IASLonline

Der durchleuchtete Lektor

  • Walter Hömberg: Lektor im Buchverlag. Repräsentative Studie über einen unbekannten Kommunikationsberuf Unter Mitarbeit von Susanne Pypke und Christian Klenk. (Einzeltitel Kommunikationswissenschaft) Konstanz: UVK 2010. 342 S. 55 s/w Abb. Abb. Kartoniert. EUR (D) 34,00.
    ISBN: 978-3-86764-224-8.
[1] 

»Der Lektor in einem deutschen Buchverlag ist im Schnitt 42 Jahre alt, kinderlos, lebt in einer festen Partnerschaft und ist weiblich« (S. 71). Das ist eines der vielen aufschlussreichen Ergebnisse der Studie, die den »unbekannten Kommunikationsberuf« (so der Untertitel) des Lektors umfassend empirisch-statistisch beschreibt. 1 Walter Hömberg, der an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt den Lehrstuhl Journalistik leitet, gebührt damit das Verdienst, den Mythos Lektor aus dem Geraune interessengeleiteter Postulate befreit zu haben. (»Der Lektor ist der Hüter der Literatur innerhalb des Verlages.« 2 )

[2] 

Struktur der Untersuchung

[3] 

Seine umfangreiche Studie ist in zehn Kapitel gegliedert. Nach der Beschreibung und Begründung des Forschungsdesigns geht er auf die Strukturen des Verlagswesens und der Lektorate ein, beschreibt dann die Verlagslektoren, ihren Berufsalltag, ihr Selbstverständnis und ihre Berufszufriedenheit. In weiteren mehr oder minder ausführlichen Kapiteln stellt er die Einflussfaktoren auf die Lektoratsarbeit, die Zusammenarbeit mit den Autoren sowie Ausbildung und Berufszugang dar. Bevor das 10. Kapitel Resümee und Ausblick gibt, skizziert er noch die Zukunft der Lektoratsarbeit. Der Anhang mit den Fragebögen und den statistischen Detailauswertungen mit zahlreichen Tabellen nimmt fast die Hälfte des Buchs ein.

[4] 

Ziel der empirischen Studie war es, »repräsentative Daten über Berufsbild, Anforderungsprofile und Arbeitsweisen« (S. 19) des Kommunikationsberufs Lektor zu ermitteln. Dazu wurden in zwei Phasen zunächst schriftlich Verlagsleiter und danach telefonisch fest angestellte Lektoren mittels standardisierter Fragebögen, die auch offene Fragen enthielten, interviewt. In einer dritten Phase wurden in Intensivinterviews mit ausgewählten Lektoren verschiedener Verlagstypen Werdegang und Arbeitsalltag abgefragt.

[5] 

Insgesamt wurden 1.344 Verlage in die Untersuchung einbezogen, wobei die mittleren und großen Verlage repräsentativ vertreten, die kleineren Verlage unterrepräsentiert waren: »Dies konnte jedoch durch eine entsprechende Gewichtung der Daten bei der Auswertung ausgeglichen werden« (S. 31). Von 614 potentiellen Interviews mit Lektoren konnten 311 realisiert werden. 16 Lektoren aus den vier großen Verlagsstädten Frankfurt, Berlin, München und Stuttgart wurden in »episodischen Interviews« (S. 36) anhand eines Gesprächsleitfadens befragt (vgl. S. 37f.).

[6] 

Erstmals kann Hömberg die bisherigen Schätzungen in der einschlägigen Literatur, dass es in Deutschland 2000 bis 3000 fest angestellte Lektoren gebe, präzisieren. Er sieht eine Gesamtzahl von 2200 bis 2300 Lektoren. Zusätzlich sind etwa 1500 freie Lektoren regelmäßig beschäftigt; aufgrund von Mehrfachtätigkeiten dieser Lektoren dürfte die Zahl jedoch deutlich darunter liegen (S. 63f.).

[7] 

Aus den Ergebnissen

[8] 

Es ist an dieser Stelle unmöglich, all die vielen Detailergebnisse zu Tätigkeitsmerkmalen der Lektorencluster (S. 103), zur Zusammenarbeit mit den Autoren (S. 153ff.), zur »Wichtigkeit von Kenntnissen und Fertigkeiten« (S. 185) etc. zu referieren. In dieser Hinsicht ist Hömbergs Buch, vor allem auch im Anhang, schier unerschöpflich.

[9] 

Wichtig zu referieren ist allerdings, die das Buch abschließende Zusammenfassung des Berufsprofils der Lektoren: Lektoren sind Quereinsteiger (55 Prozent), weiblich (fast zwei Drittel), kommen über ein Praktikum in den Verlag (45 Prozent), machen Überstunden und bringen dabei im Schnitt 21 Manuskripte pro Jahr zur Druckreife. Sie verstehen sich überwiegend als Diener der Interessen des Verlags und glauben doch (zu rund 90 Prozent) sowohl den Vorstellungen des Verlags als auch den Erwartungen des Autors entsprechen zu können. Sie empfinden ihre Tätigkeit als vielseitig und sind bei niedrigem Einkommen (durchschnittlich 2000 Euro netto pro Monat) sehr zufrieden mit ihrem Beruf (S. 205–208).

[10] 

Hinsichtlich des Tätigkeitsprofils der Lektoren zeichnet die Studie ein eher konservatives Bild, so dass Hömberg formuliert: »Trotz aller Unkenrufe, der Verlagslektor werde immer mehr zum Produktmanager: Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die klassischen Lektoratstätigkeiten auf einer Rangliste der am häufigsten ausgeübten Tätigkeiten noch immer ganz vorn zu finden sind« (S. 99): Betreuung der Autoren, Arbeit am Manuskript, Verfassen von Informationstexten und Prüfung von Manuskripten auf ihre Tauglichkeit für das Verlagsprogramm.

[11] 

Was die Zukunftsperspektive des Lektorenberufs angeht, so führen nach Hömberg die »zunehmende Ökonomisierung des Buchmarktes und der Bedeutungszuwachs von Werbung, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit« (S. 209) zu differenzierten Anforderungsprofilen in großen Verlagen einerseits, in kleinen Verlagen andererseits: »[…] die Befragung der Lektoren zeigte, dass diese in großen Verlagen wesentlich stärker von den Wandlungsprozessen durch die Ökonomisierung betroffen sind. Projektkalkulation, Verkaufschancen, ökonomische Interessen und planerische Aufgaben werden hier in Zukunft verstärkt das Berufsbild prägen. In kleinen Verlagen werden hingegen nach wie vor klassische Allrounder gefragt sein, die neben der Lektoratsarbeit auch Aufgaben in Herstellung, Vertrieb und Öffentlichkeitsarbeit kompetent übernehmen« (S. 209).

[12] 

Fazit

[13] 

Zusammenfassend ist zu sagen, dass mit Hömbergs Buch eine breit angelegte, enorm faktenreiche und methodisch abgesicherte Studie zum Kommunikationsberuf Lektor (endlich) vorliegt, wobei die zahlreichen Tabellen und Diagramme im Text einen schnellen Überblick erlauben. Die oft aus der Natur der Sache geborene Trockenheit der Darstellung wird durch rund 100 Zitate aus den Intensivinterviews aufgefangen. Diese gut ausgewählten Zitate illustrieren den statistischen Befund auf das Beste.

[14] 

Wünschenswert wäre nicht nur eine Wiederholung der Untersuchung in einem größeren Zeitabstand, um so den Wandel des Berufsbilds sichtbar machen zu können, sondern auch eine Untersuchung über den Beruf des freien Lektors, dessen Bedeutung im Rahmen von Funktions-Outsourcing mit Sicherheit in Zukunft steigen wird.

[15] 

Wenn es einen Punkt der Kritik gibt, dann jener, dass leider im Fragenkatalog zur Zukunft der Lektoratsarbeit (S. 313–315) der »E«-Aspekt fehlt, also all jene Fragen, die im Bereich E-Publishing, E-Book, E-Commerce auch das Profil der Lektoratsarbeit mittel- und langfristig tangieren werden. Allerdings muss man dem Autor zugutehalten, dass die Datenerhebung zwischen 2005 und 2007 stattfand, zu einem Zeitpunkt also, zu dem der Hype um die »E«s in der Buchbranche noch nicht abzusehen war.

[16] 

Und eine kleine Anmerkung zum Schluss: So ganz unbekannt, wie der Untertitel suggeriert, ist der Beruf des Lektors nicht, denn Hömberg selbst zitiert die wichtigen Studien zum Berufsbild und zur Geschichte des Lektor (S. 15f.) und nennt die Universitäten, an denen man Buchwissenschaft studieren kann (S. 12).

 
 

Anmerkungen

Die von Romy Fröhlich durchgeführte Studie MehrWert. Arbeiten in der Buchbranche heute, die vom Netzwerk BücherFrauen e.V. initiiert und als Buch herausgegeben wurde (2010), basiert auf 1234 vollständig ausgefüllten Online-Fragebögen. Da die Untersuchung berufsübergreifend angelegt ist, steht der Lektor/die Lektorin naturgemäß nicht im Fokus. Gerade unter geschlechtsspezifischen Aspekten jedoch bringt die Studie einige ergänzende Erkenntnisse.   zurück
So Klaus Siblewski, Lektor im Luchterhand-Verlag, in einem Gespräch (www.lit07.de/cms/content/preview/werkstatt-lektoren-05_Klaus_Siblewski.pdf).   zurück