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Hybridität - ein Abriss

Die nachfolgende Besprechung ist die zweite Fassung einer Rezension, die am 10.3.2012 veröffentlicht und am 25.04.2012 aufgrund von Hinweisen des Rezensierten an wenigen Stellen korrigiert wurde. Wir wollen hiermit dem Vorwurf einer 'Retuschierung' begegnen. Daher veröffentlichen wir nach mehr als 2100 publizierten Rezensionen erstmals in der Publikationsgeschichte von IASLonline zwei Fassungen einer Rezension. Aus technischen Gründen wird auch in dieser Version das ursprüngliche Publikationsdatum, der 10.03.2012, angegeben. Hier handelt es sich jedoch um die Version vom 25.04.2012. Dies ist der Link zur Fassung vom 10.03.2012: http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=3753

  • Kien Nghi Ha: Unrein und vermischt. Postkoloniale Grenzgänge durch die Kulturgeschichte der Hybridität und der kolonialen „Rassenbastarde“. (Postcolonial Studies) Bielefeld: transcript 2010. 317 S. Kartoniert. EUR (D) 29,80.
    ISBN: 978-3-8376-1331-5.
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Der Autor dieses Buches steckt sich das Ziel, die Forschungslücke einer europäischen Kulturgeschichte der Hybridität seit der Antike zu schließen (S. 25, S. 31). Auf dem Prüfstand steht die vertiefte Auseinandersetzung mit einem Schlüsselbegriff der postkolonialen Theorie. Robert J. C. Young hatte sich mit seiner 1995 erschienenen Studie 1 auf eine Rekonstruktion der obsessiven Auseinandersetzung mit Hybridität im Viktorianischen Zeitalter konzentriert. Kien Nghi Ha behauptet, dass die wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas unter anderem den historischen Kontext der Problematisierung der »Rassenvermischung« im Kolonialismus und des Aufkommens der »Rassenhygiene« vernachlässigt habe (S. 30, S. 33f.). Mit seinen Recherchen verspricht er, »historisch belegte Aussagen« zu einer umfassenden Begriffsgeschichte der Hybridität zu liefern (S. 32). Den Fluchtpunkt der Dissertation bildet eine Kritik der kommerziellen Verwertung von Hybridität im Spätkapitalismus (S. 37).

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Angesichts einer »an oberflächlicher Aneignung und schneller Verwertung interessierten Rezeption« des Konzepts sei es »besonders wichtig, den Hybriditätsbegriff kulturgeschichtlich und analytisch zu untersuchen« (S. 107). Ha betont die Notwendigkeit, die »etymologischen und historischen Bedeutungskontexte mit ihren Konjunkturen und Leerstellen von der Antike bis zur Neuzeit« mit der Frage zu untersuchen, »mit welchen Macht- und Exklusionsformen die Vorstellung des Hybriden verknüpft« war (S. 107). Das Vorhaben einer von Foucault inspirierten Diskursanalyse (S. 26 f.) ist ambitioniert, doch die Umsetzung lässt an etlichen Punkten zu wünschen übrig.

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Hybridität – ein Zauberwort?

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Im ersten Teil der Studie kündigt Ha eine Reihe von »postkolonialen Streifzügen« durch die »Kulturgeschichte der Hybridität« an (S. 38). Vor diesem historischen Hintergrund möchte er den gegenwärtigen »Hype um Hybridität« verorten (S. 38). Unter diesem Titel hat der Autor bereits 2005 eine Vorstudie zum vorliegenden Buch publiziert. 2 Den archimedischen Punkt seiner Arbeit bildet die Bestimmung von »Hybridität als Strategie kultureller Subversion« (S. 67 ff.), die Homi Bhabha 3 lanciert hat: »Strategien der Entstellung dominanter Symbole und Bilder erhalten ihre subversive Kraft, indem sie koloniale Diskurse in marginalisierte Kontexte übersetzen und dabei verfremden. Hybridisierung wird bei Bhabha nicht als harmonische und ästhetische Form kultureller Vermischung gedacht, sondern bezeichnet eine Möglichkeit, das kulturelle Feld gegen hegemoniale Kräfte für Marginalisierte zu instrumentalisieren« (S. 68 f., vgl. S. 148).

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Has Vorwurf lautet, dass eine »verkürzte Rezeption« aus dem Konzept der Hybridität unter »dem Ausblenden von Machtverhältnissen« ein »harmoniestiftendes Zauberwort« gemacht habe: »Hybridisierung wird meist als dynamische und unaufhörliche Vermischung von Kulturen verstanden, die neue produktive Mischkulturen entstehen lässt« (S. 65 f.). Unter anderem spießt der Autor eine Behauptung von Elisabeth Bronfen und Benjamin Marius auf, die sich als Protagonisten der deutschen Hybriditätsdebatte noch 1997 zu der Bemerkung haben hinreißen lassen, dass es eine »koloniale Vergangenheit im großen Stil« in Deutschland nicht gegeben habe (S. 84). Wenn Ha einklagt, dass Begrifflichkeiten wie »Bastardisierung« im »Rahmen kolonialer Prozesse und rassentheoretischer Diskurse aufgearbeitet« (S. 87) werden müssten, dann liefert er damit auch den Maßstab für die Beurteilung seiner eigenen Arbeit. Die Frage lautet, was Ha der von ihm monierten »Verdrängung der rassistischen Begriffsgeschichte« (S. 88) entgegenzusetzen vermag.

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Rushdie und Said – postkoloniale Metropolenintellektuelle?

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Ha erklärt, dass Salman Rushdies »Liebeslied für Bastarde« zu den am »häufigsten zitierten Beschreibungen kultureller Hybridität« (S. 88) gehöre. Er scheint jedoch nicht realisiert zu haben, dass es sich bei diesem ›Liebeslied‹ um den Roman The Satanic Verses aus dem Jahr 1988 handelt. 4 Mit ihm hat Rushdie einen Schlüsseltext für die postkoloniale Umwertung von Hybridität vorgelegt. Ha zählt den Autor zu den »üblichen Verdächtigen«, deren Beschreibungen von Hybridkulturen »banal« wirkten (S. 88). Er schließt sich pauschal einer Sekundärliteratur an, die Rushdie und andere als »postkoloniale Metropolen-Intellektuelle« tadelt, weil diese lediglich die »Bedürfnisse eines ethnographischen Tourismus« bedienten (S. 89). Rushdie biete nur »Klischees«, die nichts mit Hybridität zu tun hätten, »sondern allenfalls ethnisierend und exotisierend« wirkten (S. 89).

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Einmal mehr verschanzt sich Ha hinter anderen »postkolonialen Kritiker/-innen«, wenn er behauptet, Edward Said verwende das Konzept der Hybridität affirmativ und unkritisch und verschreibe sich einem »elitären Kosmopolitismus« (S. 93). Eine begriffsgeschichtliche Rekonstruktion der postkolonialen Diskussion über Hybridität hätte auch erwähnen müssen, dass Said sein Werk Culture and Imperialism mit einem einflussreichen Manifest für die Entfaltung von »hybrid counter-energies« beschlossen hat. 5

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Der antike nóthos – ein Barbar?

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Das zweite Kapitel der Arbeit diskutiert zunächst die »etymologischen Ursprünge des Hybridbegriffs« (S. 39). Ha konsultiert Kluges Etymologisches Wörterbuch und führt die negativen Konnotationen von ›hybrid‹ auf den Zusammenhang mit der ›hýbris‹ (Hochmut) zurück (S. 109): »Da die Hybris eine Form der Regel- und Grenzüberschreitung beschreibt, welche die bestehende Ordnung transzendiert, werden Halbgötter- und Mischlingswesen als Hybride vorgestellt. Entsprechend leitet sich die lateinische Bezeichnung ›hybrida‹ (›Mischling‹, von zweierlei Herkunft) aus der griechischen ›hybris‹ ab« (S. 110). Ha nimmt an anderer Stelle an, dass ein »weitgehender Bedeutungsverlust dieses Wortstamms im weiteren Geschichtsverlauf zumindest in der schriftlich fixierten Hochkultur Europas mehr als wahrscheinlich« sei (S. 121). Im Klartext heißt das jedoch, dass der etymologische Befund zur konkreten Bestimmung der Konnotationen des Konzepts Hybridität nicht überschätzt werden darf. Vielmehr muss seine Bedeutung aus dem jeweiligen Kontext, aus dem synchronen System der Sprache, in dem man den Begriff vorfindet, rekonstruiert werden.

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Im nächsten Schritt verspricht Ha die Klärung der »philosophischen Bedeutungskontexte« (vgl. S. 110). Zu diesem Zweck geht er auf Platons Politeia ein, die er in der deutschsprachigen, auf CD-Rom durchsuchbaren Ausgabe Erich Loewenthals benutzt (vgl. S. 112ff.). Platon beklagt, dass die »wahre Wissenschaft« (im Original steht philosophía) in »Unehre« geraten sei, weil sich »Bastardseelen« und keine »echte edelgeborene« mit ihr abgäben (S. 114). Im griechischen Text fehlen allerdings die ›Seelen‹ als zweiter Teil des Kompositums, es geht schlicht um die Opposition von nóthoi (Bastarde) und gnêsioi (legitime Erben) (535b). Da sich Ha nicht mit philologischen Analysen aufhält, wirken seine Interpretationen Platons spekulativ. So nimmt er an, dass Platons Abwertungen wie die des Bastards sich auch auf die »Barbaren« beziehen können. Mag sein, aber es wäre Has Aufgabe, dies am Text zu zeigen, und sich bei solchen Aussagen nicht vage in der Sekundärliteratur abzusichern (S. 114). Mit Bezug auf die »(griechischen) Geschichtsannalen« (S. 115) erklärt Ha, dass der barbarische Tyrann Dareios II. unehelicher Abstammung gewesen sei. Has Annalen sind die Microsoft Encarta sowie eines der mit Vorsicht zu genießenden Werke des Historikers Hermann Bengtson, der seine Karriere als Mitglied der NSDAP begann und dessen Ausführungen über einen ›barbarischen Osten‹ man vor dem Hintergrund des Kalten Krieges lesen muss.

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Es ist möglich, dass Platon Dareios II. vor Augen hat, wenn er in seiner Ordnung des Diskurses den tyrannischen Bastard gegen den Philosophenkönig stellt (vgl. S. 165). Ha zieht aus der Geschichte allerdings weitreichende Schlüsse, die man gern durch Belege untermauert sähe. So heißt es bei ihm, der »Bastard« gleiche »metaphorisch einem nimmersatten Krebsgeschwür, das aus dem Innersten mutiert« sei: »Als das personifizierte Böse markiert es nicht nur den äußeren Feind Athens, sondern auch den inneren Feind Persiens« (S. 116). Ha fährt fort mit der Bemerkung, dass Dareios II. als »pathologischer Despot mit der Figur des machtbesessenen Bastards konnotiert« und als »Bedrohung der athenischen Kultur und demokratischen Lebensweise ausgegeben« werde (S. 116). Diese Inszenierung der Notwendigkeit einer »Abwehr der absoluten Gefahr« verlange Opfer von der Gemeinschaft und erlaube die Mobilisierung aller Mittel. Ha findet es schließlich auffällig, dass »diese Grundzüge bei der Konstruktion des ›Bastards‹ in kolonial-rassistischen Diskursen und in der nazistischen Rassenpolitik aufgegriffen wurden« (S. 116). Es wäre interessant gewesen, wenn Ha für die historische Rekonstruktion einer Verbindung zwischen der Gedankenwelt Platons und dem Rassenwahn der Nazis auch die von ihm als »Blut-und-Boden-Übersetzung« (vgl. S. 113) titulierte Edition zum Abgleich der diskutierten Textstellen herangezogen hätte. Zum Schutz des Übersetzers Horneffer vor einer voreiligen Aburteilung sei darauf hingewiesen, dass es sich um einen Freimaurer handelt.

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Ein für sein Thema bedeutendes Ereignis der griechischen Antike vergräbt Ha in einer Fußnote, das sogenannte »Bastardgesetz« des Perikles. Es wurde jedoch nicht 457 vor unserer Zeitrechnung, sondern sechs Jahre später erlassen, und auch nicht »zu Lebzeiten Platons«, der erst 428/27 vor unserer Zeitrechnung geboren wurde. Ha erläutert, das Gesetz habe die »Eheschließung zwischen athenischen Bürgern und fremden Frauen verboten« und »Kinder aus solchen Beziehungskonstellationen« nicht anerkannt (S. 165, Anm. 24). Ein Blick in die Quelle (Athenaion Politeia 26.4) hätte Ha gezeigt, dass das Gesetz die wichtige Funktion hatte, das attische Bürgerrecht an Kinder nur dann zu vergeben, wenn deren beide Elternteile, Vater und Mutter, aus Athen stammten. Diese Normierung ist symptomatisch für die longue durée eines Ausschlusses der nóthoi von elementaren demokratischen Rechten.

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Eine diskursanalytische Studie zur
Begriffsgeschichte des ›Bastards‹?

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Zur Klärung der Etymologie des Begriffs ›Bastard‹ greift Ha auf die Wörterbücher Adelungs und der Grimms zurück sowie auf Heinz Küppers Lexikon der Umgangssprache (1997). Einen weiteren Beleg zur Etymologie des Begriffs entnimmt er aus einem »Bilder-Lexikon der Erotik« 6 (S. 121 ff.). Auch in einem für sprachhistorische Fragestellungen auf den ersten Blick dubiosen Werk muss ja nichts Falsches stehen, ein Abgleich mit dem als zuverlässig geltenden Deutschen Fremdwörterbuch 7 hätte sich dennoch empfohlen. Festhalten lässt sich, dass der Begriff »Bastard« Ende des 12. Jahrhunderts aus dem Mittelfranzösischen ins Deutsche übernommen wird. Mit Bezug auf Adelung erklärt Ha, dass man mit »Bastard« im Feudalwesen zunächst den »anerkannten, aus einer ehelichen Verbindung stammenden Nachwuchs eines Adligen mit einer sozial niedrigerstehenden Frau« bezeichnete (S. 122). Die Abwertung folgte erst später, als der Begriff auf »unstandesgemäße Kinder« aus einer »unehelichen Verbindung« bezogen wurde (S. 122).

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In eine Liste »Weißer bürgerlicher Männer«, die einem biologistischen Denken verhaftet seien, trägt Ha als ersten Herder ein, weil dieser eine »Bastardart« für unnatürlich und weitgehend unfruchtbar hält. Ha macht den »überaus einflussreichen« Herder suggestiv dafür verantwortlich, dass sich in das »moderne Verständnis von Hybridisierung« die Vorstellung einer »widernatürlichen Degenerationserscheinung« eingeschrieben habe (S. 132 f.). Ha behauptet, dass Herders »Überzeugung« durch den zeitgenössischen Kontext von »Kolonialisierung«, »Sklavenhandel« und »sexueller Gewalt« und daraus entstandenen »hybridisierten Bevölkerungsgruppen« geprägt sei: »Die Traumata und Geschändeten der ›Neuen Welt‹ wurden im europäischen Kultur- und Rassendiskurs in einer dramatischen Umkehrung der historischen Ereignisse und des tatsächlichen Täter-Opfer-Verhältnisses zu einer zivilisatorischen Bedrohung umgedichtet« (S. 133). All dies Herder auf der Basis der Auswertung einer einzigen Textstelle aufzubürden, ist verwegen.

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Ha behauptet ferner, dass die »Frage der ›Rassenvermischung‹ im kolonialen Wissenschaftsdiskurs« im »deutschsprachigen Raum« nur »sehr unzureichend systematisch erforscht worden« sei (vgl. S. 33). Als Antwort auf eine solche Unterstellung ließe sich eine Literaturliste einfügen. Eine der wenigen Quellen, die Ha zu diesem Thema im dritten Kapitel seiner Arbeit selbst streift, ist das Buch des Anthropologen Eugen Fischer über die Rehobother Bastards (1913) in der deutschen Kolonie Südwestafrika (S. 171 f., S. 291). Has Aufmerksamkeit entgeht, dass Fischer die angebliche Schädlichkeit der Rassenmischung keineswegs zufällig zu einem Zeitpunkt entdeckt, als die deutsche Kolonialarmee gerade den Aufstand der Herero und Nama mit einem genozidalen Feldzug niedergeschlagen hat. Unter dem Eindruck dieser Rebellion setzt sich in der kolonialen Biopolitik die paranoide Vorstellung durch, dass eine Reproduktion der Kolonialmacht gefährdet sei, wenn das Blut der Kolonialherren durch Hybridisierung mit den Kolonisierten ›verunreinigt‹ werde. Das Konzept der Hybridität gewinnt seine subversive Qualität vor allem daraus, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt der Kulturgeschichte das Reinheits-Paradigma dominant geworden ist.

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Hybridität – von der Kulturindustrie vereinnahmt?

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Im vierten Kapitel wirft Ha die Frage nach den »kulturindustriellen Verwertungsinteressen« auf, die hinter der aktuellen »Wertschätzung« von Hybridität stecken (vgl. S. 40). Während über Hybridisierung in der Gentechnik noch kontrovers diskutiert wird (S. 200 ff.), präsentieren die Massenmedien das Hybridauto bereits als revolutionäre Schlüsseltechnologie für den Massenmarkt (S. 205 f.). Kurzum: »Hybridität ist gut verkäuflich« (S. 210). Sie ermögliche der kapitalistischen Ökonomie ein »kommerzielles Branding«, das mit »state-of-the-art« assoziiert sei (S. 216, S. 218). Das ehemals als monströs konnotierte Hybride sei jetzt normativ umgepolt, enthistorisiert und domestiziert (S. 218). »Hybridisierung« als »universelle Kulturerscheinung« falle mit einer »global agierenden Verwertungslogik« zusammen, die Jameson als »Konsumkapitalismus« bezeichnet (S. 221).

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Die Ware ist nicht mehr nur über ihre ehemalige Primärfunktion als materieller Gebrauchsgegenstand zugänglich, sondern wird immer stärker als Träger von Bedeutungen gebraucht oder benutzt […]. Pointierter ausgedrückt: Spätkapitalistische Massenkultur geht in ihrer konsumtiven Verobjektivierung auf. Sie wird zur totalen Ware. (S. 222)
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Im Schlusskapitel greift Ha noch einmal die Problematik auf, dass die »Beschwörung der visionären Innovationskraft des Hybriden« zu »kulturellen Aufladungen« (S. 238) führt, die nicht nur den Tauschwert der Ware maximieren, sondern insbesondere auch ihren Fetischcharakter intensivieren. Hybridität werde zu einem »magischen Codewort stilisiert« (S. 238). Die »Entdeckung und Aneignung des hybriden Anderen« könne als »Marktreaktion auf einen populistischen Multikulturalismus gewertet werden, der eine exotisierende Konsumkultur propagiert« (S. 239). Ha kritisiert hier die Tendenzen der deutschen Zuwanderungspolitik, die unter Abwägung biopolitischer Interessen und der Lage auf dem Arbeitsmarkt auf eine »zielgruppenorientierte Politik der Abweisung und Zulassung« hinausläuft (S. 247). Has Paradebeispiel für ein »multikulturelles Massenspektakel« (S. 249) ist der Berliner Karneval der Kulturen der Welt, der in erster Linie eine »einträgliche Werbe- und lustige Konsumplattform« sei. Die »Exotisierung« der Hauptstadt als »temporäre Zone der Kulturvermischung« diene der Vermarktung eines »kosmopolitischen Berlins« (S. 249).

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Ambivalent bewertet Ha die positive Besetzung des Terms »Kanaken« durch Feridun Zaimoğlu, sein Musterbeispiel für subversive »Signifying Practices« (S. 41, S. 259 ff.). Er verdächtigt ihn, in der Zwischenzeit zu einem »sozial befriedeten Schriftsteller geworden« zu sein (S. 274). Der Schriftsteller habe sich bei seinem »Marsch durch die bürgerlichen Kulturinstitutionen« in der »elitären deutschen Hochkultur etabliert« (S. 274). Zaimoğlu dürfte genug Humor haben, um sich geehrt zu fühlen.

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Fazit

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Mit dem Genre der Kulturgeschichtsschreibung verbinden sich Versprechungen, die Has Studie nur teilweise einlöst. Die Basis der inhaltlich ausgewerteten und nicht bloß mit der Suchmaschine überflogenen historischen Quellen ist relativ schmal. Eine Arbeit, die mit dem Anspruch auftritt, eine historische Diskursanalyse zu bieten, hätte aus der Primärliteratur rekonstruieren müssen, wie das Konzept der Hybridität vom botanischen bis in den anthropologischen Diskurs vordringt. Selbst eine leicht greifbare Quelle wie Hitlers Mein Kampf kommt nur im Modus »zit. nach« vor (S. 173, S. 177). Darüber hinaus fehlt es dieser Kulturgeschichte auch an einer Periodisierung, die neben Kontinuitäten sorgfältig die Brüche zwischen den diskursiven Universen der Antike, des Kolonialismus, des Nazismus und des gegenwärtigen Rassismus auslotet. Ha verwendet im Titel als Blickfang das Stichwort der Unreinheit. Wenn das Hybride wie ›das Unreine‹ eine Art matter out of place ist, dann hätte sich für Ha auch eine Reflexion der von Mary Douglas zu diesem Thema angestoßenen Diskussion gelohnt. 8 Verdienstvoll ist der Abriss von Ha insofern, als er auf die Gefahr einer kulturindustriellen Vereinnahmung des Postkolonialismus aufmerksam macht, die dem Konzept der Hybridität die kritische Spitze abbricht.

 
 

Anmerkungen

Robert J. C. Young: Colonial Desire. Hybridity in Theory, Culture and Race. London: Routledge 1995.   zurück
Kien Nghi Ha: Hype um Hybridität. Kultureller Differenzkonsum und postmoderne Verwertungstechniken im Spätkapitalismus. Bielefeld: transcript 2005.   zurück
Homi K. Bhabha: Signs Taken for Wonders. Questions of Ambivalence and Authority under a Tree Outside Delhi, May 1817. In: H. K. B.: The Location of Culture. London: Routledge 2010, S. 145–174.   zurück
Salman Rushdie: In Good Faith. In: S. R.: Imaginary Homelands (1990). Essays and Criticism. London: Penguin 1991, S. 393–414, hier S. 394.   zurück
Edward Said: Culture and Imperialism. London: Vintage 1993, S. 406.   zurück
Vgl. Bilder-Lexikon der Erotik, 10 Bde., hrsg. vom Institut für Sexualforschung in Wien. Hier Bd. 1: Bilder-Lexikon der Kulturgeschichte: ein Nachschlagewerk für die Begriffe und Erscheinungen auf dem Gebiete der Kulturgeschichte, Sittengeschichte, Folklore, Ethnographie ... Wien [u.a.]: Verlag für Kulturforschung 1928.   zurück
Bastard. In: Deutsches Fremdwörterbuch. Bd. 3, Berlin: de Gruyter 1997, S. 207–212, hier S. 207.   zurück
Mary Douglas: Purity and Danger. An Analysis of Concepts of Pollution and Taboo (1966). London: Routledge 2004, S. 44 f.   zurück