auf die Rolle der Sprache eingegangen werden kann. Die Abgrenzung des Medialen von anderen Formen der Übertragung, vor allem dem der (sprachlichen) Metapher hat nur dann eine Berechtigung, wenn Sprache als grundsätzlich zeichenhaft begriffen wird. Wird diese Voraussetzung aufgegeben, dann gilt das über das Medium und dessen spezifische Übertragungsleistung Gesagte – und zwar mit allen Implikationen, von den generativen und kulturstiftenden Potentialen bis zum Entzug des Mediums im Akt der Übertragung – in eminenter Weise für Sprache und sprachliche Metaphern, angefangen beim sprachlich verfassten Weltverhältnis (bei Heidegger) über die grundsätzliche Metaphorizität von Sprache (Gadamer) bis hin zu dekonstruktivistischen und poststrukturalistischen Ansätzen, unter anderem zur paradoxen Metapher. 2

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Die Vermeidung des Bezuges auf diese ›älteren‹, sprachorientierten Ansätze, in denen sich das hier propagierte Übertragungsgeschehen bereits dezidiert ausgearbeitet findet, ist sicherlich einem kulturwissenschaftlichen Ansatz geschuldet, in dem Sprache eben nicht (mehr) als Grundmedium des Welt- und Selbstverhältnisses und als paradigmatisch für Medialität erscheinen soll. Auch geht dann das ›Dritte‹ zu Recht und zu Gunsten einer (paradoxalen) Dynamik verloren, und genau bei dem Verschwinden des Dritten, auch des Boten, in seiner Übertragungsfunktion, das ja Krämer herausstellt, wird die Propagierung eines Dritten haltlos. Der Ansatz wäre stimmig, würde gerade auf diese Setzung verzichtet.

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Verwindung: Mitteilen und Zeigen

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Konsequenter gestalten sich Dieter Merschs Ausführungen (»Tertium datur. Einleitung in eine negative Medientheorie«). Bleibt das ›tertium datur‹ in dem Aufsatz zwar implizit, so werden die »indirekten Verfahrensweisen« (S. 307), auf die eine negative Medientheorie rekurrieren muss, explizit Heideggers und Derridas Sprach- bzw. Schriftauseinandersetzungen entlehnt (vgl. S. 307 – 309). Medientheorie hat es – zumindest aus philosophischer Perspektive, und das ist der Bereich der ›Theoria‹ – wie Mersch zu Recht herausstellt, weniger mit ›Medien‹ als vielmehr mit » ›Medialität‹ im Sinne der Struktur des Medialen« (S. 304) zu tun.

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Hier ist die Rede vom »Entzug[ ], der Undarstellbarkeit, de[m] Auslöschen[ ], Verschwinden[ ] oder Verbergen[ ] der Medien« eben nicht nur »ein intellektuelles Ausweichmanöver, eine philosophische Verrätselungsstrategie«, eine »mitunter allzu stark strapazierte Rhetorik« (Stefan Münker, S. 325), wie dies tatsächlich oftmals der Fall ist, und der Philosoph ist vom Sophisten nur schwer, wenn überhaupt zu unterscheiden, wie schon in Platons Sophistes deutlich wird. Vielmehr liegt hier die überzeugende Einsicht in die Negativität der Vermittlung zugrunde, und zwar in dem Sinn, dass Vermittlung ihre eigenen Bedingungen nicht mitvermitteln kann (vgl. S. 304 f.), »die Form der Mitteilung selbst kein Mitgeteiltes sein kann«, sondern »in diese ein[geht]« (S. 306).

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Wie Mersch auch in seinen umfangreicheren Schriften ausführt und hier zusammenfasst, verweist gerade diese Negativität auf die ausgezeichnete Rolle der Kunst: sie ist mit dem ihr eigenen »Blick von der Seite« (S. 309) Vorbild und Einübungsfeld für das ›Hervorlocken‹ des Medialen als Medialem vermittels »medialer Paradoxa« (S. 317). Zugleich erlaubt Kunst in diesen »›Sichtweisen von der Seite‹ eine Reflexion selbst dort […], wo keine Reflexivität besteht« (S. 317) und wird somit – wenn es um das Mediale der Medien geht – zu Recht zu dem einzig möglichen Bezugspunkt von Medientheorien.

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Gerade darin wird die metaphysische Tradition nicht über- sondern verwunden, indem sich das Andere zum verfügbar Diskursiven, das Ereignis wie das Zeigen, als das Andere zum Diskursiven zeigt und gerade dieses Zeigen »die Immanenz aus der Immanenz« (S. 318), wie hier die Tautologie aus der Tautologie, sprengt.

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Fazit

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Der Sammelband kann sicherlich als eines der profundesten Referenzwerke für Medientheorie und -philosophie gelten. Einerseits zeigt er die Breite der für die heutige Diskussion relevanten Ansätze auf, andererseits lassen sich die wesentlichen Grundfragen und -problematiken von Medientheorien herauskristallisieren: die historischen Wandlungen des Begriffs, seine (metaphysischen) Implikationen und Kontexte und v.a. die (generative) Rolle von Medien und Medialität hinsichtlich der Wahrnehmung sowie der Welt-, Kultur- und Realitätskonstitution.

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Gerade das Verhältnis der Breite der Ansätze zu ihrer dennoch erkennbaren Gruppierung um die zentralen Problemstellungen von Medien- und Medialitätstheorien herum entspricht völlig den Forderungen, die man an einen Sammelband stellen kann, nämlich das Maß zu halten zwischen Diversität und relativer Homogenität. Ein Maß, das gerade in so heftig umstrittenen Feldern wie der Medientheorie nicht immer gehalten, das hier jedoch in vorbildlicher, nämlich an der Sache orientierter Weise realisiert wird.

 
 

Anmerkungen

Dies ist nicht nur in »Diskussionen um die Medialität der Realität« in Bezug auf die »neuzeitliche[ ] Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie« der Fall; siehe Martin Seel: Eine vorübergehende Sache. In: Stefan Münker / Alexander Roesler (Hg.): Medienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffs. Frankfurt/M.: Fischer 2003, S. 10–15, hier S. 11.   zurück
Vgl. z.B.: Anselm Haverkamp (Hg.): Die paradoxe Metapher. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1998 oder die Beiträge von Derrida und de Man. In: Anselm Haverkamp (Hg.): Theorie der Metapher. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft: 1983.   zurück