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Die environmental humanities erfreuen sich seit einigen Jahren auch in Deutschland wachsender Beliebtheit. Die interdisziplinäre kulturwissenschaftliche Perspektive auf Umweltthemen hat eine politische Stoßrichtung, die eine neue Dimension von gesellschaftlicher Relevanz für die beteiligten Disziplinen erschließen könnte. Reinhard Hennig ist mit diesem Buch ein überzeugender Beitrag zum Forschungsfeld gelungen, der die Literatur zweier skandinavischer Länder in den Mittelpunkt rückt und die Vorteile einer mehrsprachigen und vergleichenden Sichtweise demonstriert. Er beweist damit, dass die environmental humanities hier kein Modebegriff sind, sondern ein Rahmen, der die politischen und ethischen Dimensionen literarischer Werke erfolgreich verbinden kann.
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Hennig fasst in seiner Einleitung drei für seine Arbeit in der environmental humanities wichtige Säulen zusammen, nämlich Ökokritik (ecocritism), Umweltgeschichte und Umweltethik, auf die sich sein interdisziplinärer Ansatz stützt. Die von ihm behandelten Texte werden anhand von Hubert Zapfs Modell der Kulturökologie in Zusammenhang mit Georg Bollenbecks Konzept der Kulturkritik aufgrund ihrer diskurskritischen Elemente ausgesucht: Hennig argumentiert überzeugend für die Auswahl diverser Textgattungen in seiner literaturwissenschaftlichen Analyse ›umwelt-engagierter‹ Literatur, denn, wie er sagt, »ein so verstandenes literarisches Umwelt-Engagement [ist] nicht an ein bestimmtes Genre gebunden.« (S. 49). Dabei werden die selektierten Primärtexte in historische, kulturelle und umweltpolitische Kontexte gesetzt, was die Analysen für Leser ohne tiefere Sprach- und Länderkenntnisse problemlos zugänglich macht.
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Der erste Hauptteil des Buches behandelt isländische Texte. Nach der Einleitung, in der die Geschichte Islands, die Entstehung der Nationalidentität und die Beziehung zu Umweltfragen kurz umrissen werden, werden fünf Texte bzw. Textsammlungen behandelt: Halldór Laxness‘ Aufsatz Hernaðurinn gegn landinu (Der Krieg gegen das Land, 1970), Svava Jakobsdóttirs Roman Gunnlaðar saga (Gunnlöð’s Geschichte, 1987), die Romantrilogie von Jón Kalmar Stefánsson (Skurðir í rigningu (Gräben im Regen, 1996) Sumarið bakvið Brekkuna (Der Sommer hinter dem Hügel, 1997) und Birtan á fjöllunum (Das Licht auf den Bergen, 1999)), Andri Snær Magnasons Prosabuch Draumalandið. Sjálfshjálparbók handa hræddri Þjóð (Traumland. Ein Selbsthilfebuch für eine verängstigte Nation, 2006) und Oddný Eir Ævarsdóttir’s Roman Jarðnæði (Grundbesitz, 2011). Kontext und Themen der Primärtexte werden anhand von Zapfs Modell in drei Teilen erläutert: Jeder Text wird im Rahmen seines ›kulturkritischen Metadiskurses‹, ›imaginativen Gegendiskurses‹ und seines ›reintegrativen Interdiskurses‹ (Formulierungen nach Zapf) analysiert. Dabei gerät die Beziehung zu Umweltpolitik und nationalen Ereignissen nie aus dem Blick. Die literarischen Texte werden als Produkt und Antrieb eines sich wandelnden Umweltbewusstseins verstanden und erfüllen damit Hennigs Kriterien für umwelt-engagierte Literatur: »Sie kritisieren die moderne Gegenwart, stellen dieser Bilder früherer, idealisierter Zustände entgegen und entwerfen Auswege in eine alternative Zukunft.« (S. 200).
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Im zweiten Hauptteil des Buches nimmt sich Hennig die norwegischen Texte vor. Die Struktur bleibt gleich: Nach einem Umriss der Geschichte und Geographie des Landes, des nationalen Selbstverständnisses und der norwegischen Umweltpolitik werden fünf norwegische Texte oder Textsammlungen untersucht, die hinsichtlich ihrer Entstehung mit den vorangegangen Beispielen aus Island korrelieren. Zuerst wird das journalistische Buch Fremtiden in våre hender (Die Zukunft in unseren Händen, 1972) von Erik Dammann, dann Knut Faldbakkens Romanpaar Uår—Aftenlandet und Uår—Sweetwater (Unjahre—Das Abendland bzw. Sweetwater, 1974 bzw. 1976) untersucht. Ein weiteres Romanpaar folgt: Sidsel Mørck’s Stumtjenere (Stummer Diener, 1976) und Ikke til salgs! (Nicht zu verkaufen, 1983), danach werden zwei Romane von Gert Nygårdshaug Mengele Zoo (1989) und Chimera (2011) nacheinander behandelt. An den Schluss stellt der Autor den neuesten Roman von Norwegens Erfolgsautor Jostein Gaarder, Anna. En fabel om klodens klima og miljø (Anna. Eine Fabel über das Klima und die Umwelt des Planeten: Die deutsche Übersetzung hat den Titel 2084 – Noras Welt). Wieder geht Hennig mit seinem kritischen Werkzeug an die Texte und untersucht sie ausführlich im Spiegel der norwegischen Kultur- und Umweltpolitik. Er zeigt dadurch, wie sich diese umwelt-engagierte Kulturkritik, obwohl sie zunehmend ein globales Bewusstsein entwickelt, zugleich innerhalb einer nationalen Literaturtradition positioniert: »Somit zeigen zwar alle der analysierten norwegischen Texte eine globale Perspektive auf Umweltfragen, doch rekurriert die Mehrzahl dennoch auf Elemente der nationalen Identität als Teil des kulturkritischen Metadiskurses, des imaginativen Gegendiskurses oder des reintegrativen Interdiskurses.« (S. 371.)
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Die Textanalysen sind ausführlich: Jeder Text wird eingeleitet mit einer Zusammenfassung der Handlung und Hauptfiguren sowie Anmerkungen zu der Form und den ästhetischen Elementen des Textes. Eingebettet werden die Texte in die jeweiligen politischen und kulturellen Kontexte, mit Hinweisen auf Debatten, die auf die Thematik des Textes gewirkt haben. Beispielsweise wird in Hennigs Diskussion von Faldbakkens Uår—Sweetwater auch die kritische Wachstumsdiskussion in Norwegen in den 1970er Jahren herangezogen: »Die Diskussion über die Verknappung natürlicher Ressourcen wurde nicht nur durch Studien wie The Limits to Growth, sondern auch durch die Ölkrise von 1973 beflügelt, die in Norwegen unter anderem zu höheren Investitionen in die staatliche Ölindustrie führte […] Ein als Problem betrachtetes Bevölkerungswachstum, wie es Sweetwater charakterisiert, war in den 1970er Jahren Gegenstand sowohl der nationalen wie auch der internationalen Diskussion, wie etwa das einflussreiche, ebenfalls 1974 erschienene Buch Norge og overbefolkningen (Norwegen und die Überbevölkerung)« (S. 255). Somit ist für die anschließende Untersuchung nach Zapf eine detaillierte Grundlage vorhanden, die der Nachvollziehbarkeit der Argumentation dient.
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Hennig analysiert überzeugend, wie literarische Texte, die sich thematisch mit globalen Themen befassen, in ihrem nationalpolitischen Kontext funktionieren. Er zeigt Sicherheit im Umgang mit neueren theoretischen Impulsen aus dem Bereich des ecocriticism und der environmental humanities und liefert eine klare Definition einer umwelt-engagierten Literatur. Darüber hinaus besticht die Arbeit durch ihre umfassenden Kenntnisse der beiden untersuchten Länder, die gelungene Textauswahl und ausführliche Analysen. Ein wenig starr scheint stellenweise die schematische Struktur – andererseits gewährleistet diese Struktur die ausgeprägte Ordnung der Argumentation. Wünschenswert wäre ein Lektorat gewesen, das auftretende Wiederholungen zu vermeiden geholfen hätte.
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Das Buch ist ein wertvoller Beitrag zu einem Forschungsfeld, das nach wie vor von angelsächsischen Forschung dominiert wird und eröffnet internationalen wie nordischen Wissenschaftlern spannende neue Horizonte.
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