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Ein Standardwerk der Wissenschaftsgeschichte

  • Uwe Meves (Hg.): Deutsche Philologie an den preußischen Universitäten im 19. Jahrhundert. Dokumente zum Institutionalisierungsprozess. Berlin: Walter de Gruyter Juni 2011. 1312 S. Gebunden. EUR (D) 299,00.
    ISBN: 978-3-11-017928-6.
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Die Dokumente

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In der Exil-Forschung kam die Sicherung der Dokumente zuerst, in der Wissenschaftshistoriographie der Germanistik kommt sie erst, nachdem die ideologiekritischen und systemtheoretischen Meistererzählungen vorüber sind. Die längste Lebensdauer scheint noch die nach den Quellen gearbeitete Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft 1 von Klaus Weimar zu haben. Uwe Meves erzählt nicht, er präsentiert eine zweibändige, mit aller gebotenen philologischen Sorgfalt edierte Dokumentensammlung, die den Institutionalisierungsprozess der deutschen Philologie im 19. Jahrhundert an den preußischen Universitäten aus zumeist unveröffentlichten Quellen dokumentiert. Der den ganzen ersten Band umfassende, umfangreichste Teil (762 S.) enthält Quellen über die Einrichtung von Professuren für deutsche Sprache und Literatur an den preußischen Universitäten 2 von den Anfängen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, als die Binnendifferenzierung des Fachs in Alt- und Neugermanistik weitestgehend vollzogen war. Der zweite Teil (S. 765–886) bietet Quellen zur Vorgeschichte, Einrichtung und Funktionsdifferenzierung der germanistischen Seminare: Hier sind die nach dem Krieg von 1866 durch die Annexion von Hannover, Kurhessen und Schleswig-Holstein zu Preußen gehörigen Universitäten Göttingen, Marburg und Kiel hinzugekommen. Der dritte Teil schließlich (S. 887–1004) versammelt Dokumente, die in weiterem Sinne mit der Deutschlehrerausbildung zusammenhängen: 1. Prüfungsordnungen, 2. Germanistische Mitglieder in den Wissenschaftlichen Prüfungskommissionen, 3. Prüfungszeugnisse, 4. Empfehlungen zum (alt-)deutschen Schulunterricht, 5. Germanistische Handbücher und Fachzeitschriften. Der Anhang (S. 1005–1135) enthält das Quellen- und Literaturverzeichnis, ein Personen- und Werkregister sowie drei kleinere Register zu Orten, Zeitschriften und Autoren der Forschungsliteratur.

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Die Einrichtung germanistischer Lehrstühle

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Der Inhalt der von Meves versammelten Dokumente ist für Historiker der verschiedensten Orientierungen – von der Regionalgeschichte und Bildungsforschung bis zur Wissenschafts- und allgemeinen Kulturgeschichte – von Interesse; ich berücksichtige im Folgenden nur wenige allgemeinere Gesichtspunkte. Was die Gründung der Lehrstühle angeht, so bestätigen und differenzieren die Dokumente im Wesentlichen die Ergebnisse Weimars: Die nach 1810 eingerichteten Lehrstühle lösen allmählich die älteren ›Generalistenprofessuren‹ ab, die unter den verschiedensten Bezeichnungen firmierten: »lateinische und altdeutsche Litteratur, Rhetorik und Ästhetik« (Münster, S. 710) oder »Orientalische und altdeutsche Literatur« (Marburg, S. 744, Anm. 5) – Karl Lachmanns Königsberger »Lehrfach« wurde bezeichnet als »Theorie, Kritik und Literatur der schönen Künste und Wissenschaften« (S. 600). Das unbestrittene disziplinäre Vorbild für das neue Fach war die Klassische Philologie; nach dem Muster der Klassischen wollte Friedrich Heinrich von der Hagen die »Deutsche Alterthumswissenschaft« eingerichtet wissen, mit dem Nibelungenlied als »Nazionalepos« (S. 8) und dem »Gothischen« als dem »wahren germanischen Sanskrit« (S. 65). War die Einrichtung neugermanistischer Lehrstühle wesentlich auf den Druck der öffentlichen Meinung zurückzuführen (vgl. z. B. S. 170), so war die Einrichtung der ersten altdeutschen Professuren vermutlich weniger als bislang vermutet dem vaterländischen Enthusiasmus geschuldet – ein Antragsteller bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften kolportierte gar, deren Sprecher habe erklärt, »dass diese Behörde für Gegenstände wie die vaterländische Sprache kein Geld wegzuschmeißen habe« (S. 130). Die meisten Wissenschaftler dürften im Zusammenhang mit der Einrichtung von Lehrstühlen vordringlich das Ziel verfolgt haben, das Karl Lachmann 1823 in seinem Versetzungsgesuch von Königsberg nach Berlin formulierte: »dem Unterricht in der deutschen Sprache, der im glücklichsten Fall bis jetzt nur wenig mehr war als Sprachmeisterhandwerk, mit der Zeit immer mehr die wissenschaftliche Würde des Unterrichts in den alten Sprachen zu gewinnen« (S. 27).

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Was nun die Ausgestaltung der neuen Disziplin angeht, so zeigen die von Meves gebotenen Dokumente doch eine größere Gestaltungsbreite, als die Wissenschaftshistoriographie bislang vermuten ließ, die für das 19. Jahrhundert von einer monolithischen »positivistischen« und philosophiefeindlichen historischen Sprach- und Literaturwissenschaft ausging. Die Philosophische Fakultät der Universität Berlin freilich war der Meinung, dass für die Nachfolge von der Hagens »nur Männer ernster Wissenschaft in Frage kommen können, die mit strenger philologischer Methode dem auf diesem Gebiete vorlauten Liebhabereifer und den sich täglich mehrenden sprachlichen, ethnographischen, mythologischen, antiquarischen Träumereien entgegenarbeiten« (S. 90/91), und so war sie denn auch im Fall von Theodor Mundt der Auffassung, dass dessen Schriften »mehr auf vielfache Kenntnisse gegründete geistreiche Besprechungen enthalten, als daß sie wissenschaftliche Durcharbeitung und gründliche Methode erkennen ließen« (S. 40). Andererseits war die Universität Halle, vom Ministerium befragt, der Auffassung, dass der Hegelianer Robert Prutz dem Philologen Karl Weinhold in der Philosophischen Fakultät durchaus an die Seite treten könne:

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Wenn auch Herr Dr. Prutz und Herr Dr. Weinhold sich auf einzelnen Gebieten berühren mögen, so ist doch die Facultät der Ansicht, daß beide neben einander recht wohl dociren können, zumal Herr Dr. Prutz sich nicht blos auf deutsche Literatur und deren Geschichte beschränken, sondern sich vielmehr über die allgemeine Literatur-Geschichte überhaupt, vorbereiten wird, in der es eine Menge Gesichtspunkte giebt, welche von den grammatisch kritischen Studien der älteren deutschen Schriftdenkmäler nicht umfaßt werden, und selbst die deutsche Literatur-Geschichte, besonders der neueren Zeit, nicht blos von deutsch philologischem, sondern viel mehr von deutsch philosophischem Gesichtspuncte zu behandeln seyn möchte. (S. 472)
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Den Hegelianer Rudolf Haym berief der Minister sogar gegen das Mehrheitsvotum der Philosophischen Fakultät an die Universität Halle (vgl. S. 508–520). 3 Der – vor allem auf Betreiben von Wilhelm Scherer – zum Extraordinarius in Berlin berufene Ludwig Geiger hatte in dem entsprechenden Antrag auf seine zahlreichen Publikationen zur italienischen und französischen Literaturgeschichte verwiesen und die Philosophische Fakultät gebeten, ihn dem Minister für eine theoretisch ambitionierte komparatistische, nämlich »zu einer außerordentlichen Professur für allgemeine neuere Literaturgeschichte vorzuschlagen« (S. 114).

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Nimmt man die dokumentierte Geschichte der Einrichtung von Lehrstühlen in Preußen insgesamt in den Blick, so wird man mit Meves feststellen dürfen, dass es sich bei ihr keinesfalls um einen »nationalen Triumphzug« (S. 11), sondern um einen diskontinuierlichen Prozess handelt, der viel stärker von regionalen Besonderheiten geprägt war als bislang vermutet. An den preußischen Universitäten wurden zunächst Lehrstühle für ein Fach eingerichtet, das noch keine Disziplingrenzen und keine feste Binnenstruktur besaß und für dessen Entwicklung – auch im Zusammenhang mit dem schulischen Deutschunterricht – weder die Fachvertreter noch die Kultusverwaltung bis ins letzte Jahrhundertdrittel dezidierte Pläne besaßen. 4

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Die Gründung von Seminaren

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Die Geschichte der germanistischen Seminare ist, so konstatiert Meves zu Recht »trotz der ihrer institutionellen Verankerung zuerkannten Bedeutung« meist »nur unzureichend erforscht« (S. XV), und das gilt auch für ihre inner- und außeruniversitären Vorläufer, die unter den verschiedensten Bezeichnungen firmierenden Vereine und ›Deutschen Gesellschaften‹. Welchen Beitrag die Einrichtung von Professuren und die Gründung von Seminaren zur »Institutionalisierung« einer Philologie leisteten, müsste im Einzelnen sicher noch einmal untersucht werden. Professuren für bestimmte Fächer können sich als sehr diskontinuierliche Einrichtungen erweisen; Seminare, die aus den verschiedensten Gründen im 20. Jahrhundert meist in »Institute« umbenannt wurden, sind dauerhafter, aber, wie die Geschichte zeigt, auch einsparbar. Es gilt in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, dass Seminare ursprünglich nichts anderes waren als die unter der (An-)Leitung eines Professors verstetigte Form studentischen Forschens 5 und Lernens in einer Vereinigung, in der sowohl die Aufnahme als auch die Teilnahme von einer bestimmten Leistung – in der Regel einer schriftlichen Arbeit oder aber auch einem Vortrag – abhängig gemacht wird. Verknüpft wurde die Gründung von Seminaren zumeist mit einer bescheidenen Zuweisung von Mitteln für Bücher und die Honorierung hervorragender studentischer Arbeiten. Erst im Zuge der Mittelbewilligung und der – mitunter erst viel später erfolgten – Zuweisung von Räumen 6 für eine Bibliothek wurden die Seminare zu Verwaltungseinheiten der Fächer und deren Vorstände zu Direktoren. Von Bedeutung sind die Dokumente zur Gründung von Seminaren jedoch nicht allein für die Geschichte der Institutionalisierung von Seminaren und ihre Differenzierung in die ältere und neuere Abteilung sowie in Pro- und Hauptseminar, sondern wegen ihrer Informationshaltigkeit über die Arbeitsweisen und -formen vor allem auch für den jüngsten ›practice turn‹ 7 in der Wissenschaftshistoriographie.

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Nicht das früheste, aber das konzeptionell bedeutsamste Dokument zur Gründung germanistischer Seminare ist Scherers »Promemoria betreffend das Germanische Seminar« (1884, S. 843–849) in Berlin, in der er, zurückblickend auf seine Seminargründung und -praxis in Straßburg, über Ziele und Praxis von Seminaren und ihren Bibliotheken spricht.

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Das bei weitem informationshaltigste Dokument jedoch ist Julius Zachers »Entwurf einer Verfassung und eines Jahrgeldes für ein Seminar für deutsche Philologie zu Halle. Sammt Erläuterung und Begründung nebst Beilage, enthaltend: Übersicht des Jahrgeldes einiger Seminare« (1875); in ihm gehen Weitblick und Pedanterie 8 Zachers eine recht segensreiche Verbindung ein. Der Paragraph 10 seines »Verfassungsentwurfs« lautet:

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Mittel zur Erreichung des Seminarzweckes sind die Uebungen der Seminaristen. Sie können sich über alle Gebiete und Disciplinen der deutschen Philologie erstrecken; vorwiegend jedoch ist das Bedürfniß der Gymnasien im Auge zu behalten. Es gehören dahin Uebungen in Textkritik und Texterklärung, Referate, Kritiken, Erörterungen wissenschaftlicher und practischer Fragen, Vorträge und schriftliche Ausarbeitungen. In jedem Semester ist von jedem Mitglied eine schriftliche Arbeit zu liefern. Als Vertreter einer solchen darf auch ein Vortrag gelten, der so beschaffen ist, daß er an Werth und Bedeutung einer guten schriftlichen Ausarbeitung gleich zu achten ist.
Um fruchtbare Verwerthung und Wirkung dieser Mittel zu ermöglichen und zu fördern, werden zwei Hilfsmittel dargeboten: eine Bibliothek und baare Studienunterstützung. (S. 790/91)
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Dass mit der »Bibliothek« Bücher und kein Raum gemeint war, geht aus Zachers Erläuterungen hervor:

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Gewöhnlich werden Seminarübungen in einem Auditorium der Universität gehalten. Dann ist man aber jedes Mal beschränkt auf die spärlichen litterarischen Hilfsmittel, welche Vorsteher und Mitglieder gerade für diese Stunde mit zur Stelle gebracht haben. Deshalb hat man wohl auch daran gedacht, die Seminarübungen im Locale der Seminarbibliothek abzuhalten, um stets diese gesammte Bibliothek zu augenblicklicher Verfügung zur Hand zu haben. Doch ist mir nicht bekannt geworden, daß dieser Gedanke irgendwo wirklich zu practischer Ausführung gekommen sei, und noch weniger, welchen Erfolg er gehabt habe.
Ich habe seit 20 Jahren mein Privatissimum in meiner Studierstube mitten unter meinen Büchern gehalten, und bezahle aus diesem Grunde gegenwärtig eine höhere Wohnungsmiete, um in der Nähe der Universität eine Wohnung zu haben mit einer Studierstube, die geräumig genug ist für eine Bibliothek und ein Privatissimum von 10 Theilnehmern. Diese Einrichtung ist den Studirenden sehr angenehm und hat sich durchaus bewährt. (S. 795)
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Als Begründung für die erforderliche »baare Studienunterstützung« führte Zacher an: »Die Mehrzahl unserer Philologen, wohl reichlich ein Drittel ist arm; ja manche sind so bitter arm, daß man nicht begreift, wie sie sich während ihrer Universitätszeit nur überhaupt durchbringen können« (S. 807). Zum Abschluss seiner Überlegungen machte Zacher der hohen Behörde deutlich, welch »beträchtlicher Aufwand von Zeit und Arbeit« dem Vorsteher aus der Seminararbeit erwachse:

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Denn soll das Seminar gedeihen, so genügt es nicht, die Uebungsstunden abzuhalten und die schriftlichen Arbeiten durchzulesen. Sondern die Arbeiten nicht nur der Seminaristen selbst, sondern auch die der Aufnahme begehrenden müssen ja nach Charakter und Bedürfniß mehr oder weniger eingehend kritisch gewürdigt werden, und über dies muß jedem Seminaristen die Möglichkeit zu persönlichem Verkehr mit dem Vorsteher auch außerhalb der Seminarstunde in liberaler Weise geboten sein. Namentlich muß er Rath und Belehrung des Vorstehers vor dem Beginn und während der Ausführung der schriftlichen Arbeit einholen können. (S. 814)
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Über die Tätigkeit der Seminare sollten deren Vorstände, so Zacher, der Philosophischen Fakultät regelmäßig berichten, denn diese habe »ein unmittelbares Lebensinteresse daran, jederzeit sicher zu wissen, nicht allein welche Institute zu ihr gehören, sondern auch wie diese Institute leben und wirken. Der obersten Behörde aber bleibt es vorbehalten zu bestimmen, welchen Weg diese Berichte dann weiter vom Decane aus zu nehmen haben« (S. 813). Leider haben sich solche Berichte, die über Gegenstand, Arbeitsweise und Erfolg von Seminaren berichten, bislang nur selten auffinden lassen. 9

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Deutschlehrerausbildung

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Über das Verhältnis von wissenschaftlicher Ausbildung in der Germanistik und dem Unterrichtsfach Deutsch an den Gymnasien bedarf es zweifellos noch genauerer Untersuchungen. Bei der Einrichtung von Lehrstühlen und der Gründung von Seminaren wurde der Deutschunterricht an den Schulen zwar meist pauschal und ohne erkennbare Konsequenzen als Legitimation angeführt, prinzipiell aber galt als Ziel der Gründung von Seminaren:

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Anleitung zum Selbststudium und zum Lehrvortrage der bezeichneten Wissenschaften zu geben, mit besonderer Beziehung auf Bildung solcher Lehrer für Gymnasien und höhere Bürgerschulen, welche befähigt seien, nicht blos zur Fortpflanzung, sondern auch zur Erweiterung der Wissenschaft etwas beizutragen. (S. 793, ohne Hervorhebungen) 10
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In welchem Umfang die von Meves angeführten Dokumente zu den Prüfungskommissionen und ihren Stellungnahmen zu den Prüfungsordnungen diese einseitige Orientierung des Deutschunterrichts an der Wissenschaft zu modifizieren vermögen, muss vorerst dahingestellt bleiben. Die Dokumente bestätigen indes, dass die Prüfungsordnung von 1866, die erstmals vorsah, dass ein Germanist den übrigen Fachvertretern als Prüfer gleichgestellt war, wohl für das »Ansehen und die Anerkennung« (S. 905) des Fachs wichtig war, für den Deutschunterricht aber vermutlich von geringer Bedeutung blieb, weil die Prüfung in deutscher Sprache und Literatur durch eine Prüfung in Philosophie ersetzt werden konnte.

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Da wir über Modalitäten und Gegenstände akademischer und staatlicher Prüfungen im 19. Jahrhundert kaum über nennenswerte Informationen verfügen, sind die Dokumente zu den Prüfungszeugnissen (S. 931–952) geradezu spannend, denn sie enthalten unter anderem veritable Protokolle von Prüfungen.

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Fazit

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Bei Editionen der vorgelegten Art ist nicht absehbar, für welche Interessen und Zwecke sie gegenwärtig und zukünftig nützlich sein werden; absehbar ist, dass sie vom Moment ihres Erscheinens an unverzichtbar sind. Meves’ Dokumentation ist ein Markstein in der Wissenschaftshistoriographie der Germanistik und ein Vorbild für andere Philologien. Die Tatsache, dass ich bei der Besprechung nur einige inhaltliche Gesichtspunkte hervorgehoben habe, soll nicht davon ablenken, dass das Werk formal auf höchstem philologischem Niveau ist: in der Verzeichnung der Fundorte, in der Transkription und Textdarbietung und in der knappen, sachgerechten Kommentierung. Von den prosopographischen Angaben in den Registern werden alle nachfolgenden Arbeiten auf demselben oder angrenzenden Gebieten dankbar profitieren. Und da es sich um eine wissenschaftshistorische Arbeit handelt, sei eine aktuelle wissenschaftshistorische Anmerkung zu ihr gestattet. Dokumentationen, die von einer Person in einem Zeitraum von über 30 Jahren zusammengebracht, ediert und kommentiert werden, sind von zu vielen individuellen Voraussetzungen abhängig, als dass sie planbar wären. Es gibt aber institutionelle Voraussetzungen, die solchen risikofreudigen Unternehmungen günstig sind und solche, die sie erschweren oder nahezu unmöglich machen. Ziel- und Leistungsvereinbarungen mit kurzfristigen leistungsorientierten Mittelausschüttungen gehören vermutlich eher zu den letzteren. Umso mehr ist es zu begrüßen, dass eine »Niedersachsen-Professur« Uwe Meves den Abschluss seiner großen Arbeit ermöglicht hat.

 
 

Anmerkungen

Klaus Weimar: Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. München: Fink 1989.   zurück
Berlin, Bonn, Breslau, Greifswald, Halle, Königsberg, dazu die auf eine Katholische und Philosophische Universität beschränkte Akademie Münster und die Universität Marburg, die nach der Annexion Kurhessens zu Preußen zählte.   zurück
Zu Prutz und Haym vgl. die vorzügliche Untersuchung von Michael Ansel: Prutz, Hettner und Haym. Hegelianische Literaturgeschichtsschreibung zwischen spekulativer Kunstdeutung und philologischer Quellenkritik. (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur. Band 95) Tübingen: Niemeyer 2003.   zurück
Eine Entwicklungskonzeption umriss der Minister Gustav von Gossler in seinem Schreiben an den Kaiser vom 16. Juli 1890; ihr Ziel war es, an allen Universitäten in Preußen neben der älteren auch die neuere deutsche Sprache und Literatur durch einen ordentlichen Professor vertreten zu lassen (vgl. S. 680).   zurück
Wilhelm Scherer wollte in seiner bekannten »Promemoria« von 1884 die Seminare dem Forschen vorbehalten wissen: »In wissenschaftlicher Untersuchung sollen wir Universitätslehrer aber unsere Schüler unterweisen; das wissenschaftliche Lernen können sie mit Hilfe der Vorlesungen für sich allein abmachen. Und untersuchen lernt man nur, indem man sich in der selbständigen Forschung unter Anleitung des Lehrers versucht.« (S. 844).   zurück
Vgl. dazu im Einzelnen Meves, S. XVII mit den entsprechenden Nachweisen.   zurück
Vgl. dazu Steffen Martus und Carlos Spoerhase: Praxeologie in der Literaturwissenschaft. In: Geschichte der Germanistik 35/36 (2009) S. 89–96.   zurück
Zur Erklärung der »innerlichen Unzufriedenheit« Zachers, der ein bedeutender Gelehrter und überdies vertraulicher Informant des gefürchteten Ministerialdirektors im preußischen Kultusministerium, Friedrich Althoff, war, schrieb der Kurator der Universität Halle an den Minister: »Unvorgreiflich und ganz gehorsamst halte ich diesen innern und äußern Zustand des genannten Gelehrten für unheilbar. Niemand kann die Kenntnisse desselben höher schätzen als ich selbst, da dieselben schon oft bei meinen Arbeiten mir nützlich und förderlich gewesen sind; aber ich fürchte, daß die übergründliche Gründlichkeit, mit welcher der Professor Dr. Zacher Alles, was er beginnt, betreibt, jene reichhaltigen Kenntnisse immer unfruchtbarer für andere und für ihn selbst machen wird. Der Pedantismus der Gelehrsamkeit, das nicht von Hochmuth freye Bewusstsein eines Wissens, welches verhältnismäßig nur wenige mit ihm theilen, bilden in diesem Gelehrten sich immer weiter aus. Die Folge aber davon dürfte ganz unabweisbar eine verringerte Productivität in litterarischer Thätigkeit und eine ebenso verminderte Wirksamkeit als Lehrer sein« (S. 503). Charakterisierungen wie diese finden sich, wenngleich nicht immer so wohlformuliert, in den Dokumenten oft.   zurück
Vgl. dazu die Angaben von Meves, S. 107.   zurück
10 
Zacher zitiert hier das »Reglement für das Hallische naturwissenschaftliche Seminar von 1939 § 1«, um seine Zielsetzung zu begründen, und er fügt hinzu: »Betonung und Festhaltung dieses Grundsatzes ist gerade für die deutsche Philologie um so wichtiger, weil die Einwirkung der deutschen Philologie auf die Praxis des deutschen Unterrichts an Gymnasien kaum begonnen hat« (ebd.) Die Erfordernisse des Deutschunterrichts werden von der Wissenschaft, nicht von der Schule oder vom Schüler her gedacht.   zurück