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Zu Gegenstand und Methode
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Mit »Sparta et Martha«. Pfarramt und Heirat in der Lebensplanung Hölderlins und in seinem Umfeld hat die US-amerikanische Literaturwissenschaftlerin Priscilla Hayden-Roy, die an der University of Nebraska in Lincoln deutsche Literatur lehrt, sich ein eher kultur- und sozialgeschichtliches als literaturwissenschaftliches Thema vorgenommen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Literatur des 16. und 18. Jahrhunderts sowie bei Friedrich Hölderlin und seinem Umfeld. Sie ist seit 2010 Mitglied im Vorstand der Hölderlin-Gesellschaft und ihre Untersuchung ist »[z]ugleich Band 26 der Schriften der Hölderlin-Gesellschaft« wie die Rückseite des Titelblatts vermerkt.
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Eigentlich ist diese Arbeit aber als Band 17 der Reihe »Tübinger Bausteine zur Landesgeschichte« erschienen und aus dieser Rangfolge der Reihenzuordnung kann man unschwer auf das Hauptinteresse der Autorin und das methodische Rüstzeug schließen. Hayden-Roy hat eine sorgfältig gearbeitete, mit enormem Fleiß über ein Jahrzehnt lang zusammengetragene und darüber hinaus gut lesbar geschriebene quellengeschichtliche Studie vorgelegt, die einem für die Sozialgeschichte der württembergischen ›Ehrbarkeit‹ und damit auch für die deutschen Literatur im Südwesten um 1800 auffälligem Phänomen nachspürt. Leitidee der Autorin ist es, dem Zusammenhang von ›Sparta et Martha‹, von Pfarramt und Einheirat in eine der weit verzweigten Familien der württembergischen ›Ehrbarkeit‹, in all seinen Facetten nachzuspüren:
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Aufgabe dieser Studie ist es, den Sinn dieses Spruches – seine breite Gültigkeit für die württembergische Pfarrehe für Hölderlins Generation, wie auch die kirchlichen und ökonomischen Bedingungen, unter denen man sich damals auf Amt und Ehe einlassen durfte – zu erschließen, um dadurch den Kontext für Hölderlins Entscheidungen hinsichtlich der Bedienstung und der Eheschließung zu erhellen. (S. 16)
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Leider reflektiert sie den ihrer Untersuchung zugrunde liegenden ›Ehrbarkeits‹-Begriff an keiner Stelle und bezieht sich vor allem auf Hansmartin Decker-Hauffs populären Vortrag von 1967 »Die geistige Führungsschicht Württembergs«,
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der freilich auf noch ältere Forschungen, seine Dissertation von 1946 etwa, zurückgeht. Die jüngere Forschung hat ergeben, dass die ›Ehrbarkeit‹ keinesfalls jener homogene und in sich abgeschlossene Stand war, als der sie bei Decker-Hauff erscheint, sondern vielmehr eine ausdifferenzierte Funktionselite der frühen Neuzeit. Verblüffenderweise behandelt Hayden-Roy ihren Untersuchungsgegenstand genau so und die Sätze aus Gabriele Haug-Moritz’ Untersuchung zur württembergischen Ehrbarkeit von 2009, die Hayden-Roy wohl noch nicht zitieren konnte, treffen ebenso auf die Prämisse Hayden-Roys zu:
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Die Ehrbarkeit als Amtsträgerschicht und damit Machtelite zu fassen, erfüllt also eine heuristische, die Erkenntnis ermöglichende Funktion, die die sozialen und kulturellen Mechanismen von Statuserwerb und ‑erhalt ins Zentrum der Betrachtung rückt, und beschreibt keinen, wie auch immer zu fassenden, das württembergische Gemeinwesen charakterisierenden ›objektiven‹ sozialen Tatbestand, als der die Ehrbarkeit in den Studien Decker-Hauffs erscheint.
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Zur Untermauerung ihrer These der Zusammengehörigkeit von Pfarramt und Ehestand wählt die Verfasserin Personal, das mit dem Hauptgegenstand ihrer Untersuchung, Friedrich Hölderlin, in enger persönlicher Verbindung steht. Hayden-Roy macht sich dabei die engen familiären Verflechtungen der Amtsträger und die relativ starren Strukturen der Rekrutierung der administrativen Elite Württembergs in Kirche und Staat zunutze, die sich in der gesellschaftlichen Führungsschicht der ›Ehrbarkeit‹ konzentrieren.
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Sparta et Martha: Lebensläufe in aufsteigender Linie
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Im ersten Kapitel, »Das Pfarrergeschlecht Köstlin: Berufserfolg durch Familiendisziplin und Heiratsstrategie« wird eine nahezu idealtypische Familie der ›Ehrbarkeit‹ in ihrer Berufs- und Partnerwahl porträtiert, der es sogar gelingt, einen drohenden Skandal, der aus der vorehelichen Zeugung des ersten Kindes der verwitweten Auguste Beate zu erwachsen drohte, dank familiärer Beziehungen zu unterdrücken. An den vier Söhnen Nathanael Köstlins (1744 – 1826) lassen sich die verschiedenen Karrierewege, die der württembergische Staatsdienst seiner tragenden Schicht als Geistlicher, Mediziner, hoher Beamter offerierte, nachvollziehen. Alle vier haben kurz nach Erhalt des ersten Amtes und der damit einhergehenden wirtschaftlichen Selbständigkeit in eine geachtete Familie aus dem Kreis der ›Ehrbarkeit‹ eingeheiratet, wenngleich wie im Fall Carl Wilhelm Gottliebs nur auf den sanften, aber ausdauernden Druck der Mutter hin.
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An den drei Töchtern kann man erkennen wie kluge Heiratspolitik und der Verzicht auf ein romantisches Liebesideal auch hier zumindest zum Statuserhalt der Familie beitragen kann, indem die ›Vernetzung‹ innerhalb der ›Ehrbarkeit‹ durch Heirat vorangetrieben wird. Tendenzen, den durch Familientradition vorgegebenen Lebensweg zu verlassen, sind zwar – wie gezeigt – auch hier schon in Ansätzen vorhanden, aber auch der dritte Sohn Nathanael Köstlins, Carl Heinrich Gotthilf, beugt sich nach literarischen Eskapaden und naturwissenschaftlichen Forschungen dem mehr oder weniger sanften Zwang der Familientradition und macht Karriere im Staatsdienst.
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Im Hinblick auf Hölderlin, der in seiner Jugend von dem Nürtinger Diakon Nathanael Köstlin unterrichtet wurde und nach dem Tod des Vaters eine enge Beziehung zu jenem hatte, ist die Geschichte der Familie Köstlin deshalb bedeutsam, weil hier die wesentlichen Lebensentwürfe der ›Ehrbarkeit‹ inklusive der zu bewältigenden Anfechtungen enthalten sind, die aber immer zu einem – zumindest für die Familientradition – guten Ende führen:
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In diesem sozialen Milieu und mit ähnlichen Erwartungen ist auch Hölderlin aufgewachsen; wie Nathanael Köstlins Söhne zu Ämtern kamen und gute Ehen schlossen, so hätte er es auch machen sollen, wenn er, wie seine Mutter am Anfang seiner Ausgabenliste schrieb, ›im gehorsam‹ […] geblieben wäre. (S. 35)
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Sparta et Martha: Lebensläufe in absteigender Linie
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Bevor Hölderlins Ausscheren aus dieser Tradition thematisiert wird, werden aber weitere Lebensläufe aus Hölderlins Umfeld aufgegriffen, die weit weniger gelungen sind als jene aus der Familie Köstlin. Zwar übernehmen alle in den Kapiteln zwei bis vier vorgestellten Stiftler das vorgesehene Amt und heiraten zeitnah, die Diskrepanz von Pflicht und Neigung ist in diesen Lebensläufen aber so groß, dass sich der Erfolg eines gelingenden Lebens nicht oder nur mit großen Einschränkungen einstellt.
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Zunächst beleuchtet die Verfasserin das Leben von Hölderlins Kompromotionalen Johann Jakob Efferenn, der trotz oder wegen seiner hervorragenden Geistesgaben in Amt und Ehe scheiterte. Schon in seiner ersten Bedienstung als Präzeptor in Herrenberg legte er sich mit Ortsansässigen an, sein »Hang zu spöttischen Witzeleien, die er auch auf der Kanzel nicht unterlassen konnte« (S. 88), erschwerte seine Situation zusätzlich. Auch seine hier geschlossene Ehe brachte ihm keinen Frieden, weil seine Ehefrau den ökonomischen Herausforderungen eines Pfarrhaushaltes offensichtlich nicht gewachsen war und überdies keine kongeniale Partnerin für Efferenn sein konnte.
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Sein Niedergang führte ihn über mehrere Pfarramtsstellen, die er allesamt bald wieder verlassen musste, schließlich zur Amtsenthebung und Scheidung, wobei Trunksucht, sein Hang zu Respektlosigkeit gegenüber der lokalen Führungsschicht und »frechen Witzeleien« (S. 103) sowie Gewalttätigkeit in beiden Fällen eine Rolle gespielt haben und mit finanziellen Schwierigkeiten einhergingen. Zur Ruhe kam Efferenn erst in seinen letzten Jahren nach der Amtsenthebung und Scheidung, wo er zurück in der Hauptstadt als Privatlehrer seinen Unterhalt verdiente und die intellektuelle und gesellige Anregung erhielt, die er in seinen provinziellen Pfarreien so sehr vermisst hatte.
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Christian Ludwig Neuffer war »Hölderlins vertrautester Freund während seiner Tübinger Zeit« und »verstand sich als geborene Dichternatur« (S. 118), was ihn während seiner Schulzeit und der Arbeit an einer Aeneis-Übersetzung in seiner Heimatstadt Stuttgart in engen Kontakt mit Gotthold Friedrich Stäudlin und nach seiner Rückkehr aus dem Tübinger Stift in Kontakt mit Christian Friedrich Daniel Schubart brachte. Nach seinem Examen tat er ab 1792 Dienst als Vikar im Stuttgarter Waisenhaus. Der Durchbruch als Dichter gelang ihm trotz jahrelangem Bemühen, in das er seine »Herzensangelegenheiten« (S. 126) als lyrischen Rohstoff investierte, nicht; auch seine Bemühungen, in eine der führenden Familien Stuttgarts einzuheiraten, waren nicht von Erfolg gekrönt. Schließlich resignierte er trotz hochfliegender Pläne und begnügte sich 1803 mit einer Landpfarre und der »Tochter des Kontrolleurs und Hausmeisters im Waisenhaus« (S. 162). Seine dichterischen Ambitionen pflegte er neben seinem Pfarramt und 1816, drei Jahre bevor er wieder in eine größere Stadt, nach Ulm, versetzt wurde, erschien erstmals seine Übersetzung der Aeneis, zu der ihn schon Stäudlin in seiner Jugendzeit ermutigt hatte.
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Rudolf Friedrich Heinrich Magenau gelang trotz seiner nichtstandesgemäßen Herkunft – sein Vater wie auch die Vorfahren der Mutter waren Stadt- und Amtsschreiber – der rasche Aufstieg in das Pfarramt. Allerdings nur unter Preisgabe seiner romantischen Vorstellungen von Liebe und Ehe, die er, wie seine Kommilitonen auch, während seiner Studienzeit entwickelt hatte, und nach seinem Studium ziemlich schnell aufgab – was ihm die Tübinger Freunde zum Vorwurf machten. Dafür heiratete Magenau als einer der jüngsten seiner Promotion schon 1794 in die Niederstotzinger Pfarre ein:
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Vor wenigen Monaten hatte Magenau an die künftige Geliebte noch […] hohe Ansprüche gestellt, die anscheinend im Nu den Vorteilen einer frühen Bedienstung gewichen waren. Es gibt weder in der ›Lebensskizze‹ noch in Magenaus Briefen Indizien dafür, dass er in seiner Frau eine gebildete, literarische Gesprächspartnerin gefunden hatte. (S. 184)
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Neque Sparta neque Martha: Hölderlins Verweigerung von Amt und Ehe zugunsten der Dichterexistenz
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Die letzten drei Kapitel von Hayden-Roys Untersuchung sind Hölderlins Verhältnis zu den jungen Frauen Louise Nast, Elise LeBret und Eberhardine Blöst gewidmet. In dieser Reihe fallen sowohl die Nennung Eberhardine Blösts als auch der Verzicht auf eine Thematisierung von Hölderlins Verhältnis zu Susette Gontard auf.
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Die Bewertung Eberhardine Blösts als Hölderlins letzte Liebe orientiert sich dabei vor allem an den spärlichen Belegen dafür bei Wilhelm Waiblinger und dem Tübinger Schreinermeister Ernst Friedrich Zimmer, in dessen Turmzimmer am Neckar Hölderlin die letzten 27 Lebensjahre verbrachte, sowie an der Neubewertung zweier Freundschaftsbänder aus dem Umkreis Hölderlins, die sich heute im Deutschen Literaturarchiv Marbach bzw. der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart befinden.
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Der Verzicht auf die Thematisierung von Hölderlins Beziehung zu Susette Gontard in dieser Untersuchung ist einerseits nachvollziehbar – als verheiratete Frau aus Kreisen jenseits der ›Ehrbarkeit‹ war sie auf dem württembergischen Heiratsmarkt nicht relevant –, der Reiz, den sie auf Hölderlin ausübte, bedarf andererseits aber genau deshalb einer Erklärung. Möglicherweise ließe sich eine solche Erklärung im Kontext dieser Arbeit aus ›Diotimas‹ Distanz zu diesen Zuständen gewinnen, die Hölderlins Verhältnis zu ihr von allen sozialen Zwängen der württembergischen Heimat befreit und genau darum so begehrenswert, aber eben auch unerreichbar macht.
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Hölderlins Verhältnis zu Louise, der jüngsten Tochter des Maulbronner Klosterverwalters Johann Conrad Nast war zunächst eine der üblichen Schülerliebeleien, wie sie zwischen Klosterschülern und den drei Verwaltertöchtern häufiger waren. Konnte sich Hölderlin hier noch vorstellen, mit der Tochter das Amt des Schwiegervaters zu übernehmen, wurde ihm zu Beginn seiner Tübinger Studienzeit klar, dass seine Lebensziele auf einer anderen Ebene lagen, was schließlich zum Bruch der mittlerweile bis zum frühen Verlöbnis gediehenen Beziehung führte:
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Bis Ende 1787 scheint Hölderlin den Konflikt zwischen seiner Liebe zu Louise Nast und seinen innersten Wünschen und Ambitionen, der in der Tübinger Zeit zur Auflösung des Verhältnisses führen würde, noch nicht erkannt zu haben. Aber neben seinen Ängsten um seine Liebe zu ihr beunruhigte ihn auch schon zu diesem Zeitpunkt sein keimender dichterischer Ehrgeiz. (S. 219)
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Im Abschiedsbrief an Louise Nast thematisiert Hölderlin diesen Zusammenhang von Amt und Ehe und löst das Verlöbnis deshalb, aber auch mit Blick auf seinen unbefriedigten dichterischen Ehrgeiz auf. Bis zu Louises schließlicher Etablierung sollte es dann noch weitere fünf Jahre dauern, als sie den langjährigen Maulbronner Klosterschreiber Christoph Andreas Ludwig ehelichte, den sie bisher – obwohl er langjähriger Mitarbeiter ihres Vaters war – offenbar nicht wahrgenommen hatte.
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Hölderlins nächste Beziehung galt der Tochter des Tübinger Universitätskanzlers Johann Friedrich LeBret, Elise, und war gekennzeichnet durch ein grundlegendes Missverständnis des jungen Dichters, der das Ideal seiner »Lyda«-Gedichte mit seinem realen Gegenüber verwechselte, wie er rückblickend in einem Brief im Januar 1795 an Christian Ludwig Neuffer schrieb. Unglücklicherweise hielten beide Familien diese Verbindung für nützlich und bemühten sich 1794 um ein geeignetes Amt für Hölderlin:
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Es musste folglich den alten Konflikt zwischen Dichterberuf und bürgerlichem Leben in Hölderlin auslösen […]. Die Verbindung zu Elise LeBret ließ sich jedoch schwieriger abschütteln als die zu Louise Nast: Wusste Hölderlin schon 1793 für sich, er wolle Elise nicht heiraten, so wird es mindestens zwei weitere Jahre dauern, bis die Familien und Elise auch zu dieser Einsicht kamen. (S. 254)
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Erst nachdem Hölderlin drei Stellenangebote ausgeschlagen hatte, wurde der Familie LeBret klar, dass Hölderlin nicht der ideale Kandidat für ihre Tochter war, und Elise selbst bat Hölderlin erst Anfang 1798 um die Rückgabe ihrer Briefe. Erst als 25-Jährige heiratete sie dann 1799 Friedrich Wilhelm Ostertag, der auf Vermittlung des Kanzlers LeBret seine erste Anstellung im selben Jahr in Wolfenhausen erhielt.
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Nulla Martha sine Sparta: Hölderlins letzte Liebe
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Gänzlich anders geartet ist die Rolle der Familie Hölderlins in der letzten hier untersuchten Verbindung Hölderlins zu einer Frau, zu seiner Kusine Eberhardine Blöst. Diese Verbindung fällt in eine Zeit, zu der Hölderlins geistige Gesundheit bereits erkennbar angeschlagen war und die Familie Friedrich Hölderlin eine eigenständige Amts- und Haushaltsführung oder gar eine Ehe nicht mehr zutraute. Hatte Johanna Gok, Hölderlins zum zweiten Mal verwitwete Mutter, nach Hölderlins Umzug nach Frankfurt im Jahr 1796 zunächst noch versucht, ihren Sohn mit einem Amt zu versorgen, um die Familie endlich von der finanziellen Sorge um den nahezu mittellosen Sohn zu befreien, fürchtete sie spätestens seit 1803, dass durch eine Heirat Hölderlins das ohnehin bereits stark geschrumpfte Familienvermögen erneut reduziert werden würde. Weil sein zerrütteter Geisteszustand ihm die Ausübung eines finanziell auskömmlichen Amts nicht gestatten würde, müssten deshalb die Unterhaltslasten für die gesamten Familie des erwerbsunfähigen Friedrich Hölderlin aus dem Familienvermögen bestritten werden, das Johanna Gok für ihre Kinder – neben Friedrich noch die Schwester Heinrike und der Halbbruder Carl Gok – verwaltete. Das Amt des Dichters, das Hölderlin inzwischen durchaus erfolgreich ausübte, wenngleich es ihm noch nicht die selbst angestrebte finanzielle Unabhängigkeit von der Familie gestattete, zählte dabei für Johanna Gok nicht zu den vorstellbaren Lebensentwürfen, denen sie ihren – finanziellen – Segen geben würde.
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Priscilla Hayden-Roys These ist, dass Friedrich Hölderlins Verhältnis zu Eberhardine Blöst, das sich wohl ab 1803 entwickelt haben mag, durch die Heirat mit Hölderlins Halbbruder Carl Gok unterbunden werden sollte:
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Vermutlich im Laufe des Sommers oder Herbstes 1803 werden die Familien – die Goks und die Blösts – auf das Verhältnis, das sich zwischen Hölderlin und Eberhardine entwickelt hat, aufmerksam geworden sein. […] Wenn Hölderlin seine Kusine damals heiraten wollte oder wenigstens die Notwendigkeit dieses Schrittes eingesehen haben mag, so war er in den Augen seiner Familie weder in der Lage, selber ein Amt zu bekleiden, noch folglich auch zu heiraten. Carl Gok bot sich allerdings als heiratsfähiger Mann an, hatte er doch 1803 sein erstes richtiges Amt erhalten […]. Nun hätte der ambitionierte aber unvermögende Gok allerdings eine bessere Partie als seine Kusine für sich aussuchen können. […] Nun sollte er die unbemittelte Geliebte seines Bruders heiraten, um die Familienehre zu retten und der Blöst’schen Verwandtschaft den Fehltritt seines Bruders wieder gutzumachen. (S. 297 f).
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Hölderlins spätere Abneigung gegen seine Familie während der Tübinger Turmzeit sowie die auffällige Distanz, die seine Familie während all dieser Jahre zu dem kranken Dichter gehalten hat, sind ein Ergebnis dieser Heiratspolitik Johanna Goks, die ihren Sohn, auf dessen beruflichen Aufstieg sie einen großen Teil des Familienvermögens durch die Finanzierung der langen Ausbildungszeit und der Jahre als Hauslehrer und Privatgelehrter gesetzt hatte, lange unterstützt hat, aber nach der Erkenntnis der Aussichtslosigkeit dieses Vorhabens rasch und vollständig die Unterstützung des Sohnes einstellte.
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Fazit
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Diese im Rahmen ihrer Argumentation einleuchtende These kann die Autorin dieser Arbeit durch gut und schlüssig verbundene Indizien aus den mit großer Akribie untersuchten Quellen herleiten. Die Studie zeigt den sozialen Druck, der auf Hölderlin und seine Generation vor allem seitens der jeweiligen Familien aus Gründen des Statuserhalts bzw. der Statusverbesserung ausgeübt worden ist und dem sich die Jungen entweder beugten oder an ihm zerbrachen.
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Inwieweit Hölderlin letztlich tatsächlich Opfer dieser württembergischen Heiratspraxis und der damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Zwänge geworden ist – Hayden-Roy spricht hier von »Hölderlin als Geisel des von ihm erwarteten Gehorsams« (S. 320) –, muss die künftige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser anregenden Studie zeigen. Unstrittig ist die familiäre Ablehnung von Hölderlins Plänen einer durch die Homburger Bibliothekarsstelle abgesicherten Dichterexistenz, weil die württembergische »Verkoppelung von [Pfarr-]Amt, Ehe und Erbübertragung« (S. 321) dadurch unmöglich gemacht worden wäre. Ob durch die Unterbindung des – kaum beweisbaren – Verlöbnisses mit Eberhardine Blöst Hölderlins ›Wahnsinn‹ befördert wurde, wie die Studie mit den Zitaten aus Wilhelm Waiblinger und Ernst Friedrich Zimmer andeutet, bleibt in dieser Untersuchung jedoch im Dunkeln und wird von der Fokussierung der Argumentation auf die finanziellen Interessen der Familie Hölderlins überlagert – eine Schwerpunktbildung, die der Quellenlage Rechnung trägt.
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