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Eine bereichernde Einführung in die Kinder-und Jugendliteratur

  • Bettina Kümmerling-Meibauer: Kinder- und Jugendliteratur. Eine Einführung. (Einführungen Germanistik) Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2012. 156 S. EUR (D) 14,90.
    ISBN: 978-3-534-23546-9.
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Bettina Kümmerling-Meibauers Einführung in die Kinder- und Jugendliteratur (KJL) stellt eine gute Alternative zu den bisherigen Einführungswerken in die KJL dar, denn sie verbindet, was bisher getrennt war: Entweder wurde in derartigen Werken die Geschichte der deutschsprachigen KJL oder die Auseinandersetzung mit der KJL-Forschung behandelt. In der vorliegenden Einführung finden nun sowohl die Literaturgeschichte als auch die KJL-Forschung Berücksichtigung – letztere in einem Exkurs zur Begriffsgeschichte und in der Darlegung verschiedener methodischer Zugänge. Dazu liefert der Band Einzelanalysen kanonischer Werke.

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Dabei erhebt die Einführung nicht den Anspruch, die Fragen der Kinder- und Jugendliteraturforschung »gänzlich und im Detail« zu beantworten. Dies hat zwei Gründe: Die Einführung richtet sich nicht an eine bestimmte Gruppe, wie das bei vielen Publikationen der Fall ist, die vorrangig für das Studium von Pädagogik oder Lehramt geschrieben sind, sondern möchte Studierende, Wissenschaftler und Interessierte gleichermaßen ansprechen. Zudem versteht sich der Band nur als Einführung, die einen ersten Blick in das Forschungsgebiet gewährt und das Wichtigste skizziert. Damit fallen die Kapitel zu den theoretischen Aspekten und den jeweiligen Epochen in der Geschichte der KJL notgedrungen sehr kurz aus.

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Die Einführung gehört zur Reihe der Einführungswerke der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft für das Studium Germanistik.

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Aufbau des Bandes

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Der Band ist in fünf Kapitel gegliedert. Im ersten Kapitel erfolgt ein kurzer Exkurs zum Begriff der »Kinder- und Jugendliteratur« (KJL) – zu dessen aktueller Definition und seiner Geschichte. Dazu erfolgt eine Aufzählung dessen, was zur KJL im weiteren und engeren Sinne gehört. Weiterhin werden Begriffe eingeführt, die sich im Laufe der Zeit in der KJL-Forschung etabliert haben. Dieser Exkurs ist wertvoll, weil so eine luzide Ausführung selten in der Sekundärliteratur zu finden ist und er dem Leser einen unkomplizierten Einstieg in das Forschungsgebiet erlaubt.

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Das zweite Kapitel umreißt die Forschungsgeschichte der KJL; hier werden außerdem wichtige Forschungseinrichtungen vorgestellt.

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Im dritten Kapitel rückt das Themenfeld der verschiedenen Forschungsgebiete zur KJL in den Fokus und derjenigen, die an die KJL angrenzen, beispielsweise die Kinderkulturforschung/ Kindheitsforschung. In diesem Kapitel werden Forschungslücken aufgedeckt und Denkanstöße für weitere Forschungsfragen gegeben. Dazu liefert die Autorin kurze Definitionen aller Begriffe, die einem sachunkundigen Leser unbekannt sein dürften und heute zu Schlüsselbegriffen gehören, wie z. B. »Intermedialität« oder »Transmedialität«.

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Das vierte Kapitel skizziert die Geschichte der deutschsprachigen KJL vom Mittelalter bis heute. Hier werden zur Veranschaulichung ›Klassiker‹ der KJL, wichtige Autoren und Werke eingebunden, sodass die jeweiligen Strömungen und Veränderungen direkt an bestimmten Kinderbüchern näher beleuchtet werden.

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Zur Geschichte der KJL ist am Ende des Bandes eine Zeitleiste zu finden, die bedeutende Werke in die historischen Ereignisse einbettet. Dadurch kann man die wichtigsten Kinderbücher leicht wiederfinden und sie zugleich in ihrem Kontext sehen.

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Im letzten Kapitel werden sechs Einzelanalysen kanonischer Werke angeführt. Diese sind in der Hinsicht wichtig, als dass sie Kinderbücher in Augenschein nehmen, die entweder noch nicht aus heutiger Sicht neu gedeutet oder gewürdigt wurden (E.T.A. Hoffmanns Nußknacker und Mausekönig und Emmy von Rhodens Der Trotzkopf), oder bislang wenig untersucht wurden (Josef Guggenmos‘ Was denkt die Maus am Donnerstag? und Cornelia Funkes Tintenwelt-Trilogie).

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Besonderheiten der Einführung

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Obwohl die Einführung mit dem Begriffs-Instrumentarium der KJL-Forschung arbeitet, ist der Band in sehr eingängiger Sprache geschrieben und selbst in den Passagen verständlich, die sich mit den Theorien auseinandersetzen, sodass auch fachfremde Leser zurechtkommen können. Alle Fachtermini werden definiert, sodass nicht erst in anderen Sekundärwerken nachgeschlagen werden muss. Zwischendurch werden viele Verweise auf spezifischere oder tiefergehende Forschungsliteratur gegeben, wodurch man auch einen guten Eindruck davon bekommt, wie viel zu dem jeweiligen Gebiet bereits an Sekundärliteratur vorhanden ist und wo Forschungslücken bestehen können.

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Begriffe und Konzepte, die in den einleitenden Kapiteln erwähnt werden, finden im Kapitel zur Geschichte der KJL ihre Weiterführung – sie werden wieder aufgegriffen und präzisiert, sodass damit ein Bogen gespannt wird und man einen roten Faden erkennen kann.

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Hervorzuheben ist die innovative Annäherung an den Bereich der Kinderlyrik, die bisher in der Forschungsliteratur am Rande behandelt wurde – ganz anders als beispielweise die fantastische KJL, die vor allem seit J. K. Rowlings Harry Potter einen Aufschwung in der Forschung erlebt hat.

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Weiterhin werden beispielsweise Medienkompetenz und Media Literacy thematisiert: Die Auseinandersetzung mit diesen Bereichen ist angesichts des gegenwärtig unübersichtlichen Medienangebots von besonderer Bedeutung. Die Rolle der Medien wird am Ende der Geschichte der KJL wieder aufgegriffen: Hier wird eine Übersicht des breiten Angebotes diverser Medien geschaffen und der gegenseitige Einfluss der Medien diskutiert. Dieser fließt in die Überlegungen zur KJL mit ein, auch wenn das Buch immer noch als Hauptmedium besprochen wird.

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Forschungskontext – Vergleich mit anderen Einführungen in die KJL

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Um die Besonderheiten der Einführung herauszustellen, soll sie nun mit anderen wichtigen Einführungswerken verglichen werden. Bettina Kümmerling-Meibauers Einführung richtet sich nicht nur an Studierende und Wissenschaftler und ist dementsprechend nicht mit Hans-Heino Ewers‘ Einführung Literatur für Kinder und Jugendliche – Eine Einführung zu vergleichen.

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Seine Einführung ist anders angelegt und folgt einem anderen Ziel: Wie er selbst in der Einleitung formuliert, geht es ihm um die »Erfassung und terminologische Fixierung grundlegender Strukturen dieses Literaturbereichs, womit die Basis für eine weitergehende, intensivere Beschäftigung mit KJL in Geschichte und Gegenwart geschafft werden soll« (Ewers 2012, S. 7). Seine Einführung setzt sich, wie er in seiner Einleitung an einer anderen Stelle betont, somit nicht zum Ziel, einen Überblick zu schaffen, sondern die Terminologie der verschiedenen Forschungsbereiche zu vertiefen, was für einen Einsteiger verwirrend sein kann. Der Begriff »Einführung« ist für den UTB-Band somit leicht missverständlich, denn als ersten Überblick versteht Ewers seinen Band nicht. Hans-Heino Ewers‘ Band ist an ein Publikum gerichtet, das bereits Grundlagen der KJL-Geschichte und -Forschung besitzt und nicht erst einen gerafften Überblick über diese erwartet. Auf Ewers‘ Einführung seien diejenigen Leser hingewiesen, die die einleitenden Kapitel zur KJL-Forschung vertiefen möchten: Hier werden die theoretischen Aspekte der KJL ausführlich dargestellt und die Entwicklung der Theorien anhand von Tabellen mit Definitionen nachvollziehbar gemacht. Repräsentative Werke werden auch hier aufgeführt – allerdings eher am Rande. Die Geschichte der KJL wird in keinem gesonderten Kapitel besprochen.

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Isa Schikorskys Band Kinder- und Jugendliteratur ist ebenfalls anders als die Einführung von Kümmerling-Meibauer angelegt: Hier wird die Geschichte der deutschsprachigen KJL anhand wichtiger Strömungen, Veränderungen und Werke nachgezeichnet, sodass man wichtige Tendenzen und die Entwicklung der KJL verfolgen kann. Auf einen theoretischen Teil wird hier verzichtet. Ihr Band ist im Vergleich zu Reiner Wilds umfangreicher Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur eher als Schnellkurs zu verstehen, wie auf dem Umschlag bereits angedeutet wird, denn er ist skizzenhaft aufgebaut. Wie eine Enzyklopädie trägt sie die wichtigsten Schlüsselbegriffe, Strömungen und Werke zusammen, während Wilds Band die Geschichte der KJL ausführlich und erschöpfend nachzeichnet. Durch die vielen Bilder lassen sich die Beschreibungen im Text nachvollziehen, wenn beispielsweise der Stil eines Illustrators besprochen wird.

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Kümmerling-Meibauers Einführung stellt somit in gewisser Hinsicht eine Verbindung der beiden anderen Werke dar: Theorie und Geschichte werden hier miteinander verwoben und schaffen damit ein Bild der KJL, das beides gleichermaßen berücksichtigt.

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Außerdem unterscheidet sie sich grundlegend von Einführungen der Studiengänge Lehramt und Pädagogik (z. B. Manfred Marquardts Kinder- und Jugendliteratur), die auf diese zugeschnitten und somit nicht primär an ein fachunkundiges Publikum gerichtet sind.

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Der UTB-Band Kinder- und Jugendliteratur von Gina Weinkauff und Gabriele von Glasenapp fällt als Standardwerk für Lehramtsstudierende in letzteren Bereich der Einführungen, die sich an ein spezifisches Publikum richten. Hier können sich jedoch auch bereits ähnliche Ansätze wie bei Kümmerling-Meibauer finden, wenn in der Einleitung darauf hingewiesen wird, dass »[d]er vorliegende Band […] neben didaktischen Überlegungen zur Kinder- und Jugendliteratur auch Grundkenntnisse des Gegenstandes [vermittelt]« (Weinkauff, Glasenapp 2010, S. 13). Weiterhin heißt es: »Der Band bietet allerdings keinen Geschichtsabriss, sondern exemplarische Einblicke in zwei Epochen bzw. Strömungen, die die Kinder- und Jugendliteratur besonders nachhaltig prägten: die Aufklärung und die Romantik.« (Weinkauff, Glasenapp 2010, S. 14) Damit kann den beiden Epochen hier mehr Platz gewidmet werden, als bei Kümmerling-Meibauer, die beim Mittelalter beginnt, die Geschichte der KJL bis heute skizziert und sie damit notwendigerweise in komprimierter Weise darstellen muss.

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Fazit

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Bettina Kümmerling-Meibauers Einführung eignet sich als Erstlektüre in diesem Forschungsgebiet, denn sie schafft eine Übersicht sowohl über die Theorie als auch über die Geschichte der KJL. Damit schließt diese Einführung eine Lücke in der bisherigen Literatur, die sich durch eine Aufspaltung der Themen auszeichnet und an bestimmte Adressatengruppen gerichtet ist. Da sie sich an alle Interessierten richtet, erfüllt sie die Rolle einer Einführung, die einen ersten aber gleichzeitig bereits fundierten Überblick schafft.

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Durch das fünfte Kapitel mit den Einzelanalysen repräsentativer Werke wird außerdem ein praktischer Bezug zu den vorangegangenen Kapiteln geschaffen – der Leser kann nachvollziehen, wie das vorher Reflektierte in der Praxis ausfällt.

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Besonders hervorzuheben ist die Aufzeichnung des breit gefächerten Medienangebots, die eine der Stärken dieser Einführung ist, da sie in dieser klaren, komprimierten Form in anderen Einführungen bisher nicht zu finden war.

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Da dieser Band jedoch in der Reihe der Einführungswerke erschienen ist und damit »nur« eine Einführung in das Themengebiet anstrebt, ist zu beachten, dass sie natürlich nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann. Hier geht es vielmehr darum, möglichst viele Aspekte zu nennen und anzureißen, auf die Vielfalt hinzudeuten, Forschungslücken aufzudecken und dem unkundigen Leser eine erste Vorstellung von KJL gewinnen zu lassen. Dies ist dieser Einführung gelungen.