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Weiße Wege zu einem neuen Textverständnis

  • Katarina Yngborn: Auf den Spuren einer 'Poetik des Weißen'. Funktionalisierungen von Weiß in der skandinavischen Literatur der Moderne. (Nordica 17) Freiburg im Breisgau: Rombach 2010. 334 S. Kartoniert. EUR (D) 46,00.
    ISBN: 978-3-7930-9627-6.
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Katarina Yngborn begibt sich im Rahmen ihrer Münchner Dissertation auf die Suche nach der poetologischen Funktion der Farbe Weiß in der skandinavischen Literatur der Moderne. Der Begriff Moderne bezieht sich hier auf einen breit angelegten Zeitraum, den die Verfasserin zeitlich von ungefähr 1800 bis 1970 abgrenzt. Ausgewählte norwegische, dänische und schwedische Texte der Romantik, des Fin de Siècle und des modernism(e) werden bezüglich einer textinhärenten Verwendung des Weißen analysiert. Dabei wird in einem einleitenden Kapitel zunächst das poetologische Potenzial von Weiß beschrieben und die Frage aufgeworfen, inwieweit die Texte sich selbst als ästhetisches Produkt durch die Verwendung des Weißen reflektieren. Anschließend wird mit einer Beispielanalyse von Selma Lagerlöfs Gösta Berlings Saga überzeugend dargelegt, inwiefern sich eine Analyse der Farbe Weiß besonders eignet, um die poetologische Dimension literarischer Texte zu betrachten: zum einen wegen der paradoxen Eigenschaften von Weiß, gleichzeitig als Farbe und als Nichtfarbe zu gelten, und zum anderen wegen der metaphorischen Bezüge zu künstlerischen Gestaltungsprozessen.

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In einem folgenden Kapitel wird ein Überblick über die motivgeschichtliche Dimension des Weißen gegeben und ihm inhärente Aspekte, z.B. die Farbe Weiß als Farbe der Unschuld oder das Weiße als Farbe von Krankheit und Tod, genauer herausgearbeitet. Hierbei wäre ein wenig mehr Ausführlichkeit wünschenswert gewesen, ein Unterkapitel dieser motivgeschichtlichen Ausführungen hätte sicherlich speziell dem in der Romantik ausgesprochen beliebten Motiv der weißen Frau gewidmet werden können, das auch für einige der analysierten Beispieltexte entscheidend ist.

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Am Ende der Dissertation definiert Katarina Yngborn als Ergebnis ihrer Analysearbeiten vier zentrale Momente einer Poetik des Weißen (siehe S. 299–300), die sich an den Untersuchungen der Beispieltexte treffend nachweisen ließen:

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1. Weiß als Stimulus des Rezipientenanteils an der Genese des Kunstwerkes

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2. Weiß als Verdeutlichung des Unsagbaren und Unbewussten

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3. Intermediale Affinität des Weißen

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4. Über das Wesen schöner Kunst

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Den Roman Hermitaget von C.J.L. Almqvist zur Textgrundlage einer Analyse von Funktionalisierungen des Weißen zu machen, erweist sich schon allein aufgrund der vielfältigen Farbthematisierungen als eine ausgesprochen gute Wahl. Der Fokus liegt hierbei besonders auf der von dem Maler Patrik produzierten Judith-Serie, welche die Geschichte der Protagonistin Judith in fünf verschiedenfarbigen Bildern wiedergibt. In der Ekphrasis dieser Bilder findet sich eine hohe Anzahl literarischer Funktionalisierungen verschiedener Farben.

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Yngborn widmet sich zunächst einer motivgeschichtlichen Betrachtung der mit der Protagonistin verbundenen Hauptfarben weiß und rot, die sie in Verknüpfung mit Sünde und Unschuld als einen strukturbildenden Gegensatz des gesamten Textes ausmacht. Das Weiß der Protagonistin Judith wird außerdem in einen intertextuellen Zusammenhang mit dem Motiv der weißen Frau gestellt. Im Rahmen der Ausführungen über Judiths Weiß der Unschuld und Rot der Sünde wäre ein Abschnitt über die Motivgenese der Dichotomie der Farben Weiß und Rot interessant gewesen, schließlich ist diese Farbmetaphorik bereits in der Bibel im Hohelied Salomos zu finden und hat daraus folgend das Bildmotiv des Hortus Conclusus geprägt. Dieser Hortus Conclusus, der die Reinheit Marias als einen abgeschlossenen Garten symbolisiert, würde im Rahmen einer Interpretation der Judith-Figur einen interessanten Ansatz bieten. Die Verfasserin erkennt selbst das Eremitenleben des Künstlers als ein Leitmotiv des Textes, das auf motivischer Ebene über den Hortus Conclusus in enge Verbindung zu den Farben Weiß und Rot gerückt werden könnte.

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An zentraler Stelle, zu Beginn des sechsten Buchs (also genau in der Mitte des Werkes) wird in einer Art Allegorie das Dasein des Künstlers als Eremitenleben beschrieben, wobei Maler und Dichter zu einer Gestalt verschmelzen. Nebenbei bemerkt tritt hier ein Leitmotiv in Erscheinung, das ebenfalls im Titel »Hermitaget« wiederkehrt und einen weiteren Hinweis darauf gibt, den Roman als metatextuelles Werk zu lesen. (S. 107–108)

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Nach der Analyse des Farbgebrauchs in Hermitaget widmet sich die Verfasserin der Ekphrasis des weißen und letzten Bildes der fünf Judith-Darstellungen. Zunächst weist sie auf ein ausgesprochen interessantes Paradox hin: Das in der Ekphrasis geschilderte Gemälde ist nicht realisierbar, da eine reale Malerei nur weiß auf schwarzem Grund zeigen würde und der differenziert geschilderte Bildinhalt gar nicht erkennbar wäre.

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Denn stellt man sich eine reale Wiedergabe des Bildes vor, so ließe sich hierauf nichts erkennen: weder der schwarze Grund, der vollkommen von den verschiedenen weißen Gegenständen (wie Schnee, Nebel, weiße Gestalt, weißes Blattwerk, weißer Baum) bedeckt ist, noch lassen sich die Konturen der unterschiedlichen Weiß-Gegenstände voneinander abgrenzen bzw. lässt sich die Frauengestalt anders denn als weiße Hülle wahrnehmen. (S. 113)
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Dieser grundlegende Widerspruch zwischen Ekphrasis und beschriebenem Bild in Verknüpfung mit der intermedialen Stellung von Patriks Weiß-Gemälde zwischen Malerei und Schrift macht die Ekphrasis besonders geeignet für eine generelle Betrachtung der Frage nach den Eigenschaften und Funktionen von Kunst. Almqvist lässt in seinem Roman die Protagonisten Patrik und Beatrice kunsttheoretische Reflexionen über die Wahrnehmung von Schönheit anstellen.

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An dieser Stelle dringt die Definition zu ihrem eigentlichen Kern vor: Die Tatsache, dass etwas als schöne Kunst (im Sinne von ›skön‹) besteht, hängt allein vom Betrachter ab. Schöne Kunst besteht in dem Paradoxon, dass sie für einige, die hiervon ergriffen werden, schön und gleichzeitig für andere, die sie nicht erkennen, nichts ist. (S.117)

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Dieser Widerspruch steht in Beziehung zu dem von der Autorin am Anfang der Dissertation ausgeführten paradoxen Element des Weißen, das gleichzeitig die Abwesenheit oder die Anwesenheit aller Farbe verkörpert.

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Die Kategorien des Schönen und des Nichts, die eng mit den Begriffen Oberfläche und Tiefe verbunden sind, wendet Yngborn im Folgenden auf eine Analyse des Romans selbst an. Sie zeigt, wie der Text anhand eines weiten Angebots fragmentarischer Interpretationsmöglichkeiten eine komplexe Struktur aus Oberflächen- und Tiefenebene erzeugt und damit eine strukturelle Ähnlichkeit mit dem Weiß-Bild auch auf textlicher Ebene aufweist. Indem der Roman eben diese Vielfalt fragmentarischer Interpretationsebenen eröffnet, entzieht er sich einer reinen Oberflächeninterpretation und eröffnet stattdessen eine komplexe Tiefenstruktur mit unzähligen Deutungsmöglichkeiten. Deshalb liest Katarina Yngborn Almqvists Hermitaget als einen Roman über die Problematik des Verstehens und der Auslegung künstlerischer Texte.

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Die weiße Leere als Erzählmotor

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Anschließend wird das Kunstmärchen Sneedronningen von H.C. Andersen analysiert. Die Betrachtung der poetologischen Funktion des Weißen in dem romantischen Kunstmärchen ist aufgrund der engen motivgeschichtlichen Verknüpfung von Farbigkeit und Märchen-/Volksliteratur besonders interessant. Die herkömmlichen Lesarten von Andersens Märchen, die in einem kurzen Abriss vorgestellt werden, lassen sich so um eine neue Dimension erweitern.

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Zunächst zeigt die Verfasserin auf motivischer Ebene die Dominanz der visuellen Wahrnehmung in Andersens Text und beschreibt anschließend in einer topologischen Wendung die Ebene des weißen und des farbigen Feldes im Märchen. Dem weißen Feld der Schneekönigin, das im Rahmen des Märchens mit Verführung und Bedrohung assoziiert wird, ordnet Yngborn sowohl eine magische Dimension als auch eine Dimension absoluter Rationalität zu. Das farbige Feld wird vor allem als lebendig und reich an Emotionen analysiert, in Abgrenzung zu der Gefühlskälte aller mit weiß assoziierten Aspekte des Märchens.

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In der Analyse der poetologischen Dimension des Weißen in Andersens Text finden sich zwei Deutungsmöglichkeiten. Zum einen wird die Paradoxie des Weißen als Farbe und Nichtfarbe auf metatextueller Ebene für Yngborn, die sich hier an Finn Barlbys 1 Analyse des Märchens anlehnt, zum zentralen Ausdruck für den Aufbau des Textes, der auf einer Unzahl paradoxer Strukturen gründet.

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Zum anderen wird das Weiße des Schlosses der Schneekönigin mit einer Leere assoziiert, die gefüllt werden muss, eine Struktur, die von der Verfasserin als weißer Erzählmotor bezeichnet wird. Dieses Bild eines Horror Vacui als »Motor der Erzählung« ist auf der Handlungsebene der Auslöser der Erzählung und auf metatextueller Ebene Auslöser des Erzählens selbst. Das Märchen wird im Rahmen dieses Interpretationsansatzes auf metatextueller Ebene lesbar als Reflexion über den Akt des Erzählens und der literarischen Produktion selbst.

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Das Weiße im Kontext der Psychoanalyse

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Henrik Ibsens Drama Rosmersholm mit seinem dominierenden Motiv der weißen Pferde bietet sich für eine Analyse von Weiß in einem literarischen Text des Fin de Siècle an. Auf motivischer Ebene setzt die Autorin das wiederkehrende Motiv der weißen Pferde zunächst in Verbindung mit Tod und Geisterwelt. Gleichwohl verbildlichen sie aber zentrale psychologische Konflikte des Dramas. Die Antizipation von zentralen Mustern der Psychoanalyse ist in Ibsens Text demnach bereits auf motivischer Ebene nachvollziehbar. Eine neue Betrachtungsebene erschließt die Analyse poetologischer Aspekte des Weißen, die in dem Motiv eines weißen Schals verkörpert werden. Der weiße Schal, der im Stück als Requisit immer wieder an zentralen Momenten in Erscheinung tritt, symbolisiert Ibsens analytische Dramentechnik, indem zentrale psychologische Konflikte verdeckt und aufgedeckt werden und gleichzeitig doch nicht restlos auflösbar sind. Katarina Yngborn zeigt so, wie das Weiße in Ibsens Text zentrale Analysegänge der Psychoanalyse vorwegnimmt und sogar inspiriert.

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Mediale Strukturen der Fotografie

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Der nächste untersuchte Text ist der erste Band von Herman Bangs Autobiographie mit dem vielsagenden Titel Det hvide Hus. In Abgrenzung zu Bang selbst, der sein schriftstellerisches Werk in einen intermedialen Bezug zur Malerei setzte, untersucht Katarina Yngborn den Text in seiner Relation zu Verfahrensweisen der Fotografie. Dieser innovative Zugang eröffnet neue Analysewege, die sich besonders aus den medialen Eigenschaften der Fotografie und aus der Verknüpfung von Fotografie und Erinnerung ableiten lassen.

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Auf motivischer Ebene werden die Kindheitsbeschreibungen des Autors analysiert, die in Det hvide Hus mit der Farbe Weiß verbunden werden. Diese Verbindung ist ein klarer Bezug auf die Deutungsebene von Weiß als Farbe der Unschuld. Gleichzeitig wird das Weiße auch mit der Melancholie des drohenden Todes verknüpft.

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Auf poetologischer Ebene macht Yngborn eine Analogie zu dem neuen Medium Fotografie vor allem an den stilistischen Verfahrensweisen von Bangs Text fest, der zum Beispiel ähnlich einer Schwarz-Weiß Fotografie mit kontrastierenden Gegenüberstellungen von Hell und Dunkel arbeitet oder Verfremdungseffekte der Fotografie in der Beschreibung von Naturphänomenen wie Nebel und Dämmerung nachvollzieht. Die Konzeption von autobiographischer Erinnerung in Bangs Werk zeigt ebenfalls einen Zusammenhang mit der Fotografie, indem die Kindheit als weiße Bildfläche metaphorisiert wird, die sich im Verlauf des Lebens zu dunklen Schattierungen entwickelt, so heißt der zweite Band der Autobiographie bezeichnenderweise Det graa Hus. Yngborn entwickelt auf Basis dieser Untersuchungen ein überzeugendes Modell fotografischer Textgenerierung, bei dem die Farbe Weiß einen entscheidenden Anteil an der Entstehung des Textes hat. Diese aktive Rolle in der »Entwicklung« von Erinnerungen steht in einem Ähnlichkeitsverhältnis zu der impressionistischen Ästhetik Bangs, die auf ein aktives Mitwirken der Rezipienten abzielt:

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Auch in Det hvide Hus wird der Rezipient zu einer aktiven Lektüre herausgefordert: Erst ein Zusammenfügen der einzelnen Attribute des Weißen ergibt ein vollständiges Ganzes, ein vollständiges Bild der beschriebenen Kindheit. Und der Leser ist aktiv beim Textgenerierungsprozess, bei dem – aus dem (weißen) Text-Fotografie-Modell und der Anrufung der Erinnerung hervorgegangenen – Entstehen der Vergangenheit beteiligt. (S. 243)

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Unbeschriebene Blätter und weiße Leinwände

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Der letzte Analyseabschnitt der Dissertation ist zwei Werken des modernism(e) gewidmet, zum einen Karen Blixens Erzählung Det ubeskrevne Blad und zum anderen Hans-Jørgen Nielsens Kunstbuch vedr. Visse foreteelser / en hvidbog. Während das Weiße als entscheidende Gestaltungsfläche des Künstlers in den anderen analysierten Werken im Subtext mitschwang, wird es in diesen beiden Texten explizit thematisiert.

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In Karen Blixens Text wird die weiße Leinwand zum zentralen inhaltlichen Fokuspunkt der Erzählung. Yngborn deutet diese weiße Leinwand in Anlehnung an die christliche Metaphorik des Leinentuches und die von ihr zuvor motivgeschichtlich aufgearbeitete Dimension des Weißen als Farbe der Unschuld und als heilige Farbe. Auf Basis dieser christlichen Motivik und inspiriert von der Paradoxie des Weißen, als Farbe und Nicht-Farbe, kann sie interessante philosophisch-theologische Anknüpfungspunkte zu Kierkegaard, der Antinomie der traditionellen Ikone und zur monochromen Malerei ziehen. Auf poetologischer Ebene attestiert sie Blixens Text eine Nähe zu Walter Benjamins Konzept der wahren auratischen Erzählung, die sich einem archaischen Geheimnis zwar nähert, dieses jedoch nie restlos auflöst. Diese strukturelle Nähe versucht sie in einer etwas vage anmutenden Argumentation an das dem »Weißen innewohnende Geheimnis« anzuknüpfen (S. 275). Das Weiße in Blixens Text verweist so poetologisch auf die auratische Erzählung Benjamins.

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Hans-Jørgen Nielsens Kunstbuch vedr. Visse foreteelser / en hvidbog rückt als zweiter Text des modernism(e) die konkreten medialen Aspekte der weißen Gestaltungsfläche in den Fokus und überschreitet dabei mediale Gattungsgrenzen von bildender Kunst und Literatur. Das schwarz eingebundene Buch enthält fünf weiße Doppelseiten. Auf zwei Doppelseiten verbirgt sich unter weißen Papierlaschen Text. Zum einen der Satz »hvidt – det usynlige nærvær af alt« (S. 3) und zum anderen »hvidt – det synlige fravær af alt.« (S. 10). Die Verfasserin nähert sich Nielsens Werk zeichentheoretisch, indem sie zunächst die ikonische, indexikalische und symbolische Ebene des weißen Blattes untersucht. Ähnlich wie bei Herman Bangs Autobiographie verlangt auch das Weiße in Nielsens Werk eine ausgesprochene hohe Eigenbeteiligung des Rezipienten bei der Entstehung des Kunstwerkes. Auf poetologischer Ebene verweist das Weiße auf typische Merkmale der konkreten Poesie, indem es das Medium Buch, die Schrift selbst und die Gattungsmerkmale der Lyrik in den Fokus rückt. Auch in diesem Text macht Yngborn wieder Verbindungen zur Paradoxie des Weißen aus, so folgt die Interpretation der weißen Seiten des Kunstbuches einer paradoxen Struktur, da man das Kunstwerk gleichzeitig als bedeutungsreich oder sinnentleert wahrnehmen kann. Diese Deutung der paradoxen Eigenschaften des Weißbuches folgt dabei im Wesentlichen herkömmlichen Interpretationsansätzen von Kunstwerken der Nachkriegszeit, die den Fokus auf die Eigenschaften des Mediums und Effekte der Parodie rücken. Selbstverständlich werden in einem solchen Kontext auch die Kompositionen von John Cage und Robert Rauschenbergs White Paintings angeführt. Besonders an zwei Punkten der Interpretation werden jedoch neue Erkenntnisse eröffnet, zum einen im Bezug des Weißbuches auf Heideggers Wahrheitskonzept und zum anderen in der Verortung der Paradoxie des Kunstbuches bereits in der poetologischen Dimension des Weißen als paradoxer Farbe.

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Fazit

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Der Anspruch der Dissertation, sich den Aspekten des Weißen zunächst motivgeschichtlich zu nähern und anschließend poetologische Dimensionen des Weißen zu analysieren und diese in zeitgeschichtliche Kontexte einzuordnen, erweist sich als ausgesprochen fruchtbar. Wie die Autorin selbst am Ende schreibt, scheint das Weiße in literarischen Texten besonders geeignet, »die jedem Text eigene Poetologie zu erfassen« (S. 300). Die Dissertation ist dann besonders überzeugend, wenn sie sich von der motivgeschichtlichen Ebene löst bzw. inspiriert von dieser die poetologische Dimension der Farbe Weiß in den Beispieltexten erarbeitet. Die Analyse des Weißen eröffnet besonders bei dem Roman Hermitaget einen völlig neuen Verstehenshorizont, der sich weit von den herkömmlichen Interpretationen des Textes abhebt.

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Im Rahmen der zeitgeschichtlichen Kontextualisierung des Weißen besticht besonders die innovative Deutung von Ibsens Rosmersholm, dessen enge Verknüpfung mit der Entstehung der Psychoanalyse eben nicht nur auf inhaltlicher Ebene, sondern auch auf einer metatextuellen Ebene zu verorten ist. Hier kann man der Autorin nur zustimmen, wenn sie schreibt »Das Weiße in der Literatur zeichnet seismographisch Entwicklungen der Moderne auf« (S. 300).

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Bereits während des Lesens von Yngborns Dissertation und beim Nachvollziehen der vielfältigen Nutzbarmachungen des Weißen wünscht man sich parallel eine Poetik des Schwarzen zur Hand zu haben. Die Autorin schreibt am Ende des Buches selbst:

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Wie sich […] gezeigt hat, ist das Weiße nicht von seinem Schatten, dem Schwarzen, zu trennen. […] Daran anschließend lässt sich der Verdacht äußern, dass eine erschöpfende Untersuchung der Funktionalisierung des Weißen in der Literatur eigentlich nicht ohne eine entsprechende Untersuchung seines Widerparts zu leisten ist. (S. 302)
 
 

Anmerkungen

Finn Barlby: Det (h)vide speijl. Syv vandringer i fiktionens vide verden. In: Ders. (Hg.): Det h(vide) speijl. Analyser af H.C. Andersens Sneedronningen. Kopenhagen, 2000. S. 165–178.

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