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Buchhandel im Wandel

  • Michel Clement / Eva Blömeke / Frank Sambeth (Hg.): Ökonomie der Buchindustrie. Herausforderungen in der Buchbranche erfolgreich managen. Wiesbaden: Springer Gabler 2009. 300 S. Broschiert. EUR (D) 62,95.
    ISBN: 978-3-8349-1172-8.

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Der bereits 2009 erschienene Sammelband verspricht, Antworten auf Probleme des derzeitigen Buchhandels zu finden. Die Herausgeber- und Autorenliste umfasst 26 ausgewiesene Ökonomen, Medienwissenschaftler und Germanisten von denen die Mehrheit in der Branche tätig ist. Unter den Herausforderungen der Buchbranche verstehen die drei Herausgeber Michel Clement, Eva Blömeke und Frank Sambeth vor allem den derzeitigen Medien- und Technologiewandel, den es zu meistern gilt. Somit sind eingangs hohe Erwartungen beim Leser geweckt.

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Aufbau der Untersuchung

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Der Sammelband gliedert sich in drei große Abschnitte. Im ersten Teil wird die Buchbranche ökonomisch analysiert mit Artikeln zu Marktübersicht und Marktentwicklung, Wettbewerbsanalyse, Konsumentenstruktur im deutschen Buchmarkt, Wirtschaftlichkeit in der Buchindustrie und zur kulturellen Bedeutung des Lesens. Der zweite Abschnitt widmet sich dem Buchmanagement: Management der Wertschöpfungskette, Management und Erweiterung des Produktportfolios bei Verlagen, Buchgestaltung, Preismanagement, Markenmanagement, Vertrieb und Auslieferung sowie verbreitender Buchhandel. Der abschließende Teil geht auf Innovationen ein: Vermarktungstechnologien, Online-Vertrieb, Print-on-Demand und die Implikationen der digitalen Ökonomie generell.

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Die Aufsätze verwenden unterschiedliche Zitierstandards. Einmal Fußnoten, dann amerikanische Zitierweise – einmal mit Seitenangaben, dann wieder ohne – bis hin zu Aufsätzen, die keinerlei Fußnoten bringen. Hilfreich sind die Literaturlisten am Ende eines jeden Aufsatzes.

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Ausgewählte Beiträge

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Der Artikel »Marktübersicht und Marktentwicklung« aus der Feder von Thomas Wilking, präsentiert die wichtigsten aktuellen Entwicklungen. Die Kernaussagen überraschen auf den ersten Blick nicht (»Zum gedruckten Buch kommen andersartige Medienformate«, »Die Medienbranchen überschneiden sich stärker«, »Buchverlage organisieren sich medienneutral« oder »Der Handel öffnet sein Sortiment«, vgl. S. 28–29) – sie sind jedoch zutreffend und richtig kommentiert. Das gilt auch für die Kennzeichnung des Buchhandels als »reifen Markt«. Gleiches trifft für den Beitrag von Arnd Roszinsky-Terjung zu, der eine Wettbewerbsanalyse vornimmt. Im internationalen Vergleich gesehen realisiert der deutsche Buchhandel vergleichsweise hohe Umsätze und stellt u.a. den britischen und amerikanischen Buchmarkt deutlich in den Schatten, wenn man den Umsatz pro Kopf der Bevölkerung anrechnet. Der Beitrag zur »Konsumentenstruktur im deutschen Buchmarkt« von Christoph Kochhan und Jennifer Bannert stützt sich vor allem auf die Leser und Buchkäufer-Analysen des Börsenvereins. Gerade in der Verknüpfung von klassischen Buchinhalten und digitalen Medien wird ein großes Potenzial für die Zukunft gesehen.

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Rainer Groothius äußert sich in seinem Essay »Das Buch und seine Gestalt« auf fast philosophische Weise. Die Gestaltung des »normalen« Buches sei keine Kunst, sondern eine (reine) Warenproduktion. Seiner Meinung nach wird in den meisten Verlagen ein unglaublicher Aufwand mit der Entwicklung der Cover-Vorderseite (U1) betrieben. Jeder im Verlag spreche da mit, weil man meint, das wäre verkaufsentscheidend. »Solche Umschläge schaffen es kaum, jene spontane Entscheidung zum Zugriff auszulösen.« (S. 123). Die Innengestaltung der Bände wird dagegen oftmals unterschätzt, ja vernachlässigt und verlagsinternen Herstellungsabteilungen überlassen. – Wie wahr, wenn man sich die Eintönigkeit des deutschen Seitenlayouts ansieht.

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Der Beitrag von Holger Bellmann zu »Vertrieb und Auslieferung« skizziert die gegenwärtigen Trends wie folgt: In allen Bereichen des Buchhandels wird die Konzentration zunehmen, so auch im Zwischenbuchhandel. Daraus folgt ein erhöhter Margendruck auf alle Lieferanten, also Verlage und Großhändler. Zum anderen wird es durch zentrale Einkaufsstrukturen schwieriger für kleinere Verlage, in den großen Filialisten Thalia oder Hugendubel gelistet zu sein. Neben dem wachsenden Internetbuchhandel führt nach Bellmann vor allem das wachsende Titelangebot zu geringeren Auflagen und einer »zunehmenden Orientierungslosigkeit bei den Buchhändlern« (S. 187). Der Autor sieht vor allem im Buchvertrieb neue Lösungen, »um das richtige Buch zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Ort zu liefern.« (ebenda) – Wenn es um die Auslieferung bestellter Bücher geht, so ist heute schon das Logistiksystem des deutschen Buchhandels unschlagbar. 1 Aber es ist weniger eine Frage der Logistik als vielmehr eine der Werbung, Information und Kommunikation, die zunehmende Titelvielfalt an die entsprechenden Käufer zu bringen.

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Hinsichtlich der neuen Trends und Technologien liegt der Schwerpunkt auf E-Book, Print-on-Demand und Online-Vertrieb von Büchern. Nach wie vor weist das gedruckte Buch einen Anteil von weit über 90 Prozent am Branchenumsatz auf, die elektronischen Formen und Verbreitungen sind jedoch auf dem Vormarsch. Gerd Robertz benennt in seinem Beitrag über den »Online-Vertrieb von Büchern« eine Reihe von Faktoren, die es zu berücksichtigen gilt: Breite und Tiefe des Sortiments, Preisgestaltung und Preiswahrnehmung, Shopgestaltung und Navigation, Produktdarstellung, Bewerbung des Online-Shops, Schnelligkeit der Auslieferung und Qualität des Kundenservices (S. 234–237). Und hier zeigt sich auch, dass die Omnipräsenz der Marktführer im Onlinegeschäft, allen voran Amazon, es anderen Anbietern und Neueinsteigern schwer macht, überhaupt wahrgenommen zu werden. Moritz Hagenmüller und Friederike Künzel bescheinigen in ihrem Beitrag über »POD – Neue Chancen für Verleger und Autoren« der neuen Technik unter der Zwischenüberschrift »Verlegen ohne Risiko« fast heilsbringende Wirkungen: »Denn dank digitaler Technologien ist es heute möglich, beliebig viele Titel elektronisch zu speichern und erst auf Bestellung als sogenannte ›Books-on-Demand‹ zu produzieren. [...] Schon die Herstellung eines einzigen Exemplars liefert einen positiven Deckungsbeitrag und das Auflagenrisiko sowie die Kosten für Lagerung, Remission und Makulierung gehen gegen null.« (S. 259). Die Begeisterung für neue Techniken sorgte auch historisch gesehen immer wieder dafür, dass Zeitzeugen übers Ziel hinausschießen. Man sollte bedenken: Auch PoDs verursachen Kosten für Akquise, Redaktion, Aufbereitung, Bewerbung etc., die doch in der Regel über dem einen verkauften Exemplar liegen. Es ist aber richtig, dass PoD für viele problematische Titel, u.a. im wissenschaftlichem Bereich, Chancen eröffnen.

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Definitionsschwächen

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Bereits im Titel fällt der Terminus »Buchindustrie« auf. Er wird von einigen Beiträgern gern benutzt, zum Teil auch mit einem Verweis auf die »Musikindustrie«, andere verzichten hierauf völlig. In seinem Aufsatz zur Wettbewerbsanalyse bemerkt Arnd Roszinsky-Terjung, die Branche würde diese Selbstbezeichnung eher selten nutzten und sich auch anders verstehen. Spätestens hier hätte man stutzig werden können. Denn nach dem Drei-Sektoren-Modell der Volkswirtschaftslehre zählt die Industrie zum sekundären Sektor, in welchem Konsumgüter in Massenproduktion und zumeist in Großbetrieben hergestellt werden. Der Buchhandel hingegen gehört als Handel in den tertiären Wirtschaftssektor (Dienstleistungssektor). Die Dominanz klein- und mittelständischer Betriebsstrukturen unterstützt diese Einordnung. Selbst große Konzerne fassen die eher mittelständischen Verlage in Gruppen zusammen und nicht in Großunternehmen. Und sieht man sich die Buchtitelproduktion an, dann ist nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz davon echte Massenproduktion. Die richtigen Begriffe, auch für den Titel, würden also Buchhandel und Buchherstellung (Buchdruck) lauten. Es handelt sich genau genommen übrigens um zwei Branchen.

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Im Band findet man immer wieder schwelgende Zitate zum Buch, die sich im engeren Sinne auf literarische Bestseller beziehen. »Ein gutes Buch fesselt den Leser«, »Ein neuer ›Harry Potter‹-Band führt weltweit zu Massenaufläufen«, »Ein gutes Buch ist primär eine gute Geschichte« (S. 5), »Bücher sind etwas Wunderbares!« (S. 11), »Buchautoren wie Grisham, Follett oder Gordon sind Stars« (S. 18) usw.. Nun ist es aber so, dass der Bestseller und das »gute Buch« nach der verkauften Umsatzstatistik des Börsenvereins nur 17,2 % der Titelproduktion ausmachen. 2 Welche Faszination geht von anderen Warengruppen der sogenannten Buchindustrie aus, etwa von Loseblattsammlungen, die auch sehr gewinnbringend über den Buchhandel vertrieben werden? Es ist vielleicht nicht die gestellte Aufgabe des Bandes, den zentralen Handelsgegenstand der Branche – das Buch – zu definieren, aber es wird dennoch in Ansätzen getan. Die Herausgeber wählten in der Einleitung die ältere Vorlage von Klaus Brockhoff 3 , nach der das Buch ein »Bündel von Eigenschaften sei«. Diese unscharfe Definition, die problemlos auf alle Konsumgüter angewendet werden kann, wird noch weiter präzisiert: Ein Buch besteht aus »dem Text, aber auch aus dem Cover, Einband oder dem Papier« (S. 15). Auch wenn im Weiteren noch das E-Book erwähnt wird, fällt doch auf, dass die Herausgeber nicht die jüngst publizierten, einschlägigen Nachschlagewerke zum Buch konsultiert haben 4 , und sei es auch nur, um sich zu vergewissern.

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Fazit

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Ein Sammelband steht und fällt mit den Leistungen der einzelnen Beiträge. Das war schon immer so. Am Ende der Lektüre von Ökonomie der Buchindustrie bleibt trotz der genannten Kritik ein positiver Gesamteindruck. Mehrheitlich inspirierende Beiträge mit interessanten und zutreffenden Thesen machen die Rezeption lohnenswert. Freilich regt sich hier und da auch Widerspruch und Diskussionsbedarf, aber die aktuelle Entwicklung ist ja im Flusse, hier muss die Analyse und Einschätzung auf Grenzen stoßen. Ein besseres Lektorat hätte dem Band allerdings gut getan.

 
 

Anmerkungen

Vgl. auch Thomas Bez und Thomas Keiderling: Der Zwischenbuchhandel. Begriffe, Strukturen, Entwicklungslinien in Geschichte und Gegenwart. Stuttgart 2010.   zurück
Buch und Buchhandel in Zahlen 2011. Frankfurt am Main. S. 66.   zurück
Vgl. Kaus Brockhoff: Produktpolitik, 3. Auflage. Stuttgart 1993.   zurück
Vgl. u.a. Helmut Hiller und Stephan Füssel: Wörterbuch des Buches: mit Online-Aktualisierung, 7., grundlegend überarb. Aufl.. Frankfurt am Main 2006; Ursula Rautenberg (Hg.): Reclams Sachlexikon des Buches, 2. verb. Auflage. Stuttgart 2003; Severin Corsten, Stephan Füssel und Günther Pflug (Hg.): Lexikon des gesamten Buchwesens (LGB2). Stuttgart 1987–2008.   zurück