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Ordnung des Profanen

Dringliche Aufgabe des Denkens

  • Daniel Weidner (Hg.): Profanes Leben. Walter Benjamins Dialektik der Säkularisierung. Berlin: Suhrkamp 2010. 329 S. Broschiert. EUR (D) 13,00.
    ISBN: 978-3-518-29563-2.
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Der von Daniel Weidner herausgegebene Sammelband Profanes Leben rückt mit Walter Benjamins ›Ordnung des Profanen‹ aus dem Theologisch-Politischen Fragment ein Konzept in den Vordergrund, dem die Benjamin-Forschung bereits einen ›Schlüsselcharakter‹ attestiert hat, das nun aber als eines der dringlichsten Konzepte der Gegenwart verhandelt wird. Wie Weidner in seiner Einleitung betont, stellt sich die Frage nach der ›Ordnung des Profanen‹ als sowohl »zentrale wie dringliche Aufgabe des Denkens«. Dabei ergibt sich die Dringlichkeit aus einer geradezu post-profanen Welt: Der Frage nämlich, was eine profane Ordnung des Lebens sein könnte, nachdem »nicht nur die transzendentale Verankerung des Lebens verschwunden ist, sondern auch die Versprechungen der Moderne« (S. 11).

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Ausgehend von dieser Frage konzentriert sich der Band auf eine Neuperspektivierung des Werks Benjamins in Hinblick auf dessen Beziehung zum Religiösen (jüdischen und christlichen). Aus der Perspektive einer gegenwärtigen und mit Hent de Vries als religious turn bezeichneten philosophischen Wende heraus formuliert Weidner die Frage, die er an Benjamin heranträgt: wie man die Gegenwart denken kann, ohne dass dabei theologische Fragestellungen aus dem Blick geraten (S. 9).

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Mit dieser Situierung Benjamins als Autor, der für den gegenwärtigen Diskurshorizont des religious turn interessant sein kann, verfolgt der Band gleichzeitig das methodologische Anliegen, an Benjamin programmatisch zu zeigen, inwiefern Säkularisierungskritik als zentrales Thema der Kulturwissenschaften angesehen werden muss. Die eingenommene Perspektive bezieht also ihre Legitimität sowohl aus in der Gegenwart dringlich gewordenen Aufgaben als auch aus Fragestellungen, die die eigene (und Benjamin’sche) disziplinäre Verortung reflektieren.

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Imperativ der Säkularisierung

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Was also bringt die Reflexion auf Benjamins Ordnung des Profanen Neues? Das programmatische Anliegen des Bandes tritt in vier zentralen Kapiteln hervor, die vom Theologisch-Politischen Fragment über Benjamins Literaturkritik, das Trauerspielbuch, seine Geschichtstheoretischen Thesen, den Übersetzeraufsatz, den Kunstwerkaufsatz oder die Berliner Kindheit im Prinzip (und vielleicht nur mit Ausnahme der Baudelaire-Studien) den ganzen Benjamin verhandeln.

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Den säkularen Moment des Entschwindens theologischer Gewissheiten hat Benjamin wie kein anderer in seinem Werk festgehalten. Das hat schon früh zu paradoxalen Einschätzungen geführt. So spricht Gershom Sholem über Benjamins Denken als das eines ›ins Profane schlagenden Theologen‹. Theodor W. Adorno sieht in Benjamins Arbeiten eine »Säkularisierung der Theologie um ihrer Rettung willen«. Gerade diese Spannungen zwischen säkularem und theologischem Benjamin machen ihn nach Weidner zu jemandem, bei dem es in einer für die Kulturwissenschaften paradigmatischen Weise zur engen Verknüpfung von Säkularisierungskritik und Idee der Säkularisierung gekommen ist. Benjamins Kritik lässt sich in einem Zwischenraum, in dem das Profane auf das Heilige verwiesen bleibt, ansiedeln. Ein solches Denken produziert Figuren, die weder ganz weltlich noch ganz heilig erscheinen und gerade deshalb die »Grenze dieser beiden ›Ordnungen‹ markieren« (S. 23). Indem sich solche Grenzphänomene also weder auf einen religiösen Ursprung noch auf ein sakral überformtes Irdisches rückführen lassen, münden sie geradezu in einen Imperativ: »Sie zwingen dazu, Säkularisierung neu zu denken« (S. 23).

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Um diesen Imperativ an Benjamin einzuüben, nehmen die Beiträge in erster Linie diejenigen Stellen in den Blick, in denen Benjamin implizit und explizit von Säkularisierung spricht. Dabei stellt sich heraus, dass Benjamin das Säkularisierungsparadigma quer zu den gängigen Auffassungen verwendet, die besagen, dass Säkularisierung die unwiederbringliche Ablösung von einem theologischen Fundament ist. Dagegen gilt es zu sehen, dass Benjamin Säkularisierung nie ohne (Rück-)Bezug zur Religion denkt.

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So gründet bei Sigrid Weigel das Säkularisierungstheorem in der Figur des Angelus Novus der geschichtstheoretischen Thesen, mit welchen Benjamin an sein Konzept der Ordnung des Profanen aus dem Theologisch-Politischen Fragment anknüpft. Als Janusköpfige Gestalt ist der Engel nämlich immer zugleich dem Irdischen wie dem Himmlischen zugeneigt. Kraft dieser gegenstrebigen Fügung wird er zum Bild für eine Denkbewegung, die Weigel »reflexive Säkularisierung« nennt: »Denkbilder und Figuren, die nicht auf eine Nivellierung von Schöpfung und Geschichte aus sind, sondern die doppelte Bezugnahme auf profane und religiöse Vorstellungen reflektieren« (S. 94). Diese an Benjamin ablesbare reflexive Säkularisierung ist immer auch eine Dialektik der Säkularisierung, sofern sie die Umkehr zwischen Schöpfung und Weltgericht ermöglicht.

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Dieselbe Dialektik bestimmt auch Benjamins Trauerspielbuch, das durch eine allgemeine Krise der Heilsgewissheit gekennzeichnet ist. Denn in der paradoxen Verschränkung von Übernatürlichem und Kreatürlichem verhandelt Benjamin nach Weidner »das Zusammenspiel sakraler und profaner Bedeutungen in der Barockzeit« (S. 121). Das zeigt sich vor allem an der Ambivalenz des Souveräns des barocken Trauerspiels, der nicht vereindeutigend allein der Seite weltlicher Macht zugeschrieben werden kann. Weidner zeigt, inwiefern der barocke Fürst dem Souverän Carl Schmitts geradezu entgegengesetzt ist, und das, obwohl sich beide auf die Behauptung der Säkularisierung beziehen. Während bei Schmitt die Säkularisierung religiöser Allmacht in politische Souveränität am Beispiel des Christus triumphans geschult ist, folgt bei Benjamin Säkularisierung dem Modell des Christus patiens: Souveränität wird auf die schwächliche, vom Sündenfall gezeichnete Kreatürlichkeit bezogen.

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Durch solche Durchkreuzungen der gängigen Konzepte kann Benjamin scheinbar säkulare Figuren an das entschwundene theologische Moment rückbinden. Was sich damit zeigt, ist, dass Säkularisierung ein prinzipiell (und bis in die Moderne hinein) ambivalenter, vielleicht auch gescheiterter Prozess ist, der als Grenzphänomen neu zu befragen ist.

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Mediologie und der Zugang zu Gott

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Die grundsätzliche Ambivalenz der Säkularisierung, die Benjamins Denken in den verschiedenen Beiträgen attestiert wird, entsteht immer dann, wenn Benjamin religiöse Figuren, Techniken oder Begriffe in profane Ordnungen überträgt. Ob mit dieser »Umdeutung ins Profane« (S. 145) eine Rettung der theologischen Begriffe verbunden ist, wie Stephane Mosès schreibt, mag dahingestellt sein. Zumindest stellt sich Benjamins Aufgabe als Spurensuche dar: Es geht darum, die »Spuren der theologischen Denkweise in säkularisierten Begriffen zum neuen Ausdruck zu bringen.« (S. 148) Denn mit dieser Übertragung überschreibt das jeweilige Konzept oder Verfahren die religiöse Ordnung nicht. Vielmehr bleibt diese als impliziter Vektor der profanen Ordnung eingeschrieben.

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Am Beispiel von ›Benjamins Messianismus‹ lässt sich diese Spurensuche im Beitrag von Vivian Liska verfolgen: ›Benjamins Messianismus‹ wird als profane Ordnung lesbar und zwar in Giorgio Agambens Benjamin-Lektüre. Wie sich auf dieser Metaebene nämlich zeigt, bedeutet Agambens Benjamin-Kritik eine Vertiefung einer profanen Lesart des Messianismus: Ein Messianismus, der nicht zu einem eschatologischen Ziel führt, sondern auf die »Manifestationen der Diskontinuität« (S. 216) setzt.

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Noch deutlicher wird die Verschränkung von profaner und heiliger Ordnung am Konzept der Geistesgegenwart. Die moderne, profane Geistesgegenwart ruft die »heilige Versunkenheit« des Gebets auf, die ihr als latenter Rückstand inhärent ist und von dem sie sich nicht gelöst hat. Wie der Beitrag von Carolin Duttlinger deutlich macht, findet der moderne Mensch profane Vertiefung etwa im Zustand der Melancholie, der mit sakralen Formen der Versenkung korrespondiert. Von Anfang an, so Duttlinger, sei die sakrale Versenkung des Gebets mit »deren profanen Spielarten verschränkt« (S. 97). Dabei zeigt sich, dass sich die beiden Ordnungen nicht bruchlos gegenüber stehen. Im Gegenteil: Es kommt gerade auf die Bruchstellen und die daraus resultierenden Verschiebungen an. Denn während das Gebet einen Zustand der Geistesgegenwart ermöglicht, der das Subjekt vor Unterbrechungen und Störungen schützt, ist geradezu umgekehrt in der profanen Geistesgegenwart die gefährliche Durchbrechung des kontemplativen Moments vorausgesetzt.

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In den Kreaturen als Medien, die zwischen irdischer Immanenz und himmlischer Transzendenz vermitteln, findet man im Beitrag von Kyung-Ho Cha ein Konzept vorgestellt, mit dem er über die medialen Bedingungen der Kategorien reflektiert. Wie genau funktionieren die Übergänge zwischen theologischer und profaner Ordnung? Nach Kyung-Ho Cha sind Kreaturen Boten, denen eine Mittlerfunktion zwischen diesseitiger und jenseitiger Welt zukommt. Als ›kreatürliche Boten‹ zeugen sie von einer ihnen inhärenten Paradoxie: »Sie zeigen auf etwas, ohne es im eigentlichen Sinn sichtbar zu machen.« (S. 244) Damit stehen sie sowohl für das Verschwundene als auch für die Erscheinung. Wie der bipolare Angelus Novus zeichnen sich die Kreaturen Benjamins durch ihre Indexikalität aus. Allerdings kann das Medium als das in der Mitte Stehende zwischen zwei Polen nicht nur den Übergang herstellen, sondern auch Hindernis sein: »[E]ine Barriere, die beide für immer voneinander trennt.« (S. 257)

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Fazit

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Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass die ›Ordnung des Profanen‹ gerade diejenige Reflexionsfigur ist, in der sich die Vermittlung zwischen dem Heiligen und dem Profanen als gestört oder unterbrochen erweist. Die profane Ordnung steht somit für die Differenz zwischen dem Heiligen und dem Profanen, die Benjamin nicht aufgehoben, sondern ausgestellt hat. Dieser Band hat sie für uns lesbar gemacht.