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Ullstein - mehr als ein Buchverlag

  • David Oels / Ute Schneider (Hg.): »Der ganze Verlag ist einfach eine Bonbonniere«. Ullstein in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. (Archiv für Geschichte des Buchwesens - Studien 10) Berlin: Walter de Gruyter November 2014. 433 S. Gebunden. EUR (D) 119,95.
    ISBN: 978-3-11-033721-1.
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Der Titel des Buches ist Programm: Das ganze Buch ist eine mit wissenschaftlichem Konfekt bestückte Bonbonniere – mit 19 Beiträgen und einer vorzüglichen Einleitungspraline von David Oels und Ute Schneider. Dort werden der Rahmen und das weite Panorama dieses Bands aufgespannt:

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Ullstein war so erfolgreich, weil der Verlag hochinnovativ an die neuesten kulturellen, gesellschaftlichen, medialen, ökonomischen, technischen und politischen Entwicklungen anzuknüpfen wusste. Das galt für die Modernisierung des Maschinenparks, die frühzeitige Vermarktung von Filmrechten, die Gründung der ersten modernen Frauen- und Jugendzeitschriften, die legendären Ullstein-Schnitte besonders in Zeiten von Inflation und Wirtschaftskrise, für Sprachlernprogramme, günstige Unterhaltungsliteratur und den Bild- und Fotojournalismus. Gleichzeitig gründete der Erfolg des Konzerns auch im konsequenten Ausnutzen der medialen Verwertungskette für Texte und Bilder. (S. 2)
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Der Band, der in wesentlichen Teilen auf eine Tagung zurückgeht, die im April 2013 am Mainzer Institut für Buchwissenschaft stattfand, geht weit über die Ullstein Chronik 1 hinaus, die sich auf die Buchverlage konzentriert. Vielmehr werden hier in den fünf Sektionen »Unternehmen«, »Periodika und Reihen«, »Autorinnen und Autoren« »Fotojournalismus« und »Familie Ullstein« einzelne Aspekte dieser vielfältigen sowie ereignis- und windungsreichen Firmengeschichte detailliert herausgearbeitet.

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Unternehmen

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In diesem Kapitel stellt Erhard Schütz den bis heute unpublizierten Schlüsselroman Wir können warten über das Haus Ullstein von Stefan Großmann vor; Murry G. Hall berichtet über den seit 1905 agierenden Wiener Ullstein Verlag; Olaf Simons schildert die Korruptionsaffäre um Matthias Lackas, den Leiter der Versandbuchhandlung Arnold, die während des Zweiten Weltkriegs fast so viel Umsatz erwirtschaftete wie der Buchverlag des in Deutscher Verlag umbenannte Mutterkonzerns; Stefanie Martin zeigt am Beispiel der Niederlande, wie sich die Ausweitung des Produktionsgebiets und der Ausbau des Vertriebs in »Kriegswichtigkeitsvorteilen« (S. 86) niederschlug.

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Periodika und Reihen

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Hier werden die 1910 gegründete Architekturzeitschrift Bauwelt und die sich darum gruppierende Produktfamilie (Roland Jaeger) und die Tageszeitung Tempo und deren politisch-ideologische Rolle in den letzten Jahren der Weimarer Republik (Jochen Hung) beschrieben. Sören Ohle wendet sich gegen die These, Rowohlts Monographien stünden formal und personell in der Kontinuität mit den 1919 begonnenen Lebensbildern des Ullstein-Verlags (beide herausgegeben von Kurt Kusenberg), und Carolin Antes porträtiert die bisher unerforschte Romanheftreihe Deutsche Romanpost, die 1943/1944 erschien und nur Bombengeschädigten und Evakuierten gegen Vorlage eines Ausweises zugänglich war.

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Autorinnen und Autoren

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Das Kapitel beginnt mit der Darstellung des zwiespältigen Verhältnisses linker Autoren wie Bertolt Brecht, Heinrich Mann und Kurt Tucholsky zum Konzern und umgekehrt: Es gehörte zum Autorenhabitus jener Zeit, gegen Ullstein zu sein, aber die großzügigen Vorschüsse einzustreichen. Die unvermeidliche Vicki Baum ist zweimal vertreten, einmal in der Analyse der Vermarktungsstrategien der Autorin und ihres Romans Menschen im Hotel (Madleen Podewski), zum anderen in der Positionierung Baums als Marke und die ironische Brechung des Vorgangs in der Komödie Pariser Platz 13 (Joan Weng). Daneben untersucht Volker Bendig das Amerika-Bild des Autors A. E. Johann, eines Autors, der sich in drei unterschiedlichen politischen Systemen – der Weimarer Republik, dem Dritten Reich und dem westlichen Nachdeutschland – erfolgreich auf dem Buchmarkt behauptete.

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Fotojournalismus

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Bernd Weise skizziert die Geschichte des Bildarchivs von Ullstein von den Anfängen im Jahr 1894 bis zur Umwandlung in eine Fotoagentur im Jahr 1950. Nach diesem technischen Zugang folgen zwei Beiträge, die sich ästhetischen Fragen des Fotojournalismus widmen: Patrick Rössler über die Rolle des ›Neuen Sehens‹ in den Zeitschriften Uhu, Querschnitt und Berliner Illustrirte Zeitung und Daniela Gastell über Kunst und Sport im 1921 gegründeten Magazin Querschnitt. Thematisch nicht ganz passt in diesen Block die Beschreibung des Sensationsjournalismus in der Berliner Illustrirten Zeitung und dem nach amerikanischen Vorbildern im Herbst 1928 gegründeten Boulevardblatt Tempo (Maren Tribukait).

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Familie Ullstein

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Dieses Kapitel ist recht inhomogen. Auf die instruktive, auf intensiven Archivrecherchen basierte Darstellung der Fürther Wurzeln des später in Berlin erfolgreichen Juden Leopold Ullstein (Volker Titel) folgen teils diffuse Ausführungen über »unternehmens- und emigrationsgeschichtliche Aspekte«, die exemplarisch »historische Transferprozesse [beleuchten sollen], die sich in den 1930er bis 1950er Jahren zwischen dem Deutschen Reich und den USA vollzogen« (S. 388) haben (Martin Münzel). Beschlossen wird dieses Kapitel mit Ausschnitten aus Briefen des 1938 nach England emigrierten Hermann Ullstein, des jüngsten Ullstein-Bruders, an seine bereits Ende 1934 in die USA ausgewanderte Tochter Edit aus dem Zeitraum 1934–1942 (Zusammenstellung Rainer Laabs).

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Das Buch wird durch rund 70 Schwarz-Weiß-Abbildungen illustriert. Jeder Beitrag bietet eine einleitende Zusammenfassung /Abstract und führt die unveröffentlichten und veröffentlichten Quellen sowie die verwendete Forschungsliteratur auf. Ein Personenregister und das Verzeichnis der Autorinnen und Autoren beschließen den Band.

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Es ist unvermeidlich, dass bei so vielen Mitarbeitern nicht jeder Beitrag das Niveau erreicht, das die Mehrzahl der Aufsätze auszeichnet. Ganz besonders hervorzuheben ist die Einleitung, die die prägende Kraft des Konzerns für die Unterhaltungsindustrie herausarbeitet. Dazu werden nicht nur Zeitungen, Zeitschriften und Bücher eingesetzt, sondern auch populäre Veranstaltungen wie »Autorennen, Boxmeisterschaften oder Rundflüge« (S. 2). Die Angebotspalette ist konsequent »auf den Geschmack des großstädtischen Massenpublikums« (S. 8) ausgerichtet.

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Insgesamt bietet der Band eine hervorragende und notwendige Ergänzung zu den hauseigenen Festschriften, die bislang vor allem die Unternehmensgeschichte des Hauses Ullstein dokumentierten.

 
 

Anmerkungen

Anne Enderlein unter Mitarbeit von Ulf Geyersbach (Hg.) Ullstein Chronik 1903–2011. Berlin: Ullstein 2011. Vgl. dazu Günther Fetzer: Zwischen Firmenschrift und Wissenschaft – Ein Überblick über neuere Verlagsgeschichten. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 67 (2012), S. 226–229.   zurück