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Historiker im Verlagsprogramm

  • Olaf Blaschke: Verleger machen Geschichte. Buchhandel und Historiker seit 1945 im deutsch-britischen Vergleich. (Moderne Zeit. 22) Göttingen: Wallstein 09.2010. 667 S. zahlr. Abb. Gebunden. EUR (D) 48,00.
    ISBN: 978-3-8353-0757-5.
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Der seit den siebziger Jahren sich formierenden Buchwissenschaft wird gelegentlich vorgeworfen, es mangele ihr, bei aller interdisziplinären Offenheit, an eigener Methodik und an Selbstreflektion. 1 Ein historisch-empirischer Ansatz, der jeder Theoriebildung vorausläuft, kann da durchaus hilfreich sein. So beginnt Blaschke in seiner 40-seitigen Einleitung mit der Beantwortung arbeits-methodischer Fragen (Warum Geschichte als Fallstudie? Wozu ein internationaler kontrastiver Vergleich?), mit der Klärung der Begriffe (Verleger, Verlage, Buchhandel), und mit einer Bestandsaufnahme der zeitgeschichtlichen Forschung. Danach befasst er sich in seinem umfangreichen ersten Kapitel »Der Buchhandel im 20. Jahrhundert im Überblick« mit Fragen der Periodisierung und Dimensionierung, also mit der Modernisierung, Professionalisierung und Organisation einer Branche, die zwischen Politik, Kultur und Kommerz ihren Platz sucht. Schon in diesem allgemeinen Teil der Untersuchung wird deutlich, dass der Verfasser, bevor er zu allgemeinen Begriffen kommt, auf eine Fülle von materiellen Einzelnachweisen setzt, und Exkurse nicht scheut, etwa in die Altersstatistik und die Besitzveränderungen deutscher und englischer Geschichts-Verlage, oder in die Geschichte des Börsenvereins. Es wird zudem deutlich, dass der fortlaufende Vergleich mit Großbritannien dazu dient, die in Deutschland herkömmliche Nationalisierung der Buchhandelsgeschichte zu relativieren und zugleich kenntlich zu machen. Im zweiten, historiographischen Kapitel geht es zunächst um die Seite der Produzenten: »Das deutsche und britische Historikerfeld im Überblick«. Auch hier wird es konkret, die unterschiedliche Bedeutung des Jahres 1945 in Deutschland für die Periodisierung einerseits, die Praxis der Geschichtsschreibung andererseits wird unter Namensnennung beschrieben, die Ausbreitung und Professionalisierung des Hochschul-Faches in beiden Ländern zahlenmäßig dargestellt, die Produktion von »Amateuren« ernst genommen. Und bei allen Gemeinsamkeiten sieht der Verfasser Unterschiede: »Der Individualismus der britischen Historiker [...] spiegelt sich in pluralistischen Geschichtsprogrammen wider, während die deutsche Kontroversenkultur« stärker an Schulen und Denkstile gebunden erscheint (S. 188). Im weiteren Sinne marktbezogen sind die folgenden Kapitel über die Konjunktur des Geschichtsbuches und die Verlagsprofile. Eine dichte Folge von Graphischen Darstellungen zur Programmstatistik einzelner Verlage, zur Platzierung historischer Qualifikationsarbeiten und zu »Wunschverlagen«, diese aufgrund eigener Erhebungen des Verfassers, unterstützt den Text. Die Unterscheidung von Verlagstypen, sonst oft eine Ansammlung hilfloser Rubrizierungen (»Fachverlag«, »Publikumsverlag«), wird hier zur Methode der Programmanalyse entwickelt.

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Paarbeziehungen

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Auf der so geschaffenen materiellen Grundlage können dann die beiden Kapitel »Verleger und ihre Historiker« und »Historiker und ihre Verleger« das Kommunikations- und Beziehungsgeflecht zwischen den handelnden Personen von beiden Seiten beleuchten, und die jeweiligen Strategien und Motive beschreiben. Unter den behandelten Verlagen sind nicht nur die offenkundig zuständigen, wie Oldenbourg, Beck (und dank umfangreicher Quellen besonders detailreich) Vandenhoek & Ruprecht, sondern auch S. Fischer oder die Europäische Verlagsanstalt zu finden. Auch hier sind Namen wichtig, nicht zuletzt die der meist ungenannten Verlagslektoren, die Blaschke aus »unzähligen Quellen« zusammen getragen hat (Anm. 29, S. 367).

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»Reputation« und »Distinktion«, zwei wiederkehrende Begriffe in diesem Buch, spielen nicht zuletzt in den von außen kaum einsehbaren Verlags-Verhandlungen von Autoren und dem Gruppenverhältnis von Verlagsautoren untereinander eine Rolle, schließen aber Geld-Interessen nicht aus. Ausführliches über Verlagsbindungen erfahren wir unter anderen von den britischen Historikern A.J.P.Taylor (S. 411–416) und G.M.Trevelyan (S. 419–422), aber auch von Günther Franz einerseits (S. 422–427) und Ulrich Wehler andererseits (S. 442–446) – jeweils mit übersichtlichen »Bibliogrammtafeln«. So lässt das Kapitel »Historiker und ihre Verlage« Licht in meist verborgene Beziehungen fallen.

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Im siebenten Kapitel »Das Werk und sein Schicksal« soll es dann um das Produkt Geschichtsbuch selbst, seine Akquisition, Produktion und Distribution gehen. Hier sind Rekurse auf schon beschriebene Prozesse zwischen Autor, Verlag und Öffentlichkeit unvermeidbar, und der Weg vom Autor zum Leser verliert sich in den Einzelheiten. Ähnlich »vermischt« erscheint das materialreiche Schlusskapitel über geschichtswissenschaftliche Zeitschriften in Deutschland und England.

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Historiographisches

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Was als Geschichtsschreibung vor Augen liegt, geht nicht zuletzt auf die Systematik und Mitwirkung von Verlagen zurück – auf dieser Grundthese von Olaf Blaschke beruht die Untersuchung. (Natürlich gilt Ähnliches für Presse und Fernsehen, aber das ist hier nicht das Thema.) Mit unbeirrter Sachlichkeit und ausgebreiteten Detailkenntnissen, vertraut mit Verlagsarchiven und zeitgeschichtlichen Zeugnissen, und gestützt auf die im Lande gewonnene Bekanntschaft mit dem englischen Wissenschaftsbetrieb hat er ein Buch geschrieben, das trotz seines Umfangs zu konsequenter Lektüre einlädt und durch die Originalität seiner Einsichten besticht. Die Interessen und Strategien von Historikern wie von Verlegern erweisen sich hier als die oft verborgenen Produktionsmittel einer nur scheinbar interessefreien Geschichtsschreibung, wobei das akkumulierte Kapital sowohl monetärer, wie sozialer und symbolischer Art sein kann. Der Vergleich zweier äußerlich ähnlicher, in der Tendenz aber sehr verschiedener Nationalgeschichten ist in beiden Richtungen ertragreich. Im Unterschied zur herkömmlichen Verlagsgeschichte interessiert sich der Verfasser für die vertikalen (hierarchischen) und horizontalen (thematischen) Dimensionen des »Verlagsraums«, in dem sich Autoren orientieren, ein Ansatz, der für jede Art von Buchproduktion genutzt werden könnte. Die Form der materialgestützten Betrachtung hat dabei große Vorteile, geht aber mit kleinen Nachteilen einher, wenn es um die Formulierung allgemeiner Erkenntnisse geht. Gerade die beiden letzten Kapitel zeigen dies: Wo das Material ohne zwingende Absicht zusammengetragen wird, bleibt es Material.

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Fazit

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Noch einmal deutlich hervorzuheben ist die Ausstattung des Buches mit einer Fülle von originellen Statistiken, Tabellen und Abbildungen, die den Text stützen und beleben. Zu loben ist auch ein integrales Register, das Personen-, Organisations- und Firmennamen sowie Sachwörter wie »Left Book Club«, »Historikertage« oder »Dissertationen« enthält, und die Titel von Sammlungen und Reihen kursiv wiedergibt.

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Bleiben Wünsche offen? Unternehmenshistoriker und Betriebswirte werden darauf hinweisen, dass Verlage als Gewerbebetriebe den Gesetzen des Marktes folgen und sich daher durch die Absichten und das kommunikative Handeln von (selbständigen) Verlegern und (abhängigen) Lektoren nicht vollständig beschreiben lassen. Eben dies relativiert auch die Rolle des »kreativen« Verlegers als natürliche Person, der, wie immer wieder anerkennend hervorgehoben wird, als Auftraggeber wirkt, Werke und Reihen konzipiert und so persönlich in die »Geschichtsproduktion« eingreift. Dabei ist zu bedenken, dass vieles, was Olaf Blaschke über das spannungsreiche Verhältnis von Autor und Verleger berichtet, deutliche Züge einer vergehenden Periode trägt. Der Autor sieht das, vermag allerdings keine Krisensituation zu erkennen (S. 573). Ist der Sturm der Digitalisierung (zu diesem Stichwort hat das Register nur zwei Verweise) nicht längst dabei, auch in diesem Feld gründliche Veränderung zu bewirken?

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Ein Sonderfall ist im deutsch-britischen Vergleich »strikt ausgeklammert« (S. 50), nämlich der des Verlags- und Wissenschaftsbetriebes in der DDR. Auch wenn es hier um staatlich angeleitete Unternehmen und eine methodisch festgelegte Geschichtsschreibung geht, wäre zumindest ein Hinweis auf die schwierigen, aber bestehenden Querverbindungen zur alten Bundesrepublik und zum westlichen Ausland nicht überflüssig gewesen. Die Geschichte des Buchhandels im 20. Jahrhundert kann am grenzüberschreitenden Bücher- und Personenverkehr zwischen den beiden deutschen Staaten nicht vorbeigehen.

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Schließlich: Wenn eine geschichtswissenschaftliche Veröffentlichung sich mit der Veröffentlichung von Geschichtswissenschaft befasst, ist das auch ein Platzierungs-Problem für den Autor, denn gesucht wird dann ein Verlag, der im Fach kompetent, damit aber prinzipiell selbst Gegenstand der Untersuchung ist. In diesem Fall war das der Göttinger Wallstein Verlag, und legitimer weise wird im Register sechsmal auf ihn verwiesen. Die Verlagsredaktion besorgte in Freiburg Jörg Später (FRIAS School of History).

 
 

Anmerkungen

Näheres dazu jetzt in: Buchwissenschaft in Deutschland. Ein Handbuch. (Band 1). Hg. v. Ursula Rautenberg. Berlin: de Gruyter 2010.   zurück