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Am 27. April 2014 konnte das Verlagsgewerbe den 250. Geburtstag seines großen Modernisierers feiern: Johann Friedrich Cotta, später Freiherr Cotta von Cottendorf, der Verleger der deutschen Klassik, zugleich ein früher Industrieller und einflussreicher Politiker von Graden. Er wurde 1764 geboren und starb 1832, noch im selben Jahr wie sein Hausautor Goethe. Was alles braucht ein Biograph, um einer solchen Lebensgeschichte mit ihren wechselnden Phasen und Rollen, noch dazu in Umbruch-Zeiten, gerecht zu werden? Bernhard Fischer war gut gerüstet, er hat als Leiter des Cotta-Archivs in Marbach viele Jahre seines Lebens mit dem Nachlass verbracht, zahlreiche Einzelstudien veröffentlicht, die dreibändige Chronologische Verlagsbibliographie
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bearbeitet und schließlich als Direktor des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar die literarische Welt des Verlegers im Blick behalten können. So vorbereitet, konnte er sich die Biographie Johann Friedrich Cottas als umfassendes und zugleich in die letzten Details eindringendes Werk zum Ziel setzen, fast tausend Seiten mit mehreren tausend Belegstellen, einem Literatur- und Personenverzeichnis und farbigen Abbildungen, pünktlich zum Gedenktag erschienen.
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Die Quellen
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Ein Ausnahmefall: Als »Cotta’sche Handschriftensammlung« haben die Registraturen des Verlages die Wechselfälle des 19. und 20. Jahrhunderts überstanden und gehören seit 1961, zusammen mit der Verlags-Bibliothek, als Cotta-Archiv zum Deutschen Literaturarchiv Marbach, wo der Bestand katalogisiert, der Forschung zugänglich gemacht und durch Publikationen, wie dem Repertorium von Cottas Briefen, ergänzt worden ist.
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Alleine diese Quelle bot ungewöhnlich reiches und detailliertes Material über alle Verlagsvorgänge. Darüber hinaus hat der archiv-erfahrene Verfasser sich aber auch alle nur denkbaren anderen Quellen zunutze gemacht, vom Bayerischen Geheimen Hausarchiv über eine lange Reihe von Staats- und Stadtarchiven bis zu den Zentral-Bibliotheken in Zürich und Krakau. Vor allem die umfangreiche Korrespondenz Cottas bot Stoff für ausführliche Zitate.
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An Bildmaterial aus Büchern, Zeitschriften und Werbemitteln ist im Cotta-Archiv kein Mangel, wie eine frühere Ausstellung in Marbach deutlich machte. Den vorliegenden Band illustrieren sechzehn farbige Tafeln auf eher repräsentative Weise. Etwa die Hälfte der Illustrationen zeigt Dokumente, hervorragend lesbar, besonders instruktiv die handschriftlichen Kalkulationen und Hausmitteilungen Cottas sowie der besiegelte Goethe-Vertrag von 1826, von alldem hätte man gerne mehr gesehen. Der Rest Porträts: Beide Ehefrauen, von Cotta selbst eine kleinformatige posthume Lithographie, dazu die Bildnisse von fünf Souveränen aus Cottas Lebenszeit. Auf dem Schutzumschlag des Buches das gerne reproduzierte Ölgemälde des Freiherrn als Vizepräsident der Zweiten Kammer des Württembergischen Landtags, in »Staats-Uniform« und großer Pose, aber schmallippig, mit prüfendem Blick.
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Ordnung und Fülle des Materials
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Jede historische Biographie ordnet ihr Material. Diese hier gliedert sich nicht nach Lebensspannen, sondern zunächst nach Perioden der frühen Verlagsgeschichte, darauf nach solchen der politischen Geschichte, jedes Hauptkapitel wieder unterteilt nach Bereichen von Cottas Wirken, beschrieben in der Abfolge der Ereignisse: Schon auf Seite 25 wird Cottas erstes Jahr als Verleger, noch in Tübingen, im Umfeld des damaligen Buchmarkts beschrieben, ab Seite 79 ist der Leser mitten im Aufbau des politischen und dann des Klassiker-Verlages (1799–1806), danach bestimmen politische Begriffe die Darstellung, »Unter Napoleon«, »Verfassungskämpfe«, »Karlsbad und die Folgen« und pauschal »Im Banne der hohen Politik«. Unter den Bedingungen der politischen Geschichte entwickelt der Verfasser die Fülle von Cottas Aktivitäten, als Buch-, Zeitungs- und Zeitschriftenverleger und Druckereibesitzer, ab 1811 in Stuttgart, als Kapitalanleger in allen möglichen Branchen, vom Kurhotel im heutigen Baden-Baden über die junge, massentaugliche Reproduktionstechnik der Lithographie bis hin zur Dampfschifffahrt auf Bodensee und Rhein. Wir sehen ihn als Gutsbesitzer wie als »Deputierten des deutschen Buchhandels« auf dem Wiener Kongress, als ein in Verfassungskämpfen verstricktes Landtagsmitglied in Stuttgart wie als Käufer einer der neuartigen Schnellpressen für seine Zeitungsdruckerei in Augsburg. Als württembergischer Abgeordneter bei Hofe nicht sonderlich beliebt, wird er 1822 in seiner »zweiten Heimat« Bayern mit der erblichen Freiherrnwürde belohnt. Die periodische Gliederung des Buches verlangt dabei immer wieder detailreiche Exkurse ins Besondere, in die Verlags-, Zeitungs- und Literaturgeschichte, in die württembergische Verfassungsgeschichte, in die Vermögens- und Kapitalverhältnisse, und nicht zuletzt in die Kriegsgeschichte der napoleonischen Zeit. Die private Lebensgeschichte Cottas mit ihren Ortsveränderungen, Gesundheitsproblemen, Todesfällen und Heiratsplänen tritt demgegenüber deutlich zurück. Chronologische Vor- und Rückgriffe sind bei diesem Verfahren unvermeidlich. (In einem ähnlichen Fall, der Biographie des mit Cotta geschäftlich verbundenen Buchhändlers Perthes von Dirk Moldenhauer, hat der Verfasser aus der diachronischen Not eine Tugend gemacht und jedes Periodenkapitel in fünf wiederkehrende Themenstränge unterteilt).
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Während sich die Ordnung des Materials hinlänglich beschreiben lässt, ist seine Fülle hier nur exemplarisch anzudeuten. So ist es bedeutsam für den jungen Verleger, dass sein Bruder und kurzzeitiger Partner Christoph Friedrich als Parteigänger der Französischen Revolution in Mainz, Straßburg und Stuttgart auftritt, weil derart »girondistische Beziehungen« ihn auf Umwegen zum folgenreichen Ausflug mit Schiller am 4. Mai 1794, damit zum Zeitschriftenplan Die Horen und schließlich »an die Spitze der politischen und literarischen Verlage in Deutschland« führten (S. 87). Mit der Bitte an Goethe, anlässlich seiner zweiten Schweizer Reise, »Ihr AbsteigQuartier bei mir zu nehmen, so schlecht und recht als ich es habe«, gewann Cotta kurz danach einen weiteren Autor, der auf der Höhe seiner Bekanntheit mit Verlagsverträgen durchaus schon versehen war (S. 111). 1803 kann er in einem berühmten Rechenschaftsbericht über sein sechzehntes Arbeitsjahre sagen: »Ich habe verlegt: 2 Zeitungen (worunter eine tägl), 9 periodische Schriften, worunter 5 monat, 8 Almanache (2 wurden nicht fertig, sonst wären es 10 geworden), 3 Fortgehende Werke […], 17 neue Werke, 1 Karte von ganz Schwaben…« Es folgt die Summe der dazu benötigten Papiermengen, Bindeaufträge und Kupferplatten. Unterstützt durch die Verbreitung von Presse-Produkten wie dem Morgenblatt für gebildete Stände und durch die Querverbindung von Autorenbeziehungen in den Periodika wie im Buchverlag, nicht zuletzt durch aktive Honorar-, Vertrags- und Preispolitik sollte sich das Programm im Laufe der Jahre über den Klassiker-Verlag hinaus immer mehr erweitern, nicht nur durch unterhaltende Literatur, sondern auch durch politische und wissenschaftliche Werke, wie die von Humboldt – was jeweils unter den Perioden-Kapiteln im Einzelnen nachzulesen ist. Gelegentlich übertraf die Produktivität von Autoren selbst die erheblichen Kapazitäten des Verlages: »Jean Paul aber gingen die Werke unter der Feder auf wie Kuchen im Backofen« (S. 235).
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So zielstrebig, wie der Verleger seine Beziehungen im Literaturbetrieb zusammenführte, so eifrig bemühte er sich bereits am Anfang des 19. Jahrhunderts um die Bildung einer »BuchhändlerSocietät«, die den akuten Mängeln des Buchmarkts abhelfen sollte: Kurioserweise zunächst durch eine Schadensversicherung gegen den grassierenden Nachdruck. Daraus wurde nichts, und es sollte noch mehr als zwei Jahrzehnte dauern, bis der Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig gegründet wurde. Da war Cotta dem »Zentralort« schon entfremdet.
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Bei allen Unternehmungen war sein Horizont ja nicht auf den Buchmarkt beschränkt. Seit seinen ersten Reisen unterhielt er Beziehungen zur Metropole Paris, und daher war es kein Zufall, dass zwei deutsche Fürsten sich seiner bedienten, als es 1801 im Vorfeld des Friedens von Lunéville um Entschädigungs-Verhandlungen mit Frankreich ging. So reiste er, »so schwer mir eine solche Reise bei meinen vielen Geschäften fallen muß«, benutzte jedoch den Pariser Aufenthalt zugleich für Verlagskontakte, und kehrte rechtzeitig zur Leipziger Ostermesse zurück. Danach schildert ein ganzes Hauptkapitel Cottas Bemühungen, mit dem neuen Herren Europas in nützliche Beziehung zu treten (»Unter Napoleon 1807–1814«), es geht ihm um »Einheit der Geseze, des Mases, Gewichtes, PoliceiAnstalten, Posten, Freiheit des Handels pp.« im Rheinischen Bund (S. 312), bald wird er sich allerdings in seinen Erwartungen enttäuscht sehen. Anhand von Berichten der Cotta’schen Zeitungen und der Verleger-Korrespondenz handelt Bernhard Fischer das Ende der napoleonischen Zeit ab, weit ausholend in seiner Beschreibung der Szenerie (»Im Befreiungskrieg«, S. 363–381), beschreibt er die entstandene Krise des deutschen Buchmarkts und den Beschluss der 1814 auf der Ostermesse versammelten Buchhändler, den politikerfahrenen Cotta zusammen mit Vater (und später Sohn) Bertuch als Delegierte zum Wiener Kongress zu entsenden, wo sie bei den Verhandlungen über Nachdruck und Pressefreiheit die Stimme des deutsche Buchhandels vertreten sollten – zwei Problemkreisen also, die Cotta auch direkt betrafen, in seinen geschäftlichen Unternehmungen, wie in der württembergischen Verfassungspolitik, an der er nun im Landtag tätigen Anteil nahm. Das Kapitel »Verfassungskämpfe 1815–1819«, über 40 Seiten umfassend, geht auf die Vorgänge ein, die immer wieder von der hauseigenen Allgemeinen Zeitung reflektiert werden. Mehr und mehr sieht man Cotta als politisierenden Presseherrn.
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Im letzten Drittel des Bandes kehrt die Darstellung auf die Geschichte des Buchverlags in den zwölf Jahren von 1820 bis zum Tode des Verlegers zurück: Der geographische Verlag und mit ihm die Niederlassung in München werden eröffnet, die Goethe-Ausgabe letzter Hand kommt – nicht ohne Misshelligkeiten – auf den Weg, die Nachlassrechte an Schillers Werken sind zu regeln, aber die Geldverhältnisse geben Anlass zur Sorge: Eine detaillierte Vermögensaufstellung von 1826 zeigt, dass Cottas Reichtum neben den Verlagsrechten und den Druckereibetrieben auf bewertungsabhängigen Vorräten, Schiffs- und Fabrikbeteiligungen sowie Immobilien beruhte, bei einer Eigenkapitalquote von nicht viel mehr als der Hälfte (S. 707–711). »Obwohl reich, wirtschaftete Cotta am Rande der Insolvenz.« Börsenspekulationen brachten Verluste. Hypotheken mussten aufgenommen werden. Hinzu kam, dass Cottas zum Nachfolger ausersehener Sohn Johann Georg unter dem alles bestimmenden Vater, dem schlechten Verhältnis zur Stiefmutter und der ungeordneten Ausdehnung aller Geschäfte litt, sodass der Senior zeitweise an einen Verkauf des Verlages dachte, während ihn im politischen Treiben die Folgen der Juli-Revolution von 1830 beschäftigt hielten. Als er Ende 1832 an einer Lungenentzündung starb, hinterließ er seinen Nachkommen ein hoch belastetes, vielfach verzweigtes und damit prekäres Erbe.
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Chronik eines öffentlichen Lebens
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Was sich in dieser Biographie entfaltet, ist ein Leben in Geschäften. Nicht nur in die Buchhandelsgeschichte, sondern auch in die Nationalgeschichte dieser Sattelzeit zwischen dem 18. und dem 19. Jahrhundert ist das tätige Leben Johann Friedrich Cottas eng verflochten. Das lässt die imposante Fülle der historischen Details entstehen – und zugleich die Person des Mannes hinter seinen Aktivitäten zwischen Goethe-Ausgabe, Diplomatie und Rheinschifffahrt fast verschwinden. Daran mag er selbst nicht wenig Schuld haben, es gibt kaum private Selbstzeugnisse, seine Briefe sind im konventionellen Formel-Stil der Zeit gehalten, und die Undurchschaubarkeit seiner Motive und Standpunkte, seine »Diskretion«, wird von Zeitgenossen immer wieder bemerkt. Gegen eine nachträgliche Psychologisierung ihrer Leitgestalt ist diese Biographie also schon durch Mangel an verwendbarem Stoff gefeit, auch wenn sich über die Darstellung der objektiven Vorgänge hinweg immer wieder verstreute Zeugnisse der psychischen Existenz finden: Wenn der gehorsame Sohn dem Vater von seiner Kutschenfahrt nach Paris berichtet (S. 21–22), wenn der Familienvater seine Haushaltskosten am neuen Wohnort Stuttgart sorgfältig auflistet (S. 325) oder sich in Wien um die Kinder sorgt (S. 399). Der komplizierten zweiten Eheschließung im Jahre 1824 mit Elisabeth von Gemmingen-Guttenberg ist ein kleines Kapitel gewidmet (S. 616–624). Eine wichtige Erkenntnis zur Person stellt sich eher nebenher ein: So sehr Cotta als »Bonaparte der Buchhändler« seine Um- und Nachwelt beeindruckte, so deutlich wird seine große Geschicklichkeit in der Gewinnung von Mitarbeitern, Partnern, Ratgebern, Informanten und Zulieferanten auf allen Gebieten seiner Tätigkeit. Das Personenregister lässt die Namen durch Mehrfachverweise deutlich hervortreten: Bertuch, Böttiger, Boisserée, Hardenberg, Huber, Klüber, Johannes von Müller, Posselt, Rapp, Schiller, Varnhagen – von den gern gepflegten Beziehungen zu regierenden Häusern nicht zu reden. Ein Cotta’sches Netzwerk.
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Auch blitzen in dieser materialgesättigten Geschichtserzählung immer wieder grundsätzliche Erkenntnisse über den Buchmarkt auf. So die, dass Cotta als studierter Jurist am ehesten dafür ausgerüstet war, das Vertragsverhältnis zwischen Verleger und Autor auf eine neue, Urheber- und Verwertungsrechte trennende Basis zu stellen, was ihm Wettbewerbsvorteile gegenüber den eher traditionellen norddeutschen Verlegern einbrachte und seine Marktmacht nach Norden ausdehnte (S. 38), später würde man von seinen »exzessiven« Autorenhonoraren sprechen.
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Da diese aber absatzabhängig und damit zinsgünstig gestaltet waren, zeigen sich hier auch die frühen mathematischen Neigungen des Verlegers (S. 40–41). Zudem macht die Biographie deutlich, wie Verleger und Autoren der Zeit immer wieder ihre geschäftlichen Verhältnisse als moralische maskieren, so als Göschen seinem Konkurrenten Cotta »als Kaufmann« noch verzeihen mochte, nicht aber als Verleger, den »die heiligen Bande der Freundschaft« mit Schiller verbanden (S. 156).
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Vor allem aber breitet Bernhard Fischer die vielfältigen Geschäfte und Parallel-Aktionen Cottas vor dem Leser aus, eine umfassende Beherrschung des archivalischen Fundus bei gleichzeitiger Erzählfreudigkeit lässt das großformatige Zeit- und Sittenbild entstehen, aus dem die Gestalt des Mannes hervortritt, der als Medienunternehmer die Politik mit den Mitteln der Publizistik fortsetzt. Spätere Namen wie die von Rathenau, Münzenberg oder Hugenberg kommen dem Leser unweigerlich in den Sinn. So lässt sich eine historische Biographie auch aktuell verstehen.
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