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Eine neuartige »Kunstbuch-Edition mit Original-Faksimiledoppelblatt«
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Als bislang zweiter Band einer neuen »Kunstbuch-Edition mit Original-Faksimiledoppelblatt«
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legt der Quaternio Verlag in Luzern erstmals eine umfassende Monographie zum Rheinauer Psalter, Ms. Rheinau 167 der Zentralbibliothek Zürich, vor, dessen Miniaturen zu den absoluten Spitzenwerken der deutschen Buchmalerei des 13. Jahrhunderts zu zählen sind. Der Forschung zwar schon lange bekannt, wurde die Handschrift jedoch nur selten Gegenstand buchgeschichtlicher und kunstwissenschaftlicher Untersuchungen. Wissenschaftlern im Original nur sehr schwer zugänglich und zudem nur einmal auf einer überregionalen Ausstellung
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gezeigt, führte sie neben weitaus häufiger beachteten zeitgenössischen Psalterien wie etwa dem Elisabeth- und dem Landgrafenpsalter, dem Bamberger oder auch dem Würzburger Psalter in München
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zu Unrecht ein Schattendasein im öffentlichen Bewusstsein. Die Kenntnis der großartigen und insgesamt weitgehend makellos erhaltenen Miniaturen beruhte bislang im Wesentlichen auf den Ausführungen Hanns Swarzenskis in seinem 1936 in Berlin erschienenen Standardwerk Die lateinischen illuminierten Handschriften des XIII. Jahrhunderts in den Ländern an Rhein, Main und Donau. Neue, abweichende Ergebnisse konnten später Ellen J. Beer und Gerhard Schmidt vorlegen.
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In den letzten Jahren kamen einzelne Beiträge von Christoph Eggenberger, dem besten Kenner der Handschrift, hinzu,
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die der Vorbereitung der nun vorliegenden Edition und der gleichzeitig vorgenommenen Digitalisierung
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der Handschrift dienten.
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Der umfangreiche Band, dem in einem gemeinsamen Schuber ein eigens gebundenes Faksimile der im Lagenverband kein Bifolium bildenden Blätter 69 und 70 lose beigefügt ist, beeindruckt zunächst durch seine noble Ausstattung. Insgesamt sieben Bildteile, in denen jeweils einzelne Seiten gruppenweise der Abfolge in der Handschrift entsprechend in Originalgröße und ausgezeichneter farbiger Wiedergabe vorgestellt werden, trennen die Textblöcke voneinander: Geleitwort, Vorwort und Einleitung, den kunsthistorischen Kommentar, die codicologische Beschreibung, die maltechnische Untersuchung und schließlich den Anhang mit Glossar, Handschriften- und Literaturverzeichnis. Zu den 60 Farbtafeln kommen, ebenfalls durchgehend farbig, zwei ganzseitige Textproben (fol. 18r, S. 133; fol. 162v, S. 122), sehr zahlreiche Detailaufnahmen und Vergleichsabbildungen hinzu, die in den Beiträgen einzeln durchgezählt werden und zusammen erstmals eine vollständige Dokumentation der Handschrift bilden. Zahlreiche Hinweise auf sonstige zum Vergleich herangezogene illuminierte Handschriften und Werke der Schatzkunst wie der Monumentalplastik werden in den Anmerkungen gegeben.
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Mit dieser Publikation liegt die erste wissenschaftlich fundierte monographische Darstellung dieses »außergewöhnlich reich und anspruchsvoll illustrierten Psalters« (Swarzenski) vor, die hohen Ansprüchen genügt, selbst wenn die darin versammelten Texte »nicht für sich in Anspruch [nehmen], das letzte Wort über die komplexen Fragen zu sein, die die Handschrift stellt«, wie Susanne Bliggenstorfer in ihrem Geleitwort hervorhebt (S. 19).
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Codicologische Fragen
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Die bislang in der Literatur nie ernsthaft unternommene codicologische Untersuchung des Psalters, die man eher am Beginn des Bandes und damit vor dem kunsthistorischen Kommentar zu den einzelnen Miniaturen hätte erwarten können, liefert Marlis Stähli unter der Überschrift »Text, Schrift und Bild« auf den Seiten 103–145 nach. Sie wendet sich zunächst der Einrichtung der Handschrift zu. Akribisch werden dabei die einzelnen Lagen des heute insgesamt 199 ca. 27,5 x 18,5 cm messende Pergamentblätter umfassenden Psalters untersucht und in mehreren Schemata (Rekonstruktion der Lagenformel, Lagenschema und Diagramm der Proportionsverhältnisse einer Doppelseite, S. 104, 105 und 107) verdeutlicht. Bereits hier wird die komplexe Struktur der einzelnen, teilweise auch mit einer alten Signatur versehenen Lagen erkennbar, die vor allem an jenen Stellen Störungen aufweisen, wo dem Textcorpus entweder Miniaturen auf einzelnen nicht liniierten Blättern während des Entstehungsprozesses hinzugefügt
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oder aber solche zu unbekanntem Zeitpunkt aus dem Band entfernt wurden. Erst auf der Basis dieser Erkenntnisse kann die Rekonstruktion des ursprünglichen, vielleicht auf einer noch im Entstehungsprozess des Codex vorgenommenen Planänderung beruhenden Bildzyklus erfolgen, die freilich die bei der Verteilung von Text und Bild aufgetretenen Probleme nicht befriedigend beseitigen konnte. Das von Stähli angedeutete Prinzip, »die Miniaturen vom Text durch leere Pergamentseiten« zu distanzieren, um eine »Trennung von Text und Bild« zu erreichen (S. 106), wird im Psalter nur höchst unvollkommen erreicht; ob damit ein Hinweis auf ein Scriptorium gegeben ist, das nicht »auf höchster Stufe der Schreibkunst« arbeitete (S. 106), sei dahingestellt. Der – trotz anders lautender Einschätzung der Verfasserin – hochstehende Rang der einzelnen nicht besonders herausgehobenen Psalminitialen dürfte dieser Annahme doch widersprechen, zumal der künstlerische Abstand zwischen diesen Initialen und den Vollbildern beziehungsweise den ihnen nachfolgenden Hauptinitialen wohl eher auf einen beabsichtigten Rangunterschied, denn auf einen Qualitätsunterschied zurückzuführen sein dürfte.
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Im Folgenden geht Marlis Stähli anhand von Beobachtungen zu Zeilenmarkierung und Liniierung, Buchzeichen und Lagensignaturen sowie einer genauen Darstellung der Verhältnisse innerhalb der einzelnen Lagen auf die Kompliziertheit in der Abfolge von Textseiten, leeren Seiten in Verbindung mit Vollbildern und Initialzierseiten ein. Es ergibt sich dabei ein Bild, das den weitgehend üblichen Traditionen eines »ungestörten« Text-Bild-Initial-Verhältnisses signifikant widerspricht, als sei der Psalter zunächst ohne Einschaltung eines Konzeptors oder Organisators gleichsam planlos »zusammengebaut« worden. Weder kommt eine regelmäßig durchgeführte Abfolge von Bildminiatur auf der Versoseite mit der auf der folgenden Rectoseite anschließenden Zierinitiale
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oder eine Gruppierung von Bilderfolgen vor den Psalmen der Dreiteilung
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zustande, wie sie die überwiegende Mehrzahl der deutschen Prachtpsalter des 13. Jahrhunderts befolgt, noch ist die vornehmlich in englischen und französischen Psalterien der Zeit übliche diptychonartige Anordnungspraxis von je zwei Miniaturen auf gegenüberliegenden Seiten
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beziehungsweise auf einer Doppelseite bei jeweils freibleibenden Bildrückseiten
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durchgeführt.
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In den folgenden Passagen nimmt Marlis Stähli die Psaltereinteilung und die Ausstattung des Codex in den Blick. Unbestritten ist, dass in der ursprünglichen Konzeption eine besondere Hervorhebung der rein formalen Psalterdreiteilung mit Betonung des auch als eigentliches Titelbild zum Psalter fungierenden ersten Psalms vorgenommen wird. Indes ist auch dieHervorhebung der Psalmen der Achtteilung in der Handschrift angelegt, doch schon durch die reduzierten Dimensionen des Initialbuchstabens graduell von der der Dreiteilung unterschieden. Wenn auch den meisten Teilungspunkten der Psalterachtteilung jeweils eine Miniatur vorangeht oder eine solche wenigstens rekonstruiert werden kann,
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ist die Hypothese wohl nicht von vornherein ausgeschlossen, dass in der Anfangsplanung die Psalmen der Achtteilung ohne begleitende Miniatur nur durch etwas kleinere Zierinitialen akzentuiert werden sollten.
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Im Rahmen einer Änderung oder Erweiterung des Bildprogramms
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wären demnach auf ehemals unbeschriebenen Rectoseiten Miniaturen hinzugefügt oder, wo dies nicht möglich war, als Einzelblätter eingeordnet worden.
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Es folgt eine eingehende Auseinandersetzung mit den kleinen, meist drei- oder vierzeiligen Initialen, welche die einzelnen Psalmanfänge beziehungsweise deren Binnengliederung markieren und zwei verschiedenen Initialtypen angehören, in der Mehrzahl kleine Gold-, Zwischgold- und Silberinitialen auf gerahmten Farbfeldern, die vornehmlich durch phantasievoll variierte Weißlinienornamente gemustert werden. Hinzu kommt ausschließlich in den Lagen 8 und 10 ein zweiter Typus von teilweise von silbernen Schnallen gehaltenen Spaltleisteninitialen, deren farbiger Bildgrund nielloartig mit goldenen oder silbernen Ornamenten gefüllt sein kann und am Außenkontur von rotem Fleuronnée gesäumt wird. Diesem »kostbareren« Initialtypus (S. 128) weist Stähli eine etwas diffus begründete inhaltliche Bedeutung zu (bes. S. 128–129). Auf jeden Fall wird man mit mindestens zwei Initialmalern rechnen können, die lagenweise arbeiteten. Da die Initialen des »speziellen« Typus den großen Zierinitialen stilistisch nahestehen, wäre eventuell für beide ein gemeinsamer Maler anzusetzen.
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Als Urheber der Schrift wird eine »kalligraphisch geübte« Schreiberhand angenommen, die freilich »gegenüber der herausragenden Qualität der Miniaturen und Zierseiten merkwürdig« abfalle (S. 132), aber die Datierung des Rheinauer Psalters um die Mitte des 13. Jahrhunderts stütze. Angesichts der konstatierten Stillagenunterschiede zwischen Text und Miniaturen stellt sich die Frage, ob Text und Bilderschmuck überhaupt in ein und demselben Atelier entstanden sind oder aber erst im Scriptorium zusammengefügt wurden.
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Um dieser in der Tat berechtigten Frage näherzukommen, bedarf es einer sorgfältigen Analyse von Kalender und Litanei, aus deren Festeinträgen und Anrufungen eventuell Rückschlüsse auf die ursprüngliche Bestimmung des ohne figürliche Bestandteile zurückhaltend gestalteten Psalters gezogen werden können. Marlis Stählis Auseinandersetzung mit dem Kalendarium geht von der Prämisse aus, der »für die privaten Zwecke einer hochgestellten kirchlichen oder weltlichen Person« (S. 135) dienende Kalender liefere wichtige Hinweise auf das Bestimmungsgebiet der Handschrift. Indes ist die Anzahl der Festeinträge vergleichsweise spärlich, Festgrade und Auszeichnungen fehlen weitgehend; neben dem rätselhaften, wohl versehentlich rubrizierten »Simplicii epi« zum 2. März erscheint nur »Assumptio s. Marie« zum 15. August in Rot, doch sind sämtliche weitere Nennungen einer »Maria« (also auch Maria Egyptiaca und Maria Magdalena) als Sperrung und teilweise in Großbuchstaben wiedergegeben, sodass man wohl mit Recht davon ausgehen kann, in Maria die Hauptpatronin zu erkennen (S. 137). Aufgrund der vergleichenden Analyse des verbleibenden Heiligenbestandes
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mithilfe der Kalenderabdrucke bei Grotefend
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ergibt sich eine besondere Affinität zum Festbestand des Kalenders des Bistums Konstanz, während einige dort nicht vorkommende Feste dem Kalender des Bistums Freising entnommen sein können, so unter anderem der Eremit Alto am 9. Februar.
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Ob die übrigen nicht eindeutig einzuordnenden und die »fehlenden« [!] Nennungen Einflüsse aufzeigen oder Ausstrahlungen deutlich machen oder »auf besondere Interessen und Beziehungen der Auftraggeber hinweisen« (S. 139), ist schwer zu entscheiden. Hier hätte sich vermutlich weitere Klärung durch einen parallelen Abdruck einer größeren Anzahl verwandter oberrheinischer Festkalender ergeben können, wie ihn bereits Swarzenski – allerdings ohne zwingendes Ergebnis – versucht hatte.
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Leider sind in der vorliegenden Monographie nur vier der zwölf Kalendermonate in (kleinen, aber noch lesbaren) Abbildungen zugänglich; für eine nähere Auseinandersetzung mit dem Kalender sei auf das auch sonst sehr hilfreiche digitale Faksimile der Handschrift verwiesen.
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Die Frage, ob Rheinau selbst als Bestimmungsort in Frage kommen kann, bleibt bei Stähli mangels eindeutiger Merkmale offen (S. 140).
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Ob die anschließende knappe Analyse der Litanei, deren Formulierung »Vt n(ost)ram c(on)gregacione(m) omnium s(anct)or(um) i(n) tuo servicio c(on)servare digneris« wohl nicht mit dem Allerheiligenkloster Schaffhausen in Verbindung zu bringen ist, auf eine »Persönlichkeit schließen [lässt], die eng mit der Kirche, der Congregatio omnium sanctorum, verbunden ist, und den Psalter für das Privatgebet nutzte, einen Bischof, einen Abt oder einen hochgestellten Wohltäter«, (S. 142, ebenso S. 23), wird sicherlich Anlass zu weiteren Untersuchungen bieten.
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Hypothesen zum ursprünglichen Bucheinband
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Die in einem nächsten Kapitel (S. 157–167) folgenden Ausführungen betreffen Einband und Provenienz des Psalters, der 1817 durch Kauf in die Benediktinerabtei Rheinau gelangt ist. Der heutige Lederbezug der beiden originalen hölzernen Einbanddeckel wurde zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt nach dem Erwerb der Handschrift für Rheinau anstelle einer älteren Abdeckung angebracht. Bei der zur Digitalisierung notwendigen Trennung von Buchblock und Einband ergaben sich neue Erkenntnisse: Dabei kamen Reste eines aus der Entstehungszeit stammenden roten Lederbezugs ebenso zum Vorschein wie der originale, »gerade gehaltene« Einbandrücken, der als typisch noch für die Bindetechnik des 13./14. Jahrhunderts gelten kann (S. 163). Hinzu kommt ein zwar seit langem bekannter
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, doch bislang nicht näher untersuchter »Goldschnitt mit reicher Rankenverzierung« (S. 162, Abb. 66). Leider ist anhand des abgebildeten Kopfschnitts nicht sicher zu entscheiden, ob es sich um einen mit sich gegenläufig einrollenden Ranken bemalten Goldschnitt handelt
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oder um mit Hilfe einer Schablone gemalte goldene Spiralranken, deren Zwischenräume farbig gefüllt wurden.
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Mit derartigen Buchschnitten versehene Psalterien sind im gesamten 13. Jahrhundert – nicht nur in Deutschland – durchaus keine ungewöhnliche Erscheinung,
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man wird vielleicht sogar mit einer weit verbreiteten Praxis rechnen dürfen, die nur deshalb vergleichsweise selten überliefert ist, weil vielfach der originale Bucheinband ersetzt und der Buchblock dabei beschnitten wurde. Da ein bemalter Schnitt am Rheinauer Psalter noch erhalten ist, ist die auch bei Stähli geäußerte Vermutung nicht auszuschließen, beim ursprünglichen Einband könne es sich um einen Hornplatteneinband gehandelt haben,
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als dessen besterhaltenes Beispiel der Einband des in den letzten Jahren viel beachteten Komburger Psalters
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Cod. bibl. 2° 46 der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart gilt. Unbegreiflich ist, warum die Autorin in ihrem Beitrag diese Handschrift hartnäckig als »Kamberger Psalter« bezeichnet, obwohl sie die dafür einschlägige Literatur kennt und zitiert.
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Die stilistische und ikonographische Untersuchung der Miniaturen
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Unter Bezugnahme auf die Beobachtungen Marlis Stählis setzt sich Christoph Eggenberger in zwei einleitenden Kapiteln nicht nur mit Stil und Ikonographie der insgesamt zehn erhaltenen und drei mit großer Wahrscheinlichkeit rekonstruierbaren Vollbildern
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auseinander, zu denen die seitengroße Beatus-Seite als einzige im strengeren Sinne figürliche Initiale hinzutritt. Seine profunden Beobachtungen, die teilweise aus Vergleichen mit ähnlich bedeutenden illuminierten Handschriften der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts am Ober- und Mittelrhein gewonnen werden, führen für die Miniaturenfolge zur Erkenntnis eines komplexen Bildprogramms, das der gesamten Bildsequenz einschließlich der separat eingefügten und der rekonstruierten Miniaturen zugrunde liegt.
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Bereits der erste Beitrag »Der Bilderzyklus im Rheinauer Psalter« (S. 37–47) macht den Leser mit den wichtigsten Untersuchungsergebnissen vertraut. Sie verhelfen dazu, die Handschrift recht entschieden »um das Jahr 1260« zu datieren und sie damit einigen wenigen Meisterwerken der gotischen Buchmalerei der Zeit an die Seite zu stellen. Zum Vergleich dienen dabei insbesondere das Mainzer Evangeliar in Aschaffenburg
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sowie das ihm aufs engste verwandte Zisterzienserlektionar in Hamburg,
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die beide wohl in einem gemeinsamen, nach Mainz zu lokalisierenden mittelrheinischen Atelier zwischen 1250 und 1260 entstanden sind. Als weitere Vergleichshandschrift werden der nicht nur »etwas ältere« (S. 37), sondern wohl bereits zu Beginn des 13. Jahrhunderts am Oberrhein entstandene Waldkirch-Psalter
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und der Bonmont-Psalter in Besançon
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herangezogen. Ist damit der geographische (Bodenseegebiet, Ober- und Mittelrhein, Ostschweiz, Elsass) und kirchenpolitische Bereich (Kirchenprovinz Mainz, Bistümer Konstanz und Basel) angedeutet, auf den auch die Kalender- und Litaneianalyse weist, so führen weitere Überlegungen näher in den Bereich der Stadt Konstanz, die sich »nicht nur aus künstlerischer Sicht, sondern auch in ihrer politischen und kirchenpolitischen Ausrichtung« geradezu aufdränge (S. 37). Als ein Argument für die Lokalisierung des Psalters nach Konstanz kann dessen Unausgewogenheit gelten, die zwischen den Schriftseiten und den weitaus höher stehenden Miniaturen besteht; in ihr manifestiere sich die »Zeit des Übergangs in Konstanz vor den Höhepunkten nach 1300« (S. 37), in der der Rheinauer Psalter »eine künstlerische Zwischenstufe« markiere (ebd.). In einem dort anzusetzenden Atelier verschmelzen Entwicklungstendenzen von der »streng geometrisch-linearen Faltenbildung« zu »raumgreifenden Figuren« mit Bildungen aus früheren Stufen des Zackenstils (S. 38), wie sie teilweise auch im Heiligen Grab in der Mauritiusrotunde des Konstanzer Münsters (um 1260) verwirklicht werden.
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Weitere Vergleiche, die auch die bislang vorherrschende Forschungsmeinung zum Psalter mit einbeziehen (und zu Recht weitgehend ablehnen), führen schließlich zur Annahme eines Ateliers, in dem nicht nur Werke der Buchmalerei, sondern auch der Goldschmiedekunst und eventuell der Glasmalerei hergestellt wurden. Freilich ist der Psalter nicht ohne maßgebliche Einwirkung eines »hochgestellten, unabhängigen Auftraggeber[s] oder eine[r] Auftraggeberin, die sich nicht an die Normen hielten« (S. 40), vorstellbar. Ihm (oder ihr) oblag, so darf man im Sinne Eggenbergers annehmen, die ungewöhnliche thematische Ausrichtung der Bilderfolge, aufgezeigt an deren heutiger inhaltlicher Zusammensetzung (unter Einschluss der rekonstruierten Miniaturen). Eggenberger ordnet die einzelnen Miniaturen drei Themenbereichen zu: Auf Inkarnation und Kindheit Jesu folgen Szenen der Passion Christi und schließlich Darstellungen zu Erlösung und Gericht.
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In dieser thematischen Zusammensetzung spiegeln die Miniaturen die konventionellen Bildprogramme zeitgenössischer Psalterhandschriften wider, ohne dass ein unmittelbares Abhängigkeitsverhältnis von einem konkreten Vorbild erkennbar würde. So liegt es nahe, in der Eigenart der Bildauswahl den Einfluss eines Auftraggebers zu erkennen: »Die drei erhaltenen Bilder des Vorspanns sind narrativ, die Miniaturen von Psalm 38 an geben sich statisch, hieratisch, dogmatisch, sie untermauern bildnerisch die Lehrmeinung der Orthodoxie, das Kirchengesetz, die Transsubstantiation, in erster Linie aber den Primat des Papstes gegenüber dem Kaiser« (S. 40). Dies zeigt Eggenberger durch Verweise auf die kirchen- und reichspolitischen Verhältnisse der Zeit auf. Im Hinblick auf die Lokalisierung der Handschrift verweist die besondere Hervorhebung des Apostels Petrus auf Klöster mit Petruspatrozinium oder auf solche, die Petrus auf besondere Weise verehren. Ein konkreter Ort, der wohl im engsten Einflussbereich von Konstanz zu suchen wäre, lässt sich freilich nicht mit hinreichender Sicherheit erkennen. Ihm müsste, das sei hier ergänzend bemerkt, insbesondere die Persönlichkeit verbunden sein, die als Konzeptor oder Organisator die bildliche Ausstattung des Psalters im Sinne der Instruktionen durch den Auftraggeber besorgte.
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Eggenbergers Erläuterungen zu den Miniaturen im Rheinauer Psalter (S. 57–93) erörtern im Detail jene Eigenheiten der einzelnen Miniaturen, aus denen sich die bereits im vorausgehenden Kapitel dargestellte allgemeine historische und künstlerische Einordnung des Bildzyklus ergibt. Neben eingehenden Beschreibungen der einzelnen Bildseiten, die auch auf stilistische, koloristische und motivische Besonderheiten aufmerksam machen, werden mögliche Vorbilder und spezifische ikonographische Besonderheiten der jeweiligen bildlichen Formulierung diskutiert und vor allem durch solche Vergleichsabbildungen belegt, die dem Psalter auch zeitlich und stilistisch nahestehen.
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Besondere Beachtung schenkt der Autor dem vielfältigen Beziehungsgeflecht der Gesten und Blickverbindungen der einzelnen Gestalten, das sich nicht allein auf die einzelne Miniatur beschränkt, sondern über mehrere Bilder oder Bildgruppen hinweg entwickelt. Dabei ist vor allem in den christologischen Bildern des Bildproömiums die »Betonung des Zyklischen und Narrativen« (S. 59) festzustellen, das allerdings auch in manchem anderen »traditionellen« Psalterillustrationszyklus wie etwa dem Waldkirch-Psalter anklingt.
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Mit der Miniatur auf fol. 52v, die den Verrat des Judas und die Gefangennahme verbindet, nimmt der Maler eine umfassende Umdeutung vor, indem er die Gestalt des Petrus neben Christus zum inhaltlichen Zentrum der Darstellung erhebt. Ob man in der in eher düsteren Farben angelegten, die spärlichen Partien des Goldgrundes dabei umso deutlicher heraushebenden Szene »eines der frühesten Nachtbilder der Kunstgeschichte« (S. 69) erkennen will, sei dahingestellt.
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Auch die folgenden Bilder werden im Hinblick auf spezifische ikonographische Eigenheiten, auf Besonderheiten im jeweils bewusst eingesetzten Wandel des Farbklimas, aber besonders auf versteckte inhaltliche Eigenwilligkeiten untersucht, wobei immer wieder die Gestalt des Petrus in den Mittelpunkt der Deutung rückt. Am deutlichsten zeigt sich die unkonventionelle Hervorhebung des Apostels in der Pfingstminiatur (fol. 128v): »Maria fehlt, sie hat keinen Platz neben dem alles überragenden Petrus; er ist dargestellt in der Form der Maiestas Christi, als Stellvertreter Christi, hier aber auch als erster Papst in Hommage an den zur Zeit der Entstehung der Handschrift regierenden Papst, sei es Innozenz IV., Alexander IV. oder am ehesten Urban IV.« (S. 81).
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Im Abschlussbild, dem Jüngsten Gericht (fol. 145v), arbeitet Eggenberger schließlich die symbolischen Bezüge heraus, die Christus als Weltenrichter mit Kelch und Hostie in seiner Rechten und dem Lilienszepter in seiner Linken mit Melchisedek in Beziehung setzen und auf die Eucharistie verweisen. Möglicherweise werden in dieser Miniatur neue Bildmotive aufgegriffen, die mit der Einführung des Fronleichnamsfestes für die ganze Kirche 1264 im Zusammenhang zu bringen sind. Für die ebenfalls in der Miniatur erkennbare Blutsymbolik verweist Eggenberger auf die Heilig-Blut-Reliquie in Weingarten (S. 84). Abschließend macht der Verfasser auf ein besonderes Motiv des Jüngsten Gerichts aufmerksam: Im Unterschied zu fast allen Darstellungen des Themas werden hier nur die Verdammten in Gestalt von Juden und zwei Königen dargestellt, was die besondere Programmatik des Bildes erklärt: »Diejenigen, die nicht an die Transsubstantiation glauben, sind verdammt, Juden, Könige und andere. Offensichtlich hat das Bild eine kämpferische Note, es polemisiert unversöhnlich gegen die Feinde des rechten Glaubens« (S. 84).
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Ausgehend von diesen Überlegungen und durch Vergleiche mit dem Bildzyklus im Bonmont-Psalter versucht Eggenberger, die Themen der drei heute mutmaßlich fehlenden Miniaturen spekulativ zu benennen und die Rekonstruktion zu begründen. Es fehle vor Psalm 1 eine Szene aus der Kindheit Jesu oder die Taufe Christi, vor Psalm 26 die Taufe Christi oder der Einzug in Jerusalem oder das Abendmahl und schließlich vor Psalm 52 die Kreuztragung oder die Kreuzigung, wobei der Verfasser das jeweils letztgenannte Thema zu favorisieren scheint.
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Die hier vorgelegten Bildanalysen lassen deutlich erkennen, dass in der Monographie eine erste kohärente, wenngleich in der Zuspitzung nicht immer leicht nachvollziehbare Deutung der Miniaturen geleistet und gleichzeitig die Alleinstellungsmerkmale aufgezeigt werden, die den Rheinauer Psalter zu einem singulären Meisterwerk machen. Es bleibt ohne Nachfolge, »unterkühlt, geglättet, auf Hochglanz poliert, auf Prunk ausgerichtet, geschmäcklerisch gar und sehr privat, fast zu schön!«
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Technologische Untersuchung
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Ungewöhnlich breiten Raum nimmt am Ende des Bandes die maltechnische Untersuchung des Psalters (S. 187–260) ein, die Doris Oltrogge und Robert Fuchs im Zuge der Vorbereitung der vorliegenden Monographie in den Jahren 2007 und 2012 »mit Hilfe portabler, nicht-invasiver (zerstörungsfreier) Geräte« (S. 187) durchführten. Beide Autoren können auf breite Erfahrungen, eigene Quelleneditionen und zahlreiche einschlägige Publikationen zurückgreifen und die dort gewonnenen Erkenntnisse für die maltechnische Untersuchung des Rheinauer Psalters nutzbar machen.
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Den Detailuntersuchungen gehen zunächst Ausführungen zu den in der Handschrift verwendeten Materialien voraus: neben Pergament und Tinte
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eine große Anzahl verschiedener Farbmittel, dazu Metalle. Hier werden die einzelnen Malmaterialien in Hinblick auf die Herkunft ihrer Ausgangssubstanzen, ihr erstmaliges Vorkommen in der Buchmalerei, ihre Mischungsmöglichkeiten und die technologischen Untersuchungsverfahren, mit denen sie nachzuweisen sind, vorgestellt. Besondere Aufmerksamkeit dürfen dabei Materialien wie Schildlausfarblack (S. 190) oder Zwischgold
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(S. 194) für sich beanspruchen, die die Miniaturen des Rheinauer Psalters auf besondere Weise charakterisieren und sie in technischer Hinsicht von zeitgenössischen illuminierten Vergleichshandschriften unterscheiden.
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Ganz neue Einsichten vermittelt die anschließende Auseinandersetzung mit der Maltechnik, die mit Überlegungen zur Unterzeichnung mithilfe der Infrarot-Reflektographie und anderer Verfahren einsetzen. Zahlreiche Detailaufnahmen mit Bandpassfilter-Reflektographie bei 1600nm zeigen, wie die Miniaturen durch Metallstift- oder Federzeichnungen vorbereitet wurden, wobei zunächst die Rahmenelemente (das »Layout«), dann die Komposition in ihren Umriss- und Binnenkonturen angelegt wurden, wobei Unterzeichnung und Ausführung mitunter erkennbar abweichen.
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Als weitere Besonderheit wird »der überaus raffinierte Umgang mit verschiedenen Metallen« (S. 204) herausgestellt, die zur besonderen Prachtentfaltung der Miniaturen beitragen und »gezielt Assoziationen mit anderen Gattungen, vor allem Techniken der Goldschmiedekunst, vermutlich aber auch mit der Tafelmalerei hervorrufen« (S. 204). Dies geschieht durch den Einsatz von Blattmetallen – Blattgold, Zwischgold, Blattsilber und Bleifolie – die auf verschiedene Weise nachbearbeitet werden können, so etwa durch Punzierungen oder auf die Metallgründe aufgebrachte Musierungen und Pastiglia-Auflagen. Alle präzise beschriebenen Verfahrensschritte werden durch Mikroaufnahmen begleitet und verständlich gemacht.
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Die Untersuchung der farbigen Ausführung betrifft zunächst die kleinen Psalminitialen. In Ergänzung zu den Ausführungen bei Stähli lassen sich nicht nur die beiden unterschiedlichen Initialtypen unterscheiden, sondern bei den Initialen von Typ I zwei oder drei verschiedene Illuminatoren nachweisen, die vermutlich lagenweise arbeiteten (S. 220); auch für die selteneren Initialen von Typ II dürfte nicht nur ein Maler verantwortlich sein. Für die großen Initialen an den Hauptteilungspunkten des Psalters hingegen ist wohl trotz koloristischer Abweichungen mit einem einzigen Buchmaler zu rechnen.
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Bei der Analyse der ganzseitigen Bildminiaturen charakterisieren die Autoren den Gebrauch der einzelnen Farben, ihren Aufbau, einzelne charakteristische Effekte wie die besondere Vorliebe für changierende Farben sowie die Modellierung der Gesichter (Inkarnat, Haare), Gewänder, Gegenstände und Architekturen. Die Frage, ob angesichts der Vielfalt der Möglichkeiten beim Einsatz von Farbkonkordanzen und Techniken der Metallauflage mehrere Künstler an der Entstehung der Miniaturen beteiligt waren, wird nicht eigens erwogen. Vielmehr wird als Fazit ihre Ausnahmestellung in der perfekten Anwendung auch neuer maltechnischer Verfahren hervorgehoben, die die Handschrift zu einem herausragenden, außerordentlich luxuriösen Werk aus der Mitte des 13. Jahrhunderts machen.
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Die in ihrer methodischen Klarheit und Ausführlichkeit wie in ihrer präzisen Bilddokumentation überzeugende maltechnische Untersuchung
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bedeutet nicht nur einen hohen Erkenntnisgewinn für die Beurteilung der Handschrift; sie stellt auch insofern eine Pionierleistung dar, als bislang kaum eines der Spitzenwerke der Buchmalerei des 12. und 13. Jahrhunderts auf vergleichbare Weise maltechnisch erschlossen wurde.
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Der Anhang
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Den Anhang eröffnet ein knapp gehaltenes, dennoch hilfreiches Glossar, in dem allerdings der Begriff der im Text erwähnten »Concepteurs« (S. 69) übersehen wurde. Es folgt ein Verzeichnis der Handschriften und Monumente nach Orten, wobei zunächst von traditionell eingebürgerten Namen auf die Aufbewahrungsorte der Bildzeugnisse verwiesen wird. Bereits hier kommt es neben »Kamberger Psalter s. Stuttgart« (s. o.) zu rätselhaften, weil längst nicht mehr aktuellen Verweisungen, etwa »Arnhold, Bibliothek s. Dresden« oder »Würzburger Psalter s. Dresden«, wobei es sich in beiden Fällen um den Psalter in Los Angeles, J. Paul Getty Museum, MS Ludwig VIII 2 handelt. Bei den beiden Melker Handschriften Cod. 1833 und Cod. 1903 mit jeweils unterschiedlichen Verweisen handelt es sich in Wahrheit um ein und dieselbe Handschrift Cod. 1903 (olim 1833) – ein Zeichen, dass im gesamten Band nicht selten ungeprüft auf teilweise veraltete Literatur verwiesen wird. Kleinere Inkonsequenzen in der Schreibweise (zum Beispiel bei Signaturen) und falsche Verweise auf Vergleichsabbildungen kommen vor. An diesen zwar nicht schwer wiegenden, doch bei aufmerksamer Lektüre immer wieder irritierenden Mängeln wird deutlich, dass die ehrgeizige Publikation durch eine sorgfältige Endredaktion noch weiter hätte gewinnen können.
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Fazit
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Ungeachtet kleinerer Einwände setzt die Publikation zum Rheinauer Psalter in der umfangreichen Literatur zur abendländischen Psalterillustration des Mittelalters neue Maßstäbe. In der durchgängig hochstehenden Qualität ihrer Farbtafeln und Vergleichsabbildungen kommt die Monographie einer – schon aus Kostengründen heute kaum noch zu verwirklichenden – Teil-Faksimile-Ausgabe nahe.
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Mit ihr wird ein Spitzenwerk der gotischen Buchmalerei erstmals einem größeren Publikum vorgestellt und dabei einer grundlegenden, unterschiedliche Fragestellungen bündelnden Analyse unterzogen, die zahlreiche neue Erkenntnisse vermittelt und dennoch offen bleibt für die weitere Beschäftigung mit der Handschrift.
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