IASLonline

Christologie als Wurzel der Anthropologie bei
J. G. Herder

  • Claas Cordemann: Herders christlicher Monismus. Eine Studie zur Grundlegung von J. G. Herders Christologie und Humanitätsideal. (Beiträge zur historischen Theologie 154) Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 2010. 310 S. Gebunden. EUR (D) 84,00.
    ISBN: 978-3-16-150408-2.
[1] 

Seitdem sich die Herder-Forschung seit den 1980er Jahren rasant entwickelt hat, 1 werden die theologischen Aspekte seiner Philosophie stärker berücksichtigt. Die Untersuchungen von Martin Keßler erwiesen dokumentarisch präzise, dass Herders Predigtamt und seine Persönlichkeit untrennbar miteinander verbunden sind. 2 Claas Cordemann schließlich geht nunmehr noch einen Schritt weiter: Er führt aus, dass Herders theologisches Interesse sich nicht auf seine Ämter beschränkte, sondern dass die Werke, vor allem aus seiner Weimarer Zeit, und der Kern seines Denkens theologisch geprägt sind.

[2] 

Humanität als christlogische Kategorie

[3] 

Cordemanns hier zu besprechendes Werk ist die überarbeitete Version seiner 2009 an der Theologischen Fakultät der Universität Göttingen eingereichten Dissertation. Es erschien in der Reihe Beiträge zur historischen Theologie und ist eine monumentale Interpretation der Grundlegung von Herders Christologie und Humanitätsideal. Cordemanns Hauptthese lautet,

[4] 
dass Herders Natur- und Kulturtheorie in einer spinozanisch inspirierten Metaphysik gründen, die ihrerseits von Herder als eine erfahrungstheoretische Neuformulierung der Logoschristologie verstanden wird. Humanität als der Begriff, unter dem Herder das Wesen des Menschen reflektiert, erweist sich von daher für Herder als eine letztlich dezidiert christologische Kategorie. (S. 4)
[5] 

Der Autor geht also von der Grundannahme aus, dass die philosophischen Anliegen Herders auf seinem christlichen Glauben beruhen. Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden die Argumentation Cordemanns kurz zusammengefasst werden.

[6] 

Aufbau des Werkes

[7] 

Nach einer Einleitung, in welcher der Autor einen kurzen Forschungsabriss liefert und seine Thesen darlegt, folgen vier schwerpunktmäßige Kapitel. Abschließend gibt Cordemann einen Rück- und Ausblick, dem ein ausführliches Literaturverzeichnis sowie ein Personen- und Sachregister folgen. Im ersten Kapitel, »Herders Anthropologie« betitelt, wird Herders Humanitätsbegriff erläutert. Hierbei spielen sowohl geschichtsphilosophische als auch natürlich-kulturelle und religiöse Aspekte eine entscheidende Rolle. Diese vielschichtige Struktur des Humanitätsbegriffes untersucht Cordemann. In Anlehnung an Herders Humanitätsverständnis nimmt er an, dass Geschichtsphilosophie, natürlich-kulturelle Anteile und Religion das Wesen der Menschheit entscheidend prägen. Zudem spricht er in diesem Zusammenhang vom Menschen als »Kultur-« und »Naturwesen« (S. 23 ff., 30 ff.). Da Herder zufolge Gott sowohl die Natur als auch die Kultur geschaffen hat, erscheint bei ihm die Verwirklichung des Menschen innerhalb beider Räume als Freiheitsmoment, was einer Selbstverwirklichung gleichkommt. Herders Humanitätsbegriff, so leitet Cordemann daraus ab, kann also tendenziell als »Gott-Natur«-Beziehung verstanden werden (S. 61).

[8] 

Im zweiten Kapitel, »Die metaphysische Fundierung von Herders Natur- und Kulturtheorie«, wird schließlich Herders Spinoza-Rezeption in Bezug auf diese »Gott-Natur«-Beziehung erläutert. Cordemann liefert einen Abriss über die allgemeine Spinoza-Debatte der 1780er Jahre. Er kommt zu dem Schluss, dass Herder zwar in vielerlei Hinsicht nicht mit den Annahmen Spinozas übereinstimme, dessen ungeachtet jedoch einige Gedanken des Spinozismus in seine Philosophie integriere (S. 68). So wirkt Gott nach Herder beispielsweise nicht unmittelbar auf den Menschen ein, sondern überlässt ihm das Recht zur Selbstbestimmung. Dies bezeichnet Cordemann als »Monismus der internen Differenz« (S. 158).

[9] 

Ausgehend von der Spinoza-Rezeption bei Herder expliziert Cordemann im dritten Kapitel, »Humanität und Religion«, dass sich die geschichtsphilosophische Dimension in der »conditio humana« wiederfinde. Daran anknüpfend wirft er die Frage auf, wie der Mensch sich zu jenem göttlichen Selbst bilden kann, welches er sein will (S. 165). Nach einer ausführlichen Erörterung dieser Problematik kommt er zu dem Schluss, dass die Geschichtsphilosophie Herders religiös determiniert sei. Religion sei für Herder die »höchste Humanität«, welche den Zusammenhang von Natur und Offenbarung durchsichtig mache und folglich das Fundament aller Kultur bilde (S. 201).

[10] 

Im vierten und letzten Kapitel, »Humanität und Christologie«, erläutert der Autor den Zusammenhang zwischen Herders Christologie und dem Spinozismus: Herder deute den Monismus des Geistes in eine Logoschristologie um. Folglich müssten auch die Begriffe Naturtheorie, Geschichtsphilosophie und Anthropologie vor einem christlich-religiösen Hintergrund verstanden werden. Cordemann beendet seine Ausführungen mit der Feststellung, dass »für Herder Humanität [...] nie bloße Humanität« sei, dass mithin »für Herder die Humanität als das Göttliche im Menschen eine teleologisch-normative Bestimmung ist« (S. 255). Humanität wird demzufolge als ein ausschließlich christlich motivierter Begriff definiert.

[11] 

»Licht, Leben, Liebe«

[12] 

Im Allgemeinen liefert Herders christlicher Monismus einen optimalen Überblick über Herders Philosophie und ist über den Kreis der rein theologisch interessierten Herder-Forschung hinaus relevant. Das vorliegende Werk ist ebenso für die Germanistik, Philosophie und Kulturgeschichtswissenschaft mit dem Schwerpunkt des 18. Jahrhunderts von Bedeutung. Insofern können Cordemanns Ausführungen als ein wichtiger Beitrag zur interdisziplinären Forschung bezeichnet werden.

[13] 

Die zentrale Annahme Cordemanns, dass Herders Philosophie beziehungsweise sein Humanitätsbegriff stark von christlichen Einflüssen geprägt ist, kann allerdings weiterhin hinterfragt werden, da ebenso davon auszugehen ist, dass sich neben der religiösen auch die kulturelle Komponente in Herders philosophischem Denken niedergeschlagen hat. Herders Humanitätsbegriff wäre in diesem Sinne zwar als christlich motiviert zu verstehen, jedoch in gleichwertiger Weise ebenfalls kulturell zu deuten. Um auf Herders logoschristologisch vertieften Monismus des Geistes zu fokussieren, klammert Cordemann derartige Fragestellungen aus; die Spannung zwischen Herders relativistischer Kulturtheorie und der christlichen Norm spielt bei ihm kaum eine Rolle. Hier können aber weitere Untersuchungen anknüpfen.

[14] 

Herders Kulturtheorie, in welcher er die Daseinsberechtigung eines jeden Volkes anerkennt, gilt auch für die mannigfaltigen konkreten Erscheinungen, in denen die natürlich-kulturelle Gestalt der Völker auftritt. Diese pluralistische Ansicht steht im Widerspruch zur christlichen Norm (S. 63–66). Herders Humanitätsbegriff wirft die Frage auf, inwiefern dieser kulturanthropologische Aspekt für den Monismus des Geistes als Logoschristologie oder im Hinblick auf seine kirchliche Tätigkeit relevant sein könnte.

[15] 

Die Worte auf Herders Grabplatte lauten: »Licht, Leben, Liebe«. Cordemanns Buch schließt mit einer richtungsweisenden Interpretation dieser Inschrift: »[D]ie Aufgabe der Menschwerdung des Menschen« sollte sich »nach dem Bilde Christi zu einer humanen Gesellschaft« vollziehen (S. 270).

 
 

Anmerkungen

The International Herder Society / Internationale Herder-Gesellschaft wurde 1985 in Monterey / California gegründet und publiziert seit 1990 das Herder Yearbook / Herder-Jahrbuch. Darüber hinaus wird seit 1977 eine Gesamtausgabe von Herders Briefen veröffentlicht und 1985–2000 wurde eine historisch-kritische Ausgabe der Werke Herders im Deutschen Klassiker Verlag herausgegeben. Diese historisch-kritische Ausgabe enthält Herders theologische Schriften, welche von Christoph Bultmann und Thomas Zippert herausgegeben und kommentiert wurden.   zurück
Vgl. Martin Keßler: Johann Gottfried Herder. Der Theologe unter den Klassikern. Berlin: de Gruyter 2007.   zurück