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Preußische Eisenkerle und kakanische Salonlöwen?

Typologien militärischer Männlichkeit im Angesicht des Ersten Weltkriegs?

  • Monika Szczepaniak: Militärische Männlichkeiten in Deutschland und Österreich im Umfeld des Großen Krieges. Konstruktionen und Dekonstruktionen. Würzburg: Königshausen & Neumann 2011. 276 S. Broschiert. EUR (D) 39,80.
    ISBN: 978-3-8260-4607-0.
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Was sind militärische Männlichkeiten?

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Militärische Männlichkeiten scheinen relativ spezifische Formen von Männlichkeit oder Männlichkeitsauffassung zu bilden. Der bekannte Militärhistoriker Wolfram Wette hat in seiner 2005 publizierten Studie über die deutsche Wehrmacht deutliche Kontinuitäten innerhalb des Selbstverständnisses der Offiziere hinsichtlich ihres Sonderstatus für die letzten hundert Jahre ermittelt. Bezüglich des spezifischen Stellenwerts eines Bellizismus, der sich außerhalb des allgemeinen bürgerlichen Moralkonsenses bewegt und deswegen auch für die Maskulinitätskonzeption vom aristokratisch akzentuierten und auf soziale Differenzierung setzenden Offizier relevant ist, schreibt Wette:

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Zweifellos waren die maßgeblichen Vordenker des preußisch-deutschen Militärs bei allen Unterschieden, die ansonsten zwischen ihnen bestanden, von einem durchgängigen ideologischen Grundmuster geprägt. Es ist davon auszugehen, dass auch der Durchschnittsoffizier jener Zeit den Pazifismus als schwächlich, dekadent oder gar als krankhaft verachtete. [...] Sich selbst jedoch stilisierte der Durchschnittsoffizier in Kategorien wie stark, männlich, mutig, realistisch, königstreu und kriegerisch. Er lebte in dem Gefühl, einem besonderen, gesellschaftlich herausgehobenen Stand anzugehören. 1
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Konstituiert werden derlei Gedankengebäude jedoch weniger über politische Ideologien – freilich interessiert das Wette als Historiker ganz besonders – als durch übermittelte und verinnerlichte Bilder und Imaginationen, welche wiederum ganz bestimmten formalästhetischen und motivbedingten Modulationen und Konfigurationen gehorchen.

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Es verwundert daher nicht, dass das Kriegerische und die Figur des Soldaten in der europäischen Kultur und Literatur des 18., 19. und 20. Jahrhunderts auf unterschiedlichste Weise das Interesse der Künstler geweckt hat. Neben einer historischen Auseinandersetzung 2 haben sich auch innerhalb der Philologien in den letzten Jahren vor dem Hintergrund aktueller Theorieansätze aus der kulturwissenschaftlichen Disziplin der Men‘s Studies verschiedene Varianten an Zugriffsmodi für ästhetisch konstruierte Männlichkeit ergeben. Unter anderem wurden das Soldatische und speziell auch der Offizier untersucht. 3 Letztere sind als gesellschaftliche und kulturelle Konstrukte relevant für historische Identitätsentwürfe und männliche Selbstverständnisse.

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Immer wieder werden zum Beispiel Funktion und Bedeutung von Uniformen und Sprechweisen innerhalb dieser maskulinen Identitätsbildungen erwähnt, die für Selbst- und Außenwahrnehmung zugleich entscheidend sind. Nach Ute Frevert ist nämlich die Uniform

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über lange Zeit hinweg eine wichtige ›Um-‹ und ‚›Verhüllung‹ von Männern gewesen: Sie hat Männer bekleidet, von Kopf bis Fuß, hat sie wie ein Ganzkörperkondom umschlossen und lediglich das Gesicht unbedeckt gelassen. Sie hat Männer zugleich geschützt und exponiert, unsichtbar und sichtbar gemacht. Sie hat ihre Männlichkeit markiert und geprägt, sowohl nach innen als auch nach außen. 4
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Obgleich sozialhistorisch motiviert, erkennt auch Frevert den ungeheuren Stellenwert von Visualität und Performativität (und damit auch Ästhetizität [!]) der Uniformen und ihrer Träger, denn sie erfüllte »einen dreifachen Zweck: Sie sollte, erstens, den Soldaten für andere sichtbar machen; sie sollte, zweitens, Soldaten füreinander sichtbar machen; sie sollte, drittens, dem Soldaten seine Zugehörigkeit zur Institution ›Militär‹ vor Augen führen.« 5

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Das konvergiert mit den Ausführungen Wolfram Wettes über Schwertglauben und Bellizismus als konstitutive Ausdrucksformen einer Abgrenzung von anderen gesellschaftlichen Gruppierungen. Damit ergibt sich folgende Ausgangslage: Der Offizier versteht sich als Angehöriger einer Art Orden und kultiviert diese Herausgehobenheit unter anderem durch eine eigene Ethik der Distinktion. Diese separatistische, allem »Zivilen« sich entziehende und eine Verbürgerlichung des Soldatenberufs verhindernde Lebensweise, worauf auch der Militärhistoriker Ralf Pröve mit Blick auf die preußische Armee im 19. Jahrhundert hingewiesen hat 6 , hat jedoch keineswegs bei den damaligen Zeitgenossen und zum Teil auch Künstlern nur den pejorativen Vorwurf der Beschränktheit oder der Einseitigkeit zur Folge gehabt. Vielmehr sind dort mitunter fast avantgardistische Wertungen aufgrund des antibourgeoisen Charakters des Soldatischen zu konstatieren. So sind im 19. und 20. Jahrhundert mit dem Kriegshandwerk mitunter ins Mythische gehende Konnotationen verbunden. Wie auch schon von Wolfram Wette erwähnt, steht es trotz aller historischen Umbrüche für eine relativ lange Zeit für ›Männlichkeit‹, ›Ehrbarkeit‹ 7 , und Aggressivität ein. Daraus speist sich auch das Interesse zahlreicher Künstler und Schriftsteller. Nicht nur patriotisch oder nationalistisch gesonnene Autoren, sondern auch ein Großteil einer ästhetisch selbstbewussten und reflexiven Literatur und sogar dem Militär pejorativ eingestellter Schriftsteller leisten zu den Imaginationsformen des kriegsbereiten Mannes, zu dieser speziellen Männerphantasie (Klaus Theweleit), einen nicht unerheblichen Beitrag. Dabei fasziniert und polarisiert vor allem die außerhalb der herkömmlichen Moral und Ethik angesiedelte Verbindung des kriegerischen Mannes zum Tod und zum Töten und wie sich diese vor dem Hintergrund von Friedens- und Kriegszeiten entscheidend verändert. 8 Mit dieser literarischen Mit-Arbeit an einer Männlichkeits(de)konstruktion setzt sich auch Monika Szczepaniaks aktuelle Studie über Militärische Männlichkeiten, erschienen 2011, auseinander.

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Monika Szczepaniaks Typologien militärischer Männlichkeiten

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Das neue Buch von Monika Szczepaniak nimmt verschiedene literarische und pikturale Inszenierungsvarianten des kriegerischen Mannes, aber auch historisches Quellenmaterial, als Beispiele für ästhetisch und medial konstruierte Männlichkeit unter die Lupe. Mit Hilfe der Verbindung von Ansätzen aus der Mentalitätsgeschichte, der Stoff- und Motivforschung, der poetologischen Theoriebildung und dem radikalen Konstruktivismus der Gender-Theorie, speziell der Men’s Studies, wird die Frage diskutiert, inwieweit die Künste die Parameter der Kriegerimagination nicht nur rezipieren, demonstrieren bzw. (unkritisch) praktizieren und diskutieren, sondern auch auf welche Weise sie das Männerbild und auch das zeittypische Verhältnis zum Krieg mit beeinflussen und es sogar unter Umständen für die eigene poetologische Konzeption instrumentalisieren. Auf diese Bezug nehmend bemüht sich das Vorhaben Szczepaniaks auch dezidiert um die Symbiose von kulturwissenschaftlich angelegter Geschlechterforschung, Motivanalyse bzw. Imagologie und Diskursanalyse um eine innovative Nutzung der Gender bzw. Men’s Studies für ein neues Verständnis von literarischer und intermedialer Teilhabe an der Konstituierung von Männlichkeitsdiskursen zu garantieren, was bisher durch eine zu übertriebene (bewusst konstruierte) Dichotomie der unterschiedlichen geisteswissenschaftlichen Ansätze meist vermieden wurde. 9

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Ebenso wird der Einfluss historisch bedingter Veränderungen gesellschaftlicher und politischer Ordnungsverhältnisse auf das Militär ins Blickfeld genommen, vor allem mit Blick auf die veränderte Situation durch den Ersten Weltkrieg als ersten modernen Massenkrieg. In der Tat ist ja sozialgeschichtlich unter anderem zu differenzieren zwischen dem adligen Offizier, der sich einem auf das Gottesgnadentum berufenden Monarchen verpflichtet sieht und daraus sein elitäres Selbstverständnis gewinnt (18. Jahrhundert) und dem Offizier der im modernen Massenkrieg in einer Armee dient, die sich durch soziale Mobilität und ständische Inhomogenität auszeichnet, wie es zum Beispiel von Ernst Jünger und sein Werk aufgegriffen wurde, welchem die Studie von Szczepaniak besondere Aufmerksamkeit zukommen lässt.

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Die vorliegende Monographie hat es sich zum Ziel gesetzt die literarischen und medialen Modi der Konstruktion und Dekonstruktion militärischer Männlichkeit angesichts des Ersten Weltkriegs in der deutschen und österreichischen Literatur bloßzulegen. Diese oft unmittelbar an die Kriegssituation und deren desaströse Folgen (Entmilitarisierung, Kriegsheimkehrer, Kriegskrüppel etc.) gekoppelten Auf- und Ab-Bewegungen männlicher Identität werden dabei nicht nur als ein Thema bzw. als ein Stoff der zeitgenössischen Literatur (zum Beispiel des Expressionismus oder der Neuen Sachlichkeit) rekonstruiert, sondern es wird auf gewinnbringende Weise danach gefragt, inwieweit Literatur und Bildmedien selbst an den unterschiedlichen Konstruktions- und Dekonstruktionsprozessen teilnehmen und diese steuern oder beeinflussen. Das heißt, in der Untersuchung

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werden aus kulturwissenschaftlicher Perspektive, die die Literatur an soziale Prozesse knüpft die deutschen und österreichischen textuellen und visuellen künstlerischen Beiträge auf die in ihnen kreierten Bilder der militärischen Männlichkeiten hin untersucht. Zu fragen ist nach verschiedenen Konfigurationen des männlich-militärischen Habitus, die im anvisierten umfangreichen literarischen und bildnerischen Stoff zum Vorschein kommen. Fokussiert werden die in Literatur und Kunst konstruierten Männerfiguren – Helden, »Drückeberger« und Opfer (unter ihnen Offiziere und Mannschaftssoldaten, Vertreter verschiedener Klassen, Ethnien und Konfessionen). Die unübersehbare Fülle des Materials zum Thema »militärische Männlichkeiten« macht selbstverständlich eine selektive Vorgehensweise notwendig (S. 11).
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So präzise Szczepaniak ihre kategoriale Differenzierung von Männlichkeitstypen vollzieht und deren soziale, kulturelle und situative Hintergründe im Kontext des Weltkriegs dabei berücksichtigt, so übertrieben materialreich ist an einigen Stellen die Monographie konzipiert, die sich oft auch außerhalb der kanonischen Klassiker Ernst Jünger oder Erich Maria Remarque bewegt. Die sich selbst auferlegte Reduktion des literarischen Materials ist vor allem hinsichtlich der kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema militärische Männlichkeit durch die expressionistische Rezeption nur teilweise gelungen. So überzeugend an dieser Stelle die Kenntnisse der Studie auch anmuten, so sehr ergeht sich der auf die preußisch-deutsche Situation bezogene Abschnitt der Arbeit (vgl. Kapitel 2.2. »Männer aus Stahl?«) in zahlreiche Kurzparaphrasen der ermittelten Texte (Wilhelm Klemm, Ludwig Renn, Fritz von Unruh, Paul Zech etc.), so dass der Untersuchung dadurch eine stark lexikalische Dimension verliehen wird, trotz so mancher Trouvaillen aus dem Dickicht der Antikriegsromane. Die referierten und mitunter wenig bekannten Textcorpora verdecken bisweilen die luzide Einsicht in das theoretische und epistemologische Interesse der Autorin, dass aber dennoch angemessene Beachtung erfordert.

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Nationale Stereotypen und geographische Herkunft als Erklärungsmuster? Preußische Eisenkerle und österreichische Uniformträger

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Neben einer Integration und bisweilen kritischen Diskussion traditioneller Ansätze aus dem Bereich der Gender-Forschung (Performativitätstheorie, Konstruktivismus, Rollentheorie etc.) gründet sich die Originalität von Szczepaniaks Buch in einem neuen Erklärungsmodell für die differenten Formen militärischer Männlichkeiten. Deren Ausformung wird nicht nur auf mythologische Imagologien zurückgeführt, sondern auf die historisch-geographische Entwicklung und Situation der Länder Deutschland und Österreich vor und während des Ersten Weltkriegs. Szczepaniak entwickelt quasi ein eigenes Konzept von Geographic and Demographic Gender (um es einmal selbst auf einen möglichen Begriff zu bringen), wenn sie zwischen deutschen Stahlgestalten und österreichischen Uniformträgern, also eigentlich zwischen einem inneren und einem äußeren Gendering und dessen literarischer Gestaltung unterscheidet:

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Der preußische »militärische« Geist fördert eiserne Helden, Männer aus Stahl, »Kälte-Maschine[n]« (H. Lethen) und bringt extreme, ins National-Aggressive bzw. Martial-Heroische zugespitzte Formen der männlichen Identität hervor. […] Die österreichische militärische Männlichkeit steht in der Tradition der melancholisch-dekadenten Darstellungen eines Schnitzler, schließt Dissoziationen und Labilitäten sowie das Bewusstsein eigener Hilflosigkeit ein und wird stark emotionalisiert, d.h. auf außermilitärische Zusammenhänge wie Heimat, Mutter, Frau, Kinder, Kaffeehaus etc. bezogen und in der Dimension der homosozialen Beziehungen in spezifischer Weise abgemildert (S. 236 f.).
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Im Gegensatz zur preußischen Introspektive, die sich im Stahlkörper als soldatischer Haltung manifestiert, wird die soldatische Männlichkeit in der k.u.k.-Armee und ihrer Umgebung zu einem kardinalen sozio-kulturellen Faktum. Dieser Disparität liegen laut Szczepaniak folgende Ursachen zu Grunde: »Im Unterschied zu Deutschland, wo die Armee vor allem als Instrument der Vermehrung und Konsolidierung staatlicher Macht fungierte, übernahm sie im multiethnischen Habsburgerreich die Funktion gesamtstaatlicher Integration«. (S. 137) Nationalismus trifft auf internationalen Vielvölkerstaat. Instrumentalisierung reibt sich mit Mentalitäten. Eine homogene Armee trifft auf eine heterogen sich zusammensetzende Körperschaft, so dass auf diese Weise differente militärische Maskulinitäten produziert werden, die sich wiederum an unterschiedliche Bildarsenale und Vorstellungen klammern. So werden dezidiert territoriale und daraus entstandene mentalitätshistorische Gegebenheiten als konstitutive Voraussetzung für militärische Geschlechterkonstruktionen erkannt.

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Hinzu kommen laut Szczepaniak noch Disparitäten im Bereich der Einflusssphären der Armeen in den beiden Staatengebilden:

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Es scheint in der Donaumonarchie keinen dem deutschen »Männlichkeitswahn« (N. Sombart) vergleichbaren Diskurs gegeben zu haben und die Armee hatte bei weitem keinen solchen Einfluss auf Staat, Verfassung und Politik wie in Deutschland – vielmehr wollte sie als apolitisch gelten (in Wirklichkeit war sie politisch schwach). Die sich als »große Schweigerin« im öffentlichen Diskurs inszenierende Armee hatte nichtsdestotrotz einen großen Einfluss auf Kultur und Lebensweise (S. 138).
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Auch durch die lange Friedenszeit, welche der österreichisch-ungarischen Armee im Gegensatz zur deutschen Armee beschert war, konnte sich deren politische Abstinenz zu Gunsten einer stärkeren Bedeutung von Inszenierung eben der militärischen Männlichkeiten entwickeln. Etwas bonmothaft ausgedrückt: Die Kultivierung des ›Operetten-Offiziers‹, eine Figuration, welche auch eine kritische Literatur von Arthur Schnitzler bis Joseph Roth beherrscht, war durch diese Abspaltung der Armee vom politischen Diskurs erst möglich geworden und begründete deren auch visuell rezipierbaren Sonderstatus:

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Die Uniform war in Österreich-Ungarn allgegenwärtig, vor allem durch die öffentlichen Inszenierungen dynastischer Macht: die farbenfrohen Militärparaden, Manöver und Märsche mit flatternden Fahnen, Blasmusik und der Reiterei auf ihren glänzenden Pferden. Die Uniform verlieh den Offizieren und Soldaten nicht nur ästhetische Wirkung, sondern auch Würde des kaiserlichen Dieners und Repräsentanten der k.u.k Armee (S. 138).
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Durch den internationalen Vergleich gewinnt auch die bereits umfassend dokumentierte Diskussion um den Stellenwert der Uniform hinsichtlich der Konfiguration militärischer Männlichkeit 10 eine neue Dimension. Die preußisch-deutsche Funktionalität der Kleidung einer immerhin kriegsgewöhnten, ja durch die Einigungskriege erst gefügten Nation wird gegenüber gestellt einem auf Dekor, Repräsentation und Theatralik zugespitzten Kultus der Uniform, welcher auch die Zugehörigkeit der Mitglieder des Vielvölkerstaates zu einer beinahe transzendent sich gebenden und übergeordneten Dynastie (Habsburg) widerspiegeln sollte, vor allem bezüglich der Offiziere. Eine andere Divergenz liegt in der auf Innerlichkeit und Einstellung ausgerichteten preußisch-deutschen Konzeption (Eisenkerle, Körperpanzer 11 ) und der äußerlich-performativen österreichischen Variante (Uniformträger), welcher sich dank der Untersuchung Szczepaniaks auch in der Literatur als ein Gegensatz von Idealismus/Fanatismus und Ästhetizismus artikuliert. Dass die Texte dabei nachweislich auch erkennbar auf nationale Stereotype zurückgreifen, darf bei einer unter anderem auch geographisch motivierten Ursachenforschung nicht verwundern und erweist sich als Charakteristikum der scharfsinnigen Analysearbeit innerhalb dieser Monographie.

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Verdienstvoll ist neben dieser auf originelle Weise konstatierten Dichotomie die genaue Rekonstruktion der Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf die Konstrukte der militärischen Männlichkeiten und deren Aufbereitung bzw. Transportierung durch den literarisch-ästhetischen Diskurs. Im Gegensatz zu den »Preußen-Kapiteln«, welche bis weit in den Expressionismus und die nationalsozialistische Diktatur hineinreichen und sich zu der bereits konstatierten Stoffsammlung auswachsen, sind die Darstellungen der literarisch generalisierten kakanischen Männlichkeiten, also der Uniformträger, von ausgesprochen detaillierten und ertragreichen Textanalysen geprägt.

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Einen großen Schwerpunkt nehmen dabei die umfangreichen Romane von Alexander Lernet-Holenia und Joseph Roth ein, die den Untergang der k.u.k.-Operettenoffiziere aus einer beinahe melancholisch-nostalgischen Perspektive als eine Geschichte des Verfalls beschreiben und dabei zu dem Schluss kommen, dass die dynastisch geprägten Konzeptionen des Offiziers den modernen Kriegsbedingungen und Krisen nicht mehr gerecht werden konnten, oder ironisch zugespitzt: Für diese Männer ›war der Kaiserwalzer ausgetanzt!‹ Die prachtvolle Uniform und alle ihre Konnotate konnten gegenüber dem Ungenügen an einer banalen und brutalen Realität nicht mehr Kompensation leisten und wichen letztendlich einem ähnlichen Funktionalismus und Materialismus eines alles entdifferenzierenden Tötens wie die Konstruktion der preußischen Eisenkerle. Vor allem die expressionistische Literatur ersetzt diese durch den versehrten Kriegskrüppel, dessen vorherige harte Konstitution ihn in keinster Weise auf die Schrecken des totalen Massenkriegs vorbereitet hat.

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Dadurch könnte das geographisch und demographisch gegenderte Differenzmodell von Szczepaniak zunächst in einen performativen Widerspruch geraten. Auf den zweiten Blick ist es jedoch nur konsequent, wenn sie zumindest innerhalb der pejorativen Auseinandersetzung mit den militärischen Männlichkeiten durch Literatur und Bildmedien die Irrelevanz aller zuvor konstatierten Disparitäten angesichts der Kriegssituation und dadurch dessen einschneidende Bedeutung erkennt. An dem innovativen Potential einer räumlich, mentalitätshistorisch und situativ gegründeten Erklärung für die Etablierung (und den Zusammenbruch) von Modellen militärischer Maskulinität kann dies freilich nichts ändern, was diese Monographie zu einem sehr gelungen Beitrag auf dem Gebiet der kulturwissenschaftlichen Männlichkeitsforschung macht. Spannend wäre freilich nun noch die Klärung der Frage, welche Kontinuitätslinien sich innerhalb der international auseinander divergierenden (oder sich auch verbindenden) Männlichkeitskonzepte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – auch unter demokratisch-parlamentarischen Vorzeichen – ergeben könnten und welche Rolle Uniformierung und innere Härte diesbezüglich bzw. deren Thematisierung durch die künstlerischen Medien einnehmen könnten, auch jenseits des ironischen, synkretistischen oder modischen Zitats.

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Fazit

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Durch die Arbeit Szczepaniaks ist ein wichtiger Impuls zur imagologisch und historio-geographisch inspirierten Gender-Forschung gegeben und damit eine lohnende Alternative zu den rein konstruktivistischen Ansätzen konzipiert worden. Das gilt es nun aufzunehmen und weiterzuführen. Denn:

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Die Geschichte zeigt tatsächlich, dass Männlichkeit als eine jeweils spezifisch sozial-kulturelle Formation sich immer wieder von Krisen erholt, regeneriert und immer wieder aufs Neue die Geschlechterbeziehungen, die einzelnen Männer und Frauen sowie die gesamte Kultur beeinflusst. Dies betrifft die militärische Männlichkeit im Besonderen, die nach dem Großen Krieg als brachiale Virilität noch einmal zu hegemonialer Bedeutung kommt, die verunsicherte Krisenfigur des ehemaligen Soldaten ablöst, unter Marschtönen die europäische Bühne beherrscht und wieder eine spektakuläre Variante der Verbindung von Männlichkeit und Krieg generiert (S. 246).

 
 

Anmerkungen

Wolfram Wette: Die Wehrmacht. Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 2005, S. 150. Hier wäre – auch innerhalb der Literatur – zu überprüfen (und dabei zu differenzieren), inwieweit sich Kontinuität und Wandel innerhalb der Geschichte bezüglich des Selbstverständnisses des Offiziers nachweisen lassen und ob auch die Öffnung des Offizierskorps für Nichtangehörige der Aristokratie, soziale Mobilität, die Wechsel der politischen Ordnungssysteme und moderner Massenkrieg eine Auswirkung auf diesen Exklusivitätsanspruch der Korpsmitglieder hatten. Das Werk der ›bürgerlichen‹ Offiziersschriftsteller Rudolf G. Binding und Ernst Jünger könnte hier aufschlussreich sein. Vgl. zur Sozialfigur des Soldaten unter modernen Bedingungen auch den Aufsatz von Thomas Kühne: »Der Soldat«, in: Ute Frevert/Heinz Gerhard Haupt (Hgg.): Der Mensch des 20. Jahrhunderts, Essen: Magnus-Verlag 2004, S. 344–372.   zurück
Für den österreichischen Raum der Moderne vor allem ausführlich behandelt durch Ernst Hanisch: Männlichkeiten. Eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts, Wien/Köln/Weimar: Böhlau 2005.    zurück
Vgl. Hermann Kurzke: »Das Bild des deutschen Offiziers in der deutschen Literatur«, in: Hanns Hubert Hofmann (Hgg.) in Verbindung mit dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt: Das deutsche Offizierkorps 1860–1960, Boppard am Rhein: Harald Boldt Verlag 1980, S. 413–435; Hans Richard Brittnacher: »Priester und Paria. Der Offizier in der Literatur des Fin de siècle«, in: Ursula Breymayer/Bernd Ulrich/Karin Weiland (Hgg.): Willensmenschen. Über deutsche Offiziere, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1999, S. 189–207; Walter Erhart: »Laufbahnen. Die Fiktionen des Offiziers«, in: Ursula Breymayer/Bernd Ulrich/Karin Wieland (Hgg.): Willensmenschen. Über deutsche Offiziere, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1999, S. 155–172.    zurück
Ute Frevert: »Männer in Uniform. Habitus und Signalzeichen im 19. und 20. Jahrhundert«, in: Claudia Benthien/Inge Stephan (Hgg.): Männlichkeit als Maskerade. Kulturelle Inszenierungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2003, S. 277–295. Über eine symbolische Inszenierung von Geschlechterdichotomien aufgrund der Uniformen gibt auch Aufschluss der Aufsatz von Sabina Brändli: »Von ›schneidigen‹ Offizieren und ›Militärcrinolinen‹: Aspekte symbolischer Männlichkeit am Beispiel preußischer und schweizerischer Uniformen des 19. Jahrhunderts«, in: Ute Frevert (Hgg.): Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart: Klett Cotta 1997, S. 201–228.    zurück
Frevert: a.a.O., S. 283.   zurück
Vgl. Ralf Pröve: Militär, Staat und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, München: Oldenbourg Verlag 2006. Auf S. 44 spricht er von »der nie erfolgten Verbürgerlichung und Einhegung des Militärs«, votiert also auf die Exklusivität.    zurück
Zur sinn- und identitätsstiftenden Funktion von Ehre im Offizierskorps schreibt Bernd Ulrich: »›Ehre‹ war ein Sammelbegriff für Praktiken der Lebensführung und des sozialen Selbstverständnisses, mit dem sich ständisch definierte Gruppen voneinander unterschieden und abgrenzten.« Bernd Ulrich/Jakob Vogel/Benjamin Ziemann (Hgg.): Untertanen in Uniform. Militär und Militarismus im Kaiserreich 1871–1914. Quellen und Dokumente, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 2001, S. 116.    zurück
Darauf geht zum Beispiel Helmut Lethen in seinen Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994 ausführlich ein, vor allem im Kontext der Kriegerimagination bei Ernst Jünger und seiner politischen Essayistik in der Weimarer Republik.   zurück
Die neue Monographie steht in einer Nachfolge von Aufsätzen von Monika Szczepaniak zu Themen der Gender Studies, speziell zur militärischen Männlichkeit im Kontext der durch die moderne technologisierte Kriegsführung veränderten Situation. Vgl. dazu: Monika Szczepaniak: »Männer aus Stahl? Konstruktion und Krise der kriegerischen Männlichkeit im Kontext des Ersten Weltkrieges«, in: Claudia Glunz/Artur Pelka/Thomas F. Schneider (Hgg.): Information Warfare. Die Rolle der Medien (Literatur, Kunst, Photographie, Film, Fernsehen, Theater, Presse, Korrespondenz) bei der Kriegsdarstellung und –deutung, Göttingen: V&R unipress 2007, S. 158–171; Monika Szczepaniak: »Ulanen und Stahlhelden. Konstruktion der polnischen und deutschen militärischen Männlichkeit im Kontext des Ersten Weltkrieges«, in: Convivium 2007, S. 95–118. Bereits diese Arbeiten bemühen sich um eine geographisch und mentalitätshistorisch grundierte Ursachenerklärung für die Entstehung der jeweiligen soldatischen Maskulinitäten. Die zur Diskussion stehende Monographie leistet die eigentliche Synopse und wirft darüber hinausgehend die signifikante Frage auf, inwieweit durch den Paradigmenwechsel des Ersten Weltkrieges die zuvor genannten Differenzen nivelliert werden und wie die Literatur in ihren verschiedenen poetologischen und ideologischen Ausrichtungen auf diese Veränderungen reagiert.    zurück
10 
Zuletzt interdisziplinär und intermedial aufgegriffen durch den Sammelband von Gabriele Mentges/Birgit Richard (Hgg.): Schönheit der Uniformität. Körper, Kleidung, Medien, Frankfurt am Main/New York: Campus Verlag 2005.    zurück
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Die vor allem von Klaus Theweleit in seinen Männerphantasien gebrauchte Metapher des »Körperpanzers« bezeichnet eben nicht nur die äußere Uniform, sondern vor allem die durch den harten Drill vollzogene Stählung und Formung des männlichen Körpers, wie sie beispielsweise in preußischen Kadettenanstalten üblich war. Dadurch wird der »Körperpanzer« zu einer verordneten männlichen Haltung im Kampf und kann daher auch von der auf Visualität angelegten und extern ausgerichteten Uniform der Soldaten abgesetzt werden. Vgl. Klaus Theweleit: Männerphantasien, 2 Bde., Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag 1980.    zurück