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Vom Pro und Kontra der Ladenpreisbindung
für Bücher

  • Jürgen Kühnert: Die Geschichte der Buchpreisbindung in Deutschland von ihren Anfängen bis ins Jahr 1945. (Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem Deutschen Bucharchiv 79) Wiesbaden: Harrassowitz 2009. XI, 364 S. Gebunden. EUR (D) 56,00.
    ISBN: 978-3-447-06098-1.
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Die Thematik ist ein Dauerbrenner in der Buchbranche und Buchwissenschaft: Wie ist die Ladenpreisbindung für Bücher entstanden? Welche Interessengruppen standen und stehen hinter ihr? Wem nützt sie wie? Was würde geschehen, wenn sie fallen würde? Deutschland ist Vorreiter auf diesem Gebiet und hat nach längeren internen Diskussionen 1888 die Ladenpreisbindung eingeführt und 1903 während des sogenannten Bücherstreits weitgehend durchgesetzt. Einige Nationalstaaten zogen nach. Während der mehr als 120jährigen Geschichte kamen immer wieder Vorstöße ihrer Gegner, die Kartellwirkung der Ladenpreisbindung zu beweisen. Der Buchhandel, insbesondere der Börsenverein konnte diese Argumente durch seine Lobbyarbeit und Gegenpositionierung immer wieder entkräften. 1 Wenn man so will, ist seit 1888 kein Argument der Pro- und Kontradiskussion hinzugekommen. 2 In der vorliegenden Monografie stellt Jürgen Kühnert die Vorgeschichte der Buchpreisbindung und ihre Existenz bis 1945 umfassend dar. Zentral widmet er sich der Frage, wie die Einführung der Buchpreisbindung in Deutschland möglich wurde, welche Kräfte im Laufe ihrer Geschichte auf sie einwirkten und wie es trotz aller Bedrängungen möglich war, sie durch stetige Anpassung an die gegebenen Verhältnisse zu konsolidieren. Es handelt sich bei seiner Monographie um eine Dissertation, die im Februar 2009 an der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommen wurde. Der Autor publizierte zuvor auch seine lesenswerte Diplomarbeit zur NS-Zwangsorganisation des Buchhandels Reichsschrifttumskammer. 3

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Zur Anlage der Studie

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Der Aufbau der Untersuchung erfolgt chronologisch-systematisch. Nach einer Einleitung wird die Vorgeschichte der Ladenpreisbindung in einem eigenständigen Kapitel abgehandelt. Es folgt die unmittelbare Etablierung und Konsolidierung der Ladenpreisbindung, die Krisenzeit der Inflation, die Buchpreisbindung in der Weimarer Republik, die Anwendung der Kartellverordnung auf den Buchhandel und die Zeit des Nationalsozialismus. Obwohl die eigentliche Untersuchung bereits 1945 endet, führt der Autor in einem kurzen Abschnitt die Entwicklung der Ladenpreisbindung bis in die Gegenwart fort. Abschließend stellt er wichtige Faktoren für die Einführung und Beibehaltung der Regelung ebenso vor wie eine generelle Pro- und Kontradiskussion. Im Anhang befinden sich einige ausgewählte Dokumente.

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Zur Vorgeschichte der Ladenpreisbindung von 1888

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Kühnert geht in seiner Darstellung bis zum Mittelalter zurück. Die Preisbildung für Bücher erfolgte im Wesentlichen durch das Wirken der Marktkräfte. Bereits die Frühdrucker mussten sich an die Kalkulation von Auflagenhöhen und die Festsetzung von Buchpreisen gewöhnen. Vereinzelt kam es durch obrigkeitliche Einflussnahme zur Preisfixierung, etwa wenn liturgische Literatur in Auftrag gegeben und deren Abnahme durch die Geistlichen einer Diözese zur Pflicht gemacht wurden.

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Kühnert ist darum bemüht, die Vorgeschichte der Ladenpreisbindung mit verschiedenen Entwicklungslinien zu begründen. Allerdings vermag er nicht genau den (Zeit-)Punkt zu bestimmen, der zu der einzigartigen historischen Wendung hin zur Ladenpreisbindung führte. Denn alle anderen weltweiten Buchmärkte kannten auch verlegerische Kalkulationen, Preisfestlegungen oder staatliche Beeinflussungen, ohne dass sich dort eine entsprechende Preisregulierung herausgebildet hätte. Es stellt sich zwangsläufig die Frage nach der Ursache des »deutschen Sonderwegs« in der Buchbranche. Ein wichtiges Detail wird von Kühnert zwar en passant erwähnt, aber nicht gebührend vorgestellt und bewertet: Der Aufschwung der Usance à condition (Konditionshandel) nach der Nürnberger Schlussnahme von 1788 bewirkte, dass die Verleger die Bücher als Ansichtssendungen den Sortimentern auf eigene Rechnung zuschickten, um nach Ablauf einer bestimmten Frist (meist war es die nächste Leipziger Buchmesse) die verkauften Exemplare abzurechnen. Die unverkauften Exemplare kehrten als Krebse oder Remittenden in die verlegerische Stätte zurück. Für die Abrechnung und die genaue Ermittlung des Händlerrabatts der Konditionssendungen war die vorherige Festlegung des Ladenpreises durch den Verleger notwendig. Somit hatte der bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts dominierende Konditionsverkehr und der in seinem Gefolge aufstrebende und sich professionalisierende Kommissionsbuchhandel 4 einen nicht unwesentlichen Anteil an der Etablierung des festen Ladenpreises.

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Die Vorgeschichte und unmittelbaren Ergebnisse der Krönerschen Reform 1878–1888 werden in der Studie von Kühnert wiederum sehr umfassend dargestellt. Insbesondere werden die Bemühungen des Berliner Buchhandels deutlich, die Festlegung des Ladenpreises – als Hauptforderung der Provinzialsortimenter – nachträglich zu unterlaufen. Beinahe wäre es dem gut organisierten Berliner Buchhandel auch gelungen, sich gegen den auswärtigen Buchhandel zu behaupten. Doch das umsichtige Agieren des Börsenvereins und somit auch die hinsichtlich der Ladenpreisbindung wohlwollende Haltung der Leipziger und Stuttgarter Verleger und Buchhändler hatten diese Intervention vereitelt. Somit wurde die Ladenpreisbindung weitgehend durchgesetzt.

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Entwicklungslinien bis 1945

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Das frühe 20. Jahrhundert war durch zahlreiche Krisen geprägt, so dass es von wissenschaftlichem Interesse ist, wie es dem Buchhandel gelang, an der Ladenpreisbindung festzuhalten. Die Buchpreisbindung, so schreibt der Autor, zeigt sich

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als Institution, die es bei nie erlangter allgemeiner Anerkennung doch über einen sehr langen Zeitraum schaffte, sowohl gegenüber äußeren Einflüssen als auch gegen innere Beseitigungsbestrebungen abgesichert zu werden (S. 313).
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Mit Detailgetreue zeichnet der Autor die schon anderenorts erörterten Entwicklungen rund um den »Bücher-Streit« und Akademischen Schutzverein dar. Er geht ferner auf den Erhalt der Ladenpreisbindung in der Hyperinflation der 1920er Jahre und auf die staatliche Preispolitik im Dritten Reich ein. Ein besonderes Augenmerk gilt der Preisbindung auf ausgewählten Nebenmärkten, u. a. dem Warenhausbuchhandel, den Konsumgenossenschaften sowie dem Vereins- und Studentenbuchhandel. Abschließend wird das Für und Wider einer Buchpreisbindung im historischen Zeitverlauf erneut erörtert, wobei Kühnert nicht auf alle Argumente eingeht, sondern eine Auswahl wichtiger Standpunkte liefert. Mit einer eindeutigen Positionierung kann dieser Abschnitt denn auch nicht enden. Bereits eingangs schreibt Kühnert, dass die Frage, ob die vertikale Ladenpreisbindung für Bücher als Ausnahmegenehmigung gerechtfertigt sei oder nicht, aus objektiver Sicht endgültig nicht beantwortet werden kann. In diesem Sinne werden die bekannten Linien nachgezeichnet und nur für den aufmerksamen Beobachter das eine oder andere Argument mit neuen Begründungsstrategien unterfüttert.

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Fazit

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Die vorliegende historische Untersuchung zur Ladenpreisbindung überzeugt vor allem durch eine ausgewogene, aus den Quellen herausgearbeitete Darstellung. Punktuell werden neue Teilerkenntnisse vorgelegt. Für die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Ladenpreisbindung stellt die Arbeit von Kühnert ein weiteres Referenzwerk dar. Der vergleichende nationalstaatliche Blick, der in anderen Monografien gewählt wurde 5 , ist bewusst ausgeklammert. Interessanterweise zeigen jüngste Beispiele wie Großbritannien, Schweden oder die Schweiz, dass es trotz der immer wieder von den Protagonisten beschworenen Vorteile der Ladenpreisbindung auch ganz gut ohne sie geht. So ist die Buchtitelproduktion in Großbritannien nach Aufhebung der Ladenpreisbindung deutlich gestiegen und der mögliche Schwund an Sortimentsbuchhandlungen wird durch den Internethandel mehr als aufgefangen. Diese vergleichende und Was-wäre-wenn-Frage erneut aufzuwerfen und neu zu bewerten, sollte Gegenstand weiterer Forschung sein.

 
 

Anmerkungen

Vgl. hierzu die Auftragsschrift des Börsenvereins: Everling, Ulrich, Bert Rürup und Stephan Füssel: Die Buchpreisbindung. Frankfurt/M.: Buchhändler-Vereinigung 1997.   zurück
»Die Argumente für eine Preisbindung sind seit 100 Jahren im wesentlichen die gleichen geblieben.« So Alexandra Fritzsch [vormals Haase]: Wissenschaft, Verlage und Buchhandel im Deutschen Kaiserreich. Der Bücherstreit von 1903. In: Blaschke, Olaf und Hagen Schulze (Hg.): Geschichtswissenschaft und Buchhandel in der Krisenspirale? München 2006. S. 21–32, hier S. 32.   zurück
Vgl. Jürgen Kühnert: Die Reichsschrifttumskammer. Geschichte einer berufsständischen Zwangsorganisation unter besonderer Berücksichtigung des Buchhandels, Saarbrücken VDM-Verlag Müller 2008. Wenig später fast unverändert publiziert im »Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte« 17/2008. Wiesbaden, S. 255–363.   zurück
Die Unternehmer dieser Branche heißen nicht »Kommissionsbuchhändler« wie Kühnert auf S. 59 schreibt, sondern Kommissionäre. Insgesamt beachtet der Autor die weitreichenden Auswirkungen des Zwischenbuchhandels auf die Ladenpreisbindung nicht.    zurück
Zuletzt: Obert, Anne: Die Preisbindung im Buchhandel in Deutschland und im Vereinigten Königreich in der Sicht des europäischen Rechts. München 2000.   zurück