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Die Rezension von Prof. Dr. Natalie Binczek zu Rautenberg, Ursula (Hg.): Buchwissenschaft in Deutschland. Ein Handbuch. Teilband 1 finden Sie hier: http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=3285.
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Der zweite Teilband des Handbuchs umfasst die vier thematischen Blöcke »Fachkommunikation und Fachgesellschaften«, »Studium und Lehre«, »Forschungsbibliotheken und Museen« sowie »Bibliophilie und Buchkunst«. Die Beiträge zu diesen Themengebieten umfassen jeweils mehrere Überblicksdarstellungen, die meist referierend über die Struktur und institutionelle Verortung der Disziplin Auskunft geben. Hier geht es nicht mehr vorrangig um Forschungsberichte oder die theoretische Positionierung der Buchwissenschaft im Fächerkanon, sondern um eine aktuelle Bestandsaufnahme von Formen und Funktionen buchwissenschaftlicher Einrichtungen.
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Facheinrichtungen stellen sich vor
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Eingeleitet wird der Teilband mit einem Überblick über die analogen und digitalen Medien sowie die Institutionen der Fachkommunikation, wozu sowohl Fachportale im Internet, aber auch traditionelle Einrichtungen wie Arbeitskreise gehören. Konrad Umlauf gibt einen umfassenden Überblick über buchwissenschaftliche Lehr- und Fachbücher sowie Fachlexika. Über hundert Seiten diskutiert Umlauf kritisch die Vorzüge und Mängel der einschlägigen Titel und bestreitet damit dem umfangreichsten Beitrag (S. 603–711). Der Aufwand hat sich allerdings gelohnt, der Leser erhält eine gute Einführung in die entsprechende Fachliteratur: Wörterbücher und Lexika, Lehrbücher für den buchhändlerischen Nachwuchs, die sich in den meisten Fällen auch in universitären Bibliotheken finden lassen, Einführungen in die buchhändlerische und verlegerische Praxis mit betriebswirtschaftlichem Bezug oder mit Schwerpunkt auf Medienmanagement sowie monographische Darstellungen zum Buch werden auf ihre Brauchbarkeit hin überprüft. Umlauf benennt als Desiderate eine buchwissenschaftliche Monographie, die ins Fach einführt, und eine theoretische Fundierung auf der Basis einer Semiotik des Buchs (S. 704 f.). Diese Forderungen sind nicht neu und allseits im Fach seit Jahrzehnten bekannt. Es ist auch nicht abzusehen, dass das Bedürfnis nach theoretischer Einordnung des Buchs und disziplinärer Abgrenzung kurzfristig befriedigt wird.
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Auf Umlaufs Rundschau folgt Thomas Stäcker, der Projekte, Kataloge und Portale, die die Digitalisierung buchhistorischer Quellen vorantreiben, skizziert und damit die elektronischen Hilfsmittel ins Zentrum rückt, die der buchhistorischen Forschung zur Verfügung stehen. Außerdem wirft er als zweiten Aspekt Forschungsfragen auf, die sich auf die neuen Medien als Untersuchungsgegenstand der Buchwissenschaft beziehen. Christof Capellaro und Oliver Duntze stellen dann das Wissenschaftsportal b2i vor, das dem Nutzer sowohl bibliographische Datenbanken als auch elektronische Volltextausgaben anbietet.
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Schließlich werden drei Fachgesellschaften präsentiert: (1) nämlich die altehrwürdige Historische Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels (Monika Estermann), auf deren Initiative bekanntermaßen eine beachtliche Anzahl von buchhandelshistorischen Standardwerken und Fachzeitschriften entstanden ist; (2) der Wolfenbütteler Arbeitskreis für Bibliotheks-, Buch- und Mediengeschichte (Peter Vodosek), der 1999 aus den seit den 1970er Jahren bestehenden Arbeitskreisen für Geschichte des Buchwesens und Bibliotheksgeschichte hervorgegangen ist, und (3) die noch sehr junge, 1998 gegründete Internationale buchwissenschaftliche Gesellschaft. Es fehlt in dieser Riege der Leipziger Arbeitskreis für Geschichte des Buchwesens, um den es allerdings in den letzten Jahren ohnehin sehr still geworden ist.
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Studiengänge rund ums Buch
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Nach den Fachgesellschaften folgen im zweiten Themenblock die Selbstdarstellungen der universitären buchwissenschaftlichen Studiengänge in Deutschland und der Schweiz sowie der buchbezogenen Studiengänge an den deutschen Fachhochschulen, an deren reizvoller Gegenüberstellung sich Ähnlichkeiten und Differenzen ablesen lassen. Die Profilbildung der einzelnen Studiengänge zeigt durchaus unterschiedlich reflektierte Zugangsweisen zum Untersuchungsgegenstand Buch, und es werden dann auch in Anknüpfung an den ersten Teilband unterschiedliche Konzepte buchwissenschaftlicher Forschung und Lehre sichtbar. Die Beiträge dokumentieren durchweg das ungebrochene Interesse am Forschungsgegenstand Buch. Die Verortung der Buchwissenschaft als eigenständige Disziplin an deutschen Universitäten ist noch jung, alle Institutsgründungen fallen in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Auf einen Bericht über den Studiengang Buchwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg von Volker Titel folgt die Vorstellung der Leipziger Buchwissenschaft durch Thomas Keiderling und Siegfried Lokatis, dann Stephan Füssel, der das älteste der buchwissenschaftlichen Institute in Mainz (gegründet 1947) charakterisiert; des Weiteren werden die an der Universität München angebotenen Studiengänge von Christine Haug und Franziska Mayer erläutert. Differenzierungen zwischen den fast gleichlautenden Studiengängen ergeben sich aus den jeweiligen Forschungs- und Lehrschwerpunkten, die aus jeweils spezifischen Traditionen erwachsen sind, auch aus den Anbindungen an benachbarte Fächer, inneruniversitären Entwicklungen und unterschiedlichen Umsetzungen der sogenannten Bologna-Reform. Es kann hier nicht Aufgabe sein, die Profile der Studiengänge einzeln kritisch zu würdigen, fest steht jedoch, dass alle Facetten der buchwissenschaftlichen Studiengänge (kulturwissenschaftlich, medienwissenschaftlich, betriebswirtschaftlich und sozialgeschichtlich orientiert) zur erfolgreichen Positionierung der Buchwissenschaft als Disziplin im Fächerkanon beitragen und über mangelnde Nachfrage von Seiten der Studierenden nirgends geklagt werden kann; im Gegenteil: fast alle universitären Institute beziehungsweise Studiengänge entfalten sich personell und erfreuen sich steigender Studierendenzahlen.
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Institutionalisiert ist die Buchwissenschaft auch an der Universität St. Gallen. Werner Wunderlich berichtet über das stark interdisziplinär angelegte Lehrprogramm, das Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaft, Rechtswissenschaft wie auch Kulturwissenschaften umfasst. Dieser Ansatz ist dem
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Verständnis von der Buchwissenschaft als einer sogenannten Querschnittswissenschaft, die sich aus verschiedenen, auf einen Gegenstand fokussierten Disziplinen zusammensetzt (S. 922)
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geschuldet. Im Gegensatz zu den deutschen Studiengängen, wird in der Schweiz aus diesem Grund auch von Buchwissenschaften (Plural !) gesprochen. Entsprechend meint der Begriff Buchwissenschaften
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eine Gesamtheit von Teildisziplinen und ihrer Erkenntnisse, die sich auf den Gegenstandsbereich Buch beziehen und nach theoretisch begründeten und praktisch erprobten Methoden erworben, systematisch geordnet sowie verständlich erklärt werden und in einem intersubjektiv nachvollziehbaren Begründungszusammenhang stehen, [...]. (S. 922)
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Damit umgeht man geschickt die Frage nach der Autonomie des Fachs. Die Bestimmung der Kontexte, in denen das Buch betrachtet wird, sind allerdings keine ausschließlich Schweizer Spezialität, sondern lassen sich auch unschwer in den Konzeptionen der deutschen Studiengänge nachweisen. Die Verwendung von Singular oder Plural zur Fachbezeichnung erscheint daher eher als eine Frage der gewollten Begriffskosmetik. Für eine Fachdefinition fruchtbringend wäre allerdings die Beantwortung der Frage, ob sich das Fach vom Untersuchungsobjekt oder von der Erkenntnismethode und den Denkformen her definiert.
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Im Nachbarland Österreich existiert kein buchwissenschaftlicher Studiengang, was aber nicht heißt, dass dort keine Buchforschung betrieben würde. Johannes Frimmel verweist beispielsweise auf die bekannten, in Wien entstandenen verlagshistorischen Arbeiten Murray G. Halls oder Alberto Martinos Leihbibliotheksforschungen.
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Die an den Fachhochschulen angebotenen, eher praxisorientierten Studiengänge mit ihren Spezifika präsentieren Ernst-Peter Biesalski (HTWK Leipzig), Ulrich Ernst Huse (Hochschule der Medien, Stuttgart) und Julia Blume (Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig). Wolfgang Schmitz wirft schließlich einen Blick auf die Geschichte und den inhaltlichen Wandel der Bibliothekswissenschaft. Buch- und bibliothekshistorische Themen sind nur noch am Rande in der bibliothekarischen Ausbildung vertreten, sie werden sowohl an der Universität als auch an der Fachhochschule allmählich zugunsten bibliotheksmanagementorientierter Themen verdrängt (S. 908 f.).
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Forschungsbibliotheken und Museen
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Im dritten Themenblock widmen sich die Autoren den außeruniversitären Orten der buchwissenschaftlichen Forschung. Dazu gehören selbstverständlich die Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel (vorgestellt von ihrem Direktor Helwig Schmidt-Glintzer) und das Deutsche Literaturarchiv in Marbach am Neckar (vorgestellt von der Leiterin der Bibliothek des DLA Jutta Bendt). Beide Einrichtungen sind mit ihren Archivalien und Büchern unverzichtbar für buchwissenschaftliche Arbeiten von der Inkunabelzeit bis zur Gegenwart. Nicht nur Forscher von außerhalb profitieren von den reichen Beständen dieser beiden, sondern die Institutionen selbst stemmen – meist drittmittelunterstützt – eine Fülle von Projekten, die der Erschließung, Bereitstellung und Auswertung ihrer Archivalien dienen. Einige Beispiele wie die Provenienzforschung und Digitalisierungsprojekte (HAB) oder die Sammelprinzipien (DLA) werden vorgestellt. Als dritte Forschungseinrichtung kommen die Franckeschen Stiftungen in Halle hinzu, über deren Geschichte, Bestände und Projekte ihre Leiterin Brigitte Klosterberg informiert. Hier stehen die Bibliotheksbestände im Mittelpunkt, ihre Erschließung und Edition bilden die Schwerpunkte der Projekte. Schließlich sind zwei Museen in den Kontext der außeruniversitären Einrichtungen aufgenommen: das Gutenberg-Museum in Mainz und das Deutsche Buch- und Schrift-Museum in Leipzig. Eva Hanebutt-Benz und Stephanie Jacobs gehen auf die wechselvolle Geschichte der beiden Museen ein, beschreiben Aufgaben und Ziele der Vermittlung. Jacobs reflektiert in ihrem Beitrag ein grundsätzliches, für Buchmuseen besonderes Problem, nämlich das der Präsentation von Büchern in Ausstellungen:
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Wie kaum eine andere Objektkategorie ist das Buch im musealen Schauraum ›lahm gelegt‹. Es verschließt sich in – fast – jeder Hinsicht [...] das Buch in der Vitrine entführt den Museumsbesucher nicht mehr in Traum- und andere Welten und verliert damit eine seiner wesentlichen Bestimmungen. (S. 998 f.)
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Darin liegt aber auch die Chance, das Buch als der »interdisziplinäre Gegenstand der historischen Wissenschaften schlechthin« (S. 999) museal in vielfältige Kontexte zu setzen und in seiner medialen Bedeutung sichtbar zu machen. Beide Museen verfügen neben ihren Exponaten auch über eine jeweils spezifische Fachbibliothek, die Leipziger enthält auch die alte Bibliothek des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig. Werkarchive wie beispielsweise das von Werner Rebhuhn oder Otto Rohse bereichern die Mainzer Bibliothek. In den kurzen Beiträgen dieses Themenblocks werden die wesentlichen Aspekte der Archiv- und Bibliotheksarbeit nur angeschnitten, ihre Bedeutung und Funktion zur Beantwortung buchwissenschaftlicher Fragestellungen wird allerdings deutlich.
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Bibliophilie und Buchkunst
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Der Teilband schließt mit einem weiteren referierenden Überblick über die großen traditionsreichen bibliophilen Gesellschaften in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Diese Vereinigungen haben zwar keinen Forschungsauftrag, veröffentlichen aber durchaus buchhistorisch und buchkundliche relevante Publikationen, die wissenschaftliche Auseinandersetzungen befruchten können, wie der passionierte Sammler Wulf D. von Lucius in seinen Überblick über die Geschichte und gegenwärtige Situation bibliophiler Gesellschaften betont (S. 1042 f.). Die den Einzelbeiträgen dieses Themenblocks beigegebenen Literaturlisten mit Zeitschriften und Monographien, die von den Gesellschaften herausgegeben oder initiiert wurden, liefern dafür ein deutliches Zeugnis. Von Lucius wirft auch zu Recht die Frage auf, ob die organisierte Bibliophilie in Deutschland eine Zukunft hat. Fast alle bibliophilen Vereinigungen müssen schwindende Mitgliederzahlen hinnehmen, sodass eine wesentliche Aufgabe sein wird, das bibliophile Interesse jüngerer Sammler zu gewinnen und ihnen ein attraktives, lebendiges Kommunikationsforum zu bieten. Auf den informativen Überblick folgt in kurzen Skizzen die Vorstellung einzelner, noch existierender Gesellschaften: die Gesellschaft der Bibliophilien als älteste deutsche Vereinigung (gegründet 1899 in Weimar) stellt ihr Vorsitzender Reinhard Wittmann vor, die Maximilian-Gesellschaft (gegründet 1912) wird von Horst Gronemeyer porträtiert, der Leipziger Bibliophilen-Abend (wiedergegründet 1991) von Herbert Kästner, und schließlich berichten Georg Winter über die Wiener Bibliophilen-Gesellschaft (gegründet 1912) sowie Aglaja Huber-Toedtli über die Schweizerische Bibliophilen-Gesellschaft (gegründet 1921). Die Autoren schildern jeweils die Geschichte und Zielsetzungen der Gesellschaften, geben Auskunft über Mitgliederzahlen und -struktur sowie Aktivitäten der Vereinigungen. Ansprechpartner und Adressen für Interessierte werden am Ende der Beiträge genannt. Die Geschäftsführerin der Stiftung Buchkunst, Uta Schneider, rundet den Themenblock mit einem Beitrag über die Wettbewerbe, Preise und Ausstellungen der Stiftung ab. Die Themen Bibliophilie und Buchkunst in ein buchwissenschaftliches Handbuch aufzunehmen, hat seine Berechtigung schon deshalb, da Fragen nach der Materialität des Buches und dem Buch als Sammelgegenstand zu den Problemstellungen des Faches gehören. So verweist Reinhard Wittmann in seinem Beitrag auch darauf, dass Bibliophilie »keine kuriose Spielerei, sondern wichtiger und notwendiger Teil des kulturellen Gedächtnisses« ist (S. 1052).
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Fazit
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Am Schluss dieser Sammlung lässt sich konstatieren, dass der zweite Teilband des Handbuchs sich als Nachschlagewerk für die Vertreter der Buchwissenschaft und der Nachbardisziplinen eignet. Er perspektiviert die Einrichtungen der Lehre und Forschung im universitären wie auch außeruniversitären Kontext und trägt so sicherlich ebenfalls zur Profilierung und Konturierung der Buchwissenschaft im Spektrum der geistes- und medienwissenschaftlichen Fächer bei.
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