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Die Zukünfte des Computers

  • David L. Ferro / Eric G. Swedin (Hg.): Science Fiction and Computing. Essays on Interlinked Domains. Jefferson NC: McFarland & Company 2011. 327 S. 12 Abb. Softcover. EUR (D) 34,99.
    ISBN: 978-0-7864-4565-3.
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»Nichts ist so notorisch zukunftsverdächtig, wie die Rede vom Computer«, begann Claus Pias die Einleitung zu seinem 2004 erschienenen Sammelband Die Zukünfte des Computers 1 . Der Zusammenhang von Zukunft und Technik scheint sich an dieser Maschine tatsächlich deutlich zu kondensieren. Der Computer ist Zukunftsmaschine für die Science Fiction, in der seine künftigen Möglichkeiten (und Unmöglichkeiten) ausgesponnen werden; und er ist Zukunftsmaschine für die Hard- und Software-Entwickler, die mit ihm einerseits immer die nächste Generation von Rechnern entwerfen und andererseits den Computer von Morgen und dessen Möglichkeiten oft schon heute anpreisen. Regelrechte Gesetzmäßigkeiten haben sich diesbezüglich um die Computerentwicklung herausgebildet: das Moore’sche Gesetzt, dass die künftige Transistordichte und die Entwicklungszeit eines Prozessors in einen errechenbaren Zusammenhang bringt, oder das (ironische) Babbage’sche Gesetzt, das besagt, dass ein Computer nie rechtzeitig, sondern immer erst später marktreif ist als ursprünglich angekündigt und so weiter.

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Doch Pias spricht nicht nur deshalb von der Zukunft des Computers im Plural als von dessen Zukünften; er sieht diese Maschine auch als einen Kondensationspunkt noch anderer Art – nämlich einer Vielzahl diskursiver Computerfiktionen, die miteinander zusammenhängen, einander bedingen und sich gegenseitig ergänzen, gerade weil sie denselben Ursprung und Zielpunkt haben. Hierzu hatte er den Physiker und SF-Autoren Herbert W. Franke eingeladen, in seinem Sammelband über die fiktionalen Computer zu schreiben. Die diskursive Wechselwirkung zwischen Science und Fiction des Computers auf weiteren Feldern zu untersuchen, leistet Pias’ Buch allerdings nur im Ansatz; dem hat sich nun ein im vergangenen Jahr erschienener Sammelband gewidmet: Science Fiction and Computing. Essays on interlinked Domains, herausgegeben von David L. Ferro und Eric G. Sweden. Er versammelt 18 Beiträge, die sich dieser Beziehung ästhetisch, historisch und zumeist phänomenologisch nähern.

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Die zentrale Frage stellen die Herausgeber in der Einleitung voran: Welche Rolle spielt die Science Fiction bei der Erfindung und Weiterentwicklung von Computern wirklich? Dass nämlich die Erfindung des Computers die Science Fiction mit einem neuen Motivkomplex versorgt hat, ist unbestreitbar. Aber ging die Inspiration auch in die entgegengesetzte Richtung? Die Tatsache, dass Anekdoten existieren, die beispielsweise davon berichten, dass die Erfinder des Industrieroboters durch ein Gespräch über Isaac Asimovs Roboter-Erzählungen auf die Idee der Realisierung dieser Fiktion gekommen sind, scheint für eine solche Interdependenz zu sprechen. Die einzelnen Beiträge des Bandes setzen sich deshalb mit fünf Thesen auseinander: 1. dass Science Fiction als Inspirationsquelle für technische Entwicklungen gesehen werden kann (insbesondere beim Computer); 2. dass Science Fiction durch die Konstruktion literarischer Analogien und Metaphern diese Beziehung erst ermöglicht; 3. dass Science Fiction Sichten auf (die kontemporäre!) Welt anbietet und dadurch einen kritischen Impetus besitzt; 4. dass Science Fiction deshalb eine soziale Funktion erfüllt, weil sie definiert, wer / was sich innerhalb und außerhalb der »digital culture« befindet; und 5. dass Science Fiction die Wechselbeziehung zwischen Computern und der Gesellschaft illustriert und damit natürlich auch zu einem Indikator für die gesellschaftlichen (An)Forderungen an die Computertechnik wird.

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Es wird also angenommen, dass die Wechselwirkung zwischen Science Fiction und Computertechnologie keineswegs nur eine bloß historische und / oder technologische Funktion besitzt, sondern vor allem eine sozialkritische. Indem die ohnehin schon immer als solche verstandene Utopie sich hier einer konkreten Sache, eben dem Computer, annimmt, fokussiert sie auch das ihr zugeschriebene Kritikpotenzial auf diesen. Es wäre also nun zu fragen, wie sich dies im Einzelnen sowohl an der Technologie als auch an den Fiktionen offenbart; und genau dies sollen die Beiträge des Bandes leisten. Im Zentrum der meisten Essays stehen konkrete Fiktionen mit realen und fiktiven Computern – wie etwa im US-amerikanischen TV (Star Trek) und Kino (The Lawnmower Man), im brasilianischen Kino oder in der Literatur (Gibsons Cyberspace-Fiktionen). An letzterem Beispiel zeigt sich bereits: Computer werden hier durchaus weiter gefasst – wie auch in einem Essay über eine finnische Roboter-Erzählung aus den 1940er-Jahren oder einer Analyse von Nano-Maschinen (»Critters«) in der Geschichte der Science Fiction. Die spezifischen Unterschiede zwischen dem Computer, seiner Vernetzbarkeit und seiner Verwendung in der Robotik (der Roboter hat ja nur in Ausnahmefällen einen Computer im »Körper« und bekommt in der SF vor allem durch seinen Anthropomorphismus noch eine Zusatzqualität gegenüber dem Computer!) werden hier, wie so oft auch in anderen Auseinandersetzungen mit dem Thema, ignoriert.

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Den theoretischen Rahmen für die einzelnen Betrachtungen des Bandes geben vor allem die beiden einleitenden Essays über die Beschaffenheit jenes discursus, der durch (Technik-)Geschichtsschreibung und (Science-Fiction- )Geschichtenschreibung flankiert wird. Die Science Fiction als Technikgeschichtsschreibung verstehend, eröffnet Thomas Haigh die interdisziplinäre Perspektive des Bandes, indem er zunächst die Randstellung der Technikgeschichte innerhalb der Geschichtswissenschaft mit der Randstellung der Science Fiction innerhalb der Literaturszene vergleicht. Beide Genres formulieren Erzählungen über den technischen Wandel, indem sie Welten konstruieren: die Technikgeschichte eine Vergangenheit, bestehend aus technikhistorischen Ereignissen und Strukturen; die Science Fiction eine »Zukunft«, bestehend aus technischen Prolongationen. Diese fiktive Zukunft ist jedoch – gemäß der fünf einleitenden Thesen – immer schon ein Code für die reale Gegenwart und Vergangenheit; Science Fiction interpretiert Haigh zufolge diese Zeitschichten und tut dabei so, als ob es sich um Künftigkeiten handele. Diese Sichtweise ermöglicht eine weitere Annäherung von SF-Literatur und Geschichtsschreibung. (Die Vergleichbarkeit dieser Genres liegt für Haigh oft aber schon in der Herkunft ihrer Autoren: zumeist Ingenieure, die – wie Isaac Asimov – ein »Zusatztalent« auf dem literarischen Feld entwickelt haben.) In einem kurzen Abriss der Geschichte und Epochen der Computer-Science-Fiction parallelisiert er die technischen Entwicklungen mit den zeitgenössischen Fiktionen und liest letztere als kritische Annäherungen an erstere.

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Chris Pak verengt diesen Blick in seinem Essay über Angst und Antizipation bei Computern in der Science Fiction. Ausgangspunkt für ihn sind nicht die Ähnlichkeiten zwischen realer und fiktiver Technik, sondern ihre Differenzen: Die Science Fiction hat bis in die 1960er-Jahre, als der Transistor längst eingesetzt wurde, beispielsweise nicht vorausgesehen, dass Computer immer kleiner und damit sozial immer dynamischer werden; in der SF-Literatur wurden die Computer hingegen nur immer größer und gewaltiger – wie etwa in Asimovs Kurzgeschichte »The Last Question«, wo ein Computer am Ende der Zeit die Dimensionen des gesamten Universums eingenommen hat (und dieses damit quasi zu Zuses »Rechnendem Raum« wird). Aus dieser offensichtlichen Differenz lässt sich natürlich ablesen, dass die fiktionale Entwicklung des Computers eine imaginäre Komponente zur Technologie hinzufügt, die sich in realen Computern allenfalls aus ihrem Herstellungskontext identifizieren lässt: Angst. Diese Angst – etwa vor der Übermacht der Maschine – wird in ihrer Größe greif- und sichtbar. Pak verfolgt die Geschichte dieser produktiven Diskrepanz durch die Jahrzehnte und zeigt an verschiedenen Erzählungen, wie sie sich darstellt.

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Als Beispiel für eine der phänomenologischen Annäherungen an das Thema kann R. C. Alvarados Untersuchung von William Gibosons Roman-(Trilogie) »Neuromancer« genannt werden. Gibson imaginiert darin ab 1984 ein Netz, eine »Matrix«, die mit dem, was das heutige Internet ist, zahlreiche Ähnlichkeiten aufweist. Für Alvarados erfüllen diese Ähnlichkeiten die Bedingung einer technologischen Vorhersage, die zudem bei Gibson ihre eigene Mythologie mitbringt, denn über die Romane hinweg etabliert sich natürlich eine Art narrativer Selbstverständlichkeit, mit der diese »Matrix« die fiktive Kultur mitgestaltet. Nun ist das Netz auch 1984 längst keine Neuheit mehr gewesen; vernetzbare Computer waren bereits zu dieser Zeit für Privatanwender erschwinglich und die matrixartige Kommunikationsinfrastruktur lag seit Jahrzehnten mit dem Telefonnetz vor, welches bereits in den frühen 1950er-Jahren auch für die Datenübertragung genutzt wurde. Das erwähnt Alvarados nicht – und deshalb kann er »Neuromancer« prognostische Qualitäten unterstellen. Bereits in der Einleitung seines Beitrags zeigt sich eine Schwäche, die nicht wenigen der Beiträgen des Bandes anzusehen ist: die relative vage Behandlung technikwissenschaftlicher Fakten. Alvarados steigt mit einer Diskussion der Kybernetikgeschichte ein, in der Norbert Wiener nicht nur zu »Weiner«, sondern eine seiner zentralen kybernetik-theoretischen Aussagen sinnentstellt zusammengefasst wird: Information ist als dritte Qualität eine Ergänzung zu Materie und Energie und bildet nicht etwa zusammen mit Energie den »kybernetischen Ersatz« für die Aristotelischen Qualitäten Form und Masse. Diese leicht fahrig wirkende Abhandlung kann auf den unbedarften Leser vielleicht noch als Ausweis technischen Sachverstands wirken; für den technisch informierten Kulturwissenschaftler schlägt sie nur ein weiteres Mal in jene Kerbe, die sich angeblich als unüberwindbare Kluft zwischen den philosophischen und den naturwissenschaftlich-technischen Fakultäten auftut.

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Diese Kluft nicht zu schließen, ist schließlich eine der größten Schwächen des Bandes – beziehungsweise die Schwäche der gesamten bisherigen Auseinandersetzungen mit den Wechselwirkungen zwischen fiktiver und realer Technikentwicklung: Zwar lässt sich der Komplex in zahlreichen Facetten phänomenologisch ausbreiten und für jede technikhistorische Entwicklung die dazu »passende« fiktionale Verarbeitung finden; einer brauchbaren Theorie diskursiver Wechselwirkungsbeziehungen mangelt es jedoch nach wie vor. Diese wäre nicht bloß auf die konkrete Technikentwicklung und Science-Fiction-Literatur anwendbar, sondern sogar auf jene Textsorte, die literaturwissenschaftlich bislang noch weitgehend unbeachtet geblieben ist: die essayistischen Entwürfe von Zukunftstechnologien durch Computer-Techniker (die von Alan Turings Computing machinery and intelligence über Vannevar Bushs As we may think bis hin zu den aktuellen Prognosen Raymond Kurzweils reichen und damit die Grenzfläche zwischen Technikgeschichte und Science Fiction besiedeln). Ansätze zu einer solchen Methodologie finden sich zwar in einzelnen Passagen von Ferros und Swedins Band, wie auch bei Pias und – weiter gefasst – in Peter Plögers 2001 erschienener wissenschaftstheoretischer Monografie Wissenschaft durch Wechselwirkung; 2 angesichts des hier verhandelten Motivs bleibt der Leser jedoch auf die jeweiligen Interpretationen technik- und kulturhistorischer Analogien angewiesen. Angesichts der Bedeutung der »Zukunftstechnologie« Computer, böte sich hier ein dringend zu bearbeitendes Thema – nicht zuletzt, weil sich an ihm auch zeigt, dass Geistes- / Kultur- und Natur- / Technikwissenschaften auf denselben diskursiven Feldern und dort oft mit denselben Methoden operieren.

 
 

Anmerkungen

Claus Pias (Hg.): Die Zukünfte des Computers. Berlin: Diaphanes 2004.   zurück
Peter Plöger: Wissenschaft durch Wechselwirkung. Frankfurt/M. u.a.: Peter Lang 2001.   zurück