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Licht im Dunkel?

„Frauen, Philosophie und Bildung im Zeitalter der Aufklärung“

  • Sabine Koloch (Hg.): Frauen, Philosophie und Bildung im Zeitalter der Aufklärung. Berlin: trafo 2010. 315 S. Paperback. EUR (D) 29,80.
    ISBN: 978-3-89626-958-4.
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Frauen in der Aufklärung

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Es gibt Sammelbände, die dem Anhäufen und Darlegen von Informationen und Quellen den Vorzug vor einer systematischen Analyse geben. Frauen, Philosophie und Bildung im Zeitalter der Aufklärung, herausgegeben von Sabine Koloch, ist einer davon. Das Buch kündigt an, sich u.a. an Philosophiehistoriker/innen, Pädagogen/innen und Kulturwissenschaftler/innen zu wenden, und sich mit einer bisher marginalisierten Seite der Aufklärung zu beschäftigen: der Bildung der Frauen. Der Band besteht aus 11 Aufsätzen, die thematisch 4 Teilen zugeordnet sind, die folgende Schwerpunkte behandeln:
I. Bildungspioniere, II. Wissenskultur und Wissenstransfer, III. Produzentinnen und Adressatinnen philosophischen Wissens und IV. Philosophisch gebildete Frauen.

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Sabine Koloch vertritt in ihrer Einleitung die durchaus plausible These, dass das 18. Jahrhundert eines der philosophischen Bildung der Frauen gewesen sei (Vgl. S. 10). Gemeinsam mit den Beiträger/innen verfolgt sie das Ziel, durch die genaue Untersuchung historischen Quellenmaterials der Marginalisierung der Frauen nachzuspüren und festzustellen, welche Frauen sich überhaupt mit philosophischen Ideen beschäftigten:

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Im engeren Sinn handeln die folgenden Aufsätze von der weiblichen philosophischen Kompetenz und deren Voraussetzungen, von den Sach- und Sprachkundigen beiderlei Geschlechts, die philosophisches Lehr- und Anschauungsmaterial veröffentlichten oder in andere Sprachen übersetzten und von den in das bisweilen als Ware gehandelte Bildungsgut »Philosophie« investierten pädagogisch-didaktischen, rhetorisch-strategischen und kulturvermittelnden Anstrengungen. (S. 10)
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Dies klingt vage und bleibt es auch im gesamten Sammelband, was vor allem durch die Vorgehensweise der einzelnen Texte begründet ist. Erwarten könnte die Leserin von den Beiträgen eine eingehende Analyse der Quellen mitsamt einer innovativen Forschungshypothese zu unbekanntem historischem Material. Stattdessen liefern die meisten Autoren/innen eine bloße Aufzählung und Aneinanderreihung historischer Fakten und reine Inhaltsangaben.

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Nun erhofft man sich in der Einleitung einige Klarheit bezüglich einer systematischen These oder eines zusammenhängenden Diskurses, der die Aufsätze miteinander verbindet. Was man erhält, ist eine unsortierte und globale Aufzählung verschiedenster thematischer Stränge zum Thema ›Emanzipation der Frau in der Aufklärung‹, wie etwa die Zugangsmöglichkeiten zu Bildung oder die Existenz weiblich geführter Salons (S. 25). Allerdings ist diese Zusammenstellung derart allgemein gehalten, dass in der Einleitung nicht explizit wird, was das Spezifische und Innovative dieses Bandes sein soll.

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Besonders bemerkenswert ist der programmatische Vorsatz der Aufsatzsammlung, sich außerdem mit dem Thema »Macht« von Frauen zu beschäftigen:

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Im weiteren Sinne handelt der vorliegende Band von Macht in ihren vielfältigen Erscheinungsformen, doch wird der Macht von Frauen angesichts teilweise gravierender Forschungsdefizite mehr Aufmerksamkeit geschenkt als der Macht von Männern. (S. 30)
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Bemerkenswert ist dieser Vorsatz deswegen, weil sich darin eine These anzukündigen scheint, die das Zeug hätte, die einzelnen Texte thematisch zu verknüpfen. Leider geschieht dies nicht. Die Macht von Frauen bzw. Männern im Verhältnis zueinander wird zwar sporadisch erwähnt, jedoch werden die »verschiedenen Erscheinungsweisen« nicht ausgeleuchtet, geschweige denn grundlegend analytisch durchdrungen. Gerade dies hätte sich aber anhand des behandelten Quellenmaterials angeboten. Ein zweites Detail überrascht die Leserin hier ebenfalls. Sollte es nicht selbstverständlich sein, dass ein Sammelband, der dezidiert die Rolle der Frau in der Aufklärung zum Gegenstand hat, sich vorrangig der Macht von Frauen widmet? Dies muss nicht eigens gerechtfertigt, sondern emanzipativ-selbstbewusst herausgestellt werden.

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Männerpädagogik für die Frau des 18. Jahrhunderts

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Hanspeter Marti untersucht im ersten thematischen Teil »Bildungspioniere« das Bildungsprogramm von Christian Thomasius und weiterer Autoren, die zwischen 1680–1720 Bildungsprogramme für Frauen entwarfen (Vgl. S. 37). Eine der von ihm aufgeworfenen Fragen lautet, inwieweit sich aus diesen Programmen der Frühaufklärung Erkenntnisse einer ersten Frauenförderung gewinnen lassen (Vgl. S. 59). Das klingt zunächst interessant, mündet aber in eine akribische Darlegung bestimmter Dissertationspraktiken des 18. Jahrhunderts, die bisher anscheinend in der historischen Analyse unbeachtet blieben (S. 39). In diesen wurde, nach Marti, häufig lediglich die Frage diskutiert, ob Frauen überhaupt zu höherer Bildung fähig seien. Der Erkenntnisgewinn aus Martis Beitrag ist allerdings gering und besteht darin zu konstatieren, dass Thomasius, obwohl er konservative Tendenzen hatte, einer der ersten Frauenförderer war. Das ist für einen Aufsatz von fast 50 Seiten wenig spezifisch Neues zum Thema der Frauen in der Aufklärung.

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Neues Interesse weckt der Beitrag von Christian von Tschilschke. Angeregt durch die rationalistische Philosophie René Descartes’ und deren Dualismus von Körper und Geist, behandelt er François Poullain de la Barre, einen Autor des »cartesianischen Feminismus«, dem die Aussage zugerechnet wird, der Verstand habe kein Geschlecht (S. 87). Anschließend wird aber nicht etwa de la Barre selbst unter die Lupe genommen, sondern lediglich die deutsche Rezeptionsgeschichte seiner Lettre Curieuse (1702) nachgezeichnet. Auch von Tschilschkes Artikel entbehrt einer schlagenden These zur Frage der Rolle der Frauen in der Philosophie der Aufklärung.

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Heidemarie Bennent-Vahles Beitrag, der den ersten thematischen Teil beschließt, konfrontiert die Leser/innen erneut mit einer reinen Wiedergabe historischer Fakten. Dargestellt wird die Einstellung von Johann Mayer, einem Regensburger Professor im 18. Jahrhundert, und einem anonymen Verfasser von Schriften zur Möglichkeit philosophischer Frauenbildung. Bennent-Vahles Text mangelt es an sprachlicher Distanz zum Untersuchungsgegenstand, wodurch an manchen Stellen ihres Aufsatzes offen bleibt, welche Argumente sie aus den analysierten Texten reproduziert, und was ihre eigenen Erläuterungen sind. Außerdem fehlt es dem Aufsatz an Konzentration auf das Thema des Sammelbandes und an argumentativer Stichhaltigkeit. So schreibt Bennent-Vahle:

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In Abgrenzung gegen die geläufigen, vielfach noch rückständigen Lehrstoffe und Unterrichtsmethoden macht er [Johann Mayer] sich für die dem neuartigen Denken zugehörigen Fächer stark und darüber hinaus für die Partizipation der Frauen an den neuen Bildungsidealen. Dies ist schon recht viel. Ihm anzukreiden, dass er aus Frauen keine Denkerinnen von Profession machen wollte, ist angesichts seiner spezifischen Arbeitsbedingungen und Lebensumstände in Regensburg nicht unproblematisch. (S. 134 f.)
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Hier irritiert einerseits die wertende Stellungnahme zum Denken Mayers, ihres unklaren Erkenntniswerts wegen. Andererseits verärgert dieser Aufsatz die feministisch-philosophischen Leserin, weil er sich mehr mit der Situation Mayers als mit der der Frauen in der Bildungspolitik auseinandersetzt.

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Wissenskulturen?

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Der zweite thematische Teil des Sammelbandes, der »Wissenskulturen und Wissenstransfer« gewidmet ist, wird eingeleitet von Frauke Böttcher. Sie nimmt sich die Untersuchung zweier Lehrbücher für Frauen vor, die sich mit der Wissensvermittlung der Naturphilosophie Isaac Newtons befassen. Im Vordergrund steht die Betrachtung der Vermittlungskonzepte naturphilosophischen Wissens für Frauen. Diese Betrachtung bildet die Grundlage für die Analyse des Austausches zwischen höfischer und akademischer Wissenskultur (S. 147). Nachdem Böttcher zunächst die Inhalte der Lehrbücher von Francesco Algarotti Il newtonianismo per le dame (1737) und Emilie du Châtelet Institution de physique (1740) detailliert rekonstruiert, und die spezielle Aufbereitung des Wissens für Frauen herausstreicht, werden im weiteren Verlauf des Textes Vermutungen über eine potentielle Leserinnenschaft der Bücher angestellt. Auch die Vorbildfunktion der gebildeten Marquise Châtelet wird betont. Das reichhaltige Material wird von Böttcher weitgehend reproduziert. Hier hätte man sich mehr Ordnung im rekonstruierten Diskurs gewünscht, so dass zentrale Aspekte und Erkenntnisse deutlich hervortreten.

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In La belle Wolfienne: Strategien der Wissenstransformation von Annett Volmer wird, im Gegensatz zu den bisher historisch verfahrenden Darstellungen, ein linguistischer Zugang zu dem Quellenmaterial gewählt, der das Konzept der Vulgarisierung als zentrale Analysekategorie benutzt. Dieser Begriff ist dem Französischen entlehnt und entspricht im Deutschen etwa dem der»Popularisierung«. Ursprünglich ist mit ›vulgarisation scientifique‹ (S. 174) eine Strategie der Wissenstransformation und Wissensverbreitung gemeint. Vulgarisierungen »übersetzen« also eine schwer verständliche Theorie in eine für ein breites Publikum leichter zu rezipierende Form. Als »Mittel der Vermittlung« von Wissen zwischen heterogenen Rezipienten/innenkreisen war sie im 18. Jahrhundert weit verbreitet (Vgl. S. 174).

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Volmer untersucht Jean-Henri-Samuel Formeys Roman La belle Wolfienne mit Rückgriff auf das Konzept der Vulgarisierung. In diesem sechs Bände umfassenden Text, so Vollmers These, wird in den ersten drei Bänden die philosophische Theorie Christian Wolffs vulgarisiert, während die letzten drei Bände reine Übersetzungen sind. Formey inszeniert in den vulgarisierten Teilen der Belle Wolfienne verschiedene fiktive Dialoge über die Philosophie Wolffs. Die Protagonistin des Romans ist eine junge Frau namens Espérance. Als Verkörperung der Belle Wolfienne steht sie in einem fiktiven Dialog mit der Ich-Erzählinstanz. Die Form eines literarischen Textes zur Vermittlung von Wissen sollte die Philosophie Wolffs für unterschiedliche Bildungsniveaus anschaulich und verständlich machen.

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Insgesamt ragt Volmers Analyse durch Klarheit in der Vorgehensweise aus dem Aufsatzband hervor, jedoch überrascht das abrupte Ende des Textes. Die Argumentation erscheint dadurch etwas verkürzt, wodurch die gewonnenen Erkenntnisse nicht ausreichend erläutert werden.

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Wer, wann, wo?

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Unter dem Titel Produzentinnen und Adressatinnen philosophischen Wissens versammeln Marie-Hélène Quéval und Felicitas Marwinski eine Zusammenstellung gebildeter Frauen im 18. Jahrhundert. Luise Gottscheds Leben steht im Mittelpunkt von Quévals Aufsatz. Ihr Bildungsweg, ihre philosophischen Interessen und ihr Wirken als Übersetzerin werden ausführlich dargelegt. Wie der Titel des Textes Gelehrte Frauen in der Deutschen Gesellschaft zu Jena von Marwinski bereits ankündigt, behandelt der Text die erstmalige Zulassung der Frauen zu dieser Gesellschaft und beleuchtet deren Bildungshintergründe. Dies mündet in Feststellungen wie: »Wenngleich die sieben Autorinnen im literarischen Leben ihrer Zeit kaum Spuren hinterließen, befanden sich unter ihnen immerhin drei mit dem Lorbeerkranz gekrönte Poetinnen.« (S. 252) Allein: Wem dient diese Aussage? Beide Texte haben den Charakter einer Aufreihung der Lebensstationen gebildeter Frauen während der Aufklärung. Leider stehen die so gewonnenen Porträts unvermittelt da. Dabei hätte man gerade im Kontext dieses Themas die (Ohn-)Macht von Frauen eingehender untersuchen können, die gegen hegemonial-patriarchale Ausschlussmechanismen ankämpften, weil diese verhinderten, dass gebildete Frauen eigenständige Theorien entwerfen konnten.

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Nachschlagewerk?

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Der letzte thematische Teil »Philosophisch gebildete Frauen« bestätigt die bisher gemachten Lese-Erfahrungen noch einmal in vollem Maße. In Ute Küppers-Brauns Aufklärung in Damenstiften – Historische Annäherungen an ein weitgehend unbeachtetes Forschungsfeld wird die Rolle der Frauenstifte als Orte der Selbstaufklärung von Frauen betrachtet. Verschiedene Äbtissinnen, die alle im 17. Jahrhundert wirkten – wie Elisabeth von der Pfalz oder Anna Amalia von Preußen – werden vorgestellt. Küppers-Brauns »These« besteht dann darin festzustellen, dass sich im 18. Jahrhundert in den Damenstiften ein neuer Frauentypus herausbilden konnte (S. 267), der sich mit Bildung und Wissen beschäftigte. Küppers-Braun streicht vor allem die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Damenstifte heraus. Besonders versucht sie herauszuarbeiten, welchen Stellenwert die Stiftsdamen im Prozess der Aufklärung hatten. Ihr Fazit besteht darin, den Frauen zwar ein Maß an Bildung zuzuschreiben, jedoch gingen die Stiftsfrauen noch nicht von der Notwendigkeit einer radikalen Vernunftaufklärung aus. Ähnlich wie bei der Vorstellung der »Produzentinnen philosophischen Wissens«, im 3. Teil des Bandes, bleibt dies mehr eine Zusammenstellung wichtiger Informationen, als die produktive Zusammenführung der einzelnen Vorstellungen auf eine These.

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Die letzten beiden Beiträge gehen dem Aufbau zweier Bibliotheken auf den Grund. Ursula Röper nimmt den Bestand einer Zisterzienserinnenbibliothek in den Blick. Sie erforscht die Identität der umfangreichen Heiligengraber Damenbibliothek und zeigt, dass die Konventualinnen sich bereits mit den philosophischen Gedanken ihrer Zeit befassten (Vgl. S. 292). In dem Text von Anke Bennholdt-Thomsen und Alfredo Guzzoni steht der Inhalt der Privatbibliothek der Landgräfin Caroline von Hessen-Homburg im Vordergrund. Man bekommt eine katalogartige Darstellung des Bestands der Bibliothek. Dazu werden ihre zentralen Titel und Themengebiete aufgelistet. Aus diesem unorganisierten Material ziehen die beiden Autoren/innen Schlüsse auf den Bildungsstand der Landgräfin. Beide Texte haben den Charakter einer ungeordneten Aufzählung, weil sie nicht Wichtiges von Unwichtigem trennen, sondern alles in ihre Darstellungen mit einbeziehen. Dadurch verliert man sich in den Wirren der Nennungen von Titeln und Büchern, bis man – vollends überfordert von so viel Material – das Lesen am liebsten aufgeben möchte.

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Fazit

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Frauen, Philosophie und Bildung im Zeitalter der Aufklärung erweckt insgesamt den Eindruck eines Nachschlagewerks. Sicher ist es hochinteressant und sinnvoll, einen marginalisierten Diskurs wie den der Bildung der Frauen in der Aufklärung zu untersuchen, doch darf eine solche Untersuchung nicht bei der Nennung historischen Materials stehen bleiben. Sie muss versuchen, Zusammenhänge und Deutungsvorschläge zu machen, die über eine bloße Einordnung des Materials in den historischen Zusammenhang hinausgehen.

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Der gewählte Titel ist zumindest für Philosophinnen irreführend, weil es letztlich nicht um das Nachvollziehen eines philosophischen Arguments oder die Analyse philosophischer Ideen von Frauen der Aufklärungszeit geht. Stattdessen versammelt der Band Beiträge, die eher den Charakter von Lexikonartikeln haben. Philosophische Ideen werden allerhöchstens genannt und stehen dann unvermittelt neben der Darstellung historischer Quellen.

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Was der Sammelband bietet, ist eine Reihe von Aufzählungen und Aneinanderreihungen von Fakten über das Leben und Wirken von Frauen sowie ihrer Bildungschancen. Was jedoch insgesamt fehlt, sind innovative Thesen oder eigenständige und ungewöhnliche Feststellungen über dieses oder mit diesem historischen Material. Die Texte verfolgen nur unzulänglich und sporadisch eine systematische These. Philosophisch erhellend ist der Sammelband nicht.