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„Technologien der irreversiblen Sichtbarkeit“

Christof Deckers lesenswerte Einführung in visuelle Kulturen der USA

  • Christof Decker (Hg.): Visuelle Kulturen der USA. Zur Geschichte von Malerei, Fotografie, Film, Fernsehen und Neuen Medien in Amerika. (Kultur und Medientheorie) Bielefeld: transcript 2010. 368 S. zahlreiche Abb. Paperback. EUR (D) 29,80.
    ISBN: 978-3-8376-1043-7.
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Visuelle Kulturen der USA vereint erstmalig in deutscher Sprache Überblicksdarstellungen zu den unterschiedlichen Traditionen US-amerikanischer visueller Kulturen (Malerei, Fotografie, Film, Fernsehen und neue Medien), »um einerseits ihre je spezifischen Technologien, Techniken, Sujets, Stile, Institutionen und Wirkungsgeschichten zu entwickeln, sie andererseits aber auch als multimediales Ensemble zu verstehen, in dem es vielfältige Überlagerungen, Wechselwirkungen oder Konkurrenzen gegeben hat« (S. 10). Christof Decker legt seinem Projekt eine klare Struktur zugrunde. Das Buch gliedert sich dementsprechend in fünf Hauptteile, die sich jeweils einer Medienform widmen und so ein Koordinatennetz ihrer historischen Entwicklung erkennbar werden lassen. Es geht also nicht darum, Visualität oder Medien als Begriff oder Kulturtopos zu definieren, sondern darum, wie es Decker fasst, »die kulturelle Arbeit«, die visuelle Medien verrichten, zu verstehen. Hierfür liefert die Studie eine umfassende, teilweise auch minutiöse Dokumentation, die nur am Rande darauf abzielt, richtungweisende Denkanstöße zu geben. So propagiert der Band »keine einheitliche Theorie, sondern bezieht konzeptionelle Anregungen aus unterschiedlichen Feldern« (S. 11).

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Jeder der fünf Beiträge widmet sich hierfür einem visuellen Bereich und generell dessen mediengeschichtlichen Bezugspunkten, zugleich sind alle Kapitel gleichermaßen um die kulturelle Kontextualisierung einzelner Genres bemüht. Klassische theoretische Positionen werden in jedem Kapitel punktuell (zwangsläufig zum Teil eklektisch) herangezogen. Die institutionellen Bedingungen, aus welchen unterschiedliche Medienformen entstanden sind, sowie die kulturellen Praktiken, die die Rezeptionsweisen der einzelnen Medien prägen, werden als konstitutiver Aspekt für deren Verständnis betrachtet. Die einzelnen Kapitel gehen anhand von exemplarischen Werken der Frage nach, wie bestimmte Darstellungsweisen einen kanonischen Charakter erlangten – und wie dabei andere ästhetische Formen in die Marginalität abgedrängt wurden. Dabei berücksichtigen sie zugleich die Zusammenhänge zwischen den Entwicklungen in unterschiedlichen visuellen Medien. Interessant erscheint vor allem die These, »dass die oft bemühte Vorstellung einer ›Bilderflut‹ in unterschiedlichen historischen Perioden empfunden wurde und keineswegs als besonders neu gelten kann« (S. 13). Trotz aller Disparatheit der verschiedenen Medien lässt das Buch deren kongruente Bedingungsgefüge sichtbar werden. Zudem wird deutlich, dass sie alle – und hier sprengt das Buch in einer der Sache innewohnenden Konsequenz seine im Titel benannte nationale Perspektive – an die Frage nach dem authentischen Adressieren in einer vernetzten Welt anschließen.

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Ikonologisches Defizit

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Dass dieses Buch seine synthetisierende Zielsetzung programmatisch versteht, bezeugt schon der erste Aufsatz. In ihrem Kapitel legt Bettina Friedl eine exzellente Analyse des bisher in der Forschung vernachlässigten Bereichs amerikanischer Malerei vor. Dabei werden sowohl Kunstwerke als auch – und vor allem – bedauerliche Lücken in der Rezeption prämoderner amerikanischer Malerei einer kenntnisreichen Sichtung unterzogen. Der im Titel gesetzte Zeitrahmen (1670–1980) deutet auf die Miteinbeziehung kaum rezipierter Traditionen sowie auf die Ambitioniertheit dieses Projektes hin. Friedl stellt ihrem Aufsatz zwei Thesen voran, die sehr präzise einordnen, welche Lücken der Band an dieser Stelle schließt: 1) »Die deutsche Rezeption der amerikanischen Malerei beschränkte sich vor der Edward Hopper-Retrospektive in Düsseldorf 1981 im wesentlichen auf die Pop Art« und 2) »Die Frage nach einer genuin amerikanischen Maltradition wurde zunächst nicht von Kunsthistorikern gestellt, sondern von Wissenschaftlern aus dem Bereich der Amerikastudien« (S. 15). Das Forschungsdefizit wird somit implizit auf wissenschaftliche Wert(vor)urteile zurückgeführt, die erst durch die Institutionalisierung der Amerikastudien als heterogene Disziplin in Frage gestellt wurden.

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Kulturwissenschaftliche Methoden werden zuerst auf die Porträtmalerei des 17. und 18. Jahrhunderts exemplarisch angewendet. Das Kapitel widmet sich der Aufgabe, visuelle Details mit der kultursoziologischen Untersuchung der statusbildenden Rolle der Porträtmalerei zu verknüpfen, so dass die ausführlichen Gemäldeanalysen in jeder Hinsicht gerechtfertigt erscheinen. Aus dieser Perspektive betrachtet, erscheint das Visuelle als allegorischer Index einer klassenfreien und geschichtslosen, jedoch durchaus auf Objektresonanzen abhebenden Gesellschaft: »In einem Land, in dem Herkunft und Name weniger klassenbestimmend waren als in Europa, wurden all jene materiellen Attribute relevant, die im Bild sichtbar gemacht werden konnten, um den erlangten Wohlstand der Porträtierten zu dokumentieren« (S. 24). 1 In Bezug auf einen nationalen Diskurs in der Malerei wird die Hudson-River-Maltradition als amerikanisches Spezifikum präsentiert: »Amerikaner entdeckten über die Landschaftsmalerei einen Gegenstand, der ihr Land abhob von der meist kultivierten Natur Europas« (S. 31). Die Darstellungen dynamischer Landschaftsformationen des Westens zeugen in Werken des ausgehenden 19. Jahrhunderts von der pastoralen frontier-Nostalgie, die die Zeit der Besiedlung des Territoriums idealisiert.

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Bei der Betrachtung der weit heterogeneren, geschichteten künstlerischen Strömungen des frühen 20. Jahrhunderts setzt Friedl die dokumentarisch-realistische Ashcan School einer modernistischen Bewegung entgegen, die in den Werken Georgia O’Keeffes kulminiert, einer Malerin, die »den Ausgangspunkt für eine Abstraktion im Objekt selbst oder in einem bestimmten, meist unkonventionellen Aspekt der Natur« erkennt (S. 59). Spätere, sich auf eine spezifisch amerikanische Perspektivierung zurückbesinnende Gruppen, die sich gegen die ungegenständliche Malerei wandten, führt Friedl unter dem Begriff »American Scene«-Malerei zusammen. Während die Präzisionisten vor allem urbane und industrielle Sujets bevorzugten, weisen Regionalisten wie Thomas Hart Benton eine Vorliebe für landwirtschaftliche Themen auf. Die amerikanische Malerei nach dem Zweiten Weltkrieg, bei weitem besser bekannt als ihre Vorläufer, wird hier durch den abstrakten Expressionismus der New York School, Pop Art und Fotorealismus vertreten. Vor allem die Art der musealen Kunstbetrachtung sowie die durch Wechselwirkungen mit dem fotografischen Medium entstandene Wahrnehmungsproblematik bestimmen, wie Friedl sehr einleuchtend zeigen kann, in dieser Phase die Bemühungen um eine Verortung der spezifischen amerikanischen Bildtradition. Friedls Beitrag ist ein mustergültiges Beispiel für eine umfassende Auseinandersetzung mit der Ästhetik visueller Medien. Sie entwickelt eine gut lesbare Geschichte amerikanischer Malerei anhand einiger Bilder von besonderer ikonografischer Prägnanz, die interessanterweise deutlich werden lässt, dass von »genuin amerikanischer Maltradition« im eigentlichen Sinne keineswegs die Rede sein kann, sondern dass Malerei in den USA immer in einem dichten Netz transatlantischer Wechselwirkungen entstanden ist.

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Hyperrealität, Hyperfotografie

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Astrid Böger zeichnet in ihrem Beitrag die Reflexion nationaler Mythen und Fantasien in der amerikanischen Fotografie nach. Da wissenschaftliche Bemühungen um die Geschichte und Ästhetik der amerikanischen Fotografie mittlerweile auf Hochtouren laufen, nähert sich Böger ihrem Gegenstand mit beeindruckender Genauigkeit im Hinblick auf neue und alte Forschungstraditionen. Bögers ambitionierte und zugleich überzeugende Leitthese dreht sich um die Einbettung der Fotografie als Bedeutungsträger und dynamischer Faktor in eine Reihe kultureller Kontexte, denen es nachzuspüren gilt. Die Anfänge der Fotografie werden im Hinblick auf das demokratisierende Potenzial ihrer Porträtfunktion untersucht. Ende des 19. Jahrhunderts wird die Fotografie durch den Kunstbetrieb vereinnahmt:

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Während sie in der Zeit nach ihrer Einführung vor allem als mechanisches Instrument zur präzisen Wirklichkeitserfassung galt, entwickelte sich seit etwa 1850 ein künstlerisches Interesse an fotografischen Bildern, das weit über die bloße Abbildungsfunktion hinausging. (S. 109)
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Weitere Entwicklungen werden vorwiegend thematisch ausdifferenziert: Unter dem Titel »Kriegsbilder« macht Böger den für den Sammelband konstitutiven historischen Blick produktiv, indem sie zeigt, dass der Bürgerkrieg »einen weiteren Schub für die Verbreitung der Fotografie in Amerika« bedeutete (S. 113). Daneben werden hier nicht nur die technischen und kulturgeschichtlichen Hintergründe des Fotopopulismus kritisch analysiert, sondern auch die intermedialen Interferenzen von Fotografie und Malerei. In ihrer Darstellung der sozialhistorischen Funktion der Fotografie postuliert Böger deren Aufwertung als »ein Medium des kulturellen und nicht nur individuellen Gedächtnisses« (S. 118). Mit dieser Entwicklung geht eine Sozialpolitisierung der fotografischen Dokumentarästhetik einher.

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Bögers zugänglich geschriebene Untersuchung bereichert das historische Skelett durch scharfsinnige Kommentare, beispielsweise wo sie festhält, dass das 20. Jahrhundert »nicht zuletzt wegen der Pionierarbeit von amerikanischen Fotojournalisten auch als ›American Century‹ in die Geschichte eingegangen« sei (S. 117). Vor allem aber zielt Böger darauf ab, die Fotografie als ein Medium darzustellen, welches das kulturelle Gedächtnis der USA entscheidend prägt. Bei der Auseinandersetzung mit den Dokumenten des Fotojournalismus aus dem Zweiten Weltkrieg unterstreicht sie, dass deren zentrale, politisch akute Funktion in der authentischen Darstellung liege. Der Authentizitätsdiskurs mündete in den USA, so Böger, schließlich in eine ideologische Debatte um die Rolle der Fotografie als »Leitmedium der öffentlichen Meinungsbildung« (S. 130). Ihrerseits bewusst sachlich dokumentiert die Autorin auch die Rolle der Fotografie für die Entstehung eines sozialen Bewusstseins durch die Darstellung von Minderheiten und Unterprivilegierten. In den siebziger Jahren beobachtet Böger eine Wende von der Objektivität des fotografischen Mediums hin zu einer intensiven Auslotung von Fiktion und Subjektivität, wobei realistische Konventionen einer (oft ironischen) Dramatisierung fotografischer Effekte erliegen. Die Interferenzen und Überlappungen von Geschlecht- und Selbstinszenierung illustriert Böger am Beispiel Cindy Shermans und Annie Leibovitz’, was letztlich mit einer Hinwendung zum Körper als fotografischer Projektionsfläche und authentischem Material einhergeht, eine Entwicklung, die gleichermaßen mit dem wachsenden Interesse an der visuellen Kodierung von Ethnizität zusammenhängt.

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Die Evolution der politisch motivierten Fotografie im 20. Jahrhundert hin zu einer Ästhetik des Familiären findet, wie Böger scharfsichtig analysiert, ihre paradoxe Zuspitzung und Infragestellung in den unheimlichen Kinderporträts Sally Manns, die eine Tradition der erotischen Kinderkörperlichkeit in der amerikanischen Kultur aufgreifen. Der Beitrag wird abgerundet durch eine Untersuchung der gegenwärtigen Digitalfotografie, wobei sich bemängeln ließe, dass neuere Tendenzen in der amerikanischen Gegenwartsfotografie, die einer dokumentarischen Ästhetik verpflichtet sind und doch mit hybriden Evidenzstrategien operieren und somit eine interessante Fortsetzung der von Böger analysierten historischen Strömungen darstellen – wie zum Beispiel im Werk Taryn Simons – keine Beachtung finden. Die enorme Flexibilität in der Kontextualisierung und Vermittlung digitaler Fotografie bringt Böger in die Nähe eines fotografischen Impulses, der, wie sich insbesondere an den proliferierenden Darstellungen des 11. Septembers ablesen lässt, zu einer hyperfotografischen Kultur der spontanen Evidenz mutiert ist, die in Anlehnung an das Hypertextverfahren bodenlose, autoritätsfreie Signifikationsketten entstehen lässt und somit eine »kollektive Struktur der Teilhabe« (S. 150) verstärkt.

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»Anxiety to be Honest«: Wahrhaftigkeit und Methode

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Christof Deckers theoretisch anspruchsvolle Diskussion des amerikanischen Films beginnt mit einer schematischen Einteilung des Mediums in Gattungen und Kategorien, die auf die Selbstbezüglichkeit des Filmgenres hin orientiert sind. Seinen Untersuchungsbereich bestimmt Decker wie folgt: 1. Welche Wechselwirkungen bestehen zwischen den ästhetischen Konventionen des amerikanischen Films und seinem institutionellen Kontext? 2. Welche kulturellen Funktionen charakterisieren den amerikanischen Film? Und 3. Welche kulturgeschichtliche Bedeutung nimmt das Medium Film damit im Umfeld der vielfältigen visuellen, audiovisuellen oder literarischen Erzählformen ein? (S. 164) Im Hinblick auf die kulturhistorischen Hintergründe des Mediums ist es sinnvoll, dass Decker mit dem Themenfeld »Kino als Institution« anfängt, wobei seine Betrachtung durch die Grundannahme strukturiert ist, »dass Filmästhetik ohne die systemische Logik ihrer Produktionsweise nicht historisierbar ist« (S. 165). Vor allem geraten die Ansprüche des Mediums auf kulturelle Legitimität im Rahmen und gleichzeitig in Abgrenzung von der Massenkultur entsprechend ins Blickfeld. Decker zeichnet eindrucksvoll nach, wie das Kino der Jahrhundertwende zu einer kulturellen Enthierarchisierung beiträgt. Auch leitet er aus der »Spannung zwischen visueller Attraktion und narrativer Ordnung« (S. 178), welche die frühe Filmästhetik durchdringt, eine Dialektik ab, die das amerikanische Kino in seiner vollen Breite kennzeichne. Deckers Aufmerksamkeit richtet sich anschließend auf die Standardisierung des Mediums durch die Entstehung und Reproduktion wiedererkennbarer Genres sowie das Starsystem. Zugleich beobachtet er die Artikulierung einer spezifisch amerikanischen Filmkunst, allen voran durch die Filme von D. W. Griffith.

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Decker stellt sich der angesichts der Masse des Materials schwierigen Aufgabe, Beispiele und Schemata für die Entwicklung des amerikanischen Kinos aufzustellen, und seine Auswahl ist durchaus gelungen: das goldene Zeitalter des Studiosystems, die Thematisierung der Großstadt und der mit dem Aufstieg der technisierten Moderne einhergehenden Konflikte, das steigende zivile Engagement des Kinos in der Epoche der populären Klassiker in den dreißiger und vierziger Jahren. Wie Böger macht auch Decker auf den Zweiten Weltkrieg als mediale Zäsur aufmerksam. Allein in einem auf die Verkoppelung (oder, genauer, Entkoppelung) von Film und Geschlechterverhältnissen fokussierten Abschnitt, der sich um Kinoproduktion als Männerdomäne (weibliche Regisseure werden in einer Fußnote aufgelistet), Laura Mulveys Theorie zu Voyeurismus und Weiblichkeit, 2 Maya Derens experimentelle Ästhetik und die »Entlarvung des positiv-optimistischen Amerikabildes« (S. 204) im Film Noir dreht, kommt eine gewisse Überschematisierung zum Vorschein. Die »Ethik der Wahrhaftigkeit« (S. 211), die dem independent film sowie dem method acting zugrunde liegt, begründet Decker als eine dem Prozessuellen verpflichtete Ästhetik, die sich unter anderen in der Vorliebe für Improvisation manifestiert. Weitere Facetten dieser Auseinandersetzung sind die Betrachtung der Wiederentstehung der Blockbuster, des postklassischen Kinos neuer Sexualitäten und Ethnizitäten, der Gewaltstilistik des amerikanischen Films seit 2001 sowie, last but not least, der globalen Entrahmung eines strikt amerikanischen Filmkonzeptes. Insgesamt zeichnet Decker ein differenziertes Bild, dessen Komplexität für das Gesamtprojekt dieses Bandes kennzeichnend ist.

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»Echte Alltagskultur«: Eine ästhetische Klageerwiderung

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In seinem Aufsatz zur Geschichte und Theorie des amerikanischen Fernsehens schreibt Ralph J. Poole die Kulturgeschichte dieses Massenmediums als die einer zentralen Informationsquelle und eines Einflussfaktors der öffentlichen Meinungsbildung. Pooles Beitrag beeindruckt als eine überzeugende Widerlegung der inzwischen verbreiteten These von einer bereits überholten Fernsehkultur, die er auf eine Fülle von Kenntnissen und Detailbeobachtungen stützen kann. So bestätigt der Autor die Fernsehstudien als seriöse, kaum aus dem Gebiet neuerer Medien wegzudenkende Disziplin. In einer minutiösen Rekonstruktion, die die akribische, sichtbar an Friedrich Kittler geschulte Progression des Bandes fortsetzt, zeichnet Poole die divergente Entwicklung des Fernsehens aus historischer und zugleich soziologischer Perspektive nach. Während für Fotografie und Film der Zweite Weltkrieg eine Chance bot, wurden Fortschrittsversuche des Fernsehens durch den Krieg arretiert. Trotz seiner Ubiquität in Zeiten des Aufruhrs erweist sich dieses Medium in jener Epoche weniger einer politischen, von punktuellen Krisenmomenten zäsurierten, als einer sozialen Sphäre zugehörig, die Betäubung statt Rebellion vermittelt. Poole gelingt eine raffinierte Bestandsaufnahme genau dieses Medienphänomens, das Komfort, Konsens und Konsum als zentrale Werte in die amerikanische Mittelschicht infiltrierte. In der Tat kann er Fernsehen als Dreh- und Angelpunkt einer soziokulturellen Umwelt beschreiben. Stichwörter für einschneidende Episoden der Fernsehgeschichte sind passend und breit gefasst: frühe Fernsehstars und McCarthyism in den fünfziger Jahren, der Ölreichtum- und Kriseneffekt (gespiegelt in der Serie The Beverly Hillbillies), Vietnam-Berichterstattung, Echtzeitgewalt und Mondlandungsfieber Ende der sechziger und in den siebziger Jahren, die Wende zum Nischenfernsehen seit 1976 (Public Broadcasting Act) und die »Soapoperafication des Abendprogramms« (S. 279). Vor allem brilliert das Kapitel in der Skizzierung des seit den achtziger Jahren stärker werdenden politischen Engagements von Fernsehserien, das wichtige Akzente setzte für die Entwicklung einer afroamerikanischen Fernsehästhetik, sowie für die Einverleibung politischer Aktualität als medialer conditio sine qua non der erfolgreichen amerikanischen Sitcom. Kritisch anzumerken wäre lediglich, dass Poole es versäumt hat, den Einfluss des Fernsehens auf die Umwälzung der Geschlechterrollen Mitte des 20. Jahrhunderts zu reflektieren.

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Mediale Spielräume

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Auf digitale Kultur als visuelles Medium zu blicken heißt, ihre Heterogenität zugunsten einer kohärenten Diskurslogik zu vernachlässigen; daher muss der Beitrag Randi Gunzenhäusers zugleich als methodologischer Kompromiss und Detailansicht zu einer wachsenden Disziplin verstanden werden, deren Koordinaten noch verstell- und verhandelbar sind. Besonders interessant an diesem Kapitel ist die Herausarbeitung einer digitalen Ästhetik, die sich vom Konzept der mediascape (Arjun Appadurai) ableiten lässt, das im Laufe des Kapitels durch die Deklinierung etlicher Konvergenzprozesse (Remediation, Repurposing, Immersion) weiter bekräftigt wird. Gunzenhäuser richtet ihr Augenmerk hauptsächlich auf die partizipatorische Kultur des Computerspiels und stellt damit ein Medium ins Zentrum, das in der Forschung bisher kaum Beachtung findet. Sie geht von der Grundannahme aus, dass dem Spiel eine zentrale sozialisierende Funktion eingeräumt werden muss. Aus diesem Blickwinkel fungiert das Computerspiel als ästhetisches Experimentierfeld, das immer hybridere Medienkomplexe entstehen lässt: »Die personelle Verzahnung und kommerzielle Nähe zu den anderen Unterhaltungsmedien und zu den Künsten führt dazu, dass Computerspiele die Entwicklungen in Film und Fernsehen, in der Musik und in der Kunst beeinflussen, aber umgekehrt von den Entwicklungen auf diesen Gebieten auch profitieren« (S. 311). Leitend ist für Gunzerhäuser dabei die Frage, wie das Computerspiel an der Schnittstelle zwischen Fiktion und Wirklichkeit seine virtuelle Realität erzeugt. In Anlehnung an Roberto Simanowski – und dabei weniger defensiv als Poole – warnt Gunzenhäuser vor der pauschalen Reduktion des Spektakulären auf banale Oberflächlichkeit und stellt die Potenziale einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Computerspielen in den Vordergrund. Sie liefert eine Übersicht des Genres, die sich an ökonomischen und politischen Entwicklungen orientiert. Neben der strukturellen Untersuchung digitaler Spielprinzipien und Gattungen bietet Gunzenhäuser hervorragende Analysen einzelner, meist gewaltbetonter Computerspiele (Spacewar!, Myst, Tomb Raider, Grand Theft Auto, World of Warcraft, Dark Age of Camelot, Max Payne), die die globale Verbreitung digitaler Formen der Interaktivität und Immersion veranschaulichen.

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Red Threads

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Das Buch wirft neues Licht auf die Verflechtungen von visuellen Medien und Literatur, indem es Ideen und Ressourcen aus der Tradition der literarischen Kunstkritik bezieht. Jedes Kapitel entfaltet eine große Bandbreite von entsprechenden Themen und Motiven, die nicht nur an eine literaturwissenschaftliche Tradition von Medienanalyse anknüpfen, sondern gleichzeitig konkrete Überschneidungen textueller und visueller Medien reflektieren. So zitiert Friedl die Überlegungen des Lyrikers Mark Strand zu Hopper und die von William Carlos Williams zur primitivistischen Malerei sowie Passagen aus John Updikes Kunstaufsatzsammlung Still Looking: Essays on American Art (2005) oder Bemerkungen von Henry James zu einer transatlantischen Kunstkomparatistik. Es wird somit konsequent nahegelegt, dass die visuellen Kulturen der USA direkte Bezüge zur Literatur haben beziehungsweise ohne literarische Diskursmuster in mehrfacher Weise nicht denkbar wären. Weitgefächerte intermediale Kontinuitäten über die literarische Moderne hinaus werden auch durch die Betrachtung des Einflusses des fotografischen Werks Weegees auf das Hard-boiled-Genre sowie auf die Unterweltikonografie des Film Noir belegt. In einer ekphrastischen Geste erinnert Decker an die Passagen in Nathaniel Hawthornes Kurzgeschichte »The Birthmark«, in denen der auratische Effekt der Serienfotografie veranschaulicht wird. Gunzenhäuser dagegen betont die Unzulänglichkeit des »hermeneutisch-kritischen Erbe[s] der Literaturinterpretation … für die medialen Entwicklungen an der Schwelle zum dritten Jahrtausend« (S. 315), wobei sie zu Recht die Überlappung von Spiel- und Buchkultur in Computerfiktionen wie Myst oder Max Payne hervorhebt.

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Übergänge zwischen den Kapiteln werden jeweils durch eine Art Zwischenbilanz hergestellt, in der nicht nur eine mediale Evolutionstheorie entworfen, sondern auch transnationale Verflechtungen präzisiert (wenn auch nicht immer kritisch beleuchtet) werden. Alle Beiträge profilieren die transnationale Dimension visueller Medien durch kompetente Schlussdarstellungen, die in jedem Kapitel die zusehends stärker werdende Spannung zwischen einer nationalgeschichtlichen Dynamik auf der einen und den globalen ästhetischen Wandlungen auf der anderen Seite erkennbar werden lassen. Decker setzt die stilbildend postnationalen Merkmale amerikanischer Medienkultur in den Kontext breiterer Deterritorialisierungsprozesse im Zuge einer digitalen (Kultur- und) Handelsrevolution: »Die ökonomischen und informationstechnologischen Bedingungen der Globalisierung machen die Vorstellung einer in sich abgeschlossenen nationalen Kultur mehr denn je zu einem fiktiven Konstrukt, das den realen Gegebenheiten nicht entspricht« (S. 9). Poole führt diese These am Beispiel des amerikanischen Fernsehens fort: »Heute steht die Forschung zum Fernsehen wie andere kulturwissenschaftlich ausgerichtete Disziplinen sicherlich auch im Zeichen von Multi- und Transkulturalität und damit im globalen Kontext medialer Repräsentationspolitik und -praxis« (S. 243). »Die digitalen Medien«, so Randi Gunzenhäuser, »verkörpern die Wesenszüge eines vernetzten multinationalen Marktes, der aber in vielerlei Hinsicht immer noch von den USA dominiert wird – wenn nicht ökonomisch, so doch zumindest, was kulturelle Paradigmen angeht« (S. 304). Auch thematisch werden viele Computerspiele wie Blade Runner oder Max Payne in eine sogenannte Global-Noir-Ästhetik eingeordnet (S. 349). Die Leitthese der Sammlung beruht jedoch auf nationalen Mustern, die sich nur sekundär mit postnationalen Paradigmen verzahnen.

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Das umfassende Porträt visueller Medien in den USA führt die Autoren letztlich zu der Frage nach einer subkutanen Fetischisierung des Authentischen, die etliche Kunstwerke und Bilder kennzeichnet. Die der Landschaftsmalerei untergeordnete Bewegung des Luminismus entwickelt laut Friedl durch ihre hyperrealistische Ästhetik einen »völlig eigenständigen amerikanischen Malstil« (S. 35), der im Fotorealismus eindrucksvoll fortgesetzt wird. Friedl hebt explizit »das ungebrochene Interesse der amerikanischen Malerei an der dialektischen Spannung von Abstraktion und Gegenständlichkeit« hervor (S. 90), die zwangsläufig in Fragen der Wahrhaftigkeit und Essenz mündet. Auch in Bögers Bemerkungen zu den seit den siebziger Jahren sich intensivierenden kritischen Diskursen um dokumentarische Repräsentationen setzt sich das fragende Oszillieren amerikanischer Bildästhetik zwischen Wirklichkeit und Retusche fort. Mit einer scharfsichtigen Formulierung fasst Decker die zugrunde liegende Frage: Der Bezug der Genrefilme »zur gesellschaftlichen Wirklichkeit erfolgt nicht primär über einen realistischen Repräsentationsmodus … sondern über ihre kulturellen Funktionen oder die ›kulturelle Arbeit‹, die sie verrichten« (S. 208). Letztlich erweist das Buch die visuellen Medien als Reflexionsinstanz, die inhaltlich und formal auf kulturpolitische Diskurse reagiert und gleichzeitig prägend auf sie einwirkt. So dient das visuelle Medium laut Decker als »Technologie der irreversiblen Sichtbarkeit … auf besonders ambivalente Weise einer Reflektion und Modellierung von imaginären Interaktionsformen« (S. 229–230). Auch betont Decker in seiner Diskussion des New Hollywood Cinema die Emergenz einer »Ästhetik des Misstrauens« (S. 217) und der Undurchschaubarkeit, die wiederum das grundsätzlich stabilisierende Potenzial der visuellen Medien hinterfragt. Vom evidenten Wirklichkeitsfetischismus von Reality TV, 9/11 Live-Voyeurismus sowie des sogenannten CSI-Effekts ganz abgesehen, 3 kommt auch Poole zu dem Schluss, dass selbst die amerikanische Sitcom Ansprüche an Realismus erhebt, die zum großen Teil in der Miteinbeziehung der Großstadt als handelnder Figur in die narrative Entwicklung erfüllt werden. Im digitalen Spiel wird laut Randi Gunzenhäuser die Realität dagegen außerhalb des Ludischen verortet: »›Real life‹ ist für Rollenspielerinnen die Bezeichnung des Lebens außerhalb des Spiels« (S. 309).

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Blind Spots

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Entsprechend seinem Vorhaben eines umfassenden historischen Überblicks wird die breite Sichtung visueller Medien in diesem Band der akribischen Analyse einzelner Werke fast durchgehend vorgezogen. Dass eine solche Überblicksdarstellung unvollständig bleiben muss, versteht sich von selbst. In seiner Materialauswahl sorgt das Buch allerdings vereinzelt für Enttäuschung. Die einflussreiche TV-Serie Twin Peaks (die zugegebenermaßen nicht allzu lange zu sehen war) bleibt unerwähnt, obwohl sie doch maßgeblich für eine an den independent film anlehnende Erzählintensität in der Fernsehkultur der neunziger Jahre prägend war. Die ähnlich erfolg- und einflussreiche HBO-Serie The Wire ist lediglich von transitorischem Interesse. Auch einer Nachrichtensatire wie The Daily Show wäre im Hinblick auf Deckers These, visuelle Kulturen würden »zur politischen Rhetorik der amerikanischen Geschichte« (S. 9) gehören, ein würdiger Platz einzuräumen. Dass die Komplexe der graphic novels sowie anderer ekphrastischer Traditionen ausgeklammert wurden, bleibt ebenfalls recht unverständlich, da die Begründung hierfür, es gebe hierzu bereits umfangreiche Forschung, in gleichem Maße auf andere Sujets dieser Studie zutrifft, denen gleichwohl eine ausführliche Betrachtung zuteil wurde.

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Bedauerlich ist auch die Tatsache, dass die Geschichte der Rezeption der amerikanischen Medienkultur nur punktuell beleuchtet werden konnte, exakte Erläuterungen zu dieser Parallelgeschichte jedoch weitgehend ausbleiben – dies umso mehr, als dies der erste Band zu diesem Thema für das deutschsprachige Publikum ist. Angesichts der Breite des Unterfangens war es jedoch vermutlich schlicht eine – letztlich nachvollziehbare –pragmatische Entscheidung, sich auf die Wendepunkte der Rezeptionsgeschichte zu beschränken. Dass aber »eine zusammenführende Darstellung unterschiedlicher Medien und Kunstbereiche hilfreich sein könnte« (S. 7), ist eine doch zu offene Beschreibung der Forschungslücke, die diese deutsche Überblicksdarstellung zu füllen hat. Ausgeblendet wird auch die institutionelle Problematik der amerikanistischen Medienwissenschaft im deutschen Kontext, auch wenn die institutionelle Anbindung der Autoren selbst auf die marginalisierte Position dieser Disziplin in der Literaturwissenschaft hinweist. Inwiefern dieses Buch die Ergebnisse englischsprachiger Handbücher und Kompendien ergänzt, wird ebenfalls verschwiegen. Eine ausführliche Darstellung der Genealogie des Bandes wäre womöglich eine erfreuliche Form gewesen, auf diese Punkte einzugehen. Ein detaillierter Index mit Sachbezeichnungen hätte die Nomenklatur des Bandes einem nichtwissenschaftlichen Publikum zugänglich gemacht.

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Trotz der genannten Schwachstellen sei als Fazit angemerkt, dass dieser intelligent strukturierte, enorm hilfreiche Sammelband eine eklatante Lücke schließt und als durchaus lesenswert zu gelten hat. Visuelle Kulturen der USA darf uneingeschränkt als erste Anlaufstelle bezeichnet werden, wenn es gilt, sich kompetent über die mediale Landschaft und medienwissenschaftliche Diskurse Amerikas zu informieren. Auch unter erfahrenen Medienwissenschaftlern und Amerikanisten dürfte der Band eine breite Leserschaft finden. In durchaus beeindruckender Weise ist Decker und den AutorInnen eine Kompaktdarstellung amerikanischer Bildgeschichte gelungen. Auch wenn das Leitprinzip der Studie die möglichst präzise und umfassende Konstatierung ist, läuft die Analyse auf den Punkt hinaus, dass jede Kanonisierung visueller Medien in den USA eine problematische Konstruktion bleibt, die es zu hinterfragen gilt – das Instrumentarium hierfür liefert der Band gleich mit.

 
 

Anmerkungen

Die visuelle Choreographie amerikanischer Porträtkunst wird hier meistens in Anlehnung an immer wieder dieselben Kunstkritiker beleuchtet, wie zum Beispiel Alan Trachtenberg, was letztlich zu einer diskreten Verfestigung eines kritischen Kanons beiträgt, ohne dass wesentliche kritische Beiträge separat aufgeführt wären.

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Wichtige Vertreter amerikanischer Filmtheorie, wie zum Beispiel Mary Ann Doane, Kaja Silverman oder Joan Copjec, finden hier keine Beachtung.    zurück
»In tatsächlichen Gerichtsverfahren erwarten Jurymitglieder immer mehr, dass die ›Perfektion‹ solcher Beweisketten auch in Wirklichkeit bereitgestellt werden kann« (S. 290).    zurück