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Warum liest der professionelle Leser, wie er liest? Warum folgt er mit höchster Aufmerksamkeit selbst kleinsten Hinweisen in komplexen Werken, die ihm Hinweise auf die Werkintention geben sollen? Warum investiert er die viele Geduld, um durch seine Anstrengung die ohnehin feststehende kanonische Geltung eines Werkes wieder und wieder zu bestätigen? Warum geht er sogar fernab der Texte noch detektivisch Spuren nach, die ihm vielleicht Aufschlüsse über Leben und Werk eines Autors geben können? Steffen Martus‘ umfangreiche Studie untersucht die Entstehung dieser »Kultur der selektionslosen Aufmerksamkeit« (S. 5), die bis heute das Berufsbild der Philologen prägt.
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Werkpolitik
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Einleitend stellt der Verfasser den titelgebenden Terminus Werkpolitik vor. Der Begriff erweitert und präzisiert das Konzept von Werkherrschaft, das vor allem Heinrich Bosse ausgearbeitet hatte. Dessen diskurstheoretische Studie
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untersuchte die Begründung des modernen Autorschaftskonzepts, das sich als auktoriales Hoheitsrecht aufgrund juristisch-ökonomischer Strukturveränderungen hatte etablieren können. Martus dehnt die Untersuchung auktorialer Ansprüche und Kommunikationsstrategien zur Werksicherung auf weitere Diskursfelder aus. Allerdings erweise sich, so Martus, die widersprüchliche Situation des Werkes zwischen Heteronomie und Autonomie als zu komplex, um außerhalb des juristisch-ökonomischen Diskurses reale Werkherrschaft behaupten zu können. Er bezieht sich in seiner Untersuchung zunächst auf die Situation des Autors im literarischen Feld, in dem die sich seit Anfang des 18. Jahrhunderts formierende Literaturkritik eine wichtige Kontrollfunktion einnimmt. Martus‘ kommunikationstheoretische Ausrichtung veranlasst ihn, den Anspruch auf Werkherrschaft für die kritisch-rezeptive Kommunikation einzuschränken:
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Die Werkpolitik ist dem Problem der Werkherrschaft insofern übergeordnet, als sie Herrschaftsverhältnisse offen läßt und nur voraussetzt, daß es überhaupt um Aushandlungen von Mächtigkeit geht, wenn sich Leser und Autoren mit dem Werk beschäftigen. (S. 13)
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Die Werkpolitik der Autoren instrumentalisiere zu diesem Zweck vor allem Formen der Aufmerksamkeitslenkung. Im Zentrum steht dabei das Werk: es »ist […] der Kristallisationsort von Normen des Umgangs mit Literatur.« (S. 21) In drei gewichtigen Einzelstudien führt Martus dann aus, inwieweit sich im Werk je nach historischer Situation diese Normen konzeptualisieren lassen. Er beschreibt auch die werkexternen Rezeptionsmodelle, die diesen Normierungsprozess absichern, ließen sich die verschiedenen Zugangsmöglichkeiten eines Textes doch unmöglich alle werkintern fixieren.
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Die Grundlegung der Werkpolitik im Zeichen literarischer Kritik
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Den entscheidenden Impuls für die Entwicklung von Werkpolitik gibt laut Martus die sich im deutschen Sprachraum um 1700 institutionalisierende Literaturkritik. An eine frühere Studie anknüpfend,
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beschreibt er die veränderten Kommunikationsstrategien der Autoren seit der Etablierung von Kritik. Deren Potenzierung durch regelmäßig erscheinende, konkurrierende Zeitschriften zwingt die Autoren zur Positionierung unter unkalkulierbaren Rezeptionsbedingungen. Die Sicherheit des rhetorischen Systems und der berechenbaren, selten öffentlichen Kritik des gelehrten Diskurses verliert sich bei der Vielzahl öffentlich formulierter und divergenter Stellungnahmen und Standpunkte. Die Literaturproduktion steht damit verstärkt unter der Bedingung von Kontingenz. Meinungsdivergenz bestimmt die Kommunikation, eine Positionierung im literarischen Feld ohne die Erfahrung kritischen Einspruchs wird undenkbar. Die Autoren stehen unter permanenter Beobachtung der institutionalisierten Kritik und müssen die neue Situation anerkennen. Diese das Schreiben prägende ›kritische Negativität‹ entsteht bei der Herausbildung von schriftlicher und öffentlicher Kommunikation über Literatur.
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Da die poetologischen Normen im kritischen Zeitalter selbst verhandelbar werden, lässt sich literarischer Wert allenfalls noch über Temporalität definieren. »Die Zukunft gehört dem Prinzip der zeitintensiven Beobachtung von Werken« (S. 28), wie Martus mit einem Vergleich zweier konkurrierender Opitz-Ausgaben von Bodmer (1745) und Triller (1746) belegt. Zum behaupteten Tiefsinn des Werkes, träte komplementär die Prozessualisierung von Werkgenese und Rezeption. Zeit werde zum »Produktivfaktor der Werkpolitik« und verfestige sich aufgrund der Werkpolitik von Autoren wie Klopstock, Wieland und Goethe zum »kulturellen Paradigma« (S. 48 f.).
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Anhand des Literaturstreits zwischen Bodmer/Breitinger und Gottsched demonstriert Martus dann die Aushöhlung des kritisch-rationalen Absolutheitsanspruchs durch die Schweizer Poetologen bei gleichzeitiger Anerkennung des Prinzips kritischer Kommunikation. Indem Kritik selbst kritisierbar wird, kann sie immer neue und tiefer reichende Zugänge zum zunächst verborgenen Gehalt des Kunstwerkes entfalten. Den neuen Status der Kritik, beziehungsweise der die kritische Negativität adressierende Werkpolitik, beschreibt Martus dann kursorisch an den Kritikern Nicolai, Lessing und dem ›Werkpolitiker‹ Wieland. Zur Zentralgestalt für den neuen Umgang mit kritischer Negativität wird allerdings Klopstock, dessen Werkpolitik die Bahn vorzeichnet, an der kritische Kommunikation auf philologische Kommunikation umgelenkt werden kann.
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Klopstock als Wegbereiter des Werkvertrauens
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Mit Klopstocks Werkpolitik stellt sich »erstmals in der deutschen Literaturgeschichte – das Konzept des Lebenswerks« ein (S. 224). Anders als bei repräsentativen Dichtern der Frühaufklärung wie Haller oder Hagedorn, deren Strategie des Werkerhalts lediglich auf verbesserungsästhetische Vollendung des Jugendwerkes setzt, legt es Klopstock darauf an, das Publikum zum Zeugen einer langfristigen Werkentwicklung zu machen.
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Dies führt Martus an der Editionsgeschichte von Klopstocks Messias aus. Dessen gedehnte Publikationszeit setzt die Wirkungsmächtigkeit kritischer Negativität außer Kraft. Die Stellungnahmen der Kritik bleiben durch die Veröffentlichungsstrategie des Autors erzwungenermaßen vorläufig. Die sich über einen langen Zeitraum erstreckende Entstehung des Epos und die dadurch bedingte Überarbeitung auch schon erschienener Teile stellen die professionelle Rezeptionshaltung um von der kritischen auf eine ›protophilologische‹ Lektüre. Der Leser soll mittels Verfolgung der Werkentwicklung und den jeweiligen Werkvarianzen dem Autor und seinen Intentionen nachspüren.
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Zugleich entwirft Klopstock mit der Selbstreflexivität der Autorfunktion, die sich typologisch im Messianischen spiegeln lässt, ein Modell, dessen Überhöhungstendenz gleichfalls vor den Abgründen kritischer Negativität schützt.
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Statt kritischer Skepsis wird so das Vertrauen in den genialen Autor und sein Schaffen als angemessene Rezeptionshaltung postuliert. Martus weiß seine These mittels minutiöser Quellenstudien zu Produktionsverlauf und zeitgenössischer Rezeptionsgeschichte zu plausibilisieren. Wichtig ist auch seine ausführliche Besprechung der umfangreichen Deutung Klopstock; Er, und über ihn, eine bisher im Zusammenhang mit der Entstehung der neueren deutschen Philologie kaum beachtete Schrift des Klopstockverehrers Carl Friedrich Cramer. Sie stellt einen Modellfall sympathisierender Lektüre dar, die in Grundzügen spätere Werkzugriffe der Literaturwissenschaft vorwegnimmt und in seiner Naivität die Zusammenhänge von werkpolitischer Strategie und philologischer Methodik aufdeckt – zumal Klopstock selbst zu der Schrift beitrug. Martus weist auch auf frühe Werkkommentare hin, die Cramers Deutungs- und Darstellungsweise übernehmen und somit die Philologie des 19. Jahrhunderts beeinflussen.
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Von Goethe zu George: Philologisierung
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Des Weiteren ergänzt beziehungsweise erweitert Martus seine Studie um einige Autoren, die das von Klopstock initiierte Werkkonzept weiterentwickeln. Neben dem zweiten Schwerpunkt seiner Studie, Stefan George, sind dies Tieck und Goethe.
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Mit ihnen gerät die Philologie ins Blickfeld auktorialer Werkpolitik. Denn Philologie legitimiert, was die Kritik verwirft. Literaturgeschichte und Dichterbiographie bemühen sich um Werke, die aus rein kritischen Erwägungen abzulehnen wären. Tieck vollziehe als Autor deshalb »den Schritt von der kritischen zur philologischen Kommunikation« (S. 394). Letztere legitimiere zum Beispiel die Re-Edition eigener Jugendwerke, die als Entwicklungsmomente des Autors Aufmerksamkeit beanspruchen dürfen.
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Die philologische Kommunikation
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wird nun allmählich zum Projekt: die Ausbildung eines dauerhaften, auf stetige Reversibilität gegründeten Beobachtungszusammenhangs, der sich gleichermaßen in der Kombinatorik philologischer Mikrologie wie in den Überholungsfiguren literaturwissenschaftlicher Synthesen oder eines multiperspektivischen Methodenpluralismus ausprägen kann. (S. 443)
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Tieck – der Literatur, Kritik und Philologie gleichermaßen zu seinen Aufgabenfeldern rechnete – treibt zudem die auktoriale Rezeptionslenkung voran, die werkintern eine Verständnishürden bewusst aufbauende Stimmungskunst entwirft und sich werkextern an philologischen Argumentationsmustern ausrichtet.
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An Goethes Werkpolitik demonstriert Martus die produktions- und rezeptionsästhetischen Auswirkungen selektionsloser Aufmerksamkeit. Zum einen richtet Goethe den Blick auf die Totale des Gesamtwerks unter dem Aspekt der Temporalisierung, die er mit eigenen autobiographischen Projekten werkbegleitend einrichtet. Zugleich erscheinen die meisten Werke bereits integriert in großangelegte Werkreihen, die das Einzelwerk immer schon im Gesamtwerk abbilden. Die Werkedition bestimmt so den Deutungshorizont bei der Rezeption des Einzelwerks.
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Die Wirkungsmächtigkeit dieses Konzepts belegt dann eine abschließende Betrachtung der frühen Goethe-Philologie, die das werkpolitische Konzept in Interpretation und Edition fortsetzt und damit in der Wissenschaft verankert.
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In beiden Fällen ließen sich Martus‘ Ergebnisse um eine Studie zum Personal der frühen Philologisierung erweitern, dessen sich die Autoren versichern, um in einer Phase nichtinstitutionalisierter Neuphilologien Werkpolitik und -pflege weiterzuführen. So wie Cramer für Klopstock lassen sich für Goethe beziehungsweise Tieck in Johann Peter Eckermann und Rudolf Köpke leicht Schlüsselfiguren ausmachen, die ihre eigene Existenz mit dem Fortleben eines Autors verknüpfen. Gerade die notwendige Bestellung des Werkes durch Anhänger und Philologen objektiviert den kanonischen Anspruch durch eine konsekrierende, nichtauktoriale Außenperspektive, die Werthaltigkeit anzeigt und Werkdauer garantiert.
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George: Zur Werkpolitik der Moderne
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Den Abschluss der Studie bildet die Auseinandersetzung mit der Werkpolitik Stefan Georges, der als Beispiel für eine, nicht die Form der Werkpolitik in der Moderne dienen soll, wobei Martus besonders Wagner, Nietzsche und Simmel in den Blick nimmt, um die Epochensignifikanz von Georges medial orientierter Werkpolitik zu belegen. In der George-Studie gipfeln die zuvor erarbeiteten Ergebnisse: George inkorporiert wichtige werkpolitische Aspekte seiner Vorläufer Klopstock (Sakralisierung des Autors, Publikationspolitik, Literaturbundstiftung), Goethe (Anspruch kultureller Hegemonie) und Tieck (Stimmungspoesie). In diesem abschließenden Kapitel kulminiert auch Martus‘ eigener Ansatz: Er will
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die Spaltungen der George-Forschung in die Analyse der Kontexte, der Publikationsstrategien und der Werkanalyse überwinden. Daran erst bemisst sich, wie brauchbar die Beobachtung kritischer Kommunikation für interpretatorische Fragen ist. (S. 526)
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Mit George ist ein geeignetes, den Thesen der Studie anschlussfähiges Dichtermodell aus dem diffusen literarischen Feld des frühen zwanzigsten Jahrhunderts bestimmt, dessen realistische, historistische und avantgardistische Strömungen eine griffige Systematisierung von Werkpolitik deutlich erschweren. George ist für die Studie paradigmatisch, weil er den Anschluß an die nun institutionalisierte Philologie sucht, die eine unabhängige Garantie des Werkwertes ermöglicht.
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Wichtig sind daher auch die sekundierenden Texte, das ›Begleitprogramm‹ zur Gesamt-Ausgabe, also Kommentare, Biographien, Briefeditionen und andere mehr oder weniger philologische oder literaturwissenschaftliche Textsorten. Erst im Zusammenspiel von Autor, Werk, Kritik und Philologie werden die Anforderungen der umfassenden und anhaltenden Prägung von Aufmerksamkeit ersichtlich. (S. 515)
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Entsprechend universalistisch sind Georges Anstrengungen, auch die Rezeption einzelner Gedichte »bis in die feinsten Regungen der Körperlichkeit« (S. 515) hinein zu kalkulieren.
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Den roten Faden der Studie bildet die ausführliche Interpretation des frühen Gedichts Weihe (einem »literatur- und motivgeschichtliche[n] Sammelbecken«, S. 533).
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An diesem Initiationsgedicht lasse sich exemplarisch die Vielschichtigkeit erfassen, mit der gesteigerte Aufmerksamkeit provoziert wird. Georges Poetik offenbart sich als Medienkunst. Deutliche Parallelen ergeben sich zu Wagners und Nietzsches Musik- und Kunstprogrammatik, die auf eine ähnliche Totalisierung von Aufmerksamkeit setzen. An Weihe wird aber auch die Funktion von Georges Poetik des Vorläufigen aufgeschlüsselt, die zu immer neuen Schöpfungen anregt und damit das Lebenswerk perpetuieren hilft. Aus der durch größere Werkkomplexe angesteuerten Kontextualität resultiert bei George dann folgerichtig die Zyklizität lyrischer Sammlungen (S. 553), die sich konzentrisch zum Gesamtwerk weiten.
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Die medial orientierte Rezeptionssteuerung dehnt George dabei bis hin zu buchgestalterischen Detailfragen aus. So wird das Medium Buch zu einem seine Materialität transzendierenden Werkraum umgeschaffen. Von hier aus entwickelt Martus dann die weiteren ›Werkschritte‹ Georges, die Gesamtwerk und ›Beiwerk‹ (biographisches Material und Kommentar) aneinander anschließen. Damit ist seine These der Philologisierung der Poetik im Dienst einer umfassenden Aufmerksamkeitslenkung an einem herausragenden Autor der Moderne belegt.
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Anschaulichkeit der Darstellung
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Martus‘ Buch überzeugt. In den jeweiligen Einzelstudien bündelt er die Fülle von Beobachtungen zum geschlossenen Komplex, was seinen durchdachten Thesen große Durchschlagskraft verleiht. Trotz Detailliertheit der Werkbetrachtung und einer schier ungeheuren Text- und Quellenfülle, mit der der Verfasser seine Ausführungen belegen kann, bleibt die Studie übersichtlich und verliert sich nicht in der Weite des dargebotenen Materials. Souverän verfügt der Verfasser über zeitgenössische Theorieansätze, die zu Transparenz und Präzision der begrifflichen Strukturierung beitragen. Viele Einzelbeobachtungen Martus‘, die er seinen Thesen beiordnet, ließen sich zu interessanten Untersuchungen ausbauen – erwähnt sei hier nur die Vorstellung vom literarischen Kunstwerk als dreidimensionalem Gebilde, das sich seit Johann Jakob Bodmer weit bis ins 20. Jahrhundert als prägend für den Werkbegriff erweist (S. 35 und S. 159 f.). Die darstellerische Fähigkeit, die das komplexe Zusammenspiel werkpolitischer Mechanismen und Strategien gleichermaßen zu konkretisieren und kategorisieren weiß, verleiht den Ausführungen Griffigkeit und Eleganz.
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Martus überzeugt aber nicht allein mittels stringenter Darstellung. Sein Konzept von Werkpolitik erlaubt es, die verschiedenen Ebenen von Produktion, Publikation und Rezeption auf die ihnen gemeinsamen Kommunikationsstrategien hin zu untersuchen und so zusammenzuführen. Kritik und – später – Philologie erscheinen damit seit dem 18. Jahrhundert als in die Überlegung der Autoren integrierte Bezugspunkte der Werkkonstitution. Auch die ökonomischen, juristischen und medialen Rahmenbedingungen des Publikationsaktes finden in Martus‘ Studien mehr als angemessene Berücksichtigung, indem er sie zum integralen und notwendigen Bestandteil erfolgreicher Werkkonzeption erklärt. Da Martus die literarischen Werke selbst ins Zentrum der Analyse rückt, werden kulturwissenschaftliche und literatursoziologische Perspektiven immer auf genuin literaturwissenschaftliche Problemstellungen zurückgeführt. Die strenge Orientierung am historischen Gegenstand garantiert die empirische Herleitung der einzelnen Werkpolitiken. Strukturiert werden die Ergebnisse durch starke Anlehnung an systemtheoretische Beschreibungsmuster, sie werden aber nicht dogmatisch angewandt, sondern stets den erarbeiteten Befunden angepasst.
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Für die Übertragbarkeit der Ergebnisse und ihres zentralen Begriffs der Werkpolitik sind vor allem drei Fragen von Belang. Überzeugt die historische Herleitung von Werkpolitik? Können die historisch-empirischen Ergebnisse überzeugend konzeptualisiert werden, so dass der Begriff Werkpolitik präzise anwendbar ist, ohne zum beliebig applizierbaren Etikett zu werden? Sind Historizitätsbezug und Systematisierungsanspruch vereinbar?
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Die Genese von Werkpolitik – kritische Anmerkungen
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Die enge Bindung an Historizität beim Willen zur differenztheoretischen Fixierung birgt den Nachteil, die empirischen Befunde auf Differenzen hin zuspitzen zu müssen, um historische Einschnitte in der gewünschten Klarheit herauszuarbeiten. Dies zeigt sich am deutlichsten am behaupteten Wechsel vom rhetorischen zum kritischen Literaturdiskurs um 1700. Zunächst sei festgestellt, dass Martus‘ These der Positionsstabilität von Autoren im rhetorisch geprägten Literatursystem des 17. Jahrhunderts sich auch mit Vorredenpoetiken des Zeitraums gut belegen ließe.
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In diesen Paratexten werden Abweichungen vom rhetorischen Regelsystem zwar legitimiert, das Regelsystem selbst aber in seiner Geltung zumeist bestätigt. Die Kontingenzerfahrung, die mit der Institutionalisierung literarischer Kritik einsetzt, bliebe den Autoren der Barockzeit demnach wegen Festlegung auf die Leitdisziplin der Rhetorik erspart.
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Allerdings sind die kritischen Positionen der Barockliteratur in der Praxis nicht ganz so eindeutig auf eine grundsätzliche Anerkennung der klassizistisch-rhetorischen Poetik zu fixieren. Kritik und Abwehr von möglicher Kritik geschieht je nach literarischer Gattung paratextuell (vor allem in der Vorrede)
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oder werkintern (zum Beispiel in der Komödie).
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Die literarische Kritik der Barockzeit rückt damit in unmittelbare Nähe zum Werk. Eine Untersuchung zu einer möglichen Werkpolitik frühneuzeitlicher Literatur setzte überhaupt ergebnisreicher an der intertextuellen Kommunikation an, als an einer vom Werk abgegrenzten kritischen Diskussion. Die grundlegend apologetische Tendenz der meisten poetologischen Deklarationen barocker Autorschaft lässt vermuten, dass die von Martus beschriebenen Zwänge, die Werkpolitik begründen, sich nicht erst mit dem Aufkommen institutionalisierter Kritik einstellen. Nicht, dass Martus diese Befunde unterschlüge; er weist selbst auf kritische Kommunikationsformen in der Literaturszene des deutschen Barock hin.
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Aber er ebnet epocheninterne Diversität zugunsten epochenmarkierender Differenz stark ein. Auch für ein Schreiben unter Beobachtung – in der ›hohen‹ deutschen Barockliteratur bedingt durch den Anschlusswillen an die europäischen Konkurrenzliteraturen – ließen sich aufgrund des Normwillens der poetisch-rhetorischen Systematik Belege finden.
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Denn die Diskrepanz zwischen der klassizistisch orientierten Regelpoetik und der oft regional-, funktions- oder gattungsgeschichtlich bedingten Diversität barocker Literatur führt durchaus zu Positionierungen unter den Vorzeichen kritischer Negativität. Die Kontingenzerfahrung mag aufgrund der stabilen rhetorischen Normierung schwächer ausfallen als nach 1700 – aber auch für das Zeitalter der kritischen Poetik nach 1700 ließe sich wahrscheinlich behaupten, dass Wertekonsens und Funktionalität des Literaturbegriffs die Diskursverläufe absichern und damit die drohende Instabilität der Autoren angesichts kritischer Negativität abschwächen.
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Auch die These, dass ›Tiefsinn‹ – das heißt die auf Temporalität und Tiefenwirkung der Werke eingestellte Rezeptionshaltung – eine Antwort der Autoren auf die sich institutionalisierende Kritik zu Anfang des 18. Jahrhunderts sei, wäre auf anderen Untersuchungsfeldern zu prüfen.
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Martus gibt dem Tiefsinn einen empirisch exakt bestimmten, rezeptionstheoretischen Ort, indem er ihn eng mit dem Prinzip temporaler Aufmerksamkeitsentfaltung verknüpft. Die Spezifizierung einer auf Tiefsinn gerichteten Aufmerksamkeit ließe sich historisch allerdings auch anders herleiten als aus der Institutionalisierung und der damit verbundenen Kontingenz literarischer Kritik. Naheliegender erscheint der Verweis auf den parallelen Prozess der Sakralisierung von Poesie und der Philologisierung der Heiligen Schrift. Die Philologisierung – das heißt eine auf Textkritik und genauen Textsinn ausgerichtete Lektüre – literarischer Werke ist schließlich ein schon lange zuvor einsetzender Prozess, der auf den Umgang mit kanonisierten Texten aller Gattungen übertragen werden kann. Auch wenn Martus seine Beschränkung auf den kommunikationstheoretischen Aspekt dieser Entwicklung überzeugend begründet – die Frage nach diesen Konstanten und ihrer jeweils zu spezifizierenden Phänomenologie müsste noch stärker in die Analyse miteinbezogen werden, um die an sich gut nachvollziehbaren Ergebnisse abzusichern beziehungsweise zu präzisieren.
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Werkpolitik en detail
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Das Gewicht von Martus‘ Studien liegt auf dem minutiösen Nachvollzug der jeweiligen werkpolitischen Positionierung und den Bedingungen, unter denen erfolgreich Werkpolitik betrieben werden kann. Besonders gelungen ist seine Darstellung der Genese von Klopstocks Werkpolitik. Denn die Untersuchung der theoretischen Voraussetzungen und Konzeptualisierungen bleibt nicht bei der Entwicklung der Klopstockschen Poetik und ihren soziologischen und ökonomischen Implikationen stehen, sie untersucht die Einflüsse der neuartigen Konzeption vor allem an den Werken selbst. Martus weist die Prägung der Werkgestalt durch werkpolitische Strategien anhand der gewählten Beispiele überzeugend nach. So vermag er selbst die syntaktische Struktur der Klopstockschen Odendichtung werkpolitischen Strategien zuzuordnen.
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Auch in der umfangreichen George-Studie bemüht er sich, stets den Anschluss an die geistesgeschichtlichen Stichwortgeber zu wahren, um seine Thesen fest im historischen Kontext zu verankern. Zuweilen entgeht der in der Regel sehr präzis und behutsam argumentierende Verfasser hier nicht der Gefahr, die Metaphorik einzelner Texte interpretatorisch zu überdehnen.
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Martus will damit der Idee der Aufmerksamkeit als Schlüsselbegriff seiner eigenen Poetik größeres Gewicht verleihen, indem er die Anschlussmöglichkeiten seiner Analysen mithilfe der Texte ausweitet, ohne den ausgewählten Textkorpus zu überschreiten. Hier nähert sich die Argumentation der Zirkularität, da jene Aufmerksamkeit, mit der er interpretiert, seine These der auktorial postulierten Aufmerksamkeit rechtfertigen soll. So wäre zu fragen, ob das der George-Studie zentrale Gedicht Weihe an einigen Stellen nicht unter der ihm aufgebürdeten kontexuellen Last zusammenbricht.
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Zur Anwendbarkeit des Begriffs Werkpolitik
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Lassen sich die im Detail beeindruckenden Ergebnisse der Studie aber verallgemeinern? Ausgehend von der entwicklungsgeschichtlichen Relevanz der Einzelstudien, die Autoren bei der Lösung von Aporien der kritischen Kommunikation »vor, bei und nach dem Institutionalisierungsprozeß der Philologie« darstellen, hofft Martus, ein Raster aufstellen zu können, das für weitere Studien zur Werkpolitik anschlussfähig ist. Von der wahrscheinlichen Varianz abgesehen, vermutet Martus, dass seine Ergebnisse »eher den Normalfall bilden« (S. 11 f.), was die Einzelstudien ja auch in ihrer chronologischen Reihung überzeugend bestätigen: Die Verfahrensweisen, um kritischer Negativität zu begegnen, gleichen sich, wobei die einzelnen Autoren die erarbeiteten Leitkategorien der Werkpolitik – auf Tiefsinn ausgerichtete Werkgestalt, Vertrauensbildung, Temporalisierung und Institutionalisierung des Lebenswerks, selektionslose Aufmerksamkeit – unterschiedlich gewichten.
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Angesichts der Einzelstudien zu Klopstock und George drängt sich aber die nicht explizit untersuchte, eventuell systembildende Frage nach den Zusammenhängen von Werkkonzepten und Autormodellen auf, die jeweils auch ein eigenes Werkkonzept und eine damit gegebene Aufmerksamkeitsstruktur erzwingen. Die Studie konzentriert sich vorrangig auf Vertreter einer Inspirations- oder Verkündigungsdichtung. Werke eines derartigen Autorentyps operieren generell mit weit gestreuter Deutungsvarianz. Nicht umsonst mündet Martus‘ Studie zur Werkpolitik der Moderne in eine Auseinandersetzung mit dem Schaffen Stefan Georges, dessen Werkstilisierung sich wie eine Aktualisierung der heiligen Poesie Klopstockscher Prägung ausnimmt. Doch Martus‘ Fallstudien beantworten nicht grundsätzlich, ob und wie sehr die beschriebene Werkpolitik an bestimmte und von der Tradition durchaus schematisierte Autorbilder geknüpft ist. Dies würde die seinen Untersuchungen zugrundeliegende Historisierung der Befunde abschwächen. Gerade die Ergebnisse von Martus‘ Studien verdeutlichen, dass sich Werkkonzept und Autorbild bei der Konturierung von Werkpolitik nicht trennen lassen (Martus geht in seinen Einzelstudien auf das jeweilige Autorbild ja auch ausführlich ein). Unbeantwortet bleibt die Frage, ob abweichende Autorenbilder damit per se zu differierenden Werkpolitiken führen.
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Martus‘ Fixierung auf einen bestimmten Autortypus führt zu Stringenz und Plausibilität seiner Darstellung, schwächt aber den systematischen Anspruch seines werkpolitischen Konzepts zugleich wieder ab. Die Beschreibung kontrastierender Werkpolitiken in Hinblick auf das damit verbundene Autorbild wäre demnach dringend notwendig, um die hier erzielten Ergebnisse abzusichern.
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Der glücklich gewählte und in eindrucksvollen Einzelanalysen exemplifizierte Terminus der Werkpolitik dürfte dennoch Karriere machen. Da jeder Publikationsakt auch als Kommunikationsakt im öffentlichen Raum zu begreifen ist, steht er auch im Zeichen des Politischen. Während der ältere Begriff der Werkherrschaft sich noch auf ein präzise bestimmbares Diskursfeld festlegen ließ, damit aber in seiner Anwendung begrenzt war, ist Werkpolitik an viele Phänomene des literarischen Feldes anschlussfähig.
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Martus zeigt allerdings auch, wie der Begriff für literaturwissenschaftliche Untersuchungen nutzbar gemacht werden muss, ohne zu einem Gemeinplatz zu werden, dem alle Phänomene auktorialer Aufmerksamkeitssteuerung beliebig zugeordnet werden könnten. Durch empirische Konkretisierung und seine Festlegung auf die kommunikationstheoretischen und medialen Aspekte des literarischen Feldes grenzt er die Offenheit des Begriffs sinnvoll ein. Zugleich erlaubt die gegenüber der Werkherrschaft größere Anwendungsbreite des Begriffs, die Struktur der Werke selbst einer werkpolitischen Analyse zu öffnen und so einen neuen Untersuchungsansatz für ganzheitliche Poetiken zu entwickeln, die Produktion und Rezeption und die rahmenbedingten Mechanismen des literarischen Feldes zusammenführen. Insofern ist vor allem die Geschlossenheit der Interpretation Ausweis ihres Gelingens.
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Damit wird Martus‘ Studie selbst zum Beispiel für eine zunächst auf selektionslose Aufmerksamkeit ausgerichtete Philologie, der die Aufgabe zugewiesen ist, aus einer Vielzahl detaillierter Beobachtungen ein stimmiges Ganzes zu synthetisieren. Dieser auf die Werkpolitik zurückzuführende Effekt philologischer Synthetisierung wird zwar in der Studie selbst nicht thematisiert; ihre Lektüre führt aber vor, wie sehr die Demonstration der Aufmerksamkeitsbereitschaft, wie sehr das Finden, Auswählen und die Anordnung empirisch festgestellter Belege, Ausweis philologischer Qualifikation ist. Die Studie folgt demnach selbst den von ihr analysierten werkpolitischen Gegebenheiten – und zeigt, dass die Philologie nunmehr einlösen muss, was durch Werkpolitik und Werkskepsis in Theorie und Praxis, in Poetik und Dichtung verlorengegangen ist: Einheit und Geschlossenheit des Werkes.
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Die Studie enthüllt darüber hinaus auf eindrucksvolle Weise die latente Pragmatik des ›klassisch-autonomen‹ Werkverständnisses, und damit zugleich die einen Großteil der philologischen Arbeit bestimmenden Grundzüge der Arbeit am Werk. Martus‘ Auswechselung des kritischen mit dem philologischen Standpunkt verhilft zu einer unbelasteten und unvoreingenommenen Sicht auf die durch werkpolitische Manipulationen implantierten Probleme der Philologie. Die Versachlichung entschärft zunächst das der Arbeit zugrundeliegende kritische Potential, das durch Anschluss an die Kanondebatte, die Frage nach dem Wissenschaftsverständnis der Philologien oder der Frage nach literarischer Wertung einige Sprengkraft entfalten dürfte. Werkpolitik macht deutlich, dass und wie Autoren zur ›Enteignung‹ rezeptiver Produktivität durch Komplizierung und Öffnung der Werkgestalt beigetragen haben. Die philologische Fremdproduktion wird als Mehrwert dem Kunstwerk zugeschlagen und – durch den Objektivierungsanspruch im Prozess der Verwissenschaftlichung – auf Seiten des Autors verbucht: ein Ergebnis, das wir Kanon nennen. Fast bedauert man, dass die Wissenschaftlichkeit der Studie der Brisanz dieser These schadet, die im Kritischen viel mehr Durchschlagskraft entfalten könnte. Aufgrund von Martus‘ fundierten Ergebnissen lässt sich der gewonnene philologische Mehrwert aber leicht wieder in kritisches Potential ummünzen.
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