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Bettelorden - Geschichte, Kunst, Spiritualität

  • Heidemarie Specht / Ralf Andraschek-Holzer (Hg.): Bettelorden in Mitteleuropa. Geschichte, Kunst, Spiritualität; Referate der gleichnamigen Tagung vom 19. bis 22. März 2007 in St. Pölten. (Geschichtliche Beilagen zum St. Pöltner Diözesanblatt / Beiträge zur Kirchengeschichte Niederösterreichs 32 / 15) St. Pölten: Diözesanarchiv St. Pölten 2008. 774 S. zahlr. Abb. EUR (D) 39,90.
    ISBN: 978-3-901863-29-5.
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Forschungsdesiderate

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Sie hatten nicht nur Freunde. Bereits zum Zeitpunkt ihrer Entstehung am Beginn des 13. Jahrhunderts konnten sich die Bettelorden nicht nur über Lob und rückhaltlose Zustimmung freuen, sondern wurden bald auch zur Zielscheibe vernichtender Kritik. Der englische Benediktiner Matthew Paris fasste die Bedenken in seiner Mitte des 13. Jahrhunderts entstandenen Chronik zusammen: der Beginn der Bettelorden sei aufgrund der kompromisslosen Orientierung am Armutsideal ohne jeden Zweifel bewundernswert gewesen, doch habe der Erfolg zu einem Verlust eben dieses Ideals geführt – und nun seien die Vertreter der Bettelorden in ihrem Streben nach Macht und Besitz schlimmer als alle anderen. Diese Bemerkungen treffen trotz aller Häme einen wahren Kern: sozialer und ökonomischer Erfolg kann kontraproduktiv wirken und zu einer starken Entfremdung von Ideal und Realität führen. Der Ordensforschung ist dieses Spannungsverhältnis nicht verborgen geblieben, im Gegenteil, die Arbeiten der vergangenen Jahrzehnte zeigen eindrücklich, wie sich die Bettelorden mit ihren radikalen Forderungen in einer Umwelt zu behaupten hatten, in der die Rechtmäßigkeit ihrer Forderungen zwar zumeist anerkannt, jedoch selten verwirklicht wurde. Dabei gerieten zumeist die beiden »großen« Bettelorden – Franziskaner und Dominikaner – in den Blick, deren Entstehung und weitere Entwicklung insbesondere in Frankreich und Italien Gegenstand umfassender Darstellungen und Synthesen waren. Die Schaffung ordenseigener Forschungsinstitute trug das ihre dazu bei, die Kenntnis franziskanischer und dominikanischer Ordensgeschichte substantiell zu erweitern. Drei Dinge gerieten dabei ins Hintertreffen: zum einen die Geschichte der »kleinen« Bettelorden, von denen die Karmeliter und Augustinereremiten noch zu den bekanntesten gehören, des weiteren der Blick über die erste Ausbreitungs- und Konsolidierungsphase hinaus in die (Frühe) Neuzeit, zum anderen die Einbeziehung derjenigen Regionen, die nicht zum westeuropäischen Kerngebiet der Ordensgeschichte gehören.

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In vorliegendem Sammelband wird versucht, diesen Aspekten Rechnung zu tragen. 38 Beiträge einer St. Pöltener Tagung (März 2007) wurden dabei fünf großen Themengebieten zugeordnet: 1. Die Orden im Einzelnen; 2. Mendikanten in Stadt und Land; 3. Die Rolle der Zäsuren; 4.Kunst und Wissenschaft; 5. Geistigkeit. Nicht in allen Fällen wurde dabei das wissenschaftliche Rad neu erfunden, weshalb im Folgenden vornehmlich auf das wirklich Neue, die Forschung perspektivisch Erweiternde eingegangen werden soll.

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Konkurrenz und Abgrenzung

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Johann Tomascheks Blick auf das Kloster Admont und die Beeinflussung der dort ansässigen Benediktiner durch den neu entstehenden Dominikanerorden (Die Admonter Benediktiner und der »Ordo Predicatorum« im 13. Jahrhundert, S. 12–24) verdeutlicht den Konkurrenzdruck, dem sich die älteren Orden durch das Erscheinen der Mendikanten ausgesetzt sahen und geht anhand eines Eintrags in den Admonter Annalen möglichen frühen Kontakten nach. Ein Leben gemäß dem Evangelium, Bettel und Predigt wurden zu Markenzeichen der neuen Orden, doch konnte sich deren Lebensentwurf nur deshalb zum Erfolgsmodell entwickeln, weil er breite Förderung durch die politischen Eliten erfuhr. Ulrich Knapp verdeutlicht das am Beispiel der Stadt Esslingen. Untersucht werden die frühen Niederlassungen der Bettelorden in reichsstädtischem Kontext (Bettelorden im Spannungsfeld der Macht, S. 50–66) und deren Funktion als Ersatz für Pfalzen, die während des Interregnums zerstört worden waren. Esslingen taucht in anderem Kontext noch einmal auf: im Beitrag von Iris Holzwart-Schäfer (Körperlich eingeschlossen, aber geistig frei? Handlungsspielräume religiöser Frauengemeinschaften in der Reichsstadt Esslingen am Neckar (13.-16. Jh.), S. 233–252) wird untersucht, wie es zur Gründung von Frauenkonventen in der Stadt kommen konnte, welche Akteure dabei Einfluss ausübten und welcher Handlungsspielraum den streng klausurierten Schwestern verblieb.

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Insgesamt ist es die Vielzahl der kunstgeschichtliche und architektonische Fragen behandelnden Artikel, in denen der Zusammenhang zwischen Macht und Orden immer wieder aufs Neue, mit durchaus unterschiedlichen Ergebnissen, artikuliert wird. Eindrücklich sind in dieser Beziehung die beiden Beiträge von Susanne Hehenberger und Rainer Paulus, die sich mit dem kaiserlichen Schatz der Kapuziner in Wien beschäftigen und überzeugend die Verbindung von Ordensspiritualität und Herrscherfrömmigkeit vor Augen führen (S. 539–559 und S. 560–582).

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Die Karmeliter

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Seit einigen Jahren ist ein Trend innerhalb der Ordensforschung festzustellen, die Karmeliter wieder stärker in die wissenschaftlichen Betrachtungen mit einzubeziehen. Gleichwohl überrascht die vergleichsweise starke Präsenz des Ordens in vorliegendem Sammelband. Er ist Gegenstand von fünf Artikeln, die in ihrer Gesamtheit eindrucksvoll vor Augen führen, weshalb sich die Beschäftigung mit karmelitischer Geschichte lohnt, dabei aber gleichzeitig auch verdeutlichen, welche Forschungsdesiderate nach wie vor bestehen. Stephan Panzer eröffnet die Reihe mit einer Darstellung der Karmelitergeschichte in der Oberdeutschen Ordensprovinz (S. 66–74) und demonstriert dabei eindrücklich, welch hervorragende Dienste das kurz vor dem Erscheinen stehende Monasticon Carmelitanum, ein Handbuch der Ordensklöster in der ober- und niederdeutschen Provinz, leisten kann und (hoffentlich) wird. Der angerissene Zusammenhang zwischen der Errichtung, Teilung bzw. Auflösung von Ordensprovinzen und dem Erstarken »nationaler« Identitäten verdient hier unbedingt weitere Behandlung. Dem Einfluss karmelitischer Spiritualität auf die Literatur des 19. Jahrhunderts geht Marianne Sammer nach (Ideengeschichtliche Aspekte karmelitischer Marienverehrung, S. 74–87). Anhand des 1852 erschienenen Marienlebens aus der Feder Clemens’ von Brentano wird die Bedeutung der spezifischen Marienfrömmigkeit des Ordens und deren Ausstrahlung in saeculum untersucht. Edeltraut Klueting beschäftigt sich mit der Historiographie der Karmeliter (»Historiam provinciae et conventuum tenere«. Zur Geschichtsschreibung des Karmeliterordens, S. 87–105) und greift damit einen Dauerbrenner der Ordensforschung wieder auf. Doch wird hier nicht Altbekanntes schlicht wiederholt: der Blick richtet sich auf die Historiographie des 17. Jahrhunderts und den Chronisten der niederdeutschen Provinz, Jakob Milendunck (1612–1682). Mit seiner nüchternen, von Apologie freien Vorstellung von Historiographie, die ihn in die Nähe der Mauriner bzw. Bollandisten rückt, steht er klar außerhalb der Ordenstradition. Fünf umfangreiche, im Frankfurter Institut für Stadtgeschichte aufbewahrte und 6270 eng beschriebene Seiten umfassende Folianten zeugen noch heute vom Wirken Milenduncks und bilden einen Schatz, den es unbedingt zu heben gilt (Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Karmeliterkloster, Bücher 43–47). Der Beitrag von Maximilian Kroiss, auf einer Linzer Dissertation von 1992 fußend, legt ein beredtes Zeugnis von der Leistungskraft einer Quellengruppe ab, die innerhalb der Ordensforschung bedauerlicherweise noch immer nicht den Rang einnimmt, der ihr eigentlich gebührt: die klösterlichen Rechnungsbücher (Die Einnahmen und Ausgaben des Abensberger Karmelitenklosters im 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Bettelordensgeschichte, S. 253–285). Einnahmen und Ausgaben des Klosters werden miteinander verglichen und die Ergebnisse überzeugend interpretiert. Dass Fleisch nahezu während des gesamten Jahres auf dem klösterlichen Speiseplan stand, überrascht dabei ebenso wie die Tatsache, dass die Versorgung des Klosters mit Lebensmitteln fast die Hälfte der jährlichen Ausgaben verschlang.

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Bettelorden und Predigt

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Andreas Scholten macht eine Handschrift zum Gegenstand seiner Ausführungen, die 19 Predigten zur Einkleidung und Profess von Karmelitinnen in einem Brabanter Kloster enthält und verdeutlicht dabei die Bedeutung spätmittelalterlicher Predigt in Volkssprache für die Geschichte der Spiritualität (»Ende als alle die werelt gherne soude ten dansse gaen, dat wij dan sullen in ons gebeth gaen!« Entzifferung eines verlorenen Sprechkontexts anhand einer spätmittelalterlichen Predigthandschrift aus dem Karmelitinnenkloster »Onze Lieve Vrouw van Troost« in Vilvoorde bei Brüssel, S. 740–759). Dass die Auswertung einer solchen, unikal überlieferten Sammlung nur vergleichend erfolgen kann, liegt auf der Hand. Der Aufsatz könnte vor diesem Hintergrund auch als Aufruf dazu verstanden werden, weitere Predigten desselben Inhalts für die Forschung zu erschließen.

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Trotz des eben angeführten vorzüglichen Beitrags ist der Zusammenhang von Predigt und Bettelorden in vorliegendem Band kaum präsent. Als mendikantisches Proprium par excellence wird sie lediglich in zwei Artikeln behandelt. Umso bedauerlicher, dass sich darunter ein Beitrag findet (Roman Reisinger, Francesco d’Assisi und seine vehementen Predigten gegen den Bürgerkrieg zwischen italienischen Städten, S. 24–35), der sich vergleichsweise unberührt von den Ergebnissen der modernen Predigtforschung zeigt und anstatt dessen extensiv auf die Erkenntnisse von Dario Fo und seine Bemerkungen zu Theatertechniken verweist. Hier wurde ebenso eine Chance verschenkt wie bei einigen, zumeist sehr knapp gehaltenen Artikeln, die durch eine von weitergehenden Interpretationen völlig freie Aneinanderreihung von Fakten zu einzelnen Klöstern bzw. Ordenspersönlichkeiten bestechen. Wem nutzen Beiträge, in denen auf die Angabe neuerer Literatur unbekümmert verzichtet wird und Kontextualisierungen konsequent unterbleiben? Immerhin können sie aber noch als Appell an die Forschung dienen, den eingeschlagenen (schmalen) Weg weiter zu beschreiten.

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Thematisches Neuland

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Dieses Unbehagen schlägt mit Blick auf einige Artikel, in denen thematisches Neuland betreten und auf Kontextualisierungen gerade nicht verzichtet wird, jedoch schnell in Wohlgefallen um. Die Bemerkungen, die Anette Löffler den Franziskanerbibliotheken von Leipzig und Chemnitz widmet, zeugen von einer jahrelangen Beschäftigung mit der Materie und eröffnen weitere Forschungsperspektiven (Wissenschaft und Spiritualität im Lichte des Buchbesitzes der Franziskanerkonvente in Leipzig und Chemnitz am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, S. 706–721). Dies gilt auch für die Ausführungen von Mary Anne Eder zu den Zentralklöstern der Bettelorden zwischen Säkularisation und Konkordat (S. 332–349). Für den Zeitraum von 1802–1817 wird das Schicksal der bayerischen Mendikantenklöster detailliert beschrieben. Das Ziel der Väter der Säkularisation, nämlich die Schaffung eines klosterfreien Bayern, war zum Scheitern verurteilt – und nach der Lektüre des Artikels weiß man auch ansatzweise, weshalb. Der Beitrag von Sonja Reisner zu den Mirakelberichten der Dominikaner gehört in die Reihe der qualitativ hoch stehenden Artikel, die zu weiterer Forschung anregen (Konkurrenz auf dem »geistigen« Markt. Dominikanische Wunder- und Mirakelberichte des 13. Jahrhunderts im Lichte neuer motivgeschichtlicher Forschungen, S. 663–681). Denn auch die anderen Bettelorden operierten mit eigenen Mirakel- und Exempelsammlungen, die ihrerseits Ausdruck eines – auch innermendikantisch nachweisbaren – Konkurrenzdrucks waren.

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Fazit

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Summa summarum ein ausgesprochen anregender Sammelband, der einiges von der Vielfalt der aktuell in der Bettelordensforschung verfolgten Themengebiete widerspiegelt. Dass sich der inhaltliche und methodische Zugriff dabei von Artikel zu Artikel mitunter deutlich unterscheidet, ist als positives Faktum zu werten: Themen- und Methodenpluralität zeugt von der Lebendigkeit jeder Forschung. Anders ausgedrückt: trotz aller institutionellen Bedrängnisse der letzten Jahre lebt die Bettelordensforschung.