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Erziehung zur (Ohn)Macht

Über Petra Mosers Dissertation zu Robert Walsers Jakob von Gunten

  • Petra Moser: Nah am Tabu. Experimentelle Selbsterfahrung und erotischer Eigensinn in Robert Walsers »Jakob von Gunten«. Bielefeld: transcript 2013. 182 S. Kartoniert. EUR (D) 27,80.
    ISBN: 978-3-8376-2341-3.
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Robert Walsers 1909 erschienener Roman Jakob von Gunten, neben Geschwister Tanner und Der Gehülfe sein drittes im Verlag von Bruno Cassirer erschienenes Buch, dürfte der bekannteste Text des Schweizer Literaten sein. Obwohl er sich thematisch in den Trend der um 1900 aufkommenden Schüler- und Internatsromane – man denke nur an Musils Erzählung Die Verwirrungen des Zöglings Törleß – eingliedert, ist er von der zeitgenössischen Kritik eher mit Befremden und Ablehnung aufgenommen worden, was nicht zuletzt an seinen avantgardistischen Eigenarten liegt, wie der Verarbeitung der Themen der Moderne und der Auflösung einer konstanten Subjektidentität. Trotzdem ist gerade diesem mit dem Untertitel Ein Tagebuch versehenen Roman mehr und mehr Aufmerksamkeit auch von Seiten der Forschung zuteil geworden, die sich für seine düsteren Themen zwischen Unterdrückung und Selbstermächtigung und für das doppelbödige Abhängigkeitsverhältnis zwischen Schüler und Lehrer stets interessiert hat. Erst 2009 erschien ein Reprint der frühen Dissertation des späteren Walser-Herausgebers Jochen Greven, der sich 1960 auch Walsers Berlin-Romanen mit einer existentialistischen Fragestellung genähert hat. 1 Auch diese Tatsache belegt das kontinuierliche Interesse der Germanistik an diesem Walser-Text, der aus der Schreibperspektive Jakob von Guntens vom fast surrealistischen Alltag der Eleven in der Dienerschule Benjamenta berichtet, von einer Stimmung aus Selbstaufgabe, Abhängigkeit vom Machtapparat und unterdrückter Sexualität in »eine[r] traumhafte[n] Zwischenwelt, in der unerhörte Grundsätze regieren und eine geheimnisvolle Erwartung herrscht.« 2

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Jakob von Gunten und das Selbstexperiment

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In ihrer Ende 2013 erschienen Dissertation hat sich auch die Erziehungswissenschaftlerin Petra Moser dem Tagebuchroman Jakob von Gunten genähert. Nah am Tabu. Experimentelle Selbsterfahrung und erotischer Eigensinn in Robert Walsers »Jakob von Gunten« nennt sie ihre nur knapp 170 Seiten umfassende, allerdings in weiten Teilen sehr konzentriert vorgehende Studie. Moser konstatiert Walsers Roman gemäß guter Forschungstradition die »Absage an das Ideal einer starken Identität, an jede Entwicklung zu Größerem und Höherem hin« (S. 10) 3 . Methodisch fühlt sie sich zudem in Abgrenzung von einem in der Literaturwissenschaft verbreiteten ungenauen Lesen einem »sozialgeschichtlich orientierten Close Reading« (S. 12) verpflichtet, das textgenau und semantisch sensibel auf die feinen Nuancierungen von Walsers Prosa achtet, eine Methode, mit der Moser in der Tat ihre besten Ergebnisse gewinnt. Aus einem Blickwinkel zwischen germanistischer Analyse und erziehungswissenschaftlicher Fragestellung beobachtet Moser das im Text inszenierte Selbstexperiment (siehe das Kapitel Das Selbstexperiment – sein Ethos und die Lust an ihm (S. 17–19)) sowohl der Figur Jakob von Gunten als auch von Robert Walser selbst, der sich im Jahr 1905 wohl tatsächlich in die Erziehung einer Berliner Dienerschule begab (Kapitel: Das Selbstexperiment von 1905 (S. 29–68)):

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Aus dieser Spanne Lebenszeit im Frühherbst 1905 sind nicht mehr als diese wenigen Fakten überliefert. Weder wissen wir, in welcher Berliner Dienerschule Walser war, noch ob es sich dabei um eine Schule mit angeschlossenem Internat gehandelt hat (was der Roman, wenn man ihn als Quelle auffasst, nahe legt) und welcher Art die Ausbildung gewesen ist. (S. 30)
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Insgesamt bleibt trotz dieser Setzung der Begriff des Selbstexperiments innerhalb von Drogenexzessen und künstlerischer Normabweichung eigentümlich unklar, und der Leser fragt sich, worin genau dieser »lockende Reiz des Selbstexperiments« (S. 18) wohl bestehen mag, der an Jakob von Gunten auch im Hinblick auf die Erziehungswissenschaft beobachtet wird. Zwar schreibt Moser über den Roman:

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Seiner Entstehung liegt ein Selbstexperiment des Autors zugrunde. Im Text des Romans dient es als Modellskizze für die fiktive Konstellation, in die der Held sich hineinbegibt. Das Tagebuch-Ich berichtet in seinen Aufzeichnungen von seinen Motiven, vom Verlauf des Experiments und von seinem Ausgang. (S. 18–19)
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Trotzdem bleibt der Experimentcharakter undeutlich, was auch daran liegt, dass das betreffende Kapitel mit nur rund zwei Druckseiten diese Themen zwar anreißen, aber nicht in der Tiefe ausführen kann. Die zentrale Fragestellung nach der »Folge erotischer und sexueller Motive in Walsers Roman und der experimentelle Umgang mit ihnen« (S. 19) wird allerdings an zahlreichen Textanalysen herausgearbeitet, ohne in die Falle einer autobiographistischen Lektüre zu gehen. Insgesamt geht es Moser darum zu zeigen, dass »für die Verwirklichung der Idee des Dienens das Verhältnis von dienender und herrschender Rolle zur Disposition gestellt wird – auch im Blick auf die ihnen zugrunde liegenden sexuellen Identitäten« (S. 35). Aktualisiert wird Mosers Fokus, wie sie selbst immer wieder betont, durch die Hinwendung zu der Frage, wie ihre Überlegungen hinsichtlich der Debatte um Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen und Reformschulen fruchtbar werden können.

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Intertexte, Filme und Close Reading

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Dankbar sein darf man Mosers Untersuchung für drei intertextuell argumentierende Kapitel, welche untersuchen, wie Walsers Roman von einem ihm vorhergehenden Text beeinflusst wurde und wie er auf ihm nachfolgende Texte gewirkt haben mag. Ihr Kapitel Literarische Vorbilder? (S. 41 ff.) widmet Moser Frank Wedekinds Novelle Mine-Haha oder Über die körperliche Erziehung der jungen Mädchen, auf die bereits, und ebenfalls unter Rückgriff auf einen Aufsatz von Otto F. Best (S. 43), Jochen Greven aufmerksam gemacht hat. 4 Im Kapitel Ein literarisches Nachbild (S. 48 ff.) weist Moser auf Ernst Weiß und seinen neunzehn Jahre nach Jakob von Gunten erschienenen Roman Boëtius von Orlamünde hin, ein Zusammenhang, welcher in der Forschung bisher nicht diskutiert wurde. Ebenfalls lohnend ist die Abteilung in Mosers Studie, in der die Autorin die »Schriften für den Gebrauch in Dienerschulen bzw. für das Selbststudium des angehenden Dieners« (S. 52) untersucht, z. B. G. Mantheis kleines Büchlein Der herrschafliche Diener, welches als Vorbild hinter der in Walsers Roman vorkommenden Lehrschrift Was bezweckt Benjamentas Knabenschule? gestanden haben könnte, und andere Texte dieser Gattung. 5

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Das Großkapitel Der Roman von 1909: Experimentelle Selbsterziehung und erotischer Eigensinn (S. 69 ff.) führt schließlich die angekündigten Close-Reading-Analysen durch und gelangt so insgesamt zu einer genauen Fokussierung u. a. der Komplexe »Jakob und die Zöglinge«, »Jakob und das Fräulein« oder »Jakob und der Vorsteher«, wodurch Moser durchaus zu einigen verblüffenden Interpretationen ausgewählter Textstellen aus Jakob von Gunten kommt. Da die experimentelle Selbsterziehung Jakobs interpretatorisch an seinen Bruch mit erotischen Normvorgaben geknüpft wird, konzentriert Petra Moser auch hier unter Rückgriff auf die Theorie des Pädagogen John Dewey, wie sie in der gesamten Arbeit immer wieder anklingt, auf den Modus des Experimentierens und seine Folgen:

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Nimmt man diese für jede erzieherische Absicht katastrophale Situation [das sexualisierte Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler] in den Blick und konfrontiert sie mit dem Selbsterziehungswunsch des Romanhelden, so wird die (im normalen Leben unmögliche) ästhetisch gestiftete Radikalität des Selbstexperiments Jakobs deutlich. (S. 71)
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Zentral ist hier die Deutung einer im Sexualitätszusammenhang wichtigen Szene, in der beim Putzdienst der Schüler Tremala Jakob von Gunten unsittlich berührt. Bei Robert Walser heißt es: »Er stellte sich leise hinter mich und griff mir mit der abscheulichen Hand (Hände, die das tun, sind roh und abscheulich) nach dem intimen Glied, in der Absicht, mir eine widerliche, an den Kitzel eines Tieres grenzende Wohltat zu erweisen.« 6 Unter Hinzudenken der realen Situation an Schulen gelangt Moser zu der Feststellung: »Zumindest ansatzweise vergleichbare Situationen gehörten und gehören bisweilen zum Alltag jeder pädagogischen Einrichtung. In den Schul- und Internatsromanen vor und nach 1900 spielen sie keine geringe Rolle.« (S. 74) Es bleibt aber nicht nur bei diesen Normbrüchen im erotischen Gefilde zwischen Jakob und den Mitschülern (S. 75), sondern auch Jakobs Verhältnis zur Lehrerin Fräulein Benjamenta wird als hochproblematisch beschrieben: »Von jedem denkbaren Standpunkt pädagogischer Verantwortlichkeit ist diese Folge von schmerzhafter Nachricht, halbem Dementi und indirekter Liebeserklärung weit entfernt.« (S. 85) Ähnliches wiederholt sich auch bei Herrn Benjamenta, dessen Beziehung zu Jakob »vom erotisch neutralen Anfang an eine Sache von Bedrohung, Lockung, Provokation und Gefahr [ist]. In ihr kommt das Selbstexperiment, das den bewussten sozialen Abstieg und den Weg nach unten in die Neutralität diensteifriger Unterordnung vorschreibt, in die Krise.« (S. 88) 7 Als Stärke von Mosers textnahem Ansatz erweist sich hier ihre genaue und kluge Analyse vieler Passagen aus Jakob von Gunten, wenngleich sie einen gründlicheren Forschungsüberblick hätte geben und mehr Sekundärliteratur zu Rate ziehen können. 8

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Im Exkurs Ein szenisches Interpretationsangebot (S. 112 ff.) greift Moser die Hermeneutikkritik Susan Sontags auf, die diese in ihrem berühmten Essay Against Interpretation 9 dargestellt hat. Moser erwähnt die entschlüsselnden Versuche der Deutungspraxis, bei einem Text unentwegt eine Bedeutungszuschreibung vorzunehmen:

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Von diesen Angeboten ist leider nicht vorbehaltlos anzunehmen, dass sie sich mit Notwendigkeit nach und nach optimieren, so dass das Neueste als das Abgesichertste und Komplexeste anzusehen wäre.
Susan Sontag hat diese Befürchtung bereits 1964 in ihrem Essay ›Against Interpretation‹ zu einem generellen Zweifel am Verfahren modernen Interpretierens ausgebaut. (S. 112)
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Als Alternative zu bisherigen (wohl wissenschaftlichen) Interpretationen für den Roman Jakob von Gunten bietet Moser das »szenische Interpretationsangebot« (ebd.) eines Filmprojektes an, an dem sie selbst mitgewirkt hat, und will diesen Film als Zusatzangebot zu einer notorischen Interpretationspraxis verstanden wissen. Die Walser-Forschung kann Moser hierbei durchaus dafür dankbar sein, dass sie derart genau auf die Einzelheiten dieses Filmprojekts aufmerksam macht, und sollte ihre Hinweise als Anregung verstanden wissen, sich stärker als bisher mit dem Zusammenhang zwischen Walser und dem Medium Film bzw. mit Walser-Verfilmungen auseinanderzusetzen. Nichtsdestoweniger führen Susan Sontags interpretationstheoretische Überlegungen wohl eher nicht zu dem Problem, einen »naiven Sensualismus« (S. 113) zu befeuern, wie Moser annimmt, noch drohen sie, »für theoriemüde Leser […] ein dankbarer Anlass zum Missverständnis« (ebd.) zu werden. Sondern sie warnen vor der Gefahr einer Enterotisierung der Kunst und plädieren für die Rückkehr zu einer präsentischen, affizierenden, irritierenden Kunsterfahrung, wie sie auch Jakob von Gunten zu bieten vermag. Das in Mosers Filmexkurs beschriebene »Entwerfen szenischer Konzepte in engem Kontakt mit der Gestaltung von Räumen« (S. 118) bedeutet zweifellos ein lohnendes Unterfangen, will man sich der Tiefendimension eines Textes nähern, aber als »Analogon zu den Interpretationsleistungen […], die das hermeneutische Alltagsgeschäft ausmachen« (ebd.), kann dies doch nur bedingt betrachtet werden, insofern auch eine szenisch-filmische Umsetzung, will sie eine Interpretationsleistung sein, stets ein Text über einen Text sein wird.

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Der Erziehungsdiskurs und die Normen

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Grundsätzlich stellt Moser allerdings sehr treffend fest, was Walser mit seinem Werk gewagt und versucht hat:

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Führt man sich vor Augen, was hier 1909 – mit dem Vorlauf des vom Autor vier Jahre zuvor unternommenen Selbstversuchs – veröffentlicht wurde, verwundert die eingangs geschilderte, fast flächendeckende Ablehnung seitens der Kritik nicht. Hier wurde mit leichter Hand mehr aufs Spiel gesetzt, als dem damaligen Zeitgeist zumutbar war: die Ideologie einer fest gefügten Identität – einschließlich ihrer erotischen Komponenten – und die mit ihr nahezu verwachsene Vorstellung einer Dichotomie von oben und unten, aktiv und passiv. (S. 122)
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Mosers Arbeit gibt dem Leser viele hilfreiche Einsichten zu Walsers Text und klärt dessen Spezifitäten in grundlegender Weise. In Ergänzung zu ihrer Internatsanalyse hätte man sich jedoch wünschen können, dass sie intensiver auf die vielen weiteren Schulgeschichten, Dienertexte oder Tobold-Prosastücke in Walsers Werk eingegangen wäre und auf die Frage, wie sich diese zu Jakob von Gunten verhalten. Die zitierten Briefe Walsers an seine Bekannte Frieda Mermet, die auch im Faksimile abgedruckt sind und in denen Walser um die Übersendung von getragenen Hosen ihres Sohnes ersucht und sich schließlich für die erfüllte Bitte bedankt, sollen wohl als Beleg für den Kleiderfetischismus Walsers dienen; der Leser mag sich aber fragen, welche argumentative Funktion sie genau in diesem Zusammenhang erfüllen sollen, wo sich die Originale befinden und wie es sich – wie es der Klappentext verrät – mit dem Status unpublizierter Texte verhält, wo doch eine große Briefausgabe Walsers am Berner Walser-Zentrum soeben erarbeitet wird. Insgesamt wäre es zudem sehr wünschenswert gewesen, wenigstens einige der neueren Studien zu Jakob von Gunten zu berücksichtigen. 10

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Fazit:

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Als sehr gelungen kann dann allerdings umso mehr das größere Schlusskapitel der Dissertation bezeichnet werden, in dem noch einmal über Jakob von Gunten hinausgegangen wird, um die homoerotische Pädophiliedebatte eines Gustav Wyneken und seiner Reformschule zu erinnern, bei dem man auch an John Henry Mackays Befürwortung der Knabenliebe und seine Schrift Sagitta denken mag.

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»Walsers Roman ›Jakob von Gunten‹ kann als ein solcher Versuch gelten, im Medium des Imaginativen die ›Möglichkeiten menschlicher Beziehungen‹ zu entdecken und zu verstehen, außerhalb von ›Regel und Vorschrift‹« (S. 133), schreibt Moser.

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Vor dem Hintergrund der derzeit laufenden Diskussion um den Missbrauch in pädagogischen Institutionen und um die Notwendigkeit entsprechender Tabus soll dieser Versuch von Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts abschließend darauf befragt werden, zu welchen produktiven Reflexionen er in erziehungswissenschaftlicher Absicht Anlass geben könnte. (S. 133)
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Dazu hat die vorliegende Dissertation einen wertvollen Beitrag geleistet, indem sie aus Jakob von Gunten Hinweise für die erziehungswissenschaftliche Reflexion folgert (S. 164). Sie könnte dadurch auch unter Einbeziehung der von Moser zutage geförderten Texte eine noch nicht geführte Debatte über Jakob von Gunten anstoßen, mit welcher auch die literaturwissenschaftliche Forschung eine Weile beschäftigt sein würde. Als Einführung in den Kosmos Jakob von Guntens ist Mosers Publikation gut geeignet.

 
 

Anmerkungen

Jochen Greven: Existenz, Welt und reines Sein im Werk Robert Walsers. Versuch zur Bestimmung von Grundstrukturen. Reprint der Originalausgabe von 1960. Mit einem Nachwort und dem Publikationsverzeichnis der Verfassers herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von Reto Sorg. München: Wilhelm Fink Verlag 2009.   zurück
Jochen Greven: Nachwort des Herausgebers. In: Robert Walser: Jakob von Gunten. Ein Tagebuch. Zürich und Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2004, S. 167–178, hier: S. 168.   zurück
Ich belege Zitate aus Petra Mosers Buch unmittelbar unter Seitenangabe im Fließtext.   zurück
Jochen Greven (Anm. 2), S. 176.   zurück
Als in diesem Rahmen ebenfalls gelungen darf die Deutung der oft zitierten Metapher der »kugelrunden Null« (S. 62–63) gelten, zu der sich Jakob von Gunten entwickeln möchte: »[A]ls Beschreibung der Idealform des Dienens könnte sie kaum präziser sein.« (S. 68) Als eher abseitig muss hingegen ein Fundstück (S. 63 ff.) gelten, das Moser in ihrem Exemplar von J. J. Orandts Schrift Der herrschafliche Diener wie er sein soll aufgefunden hat, nämlich ein Brief des Verfassers, der zwar auf die finanziell prekäre Situation des Autors hinweist, aber als Exkurs sehr weit von Walser wegführt. Bei der von Moser in diesem Zusammenhang als unleserlich apostrophierten Textstelle handelt es sich um eine in den Kontext der Bitte um Almosen passende Sentenz des römischen Schriftstellers Publilius Syrus, »bis dat qui cito dat« (zweimal gibt derjenige, der schnell gibt), was sich mit einem genauen Blick dem abgedruckten Faksimile entnehmen lässt.   zurück
Robert Walser: Jakob von Gunten. Ein Tagebuch. Zürich und Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2004, S. 36.   zurück
»Normen und Normensysteme, die über die gesellschaftliche Legitimität libidinöser Beziehungen befinden. Innerhalb ihres Geltungsbereichs ist die ›Liebe‹ zwischen einem Lehrer und einem Schüler mit guten [sic] Grund tabuisiert«. (S. 111)   zurück
Innovativ ist allerdings eine »Karte der sozio-psychischen Topographie der Dienerschule« (S. 96), der man die Aufteilung der Räumlichkeiten entnehmen kann, in denen Jakobs Tagebuchroman angesiedelt ist. Vergleiche auch den innovativen Effekt einer Passage von Mosers Arbeit, wo in einer Schlüsselstelle von Walsers Roman die Konstruktion von Identität gezeigt wird (Robert Walser (Anm. 6), S. 144 f.) und eine schematische Deutung neue Erkenntnisse generiert (S. 160).   zurück
Susan Sontag: Gegen Interpretation. In: dies.: Kunst und Antikunst. 24 literarische Analysen. Deutsch von Mark W. Rien: Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuchverlag 2009, S. 11–22.   zurück
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So ging neben einem Kafka-Hinweis bei Moser bereits Barbara di Noi auf Jakob von Gunten und die Verbindung zu Kafka ein: Literarische Einzelgängerei. Robert Walsers Jakob von Gunten und Kafkas Schloß. In: Anna Fattori und Margit Gigerl (Hgg.): Bildersprache, Klangfiguren. Spielformen der Intermedialität bei Robert Walser. München: Wilhelm Fink Verlag 2008, S. 143–154. Zur Verwirrstrategie des Textes hätte man fündig werden können in Jörg Gallus’ Habilitationsschrift: Labyrinthe der Prosa. Interpretationen zu Robert Walsers Jakob von Gunten, Franz Kafkas Der Bau und zu Texten aus Walter Benjamins Berliner Kindheit um neunzehnhundert. Frankfurt am Main: Peter Lang Verlag 2006, und eine Verortung von Walsers Roman innerhalb der Internatsprosa leistete auch Rüdiger Campe: Robert Walsers Institutionenroman Jakob von Gunten. In: Rudolf Behrens und Jörn Steigerwald (Hgg.): Die Macht und das Imaginäre. Eine kulturelle Verwandtschaft in der Literatur zwischen Früher Neuzeit und Moderne. Würzburg: Königshausen & Neumann 2005, S. 235–250.   zurück