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Das erste Buch des Autors

  • Elmar Faber / Carsten Wurm (Hg.): Eine Liebeserklärung an die Literatur: Bühne Auf! Erstlingswerke deutscher Autoren des 20. Jahrhunderts. Leipzig: Faber & Faber 2012. 504 S. 284 farb. Abb. Leinen. EUR (D) 148,00.
    ISBN: 978-3-86730-124-4.
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Die Fanfare »Bühne auf!«, mit der dieses Buch anhebt, gilt zu allererst ihm selbst: Selten erscheint ein Nachschlagewerk in so opulenter Ausstattung. Unzählige farbige Abbildungen von Umschlägen, Einbänden, Titel- und Doppelseiten in hervorragender Wiedergabe und großzügigem Format, immer wieder montiert zu Zwischentiteln, eine ebenso schöne wie ordnende Typographie (Rainer Groothuis), haltbarer Einband, Fadenheftung, unempfindlicher Schutzumschlag, ausgesuchtes Papier, rotes Lesebändchen von ausreichender Länge – das alles wird den Bibliophilen entzücken, bevor er noch den ersten Eintrag gelesen hat. Die Wonnen der empirischen Anschauung, die Sammler und Antiquare angesichts einer »Erstausgabe der ersten Veröffentlichung« empfinden, übertragen sich in der Selbstreflexion eines schönen Buches.

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Aber es geht nicht allein darum. Die Herausgeber des Buches sind im Umgang mit Büchern und mit Buchgeschichte berufserfahrene Leute: Elmar Faber, studierter Germanist, gründete zusammen mit seinem Sohn Michael Faber 1990 den Verlag Faber & Faber erst in Berlin, danach in Leipzig, und war davor von 1983 bis 1992 Leiter des Aufbau-Verlages in Berlin; Carsten Wurm, ehemals Verlagsarchivar dieses Hauses, 1995 als Verlagshistoriker promoviert, ist Redakteur der Bibliophilen-Zeitschrift Marginalien (Pirckheimer-Gesellschaft) und zugleich Antiquar. Die Mitarbeiter sind Lektoren und Redakteure – von Ulrich Faure stammt übrigens die schön ausgestattete Geschichte des Malik-Verlages Im Knotenpunkt. Die historische Erfahrung der deutschen Teilung ist in die Arbeit an diesem Buch erkennbar eingegangen, nicht nur in Beiseite-Bemerkungen des Verleger-Herausgebers.

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Die Auswahl der 225 Autoren, die hier mit ihren Erstveröffentlichungen in Buchform vorgestellt und zu Beginn in einem alphabetischen Verzeichnis – von »Aichinger, Ilse« bis »Zweig, Stefan« – genannt werden, folgt im Prinzip dem Standardwerk von Wilpert / Gühring, schließt österreichische und Schweizer Schriftsteller ein, fügt aber auch Namen nach eigener Wahl hinzu und beschränkt sich auf literarische Werke im engeren Sinn. Die repräsentative Auswahl berücksichtigt nur die Erstveröffentlichungen von Autoren, die im Zeitverlauf einen festen Platz in der Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts einnehmen konnten. Wo ein Gesamtwerk »die Grenzen zum Trivialen« streift oder sein Verfasser zur Aufnahme in den Wilpert / Gühring auch sonst nicht bedeutend genug schien, wird für den Nachweis auf Spezialbibliographien verwiesen (so Elmar Faber in seiner Einleitung.) Die zeitliche Begrenzung auf das 20. Jahrhundert betrifft das Erscheinungsjahr der Erstveröffentlichungen, so scheiden schon vor 1900 aufgetretene Autoren wie Sternheim oder Dehmel aus, bei Thomas Mann (Der kleine Herr Friedemann, 1898) und einigen anderen »Frühanfängern« wird jedoch eine Ausnahme gemacht.

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Die »Initialzündung« für dieses Lexikon war die buchkünstlerische Reihe Graphische Bücher mit dem sehr ähnlichen Untertitel Erstlingswerke deutscher Autoren des 20. Jahrhunderts. Sie ist in achtunddreißig Bänden (mit Supplementen) ebenfalls im Verlag Faber & Faber erschienen. Die Bücher sind mit originalgraphischen Illustrationen heutiger Künstler ausgestattet und verknüpfen so die Vergangenheit der bibliographischen Anfänge mit der Kunst der Gegenwart. Die jeweiligen Verweise von dem einen zum anderen Verlagswerk hätte man allerdings lieber in den Literaturangaben als im redaktionellen Text gesehen.

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Ein Alphabet der Anfänge

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In der Einleitung berichtet der Herausgeber Elmar Faber anhand zahlreicher Beispiele von den Merkwürdigkeiten, die mit der ersten Buchveröffentlichung eines Autors verknüpft sein können: Zufälle der Verlagswahl, Kuriositäten der Gestaltung, die verleugneten Erstgeburten und die spontanen Meisterwerke. Zugleich wird die Organisation des Materials beschrieben.

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Die innere Ordnung der Einträge, wichtige Strukturform eines Referenzwerks, lässt sich an einem Beispiel am leichtesten demonstrieren, wir wählen aufs Geratewohl Else Lasker-Schüler. Auf ihren Namen und ihre Lebensdaten (1869–1945) folgt die typographisch abgesetzte Bibliographie ihrer Erstveröffentlichung: Styx. Gedichte, mit der Verlagsangabe »Berlin: Axel Juncker«, dem Erscheinungsjahr 1902 und dem Umfang, hier »77 S.« Die Einbandart ist als Broschur, das Format vernünftigerweise in Zentimetern angegeben. Der Drucker war J.S. Preuss in Berlin. Zu Beginn des mit Kürzel gezeichneten Kommentars von knapp drei Spalten erfahren wir, dass das Gedichtbändchen eine Widmung trägt (»Meinen teuren Eltern zur Weihe«), und dass die Umschlaggraphik von Fidus stammte, davon erscheint eine farbige Abbildung auf der folgenden Seite (dass hier ein »Nackedei verzückt über Distelranken tanzt«, wussten wir aus dem denkwürdigen Antiquariatskatalog 29/1982 von Georg Sauer. Da kostete das angebotene Exemplar DM 450,-, bei einer Auktion zehn Jahre später dann schon das Doppelte). Auch die Ausstattung des Innenteils wird erklärt und in den Zusammenhang der Kunstgeschichte »zwischen Jugendstil und Frühexpressionismus« gestellt. Es folgt ein kurzer Bericht über die frühe Lebensgeschichte der nicht mehr ganz jungen, ebenso exzentrischen wie unglücklichen, durch Harden und Peter Hille geförderten jüdischen Dichterin aus Elberfeld. Der Verlag Axel Juncker, erst ein Jahr zuvor aus einer Berliner Buchhandlung hervorgegangen, eröffnete, so lesen wir, unter anderem mit Else Lasker-Schülers Gedichten sein literarisches Programm. Die Auflage betrug 1050 Exemplare. Die ersten Rezensionen, aber auch die heftigen eigenen Vertriebsanstrengungen der Autorin, finden Erwähnung (ihre Meinung von den ausbeuterischen Verlegern wird Else Lasker-Schüler später in der selbstverlegten Kampfschrift Ich räume auf temperamentvoll verkünden). Den Schluss jedes Eintrags bildet eine kleine Literaturauswahl.

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Biographie und Bibliographie, Rezeptions- und Verlagsgeschichte, Druck- und Kunstwissen vereinen sich in den einzelnen Beiträgen zu einem generellen Bild des ersten Buches. Diese Angaben gehen damit weit über die üblichen Annotationen von Bibliothekaren und Antiquaren hinaus, können allerdings auf die Besonderheiten eines konkreten Exemplars – wie Vorbesitz, Widmung, Beilagen, Anmerkungen oder Privateinband – nur ausnahmsweise zurückgreifen. Immerhin erreichen sie den Nachweis der Realexistenz eines ersten »Titels«, und diese Realexistenz erfahren auch die Autoren: Mit der Transformation des ersten erdachten Werkes zum gedruckten und lieferbaren Buch treten sie ein in die materielle Welt von literarischer Produktion, Distribution und Konsumtion. Es ist kein Zufall, dass Autoren oft und nachdenklich über ihre Anfänge berichten.

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Mit fortschreitender Lektüre stellen sich bald generelle Fragen. Was besagt die erste Buchveröffentlichung für die Publikationsgeschichte eines Autors, was für die Rezeptionsgeschichte eines literarischen Gesamtwerkes, was für die Arbeit von Lektoren und Verlagen? Was macht die Geschichte des katastrophenreichen 20. Jahrhundert aus delikaten literarischen Anfängen? Gibt es, angesichts der wiederholten Teilungen in der deutschen Literaturgeschichte dieser Epoche, noch andere als kalendarische Gemeinsamkeiten unter den Autoren?

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Der generelle Eindruck: Hier herrschen zunächst noch kleine Verhältnisse. Die ersten Drucksachen sind oft kleinformatig, broschiert und von geringem Umfang, ihre Druckauflagen minimal. Die Verleger gehen offenkundig von unsicheren Erwartungen aus. Die Inhalte geben nur eine annähernde und nicht selten gar keine Vorstellung von dem Gesamtwerk, das sie eröffnen. Viele Autoren beginnen mit Kurzprosa, mit einer Auswahl von Gedichten, einem Kinderbuch, einem einzigen Bühnenstück, hier einem Kriminalroman (Ludwig Rubiner), dort einem Text über das Marionettentheater (Tankred Dorst), Ernst Wiechert ist nicht der Einzige, der ein Pseudonym wählt. Viele Erstausgaben sind bald vom Markt verschwunden, ihre Existenz und ihr Nachleben oft nur mühsam zu rekonstruieren. Unterschiedlich sind auch die Qualitäten der ersten Bücher. Nicht selten werden die Texte in späteren Ausgaben verändert. »Doch wie so oft ist das literarisch schwächste Buch […] zugleich das gesuchteste«, schreibt der Antiquar Carsten Wurm. Ödön von Horváth war von seinem schmalen Erstling Das Buch der Tänze selbst so enttäuscht, dass er noch nach Jahren alle erreichbaren Exemplare zurückkaufte und vernichtete – ein Exemplar mit der Nr. 109 stand jetzt mit 3.200 € im Katalog der 19. Leipziger Antiquariatsmesse. Weil die heutigen Preise »oft den Launen des Tagesgeschäfts unterworfen sind« (Einleitung), haben die Herausgeber auf deren Notierung verzichtet.

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Natürlich erklärt sich vieles aus dem jugendlichen Alter der literarischen Anfänger: Rilke, Feuchtwanger, Hasenclever und Klaus Mann debütierten mit 19, Fürnberg und Hofmannsthal gar mit 17, und Tucholsky war 22, als Rheinsberg erschien. Die meisten der jungen Autoren waren zu ihrem Unterhalt auf Berufsarbeit, Vermögen oder Zuwendungen angewiesen, später halfen Arbeiten für den Film und das Radio. Private Empfehlungen spielten eine große Rolle. Manche Literaturpreise, wie der Kleist-Preis, kamen gerade auch Anfängern zugute. Nur wenige Autoren konnten sofort einen bleibenden Erfolg erzielen – Brecht mit Baal, Jünger mit In Stahlgewittern, Jurek Becker mit Jakob der Lügner.

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Wider landläufiges Erwarten sind etablierte Literaturverlage überproportional an den Erstveröffentlichungen beteiligt: S. Fischer, Rowohlt, Kurt Wolff, Gustav Kiepenheuer, später Suhrkamp und Aufbau. Das hat durchaus auch ökonomische Gründe: Größere Verlage investieren in neue Autoren, um zu wachsen und das Programm zu erweitern. Kleinverleger wie Heinrich F. S. Bachmair, Alfred Richard Meyer oder die Eremiten-Presse hofften bei Erstveröffentlichungen bestenfalls auf Kostendeckung. Gelegentlich gibt es gleich zwei Verlage, wie im Fall von Kafkas Betrachtung, wo Kurt Wolff die Restauflage, versehen mit neuem Titelblatt, von seinem Vorgänger Rowohlt übernahm. Oft werden Gönner, noch öfter die Schriftsteller selbst zur Finanzierung herangezogen (Pierson in Dresden gilt als Spezialist für »selbstfinanzierte Drucke«); gelegentlich dient ein befreundeter Drucker oder Buchhändler als Verleger, oder die Verfasser schreiten gleich zum notdürftig verdeckten Selbstverlag. Auf diese Weise ist oft nur schwer auszumachen, was als das erste Buch anzusehen ist.

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Nicht alle Erstveröffentlichungen erscheinen broschiert im einfachen Werkdruck. Mit Luxusausgaben sollte am Anfang des Jahrhunderts nicht selten Aufmerksamkeit bei Bibliophilen erzeugt oder auch Selbstbewusstsein demonstriert werden. So ließ Georg Müller ein dreibändiges Erstlingswerk, das monumentale Epos Nordlicht von Theodor Däubler, in 700 in der Presse nummerierten Exemplaren drucken, 50 davon handnummeriert auf van Geldern-Bütten und in Halbpergament gebunden. Einzelne Umschlag-Entwürfe prägten sich durch ihre Suggestivität ein, wie die von Erich Kästners Herz auf Taille (Erich Ohser), Joseph Roths Hotel Savoy (Georg Salter) oder Rolf Hochhuths Der Stellvertreter (Werner Rebhuhn). Der Umschlag von Adolf Endlers erstem Buch von 1960 (Weg in die Wische, Mitteldeutscher Verlag) lässt sofort an John Heartfield denken. Einige Autoren sorgten selbst für die graphische Ausstattung ihrer »Kinder«, Enzensberger und Stefan George auch für die Typographie. Kubin und Meidner illustrierten ihre ersten Bücher eigenhändig.

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Eine wichtige Rolle spielen Buchreihen. Sie tragen mit ihren Marken, wie Der rote Hahn, studio frankfurt oder Edition Neue Texte auch die Namen unbekannter Autoren an die Öffentlichkeit. Vorabdrucke in Zeitschriften und natürlich die Aufführung dramatischer Erstveröffentlichungen verstärkten die aktuelle Publizität eher, als organisierte Verlagswerbung.

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Am Ende des Buches findet sich ein Literaturverzeichnis, sowie ein Personen- und Verlagsregister. Kleinere Versehen im Textteil werden die Bearbeiter schon notiert haben. Den Literaturangaben wäre eine Aktualisierung zu wünschen.

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Im Rückblick

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Die Erstveröffentlichungen heute renommierter Autoren sind durch ihre Nachgeschichte mit einer Bedeutung aufgeladen, die sie im Erscheinungsjahr noch nicht besaßen. Der Historiker weiß mehr, als die Zeitgenossen wissen konnten. Zu bedenken bleibt, dass die besondere Bedeutung von Erstveröffentlichungen aus einer durchaus unreinen Mischung von antiquarischem Interesse, bio-bibliographischer Wissbegierde und ästhetischem Sammlervergnügen erwächst. Meist ist hier das »livre-objet« wichtiger, als das »livre fonctionel« (Robert Escarpit), seine Bedeutung changiert zwischen Inhalt und Ausstattung, zwischen (preisbildendem) Seltenheitswert und (historischem) Quellenwert. Da ist es nicht immer leicht, den Ton des Referenzwerkes aufrecht zu erhalten und nicht einfach ins bibliophile Staunen zu geraten. Die Bearbeiter dieses Lexikons sind sichtlich bemüht, hier die Waage zu halten

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Ein anderes Problem ist ein quantitatives, führt aber zu redaktionellen Konsequenzen. Die Herausgeber weisen mit Recht darauf hin, dass eine Erweiterung des Autorenkreises unschwer denkbar ist, aber auf Grenzen der Arbeitsleistung und des Seitenvolumens stößt. An den allgemeinen Literaturlexika lässt sich tatsächlich ermessen, wie rapide die Zahl der »deutschen Autoren des 20. Jahrhunderts« ansteigt, wenn man alle Einzelgänger (von Paul Gurk bis Thomas Brasch, von Rahel Sanzara bis Helga M. Novak) und alle Schriftsteller aus der zweiten Reihe hinzunimmt. Vor allem Autoren, die unter Trivialitätsverdacht stehen, aus der Lesegeschichte aber nicht wegzudenken sind, müssen daher in dieser Sammlung unberücksichtigt bleiben. So ist der bloße Nachschlage-Nutzen des Werkes notwendig beschränkt, gleichzeitig ermöglicht die strenge Auswahl aber auch eine gewisse Ausführlichkeit der einzelnen Beiträge, die sich immer wieder zu kleinen Monographien entwickeln, und an denen die beiden Herausgeber tätigen Anteil haben.

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Literarische Lebensgeschichten aus dem 20. Jahrhundert müssen notwendig in Zeitgeschichte münden, das zeigt sich alleine schon in den bibliographischen Angaben des Buches. Wieland Herzfeldes Gedichtband Sulamith erscheint 1917 ausdrücklich als »Kriegsdruck« der Cranach Presse, der Inhaber Graf Kessler trägt »wegen Kriegsabwesenheit« keine Verantwortung für den Druck, es bleiben Fehler stehen (im Jahr zuvor war Herzfeldes Almanach der neuen Jugend erschienen und von der Kriegszensur verboten worden). Die emsige Sittenzensur der Weimarer Republik ist für manche Unterlassungen verantwortlich. Ab 1933 finden sich Erstveröffentlichungen exilierter Autoren an externen Verlagsorten: von Erich Fried in London (Austrian P.E,N.-Club), von Bodo Uhse in Paris (Éditions du Carrefour), von Peter Weiss in Stockholm und in schwedischer Sprache (Bonniers). 1936 erscheint Erich Arendts Spanien-Epos Herois in katalanischer und spanischer Sprache in Barcelona, herausgegeben von der 27. Division der Republikanischen Armee. Andere Lebensgeschichten (Wolfgang Koeppen, Luise Rinser, Jochen Klepper) zeigen, was zur selben Zeit im Inland geschah. Auf das viergeteilte Deutschland verweisen die Verlagsorte von Rowohlt im Jahr 1949: »Hamburg, Stuttgart, Berlin u. Baden-Baden« (Arno Schmidt, Leviathan). Akute Folgen der deutschen Verhältnisse zwischen 1949 und 1990 lassen sich dann an den Verlagsangaben bei Wolf Biermann (Die Drahtharfe, Wagenbach), Heinar Kipphardt (Shakespeare dringend gesucht, Henschel) Fritz Rudolf Fries (Der Weg nach Oobliadooh, Suhrkamp), oder Sarah Kirsch (Jugendwende, Neues Berlin) ablesen.

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Heinz Schöffler hat das Problem der Ungleichzeitigkeit beim Rückblick auf antiquarische Objekte einst treffend beschrieben. Das gilt vor allem für die Ungleichzeitigkeit zwischen zeitgenössischer und späterer Bewertung. 1 In Bühne auf! werden die historischen Reaktionen auf erste Bücher sorgfältig notiert, beginnend mit den ursprünglichen Absatzahlen, soweit sie ermittelt werden konnten, und fortgeführt mit der Wiedergabe von zeitgenössischen Meinungsäußerungen und Kritiken, von den ersten Rückwirkungen im Familienkreis (häufig: empörte Väter) und den wohlmeinenden Äußerungen von Kollegen, über den Protest »interessierter Kreise« der Schwerindustrie (Erik Reger, Union der festen Hand) oder des Zentralkomitees der Staatspartei (Wolf Biermann, Die Drahtharfe) bis zu nachgewiesenen und zitierten Kritiken in den maßgebenden deutschen Zeitungen und Zeitschriften oder in den deutschsprachigen Blättern des Auslandes und des Exils. Allzu oft war die einhellige Reaktion auf das erste Buch: Schweigen. Damit entsteht nebenher eine Geschichte der Kritik und der öffentlichen Meinung der Zeit in Beispielen.

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So beträchtlich ist der Informationswert eines schönen Buches. Noch über den unmittelbaren Anschauungs- und Erkenntniswert hinaus aber erweist es sich als reiche Schatzkammer und als Dokument einer materialen Bücherwelt, die ja im Begriff ist, eine erinnerte zu werden. Gerade deshalb ermuntert es zum Nachdenken über die Formen und Motive bibliophilen Gedenkens und Sammelns. 2

 
 

Anmerkungen

Der Jüngste Tag. Die Bücherei einer Epoche. Neu herausgegeben und mit einem dokumentarischen Anhang versehen von Heinz Schöffler. 2 Bde. Frankfurt/M.: Scheffler 1970, Band 2, S. 1553–1557.    zurück
Tagungsbericht Bibliophilie und Sammeln. Wolfenbütteler Arbeitskreis 2011. http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de.tagungsberichte/id=4173 (26.2.2013).   zurück