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Zielsetzung und Inhalt
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Das kürzlich erschienene Jahrbuch des Forum Vormärz-Forschung widmet sich dem Thema Vormärz und Philhellenismus. Nachdem die kulturhistorischen Voraussetzungen, gesellschaftlichen Dimensionen und literarischen Ausdrucksformen des Philhellenismus bereits zum Gegenstand umfassender Studien geworden sind,
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ist es der Herausgeberin Anne-Rose Meyer zufolge das Ziel des vorliegenden Sammelbandes, diese Bewegung unter einer komparatistischen und interkulturellen Perspektive neu in den Blick zu nehmen (vgl. S. 19). Hiermit wird ein Ansatz verfolgt, von dem in den letzten Jahren bereits innovative Forschungsimpulse ausgegangen sind.
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Die Gliederung des Schwerpunktthemas zerfällt in drei Teile. Der erste Teil trägt den Titel »Formen politischer Solidarität mit Griechenland im deutschsprachigen Raum« und beleuchtet die sozialen Netzwerke, ideologischen Hintergründe und argumentativen Muster, auf die sich der Philhellenismus des Vormärz stützt. Der zweite Teil ist mit »Philhellenismus international: Formen, Funktionen und Bedeutungen von Selbst- und Fremdbildern« überschrieben. Die hier versammelten Beiträge untersuchen die Bedeutung von medialen Vermittlungsstrategien sowie kulturspezifischen Identitäts- und Alteritätsdiskursen für die Entstehung verschiedener Griechenlandbilder. Der letzte Abschnitt widmet sich unter dem Titel »›Klassische‹ Ästhetik und Philhellenismus nach der Weimarer Klassik« dem Fortleben des klassischen Griechenlandbildes unter den Bedingungen des Vormärz.
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Das Griechenlandbild des Vormärz zwischen romantischem Klassizismus, Nationalismus und Liberalismus
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Bereits der erste Beitrag wartet mit einer Überraschung auf. So erklärt Jürgen Kilian in seinem Aufsatz »Die Philhellenen Friedrich Thiersch und Jakob Philipp Fallmerayer – zwei Gegenspieler im Streit um die ›Entstehung der heutigen Griechen‹«schon im Titel eben jenen Fallmerayer zum Philhellenen, der sich mit seinen Thesen über die Slawisierung Griechenlands geradezu einen Namen als ›Griechenhasser‹ machte. Begründet wird diese Behauptung durch den etwas nebulösen Hinweis auf Fallmerayers humanistisch ausgerichtetes Studium und die in dieser Zeit entstandene Liebe zum klassischen Altertum (vgl. S. 26).
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Eine derart breite Definition des ›Philhellenismus‹ ist zwar nicht unproblematisch, weil sie letztlich die Grenzen zwischen einer bloß historischen Liebe für das Griechische und dem aktuellen Zeitbezug des Vormärz-Philhellenismus verwischt.
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Gleichwohl vermittelt die Gegenüberstellung von Friedrich Thiersch und Jakob Philipp Fallmerayer instruktive Einsichten in die ideologische Gemengelage von Klassizismus, Nationalismus und Liberalismus, aus der die Griechenlandbilder dieser Zeit hervorgehen. Das Prädikat des ›Philhellenismus‹ ist hier wohl so zu verstehen, dass die beiden Gelehrten in ihrer Sicht auf das moderne Griechenland zunächst von der bürgerlichen Hellas-Verehrung als Ausdrucksform einer liberalen und nationalen Gesinnung ausgehen. Ihr späterer Streit um die Kontinuität des Griechentums wird demzufolge zum Experimentierfeld verschiedener europäischer Erzählungen, die sich beide auf das hellenische Kulturerbe berufen. Dabei erweist sich Fallmerayers historisch fundierte Entstehungsgeschichte des modernen Griechentums im Vergleich zum zeitlosen Klassizismus Thierschs zwar als deutlich moderner.
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Mit seiner religiösen und rassischen Argumentation wird er aber auch zu einem Vordenker des europäischen Nationalismus.
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Dass der Kontrast zwischen dem klassischen Griechenlandbild und den realen Verhältnissen vor Ort nicht nur den ›Griechenhassern‹, sondern auch den Philhellenen selbst auffiel, zeigt der letzte Beitrag des Jahrbuchs von Frank Hethey, »›Homers Volk – ist Homers Schande geworden‹. Harro Harring – ein unbequemer Philhellene«. Hethey gelangt hier zu dem interessanten Ergebnis, dass der Freiheitskämpfer Harring in seinen späteren poetischen und autobiographischen Texten keineswegs auf seine negativen Erfahrungen in Griechenland zurückgreift, sondern stattdessen die gängigen Klischees von den edlen Hellenen bedient. Dies verdeutlicht einmal mehr, wie sehr die journalistischen und literarischen Zeugnisse über Griechenland in dieser Zeit von vorgefertigten Erwartungshaltungen und ideologischen Positionen geprägt sind. In dieser Erkenntnis wird der argumentative Fluchtpunkt des gesamten Bandes ersichtlich.
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Der Philhellenismus als Medium verschiedener Identitäts- und Alteritätsdiskurse
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Gewinnbringend ist die Perspektivierung auf die konkurrierenden Griechenlandbilder des Vormärz vor allem dort, wo diese im Zusammenhang verschiedener Identitäts- und Alteritätsdiskurse diskutiert werden. Als besonders gelungenes Beispiel hierfür erscheint Silke vom Bergs Aufsatz »›Bis zertreten die Türken – bis erschienen wir werth unseres Ursprungs‹. Identität und Alterität in der Lyrik der griechischen Befreiungskriege 1821 bis 1829«.
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Die philhellenische Lyrik wird hier als politische Lyrik interpretiert, in der »historische und zeitgenössische Diskurse zusammenlaufen und eine innerdeutsche Gemengelage in Relation zu ethnisch-kulturellen Konzepten tritt« (S. 152). Die »innerdeutsche Gemengelage« des deutschen Vormärz ist bekanntlich vom Streben nach nationaler Unabhängigkeit und bürgerlicher Freiheit bestimmt. Dass sich der griechische Freiheitskampf in diesem Zusammenhang als produktives Bildreservoir erweist, liegt der Autorin zufolge vor allem an der gezielten Inszenierung des ›Eigenen‹ und ›Fremden‹ in der philhellenischen Lyrik.
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So wird das Osmanische Reich vor dem Hintergrund des tradierten Alteritätskonzepts der ›Türkengefahr‹, der Erinnerung an die Napoleonischen Kriege und der restaurativen Repressionen in den deutschen Ländern zum prototypischen ›Anderen‹ des feindlichen Unterdrückers stilisiert. Demgegenüber erhalten die Griechen die Kennzeichen des ›Brudervolkes‹, dessen ›Freiheit‹ zur Projektionsfläche verschiedener politischer Zielvorstellungen wird.
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Interessanterweise arbeitet der Beitrag auch Elemente der Annäherung an den Feind heraus, die der oben dargestellten Abgrenzungstendenz entgegenlaufen. Allerdings weist die Verfasserin überzeugend nach, dass es sich hierbei weniger um eine Relativierung philhellenischer Standpunkte als vielmehr um eine ›Nebenwirkung‹ der westlichen Orient-Imagination handelt, die das Osmanische auch als Vorstellungsraum des Exotisch-Fremden kennt.
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Wie sehr das Griechenlandideal des europäischen Philhellenismus auch den nationalen Identitätsdiskurs der Griechen im 19. Jahrhundert prägt, zeigt Katerina Karakassi in ihrem Beitrag »Politische Romantik in Neu-Griechenland: Panagiotis Soutsos und sein Briefroman ›Leandros‹«. Anhand der griechischen Wertheriade
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wird hier die Widersprüchlichkeit der griechischen Romantik illustriert, deren Sehnsucht sich einerseits auf die Entwicklung einer nationalen Identität nach dem Maßstab der Antike, andererseits auf die Eingliederung des bürgerlichen Subjektes in das neu entstehende Staatswesen richtet (vgl. S. 269).
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Obwohl sich Karakassi grundsätzlich Constanze Güthenkes These eines literarischen nation building auf der Grundlage der europäischen Griechenland-Imagination anschließt,
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weist sie doch auch auf die semantische Ambivalenz hin, die sich aus der Kreuzung von philhellenischem Liberalismus und romantischem Weltschmerz in der Figur des Leandros ergibt. Denn trotz seiner patriotischen Ambitionen verharrt der Romanheld in der Rolle des klagenden Dulders, der nicht willens ist, sein Idealbild des ›großen‹ Griechenland für die ›kleinliche‹ Realität des neugegründeten Staates aufzugeben.
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Dass in der philhellenischen Literatur keineswegs nur politische Identitäts- und Alteritätskonzepte verhandelt werden, zeigt zum Beispiel die Untersuchung Anastasia Antonopoulous zur Rezeption des Bouboulina-Stoffes. In ihrem Beitrag »Die griechische Revolutionsheldin Laskarina Bouboulina in der deutschen philhellenischen Literatur des Vormärz« weist sie nach, dass die griechische Freiheitskämpferin in der deutschen Literatur primär als Rächerin von Mann und Kindern, nicht aber als nationale Freiheitskämpferin in Erscheinung tritt. Der Athener Germanistin zufolge ist dies auf die geschlechtsspezifische Codierung des weiblichen Heroismus um 1800 zurückzuführen, in der Faktoren wie Freiheitsliebe und Patriotismus als Ursachen weiblichen Handelns nicht vorgesehen sind (vgl. S. 187). Hierbei greifen die zeitgenössischen Autoren üblicherweise nicht auf die tatsächliche Biographie der Freiheitskämpferin, sondern auf vorgefertigte literarische Muster wie Schillers Johanna von Orleans zurück.
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Im Vergleich zur bisherigen Forschung, die in der Beschreibung der griechischen Revolutionsheldin vor allem eine Wiederbelebung antiker Idealbilder sah,
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schärft die Gender-Perspektive dieses Beitrags den Blick dafür, dass sich die philhellenische Darstellung des Antiken an durchaus zeitgenössischen Gesellschaftsvorstellungen und Rollenmustern orientiert.
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Der Philhellenismus zwischen Ästhetik und Politik
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Das Changieren des Vormärz-Philhellenismus zwischen klassizistischer Idealisierung und politischem Zeitbezug wurde bereits eingangs thematisiert. Es wäre wünschenswert gewesen, im dritten Schwerpunktteil »›Klassische‹ Ästhetik und Philhellenismus nach der Weimarer Klassik« eine etwas ausführlichere Würdigung dieses Phänomens zu finden. So erläutert Esther Kilchmanns Artikel über »Heinrich Heines kulturhistorische Reformulierung des klassischen Hellas-Bezugs in ›Die Nordsee‹ und ›Briefe aus Helgoland‹«zwar auf interessante Weise die epochenspezifische Wandlung der griechischen Mythologie »von einem ästhetischen zu einem politischen Gegenstand« (S. 287). Allerdings erwecken sowohl diese wie auch die bereits erwähnte Untersuchung zum Philhellenen Harro Harring den Eindruck, dass Heines ›poetische Bewegung‹ dem philhellenischen ›Erstarren‹ Griechenlands in klassizistischen Allgemeinplätzen geradezu entgegenlaufe.
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Doch ist damit bereits das letzte Wort über die philhellenische Ästhetisierung Griechenlands gesprochen? Aus der Sicht des Rezensenten scheint die Fokussierung auf die freilich interessanten ›Randpositionen‹ Heines und Harrings den Blick auf den zeitgenössischen Philhellenismus jedenfalls zu stark einzugrenzen. So deutet etwa das Credo des Philhellenen Wilhelm Müller »Die Kunst kann die Zeit nicht formen, aber die Zeit beherrscht die Kunst«
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auf eine ästhetisch sehr viel anspruchsvollere Aktualisierung des klassischen Griechenlandbildes hin, als es die obigen Beiträge nahelegen.
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Inwiefern sich Tendenzen der ›poetischen Bewegung‹ auch in der – im engeren Sinne – philhellenischen Literatur und Publizistik nachweisen lassen, sollte somit von der zukünftigen Forschung genauer untersucht werden.
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Fazit
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Insgesamt kann das aktuelle Jahrbuch des Forum Vormärz-Forschung sowohl zur Einführung als auch für eine tiefergehende Beschäftigung mit dem Philhellenismus des Vormärz empfohlen werden. Einen soliden Überblick über dessen historische Voraussetzungen und Ausdrucksformen erhält der Leser im ersten Abschnitt des Bandes. In den darauf folgenden Beiträgen werden im Lichte aktueller Forschungspositionen überzeugend die Bedeutungen und Funktionen der zeitgenössischen Griechenlandbilder erörtert.
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›Griechenland‹ erscheint hier als ein Vorstellungsraum, der nicht nur aufgrund seiner kanonischen ›Klassizität‹, sondern auch aufgrund seiner Anschlussfähigkeit an verschiedene gesellschaftliche und künstlerische Gegenwartsprobleme zum imaginativen Zentrum einer europäischen Massenbewegung wird. Die Gebrauchs- und Funktionsweisen dieses Phänomens genauer ins Blickfeld gerückt zu haben, darf als Verdienst dieses Sammelbandes gelten.
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