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Wichtige Denkanstöße in schwachem Rahmen:

Kunsttheorie macht auf Trauma und beweist bürgerliche Kälte

  • Aleida Assmann / Karolina Jeftic / Friederike Wappler (Hg.): Rendezvous mit dem Realen. Die Spur des Traumas in den Künsten. (Erinnerungskulturen / Memory Cultures 4) Bielefeld: transcript 2014. 218 S. Broschiert. EUR (D) 27,99.
    ISBN: 978-3-8376-2658-2.
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Aleida Assmann und ihre Mitstreiterinnen haben einen hochinteressanter Band herausgegeben, der in Einzeluntersuchungen traumaartige Strukturen in Werken der Kunst im weitesten Sinne untersucht. Der Band beruht auf Vorträgen einer Tagung im Rahmen der Ausstellung »Rendez-Vous mit dem Realen. Die Spur des Traumas in der Kunst« vom 30. Oktober 2008 bis zum 15. Februar 2009 in Bochum. Die Vorträge wurden für diesen Band überarbeitet und um neueste Literatur ergänzt sowie anscheinend neue Beiträge hinzugefügt.

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Der Band gliedert sich in drei Großteile: »Mediale Kopien« (mit Beiträgen über Fotografie, Film und Fernsehen bzw. welche Rolle diese bei Traumatisierungen im weitesten Sinne spielen), »Reenactments« (über bestimmte Kunstformen als Wiederholung einer ursprünglichen Szene einer Traumatisierung nun in einer Wieder-Aufführung) sowie »Heimsuchungen« (über »Cultural Haunting«, also das Auftauchen von Gespenstern welcher Form auch immer in Werken der Kunst, die an eine nicht bewältigte Vergangenheit gemahnen).

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Vorschau- und Klappentext: Pseudo-Verortung in der Forschung

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Verblüffend ist der Text in der Vorschau des transcript-Verlags, der allen Ernstes nahezulegen versucht, es habe bisher keinerlei Forschung in dieser Richtung gegeben. So heißt es:

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»Dieser Band dokumentiert eine enge Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen und verfolgt zum ersten Mal [sic!] die Spur des Traumas vor allem in visuellen Medien und kulturellen Praktiken«.
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»zum ersten Mal […] vor allem«? Zwar gibt sich der Werbetext auf der Rückseite bzw. der U4 des Bandes wesentlich vorsichtiger, doch auch hier findet sich einigermaßen Verblüffendes:

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»Der Begriff des Traumas ist mittlerweile zu einem festen Bestandteil unserer Alltagssprache geworden. Während Medizin, Psychologie und Hirnforschung die Schäden des Traumas immer exakter beschreiben, ist es die Aufgabe der Künste, die Erfahrungsperspektive des Traumas in die Gesellschaft hinein zu vermitteln. Nach den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts, Genoziden, Diktaturen, Bürgerkriegen und der Erfahrung eines globalen Terrorismus hat diese Aufgabe zunehmend an Aktualität gewonnen. Da das Trauma als undarstellbar gilt, sind damit gleichzeitig ganz neue Herausforderungen verbunden. / Dieser Band verfolgt die Spur des Traumas vor allem in visuellen Medien und kulturellen Praktiken. Beiträge untersuchen exemplarisch Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern, die sich insbesondere mit Formen der Wiederholung auseinandersetzen: in medialen Kopien, »Reenactments« und der Wiederkehr durch »Heimsuchungen«.
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Es soll also »den Begriff des Traumas« geben, eines [!] Traumas, das Schäden verursacht, die »Medizin, Psychologie und Hirnforschung« immer genauer beschreiben – worüber der Band aber keinerlei Auskunft gibt. Doch sei es nun Aufgabe der Kunst, dies zu vermitteln – warum auch immer. Vor allem gelte das (eine?) Trauma als gar nicht darstellbar – obwohl doch anscheinend der Band Kunstwerke behandelt, die sich gerade um die Darstellung eines Traumas bemühen.

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Wo liegen die Probleme genau? Zum einen gibt es den einen Begriff des Trauma gar nicht. Zum anderen ist wie gesagt in dem Band von »Medizin, Psychologie und Hirnforschung« nur wenig zu finden: Vielmehr prägt auch diese Beiträge die im Zusammenhang mit Trauma grassierende »little interdisciplinary curiosity« 1 der Forscher. Tatsächlich werden an keiner Stelle aus den entsprechenden Fachzeitschriften, etwa »ZPPM« bzw. der »Zeitschrift für Psychotraumatologie und Psychologische Medizin«, 2 »Trauma und Gewalt« oder überhaupt Grundlagenwerke 3 zitiert. Warum findet sich kein Hinweis etwa auf Themenhefte zum Thema »Trauma«, etwa der »Psyche« unter der Überschrift »Trauma, Gewalt und kollektives Gedächtnis« von 2000, der »Freiburger literaturpsychologischen Gespräche« aus demselben Jahr oder des »Journal of Literary Theory« von 2013?

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Und gilt das Trauma also nun als nicht-darstellbar oder ist es nicht darstellbar? Und wer behauptet das? Und warum?

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Unhinterfragte Theorieübernahme

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Schaut man sich die Beiträge an, wird mit Bezug auf die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Cathy Caruth 4 und andere direkt und unhinterfragt von der Undarstellbarkeit eines (des?) Traumas ausgegangen: Und dies hat Konsequenzen, handelt es sich doch um eine entschieden kalte Geste, wird nämlich Trauma-Opfern so über deren Kopf hinweg jede Möglichkeit abgesprochen, über die Formulierung des Traumas sich mit diesem auseinanderzusetzen und auf welche Weise auch immer Erleichterung zu finden. Trauma wird hier, wie es in seiner scharfen Kritik von Dominik LaCapra 5 an Cathy Caruth ausdrückte, zu einem verborgenen Heiligen, das nicht durch so etwas Profanes wie eine Erzählung verändert und damit entweiht werden darf. Genau diesen Punkt übernimmt und unterstreicht die Einleitung der Herausgeberinnen unkritisch, wenn dort behauptet wird, Trauma sei »ein unzugänglicher und nicht assimilierbarer Einschluss«, der sich »allen [!] Versuchen einer Integration ins Bewusstsein« (S. 11) widersetze. Verblüffend ist dann die Behauptung, dass »die kulturwissenschaftlich orientierten Literatur- und Geisteswissenschaften auf diesem Feld bereits auf eine wichtige Tradition verweisen könnten« (S. 19) – nämlich auf »Cathy Caruth, Dominick LaCapra, Ruth Leys … im Angesicht dieser heftigen Auseinandersetzungen« (auf die mit keinem Wort eingegangen wird)?

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Und plötzlich findet man sich im postmodernen Diskurs wieder:

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»Die Begrifflichkeit des Traumas kommt der Kritik an dem Subjektbegriff durchaus entgegen, denn es gibt kein Subjekt [!] des Traumas. Der/Die Traumatisierte verliert periodisch die Verfügungsgewalt über sein/ihr Bewusstsein und seinen/ihren Willen und gibt dem Konzept der Entleerung von Subjektivität eine plastische Gestalt«. (S. 12)
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Auf diese Weise, so wird dann behauptet, kehre jedoch indirekt das Reale wieder, indem es auf eben diese Weise Auswirkung habe: »In diese Welt hat das Trauma einen neuen/alten Begriff von Realität zurückgebracht, der die Wirklichkeit individueller und historischer Erfahrung sowie von Autorschaft affirmiert« (S. 15). Über den Umweg dieses blinden Flecks der traumatischen Erfahrung und das Nicht-Sagbare wird also quasi die Wirkmächtigkeit von Realität und Person (durch die Tatsache, dass es da jemanden gibt, der etwas erleidet) wiedereingesetzt.

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Symptomatisch für diese Postmodernisierung des Traumas ist die mehrfache Anführung eines Zitats Jacques Lacans, ein Trauma sei (z.B. S. 14) »eine verpasste Begegnung mit dem Realen«: Doch warum wird Lacan überhaupt zitiert, hat doch Lacan mit moderner Traumaforschung gar nichts zu tun? Im Angesicht realer Traumatisierung von einer verpassten Begegnung zu sprechen, kann auch nicht anders als zynisch bezeichnet werden, handelt es sich doch bei einem Trauma um ein alles denkbare Maß übersteigende, unausweichliche und folgenschwere Begegnung eben genau mit dem Realen. Lacan wird in den Beiträgen gerne zitiert (wie auch Caruth und Sigmund Freud, dessen selbst ausgesprochen heterogene Trauma-Theorie seltsam mit frühkindlicher Prädisposition verknüpft ist), ohne die damit verbundenen Gefahren auch nur irgendwie im Blick zu haben.

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Der Titel als Geste bürgerlicher Kälte bzw. als Verhöhnung der Trauma-Opfer

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Den Titel des Bandes gab die Ausstellung. Wer auch immer den Titel für diese Ausstellung kreiert hat, verhöhnt damit Trauma-Opfer: Unter »Rendezvous« versteht man (so beispielsweise der online-Duden) »(veraltend, meist noch scherzhaft) [ein] verabredetes Treffen (von Verliebten, eines Paars), [eine] Verabredung, [ein] Stelldichein«.

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Eine weit akzeptierte Definition des Phänomens »Trauma« beschreibt dieses anders als »vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt«. 6 Ein Mensch wird also durch eine todesähnliche Situation völlig überfordert, kann mit seinen Ressourcen die Situation nicht lösen und bleibt nach dem Erlebnis von Grund auf verändert zurück. Das soll ein Rendezvous sein?

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Alliterationen in Titeln erfreuen sich natürlich schon immer einiger Beliebtheit (so im Zusammenhang mit Trauma immer wieder die Kombination von »Traum« und »Trauma«, obwohl beide Phänomene wenn überhaupt, dann nur sehr indirekt miteinander zu tun haben, es sei denn, man wolle betonen, dass Schwersttraumatisierte oft von Albträumen gequält werden): Im Falle des vorliegenden Sammelbandes (»Rendezvous … Realen«) bewegt sich die Alliteration der Titelbegriffe auf dem Niveau von »Fröhliches Beisammensein mit dem Folterer«, »Verwöhnt vom Vergewaltiger« oder »Super-Sex mit dem Stalker«.

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Und nicht nur der Titel, sondern viele Beiträge werden von dieser kalten Ablösung vom Einzelschicksal des Traumatisierten geprägt. Joachim Paech etwa behauptet in seinem Beitrag, Trauma sei zum »Schlüsselbegriff oder Passepartout für die Beschreibung komplexer gesellschaftspolitischer Konstellationen geworden« und stehe »seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts für den inneren Zustand (post-)moderner Gesellschaften, die durch kollektive Erfahrungen von bis dahin unvorstellbaren Katastrophen der Weltkriege und Massenvernichtung geprägt sind« (S. 37): Was für eine These! Und erstaunlich, wie unter der Hand das so problematische Konstrukt eines kollektiven Traumas im Licht der Postmoderne als unhinterfragbare Größe untergeschoben wird. 7

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Einzelergebnisse

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Bei aller Kritik (die bei einem quasi per definitionem disparaten Tagungs-Sammelband natürlich vergleichsweise leichtfällt): Den Wert des Bandes machen die z.T. faszinierenden Ergebnisse der Einzeluntersuchungen aus, die trotz ihrer oben umrissenen, selbst aber nicht ausgesprochenen, problematischen theoretischen Vorentscheidungen weiterführend sind.

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Friedrike Wapplers Untersuchung des Werkes von Bruce Naumann im ersten Großabschnitt »Mediale Kopien« kommt zu erstaunlichen Ergebnissen: Naumann hatte einen Betonblock präsentiert, in dem ein Tonband eingegossen sein soll. Die »Vorstellung der Künstler der Minimal Art, ein einfaches Sehobjekt anzubieten, das nichts repräsentiert, sondern nur ist, was es ist, und den Betrachter auf eine entsprechende positivistische Wahrnehmung verpflichtet«, werde hier »ad absurdum geführt«. Doch das, »was ›sinnlich nicht verifizierbar sei,‹ evoziert dennoch Vorstellungskraft, modelliert die Wahrnehmung und irritiert auf mehreren Ebenen die scheinbare Faktizität des Sichtbaren«. Unterlaufen werde so »der Wahrnehmungsoptimismus der Minimal Art durch den Entzug der Sichtbarkeit« (S. 72). Andere Arbeiten Naumanns, die auf endloser Wiederholung beruhten, funktionierten anders als Pop Art, etwa wie Warhols Reihenbilder, die Realität mehrfach wiederholten: Die entsprechenden Werke Naumanns »wirken durch permanente Wiederholung traumatisierend und schlagen zugleich ›Bedeutungsfunken‹«. Damit schrieben sie »der nachminimalistischen Kunst eine Realität ein, die auf die Faktizität zielende Minimal Art ausgeschlossen hat« und erweiterten »den bis dahin reale Gewalterfahrungen ausgrenzenden Diskurs der 1960er und 1970er Jahre« (S. 77).

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Gerald Schröders Untersuchung vor allem der Materialaktionen des Wiener Skandal-Künstlers Otto Muehl im Abschnitt »Reenactments« beleuchtet den Zusammenhang zwischen der Biographie des Künstlers und seinem Werk: Der verarbeitete seine zutiefst verstörenden Erfahrungen im II. Weltkrieg in seinen blutigen Kunstaktionen und »Materialaktionen«, die als »künstlerische Inszenierung einer traumatischen Wiederholung« (S. 102) »bildliche Verflüssigung und Auflösung des soldatischen Körpers« betreiben und sich so um eine besondere »Präsenzqualität« jenseits der »Kunst als Kontemplation« (S. 112) bemühen. Das »Durchbrechen der Ekelschranke« sei eine »therapeutisch verstandene Annäherung an das Abgespaltene« (S. 113).

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Anja Schwarz konzentriert sich auf ein einzelnes Reenactment, nämlich auf Rod Dickinsons minutiösen Nachbau des Milgram-Folter-Experiments. Ähnlichen Reenactments ginge es immer um 1. eine »Negation der Distanz zwischen Vergangenheit und Gegenwart«, 2. »Streben nach Authentizität«, 3. eine »körperbezogene Epistemologie« und 4. eine besondere Affinität zur »Medialität« (S. 125–127). In der detaillgenauen Nachstellung des Milgram-Folter-Experiments wurden dabei die Zuschauer gezwungen, bis zum Ende Zeugen der Traumatisierung der Probanden zu werden. Wie in Milgrams Experiment über die Hörigkeit von Menschen und ihre Bereitschaft zu foltern ist hier eine »Heimsuchung des eigenen Projekts« durch erzwungene Zeugenschaft (S. 137) als beispielhafte postmemory zu beobachten: Trauma werde auf diese Weise inszeniert »als eine Form der Wiederholung«, die eine »ethische Beziehung zur Vergangenheit erst ermöglicht« (S. 138) – und was hätte hier eine Diskussion von Keilsons Ansatz eines sequentiellen Traumas die Untersuchung noch mehr beflügeln können!

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Andreas Kraft untersucht »Heimsuchungen« bzw. das sogenannte »Cultural Haunting« bzw. das plötzliche Auftauchen von Geistern in Literatur und Film. So gerate eine »zeitlich entfernte Vergangenheit […] im Spuk in eine räumliche Nähe, in eine unheimliche Präsenz« (S. 147), und zwar besonders dann, wenn ein gültiges Weltbild plötzlich völlig umgekrempelt werde, etwa Helden plötzlich zu Mördern erklärt würden. Culture Haunting geschehe oft dann, »wenn etwa im Falle seine Niederlage der Täter in einem neuen Wertehorizont ankommt« (S. 154). Geistererscheinungen inkarnierten dann »eine spezifische Störung in Raum und Zeit«.

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Einer der interessantesten Untersuchungen liefert Alexander Etkind mit seinem extra für diesen Band übersetzen Text über postsowjetische Heimsuchungen (dem allerdings ein straffendes und vereinheitlichendes Lektorat gutgetan hätte): Russlands Verhältnis zur Vergangenheit sei geprägt durch »Hardcore« (Denkmäler), »Software« (Texte) und »Ghostware« (wiederkehrende Gespenster). In Deutschland sei die Form der Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit von weich (Texte) zu hart (Denkmäler), in Russland jedoch umgekehrt verlaufen (wobei dort fast alle spät errichteten Denkmäler »von Privatpersonen initiiert« wurden, so S. 205).

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Fast jeder Russe habe nun in seiner Familie ein oder mehrere Opfer des Stalinismus zu beklagen. Das Grundgefühl sei jedoch anders als etwa das jüdischer Opfer der Nazis: Man wusste aufgrund der Irrationalität bzw. der Tatsache, dass es buchstäblich jeden ohne irgendeinen Grund treffen konnte, »dass es sich um eine Verwechslung handeln müsse«: Schuld ist also eigentlich niemand, man hatte nur Pech. Und damit wird Vergangenheitsbewältigung eigentlich unmöglich. »Der Gulag bot keine Wirklichkeitsüberprüfungen für Hoffnung und Trauer: Dafür bot er einen fruchtbaren Boden für die Produktion von Gespenstern« (S. 198). Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit spiele sich deshalb in Russland in der Fantasie ab (etwa in Zombi-Filmen wie »Wächter der Nacht« bzw. »Nochnoi Dozor« von 2004 oder »Wächter des Tages« bzw. »Dnevnoi Dozor« von 2006) oder in der Rückwendung in die sehr ferne Vergangenheit: In Ergänzung zu LaCapras »acting-out« und »working-through« sei dies ein dritter Fall, nämlich »Sinngebung« (S. 201). Die politische Gegenwart ist uninteressant bzw. kann sich die Vergangenheit beliebig uminterpretieren, wie am Beispiel von Einflüssen der Putin-Administration auf Schulbücher bzw. deren Theorie, Stalins Massenmorde seien notwendig gewesen, um eine neue Intelligenz zu schaffen, die Russland habe retten können, höchst beunruhigend nachgezeichnet wird (s. S. 201 ff.): »Der postsowjetische Gerichtsprozess ›an den Toten‹ verwandelt sich in eine neurussische Verschmelzung ›mit den Toten‹« (S. 212).

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Ausblick

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Trotz der Titelwahl, der seltsamen Werbe- und Cover-Texte des Verlages, dem theoretischen Wirrwarr, der oft sehr lückenhaften Reflexion, auf welcher theoretischen Grundlage das eigene Verständnis des Begriffs »Trauma« denn jeweils nun beruht, und den Gesten bürgerlicher Kälte bietet der Band auch und vor allem dem Kultur- und Literaturwissenschaftler wichtige Anregungen für weiteres Nachdenken.

 
 

Anmerkungen

Kansteiner, Wulf und Weilnböck, Harald: Provincializing Trauma? A Case Study of Family Violence, Media Reception, and Transcultural Memory, in: Journal of Literary Theory 6:1 (2012), S. 149–179, hier S. 149.   zurück
eine Zeitschrift, die 2006 im Themenheft »Darstellung von Traumata in der Kunst« etwa mit einem Aufsatz von Gabriele Oberreuter über die Bildhauerin Luise Bourgeois oder mit Filmanalysen wie Claudia Liebrands Interpretation von Barbara Streisands »The Prince of Tides« Pionierarbeit geleistet hat.   zurück
etwa dem Lehrbuch Psychotraumatologie von Gottfried Fischer und Peter Riedesser, München und Basel, 4. Auflage 2009, dem zweibändigen Trauma und die Folgen. Trauma und Traumabehandlung von Michaela Huber, Paderborn 2003, oder Hans Keilsons notorisch unterschätzte Überlegungen zum sequentiellen Trauma. Deren Kenntnis hätte jede der Untersuchungen ergebnisreicher werden lassen, da Keilson nicht die direkten Auswirkungen nur eines Traumas selbst, sondern die Erfahrungen des Traumatisierten mit seiner Umwelt in der Folgezeit bzw. nach der traumatisierenden Situation einbezieht (vgl. dessen Sequentielle Traumatisierung bei Kindern. Untersuchung zum Schicksal jüdischer Kriegswaisen [1979], Gießen 2005).   zurück
Zur Kritik an Caruth' auf Paul de Mans Sprachzweifel aufbauende und dessen Erkenntnisse verblüffenderweise direkt auf Trauma-Strukturen übertragende Heiligsprechung des Traumas vgl. Ruth Leys: Trauma. A Genealogy. Chicago / London 2000, S. 305: Caruth neige dazu, »to dilute and generalize the notion of trauma: in her account the experience (or nonexperience) of trauma is characterized as something that can be shared by victims and non-victims alike, and the unbearable sufferings of the survivor as a pathos that can and must be appropriated by others«.   zurück
Vgl. dessen Writing History, Writing Trauma, Baltimore 2001, Fußnote S. 107–109: »the real or literal traumatic, inaccessible and inherently incomprehensable or unrepresentable, […] can be represented or addressed indirectly in figurative or allegorical terms that necessarily destroy and betray it […]. the further displacement (as well as distortion and disguise) involved here may be with respect to a variant of religion in which the Hidden God is radically transcendent, inscrutable (or unreadable), and, in a secular context, dead, invariabel, lost or barred. […] All representations of such an absolute are sacrilegious and prohibited«. Damit würde man aber dazu gezwungen, das Trauma ewig zu wiederholen (»acting-out«) bzw. könne und dürfe es nicht durcharbeiten oder verändern (»acting-through«).   zurück
vgl. Anm. 3, Fischer/Riedesser 2009, S. 395.   zurück
Vgl. zum Problem Hannes Fricke: »The liquidation of the particular«: On Anxiety, the Misuse of Trauma-Theory, Bourgeois Coldness, the Absence of Self-reflection of Literary Theory, and »something uncomfortable and dangerous« in Connection with Stefan Zweig's »Schachnovelle«, in Journal for Literary Theory 7 (2013), S. 167–198, hier besonders S. 179–181; »Trauma as a Collective Phenomenon«.   zurück