IASLonline
  • Gertraud Gamper / Rudolf Gamper: Katalog der Inkunabeln in der Kantonsbibliothek St. Gallen. Vadianische Sammlung der Ortsbürgergemeinde und Eigenbestand. Dietikon-Zürich: Urs-Graf 2010. 200 S. 21 Abb. Gebunden. EUR (D) 35,00.
    ISBN: 978-3-85951-274&#820.
[1] 

Mit dem vorliegenden Katalog der in der Vadianischen Sammlung der Ortsbürgergemeinde und der im Bestand der Kantonsbibliothek St. Gallen vorhandenen, bislang nicht näher beschriebenen Inkunabeln wird erneut eine Lücke in der Erforschung der Frühdruckbestände im südwestdeutschen Sprachraum geschlossen.

[2] 

Gertraud und Rudolf Gampers ansprechend gestalteter Katalog umfasst 225 Inkunabeln (in 180 Bänden) und drei Inkunabelfragmente aus der im Besitz der Ortsbürgergemeinde St. Gallen befindlichen Vadianischen Sammlung und sechs Inkunabeln aus dem Eigenbestand der Kantonsbibliothek St. Gallen. Hinzu kommen im Anhang sieben Drucke, die Gustav Scherer in seinem Verzeichnis (1864) und teilweise früher auch der Gesamtkatalog der Wiegendrucke (GW) als Inkunabeln bezeichnet hatte, bei denen es sich aber eindeutig um Postinkunabeln handelt.

[3] 

Den Hauptbestand bildet die Büchersammlung der reformierten Studienbibliothek, die heutige Vadianische Sammlung, die in den frühen dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts von Joachim Vadian und Johannes Kessler, den ersten St. Galler Reformatoren, begründet und von der dem reformierten Glauben anhangenden Stadt finanziert wurde. Es wurden nicht nur neu erschienene Bücher, nicht zuletzt reformatorische Schriften, angeschafft, sondern auch einige Büchersammlungen aufgekauft. Von besonderer Bedeutung waren hierbei die im Jahre 1536 erworbene Bibliothek des Predigers Wolfgang Wetter und die 1551 erworbene Bibliothek des Pfarrers Christoph Schappeler. Im Jahr 1553 kam die Bibliothek des Schulmeisters und Pfarrers Dominik Zili hinzu. Den Hauptbestand der Sammlung bildet allerdings die Privatbibliothek von Joachim Vadian, der als Arzt, Reformator und langjähriger St. Galler Bürgermeister kurz vor seinem Tod im Jahr 1551 seine reichhaltige Bibliothek und auch andere Besitztümer seiner Vaterstadt St. Gallen vermachte. Die Bibliothek umfasste etwa 450 Bände mit Druckwerken und weitere Bände mit Handschriften. Neben theologischen Werken finden sich auch viele aus dem Bereich der Philologie, der Naturwissenschaften und der Medizin. Die vier genannten ehemaligen Privatbibliotheken bildeten den Gründungsbestand der St. Galler Stadtbibliothek. Sie wurden nebeneinander aufgestellt und einzeln katalogisiert; für den Gesamtbestand wurde aber auch ein alphabetisch geordneter Autorenkatalog erstellt. Von diesem Grundbestand der Bibliothek in den fünfziger Jahren des 16. Jahrhunderts ist infolge von Verkäufen mehr als ein Drittel heute nicht mehr vorhanden.

[4] 

Die der Ortsbürgergemeinde gehörende Stadtbibliothek und damit die Vadianische Sammlung wurde im Jahr 1979 als Depositum in die Obhut der neu geschaffenen Kantonsbibliothek St. Gallen gegeben. Bis zu diesem Zeitpunkt unterhielt der Kanton lediglich eine für die Verwaltung eingerichtete Bibliothek.

[5] 

Die Einleitung (S. 9–36) und das Verzeichnis der Vorbesitzer (S. 171–185) geben über die Geschichte der Bibliothek und die verschiedenen Provenienzen sehr anschaulich und umfassend Auskunft.

[6] 

Die übersichtlich und benutzerfreundlich gestalteten Beschreibungen richten sich im Wesentlichen nach denjenigen des Inkunabelkataloges der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB-Ink) und nur zum kleinen Teil auch nach den im Verlag Harrassowitz erschienenen Inkunabelkatalogen (Freiburg im Breisgau; weiter entwickelt Rottenburg-Tübingen, Greifswald, Rastatt, Heidelberg); zum Teil werden auch neue Wege beschritten.

[7] 

Die Titelansetzungen richten sich nach denjenigen von BSB-Ink und auch des GW. Bei den Formatangaben wird zusätzlich die cm-Höhe des Buchblocks vermerkt. Wie bei einigen neueren deutschen Inkunabelkatalogen wird der Seiten- beziehungsweise Blattumfang des Druckes angegeben. Es folgen gegebenenfalls der Nachweis der Druckermarke und der Hinweis auf gedruckte Initialen. Die bibliographischen Nachweise beginnen meistens mit Hain beziehungsweise Hain-Copinger oder Hain-Reichling; darauf folgen GW (inklusiv GW-Datenbank), BSB-Ink, das aus dem Jahr 1864 stammende Verzeichnis von Scherer. Auf weitere bibliographische Nachweise wird verzichtet, weil diese für die Identifizierung der Drucke nicht erforderlich sind. Allerdings wäre in einigen Fällen der Hinweis auf die detaillierten und sonst so nicht greifbaren Beschreibungen des BMC, Polain oder Pellechet-Polain ganz hilfreich.

[8] 

Die Beschreibung des vorliegenden Exemplars beginnt mit der Angabe zur Rubrizierung. Es folgen Angaben zu Marginalien und Anstreichungen; dabei wird allerdings auf eine ungefähre Datierung oder die Identifizierung der Hände verzichtet. Die Angaben zur Provenienz erscheinen in chronologischer Reihenfolge und sind fundiert und umfassend (mit weiteren Informationen in der Einleitung und im Verzeichnis der Vorbesitzer).

[9] 

Die Einbandbeschreibungen sind detailliert und aufschlussreich. Einzel-, Rollen- oder Plattenstempel werden zum großen Teil in der in der Staatsbibliothek zu Berlin verwalteten Einbanddatenbank (www.hist-einband.de) nachgewiesen. Die in einigen Dutzend Bänden vorkommende Einbandmakulatur (Pergament- und Paperhandschriften) wird kurz beschrieben. Angebundene Drucke aus der Zeit nach 1500 werden aufgeführt, allerdings ohne jeden bibliographischen Nachweis. Die Exemplarbeschreibungen finden sich im Übrigen auch im Online-Katalog der Kantonsbibliothek St. Gallen (http://aleph.sg.ch/F).

[10] 

Bei der Durchsicht fallen einige geringfügige typographische Fehler, Uneinheitlichkeiten in der Gestaltung und Druckfehler auf, die aber die Benutzung des Katalogs in keiner Weise beeinträchtigen.

[11] 

Etwas unschön ist die Verschiedenheit der (dicht aufeinanderfolgenden) Datumsangaben, so zum Beispiel bei Nr. 210. Die Namensformen sind in ein paar wenigen Fällen nicht einheitlich, so Jacobus Wimpfeling (Nr. 146) und Jakob Wimpfeling (Nr. 225). Bei den beigebundenen Drucken aus der Zeit nach 1500 wird der Vorname des Druckers oft angegeben, manchmal aber abgekürzt (zum Beispiel an Nr. 39) und manchmal gar nicht (zum Beispiel an Nr. 36). Der fünfte an Nr. 20 angebundene Druck ist in Frankfurt/Oder von Balthasar Murrer zusammen mit dem aus Basel zugezogenen Nikolaus Lamparter hergestellt worden. Zur Einbandmakulatur an Nr. 33 wären Angaben betreffs Beschreibstoff, Datierung und (beim Rezept) zur Sprache hilfreich. Auch bei anderer Einbandmakulatur fehlen zuweilen Angaben über den Beschreibstoff und meistens auch zur Datierung. Bei dem neunten an Nr. 36 angebundenen Druck ist als Verfasser Gervasius Soupherus zu ergänzen. Bei Nr. 46 wäre eine Datumsangabe zum Restaurierungsprotokoll sinnvoll. Bei Nr. 130 findet sich die Angabe zu den gedruckten Initialen an anderem Ort als etwa bei Nr. 157. Bei der Titelaufnahme von Nr. 76 sollte es anstelle von »Aus« besser »Teil von« heißen. Der mit der erfundenen Jahreszahl 1499 versehene Druck (Nr. 241) ist laut GW nicht 1699, sondern 1630 oder kurz danach entstanden.

[12] 

Der Katalog wird durch einige Register erschlossen: Drucke nach Druckorten und Offizinen (S. 155–168), Drucker, Verleger, Auftraggeber (S. 169–170), Vorbesitzer sowie weitere Personen, die in den Besitzeinträgen genannt werden (S. 171–185). Im Gegensatz zu den oben erwähnten neueren deutschen Inkunabelkatalogen fehlt leider ein Register mit den Namen der Beiträger, Kommentatoren, Übersetzer und Herausgeber von Inkunabeldrucken, den Namen der Verfasser der angebundenen Drucke aus der Zeit nach 1500 und der im Zusammenhang mit der Einbandmakulatur genannten Personen.

[13] 

Es folgen die Übersicht über die Buchbinderwerkstätten mit Einbanddatenbank-Nachweisen (S. 187–189), die Konkordanzen zum GW, zu Hain, Copinger, Reichling, zum BSB-Ink und zum Verzeichnis von Scherer (S. 191–198) und ein Verzeichnis der Signaturen (S. 199–200).