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Alter Wein in neuen Schläuchen?

Zwei 'neue' Handbücher zur Medien-und Buchwissenschaft

  • Thomas Keiderling (Hg.): Lexikon der Medien- und Buchwissenschaft. analog | digital. (Bibliothek des Buchwesens 26) Stuttgart: Anton Hiersemann 2016. XXIV, 960 S. zahlri. Abb. Kartoniert. EUR (D) 294,00.
    ISBN: 978-3-7772-1612-6.
  • Konrad Umlauf (Hg.): Grundwissen Medien, Information, Bibliothek. (Bibliothek des Buchwesens 25) Anton Hiersemann 2016. 290 S. Softcover. EUR (D) 44,00.
    ISBN: 978-3-7772-1603-4.
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Gegenstand und Leitfragen

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Auch in Zeiten von Google & Co. haben Lexika unverändert ihren Wert. Unabhängig von ihrer medialen Ausgabeart bieten sie strukturiertes, kuratiertes, sachgerecht ausgewähltes und verdichtetes Wissen zu einzelnen Fachgebieten und Disziplinen. Sie schaffen so die Grundlage für die selbständige, tiefer gehende Einarbeitung in ein Spezialthema. Vielleicht sind orientierungstiftende Lexika in Zeiten des unüberschaubaren Inhalte-Universums des Internets heute nötiger denn je.

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Dies gilt auch für die Buch- und Medienwissenschaft sowie die Bibliothekswissenschaft, denn wie die betreffenden Medien und Institutionen selber haben sich auch die wissenschaftlichen Fragestellungen und Methoden dieser Disziplinen in den letzten Jahren signifikant verändert. Einschlägige Verlage wie De Gruyter, Reclam, Hiersemann oder Metzler haben daher wiederholt ein- oder mehrbändige Referenzwerke herausgebracht, um für Studierende, Wissenschaftler und Praktiker verlässliches Grundlagenwissen bereitzustellen. Die beiden neuesten wurden von Konrad Umlauf (2016) bzw. Thomas Keiderling (2016 ff.) für den Hiersemann-Verlag herausgegeben.

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Die folgende Rezension dieser beiden Lexika zur Medien- und Buchwissenschaft bzw. zur Bibliotheks- und Informationswissenschaft stellt diese in einen größeren Kontext einschlägiger Nachschlagewerke, die – wenn man den älteren Begriff verwenden möchte – umfassendes Wissen auf dem Feld des »Buchwesens« präsentieren. Beiden ist gemeinsam, dass sie auf mehrbändigen, schon früher bei Hiersemann erschienenen Werken basieren: das einbändige Lexikon Grundwissen Medien, Information, Bibliothek (ed. Umlauf) auf dem erst kurz zuvor abgeschlossenen Lexikon der Bibliotheks- und Informationswissenschaft in zwei Bänden (2011/2014); das auf drei Bände angelegte Lexikon der Medien- und Buchwissenschaft (ed. Keiderling) hingegen primär auf dem wesentlich älteren Standardwerk Lexikon des gesamten Buchwesens in zweiter Auflage (9 Bde., 1987–2016).

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Im Sinne des noch immer gültigen und erhellenden Beitrags von Georg Jäger Von Pflicht und Kür im Rezensionswesen (http://www.iasl.uni-muenchen.de/discuss/lisforen/jaerezen.html) stellt die Rezension die beiden besprochenen Werke zunächst ausführlich vor, um diese jeweils an den hier formulierten Leitfragen zu messen. Abschließend wird die kritische Gesamtwürdigung beider Lexika in den Marktkontext eingebettet. Leitende Fragen bei der Evaluation waren:

- Wie ist in quantitativer und qualitativer Hinsicht jeweils das Verhältnis zum mehrbändigen Vorlagenwerk? Welchen Mehrwert bieten die abgeleiteten neuen Kompendien?

- Was bieten die Lexika inhaltlich? Was sind ihre Schwerpunkte im weiten Feld des »Buchwesens«? Nach welchen Relevanzkriterien haben die Herausgeber die Lemmata ausgewählt, und wie stellen sich die Proportionen im Artikelkorpus insgesamt dar (Makrostruktur)?

- Welche Zielgruppen werden von den Herausgebern in den jeweiligen Vorworten benannt? Sind die vorliegenden Lexika geeignet, diese Zielgruppen zu erreichen und ihre Informationsbedürfnisse zu befriedigen?

- Was lässt sich über die Lexika in Bezug auf ihre Benutzerfreundlichkeit, z.B. über ihre Recherchierbarkeit, die Qualität der Abbildungen und des Layouts, die Mikrostruktur der Artikel usw., sagen?

- Wie ist das Preis-Leistungs-Verhältnis? Wer kauft das Werk angesichts der Preisfestsetzung des Verlages?

- Was müssen Zweitverwertungen von Lexika generell bieten, damit sie für die Nutzer einen Mehrwert stiften und im Markt erfolgreich positioniert werden können?

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»Grundwissen Medien, Information, Bibliothek« (ed. Umlauf)

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Grundwissen Medien, Information, Bibliothek ist als kompaktes, knapp 300 Seiten umfassendes Handbuch konzipiert. Das Kompendium ist als Band 25 der Reihe »Bibliothek des Buchwesens« erschienen. Der Hardcover-Band kostet 44,- € und wurde im März 2016 veröffentlicht. Der Verlag bietet derzeit ausschließlich eine Print-Ausgabe an. Der Herausgeber Konrad Umlauf ist emeritierter Professor am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin und Autor und Herausgeber zahlreicher einschlägiger Publikationen.

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Die ca. 550 zweispaltig gesetzten Artikel sind dem Lexikon der Bibliotheks- und Informationswissenschaft entnommen (LBI, 2 Bde., hrsg. von Konrad Umlauf u. Stefan Gradmann, Stuttgart: Hiersemann 2011/2014; 480 bzw. 527 Seiten; jew. 278,- €), das mit ca. 4500 Artikeln um ein Vielfaches umfangreicher ist. Es handelt sich also um eine komprimierte Zweitverwertung der LBI-Substanz. Die Artikel wurden, falls nötig, aktualisiert. Teilweise ist diese Aktualisierung aber auch unterblieben, was sich z.B. in Artikeln wie »Medienmarkt« (S. 74 f.) als kritisch erweist, da hier unverändert Marktdaten von 2012 (!) präsentiert werden. Die Einführung benennt Zweck und Zielgruppe des Einbänders: Er soll Studierenden und Praktikern (u. a. Journalisten, Verlagsmitarbeitern, Bibliothekaren) »Grundwissen über Medien, Information und Bibliotheken« (S. 1) vermitteln.

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Das Handbuch folgt dabei einem besonderen Strukturprinzip: Die ausgewählten Lemmata werden nicht in alphabetischer Ordnung präsentiert, sondern systematisch in vier Kategorien eingeordnet: »Theorie« (S. 3-29), »Medien« (S. 31-101), »Information« (S. 103-215) und »Bibliotheken und Informationseinrichtungen« (S. 217-266). Der Herausgeber versteht diese Abteilungen als »Kapitel«. Sie sind nicht alphabetisch strukturiert, sondern reihen die Artikel nach einer sachlogischen Ordnung, die vom Allgemeinen zum Besonderen führt. Dahinter steht offenbar die Annahme, dass der Leser diese »Kapitel« linear, d. h. wie den kohärenten Fließtext einer Monographie, rezipiert. Ein detailliertes Register (S. 267-290) erlaubt zusätzlich den punktuellen Zugriff auf einzelne Lemmata. Sie sind halbfett gesetzt, wenn ihnen ein separater Artikel gewidmet ist; kommen sie nur passim in anderen Artikeln vor, recte. Jedes »Kapitel« wird von einer kurzen Einführung eingeleitet (inkl. knappem Literaturhinweis mit max. 1-3 Titeln). Ein Gesamt-Literaturverzeichnis gibt es in diesem Handbuch erstaunlicherweise nicht. Auch die bibliographischen Hinweise am Ende jedes LBI-Artikels sind vollständig gestrichen worden.

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Die »Kapitel« des Handbuchs weisen durchaus eine stringente Binnenlogik auf. So beginnt etwa das Kapitel »Theorie« mit dem Lemma »Daten« und expliziert sodann grundlegende Begriffe wie »Information«, »Bibliometrie« und »Medientheorie«, um schließlich in den – eine der beteiligten Disziplinen beschreibenden – Begriff »Museologie« zu münden. Der Herausgeber hat sich hier offenbar von einer (subjektiven) semantischen Relation zwischen den Stichwörtern leiten lassen, die zu einem kohärenten Überblick führen soll, wenn ein Leser denn den Versuch unternähme, gereihte, in ihrer Gesamtheit dann doch sehr heterogene Lexikonartikel linear nacheinander zu lesen.

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Insgesamt lässt sich konstatieren, dass das Lexikon für das Fachgebiet zentrale Stichwörter aufnimmt und erklärt. Der Ratsuchende erhält substanzielle Erstinformationen z. B. zu Begriffen wie »Archiv«, »Benutzerforschung«, »Bibliothek«, »Buch«, »Digital Rights Management«, »Editionswissenschaft«, »Handschrift«, »Informationskompetenz«, »Ladenpreisbindung«, »Metadaten«, »Nomenklatur«, »Papierzerfall«, »Repositorium«, »Semantic Web«, »Urheberrecht«, »Weblog«, »XML«, »Zitationskette« usw., d. h. besonders für die Zielgruppe »Bibliotheks- und Informationswissenschaftler« relevante Informationen. Die Auswahl der Stichwörter erfolgt ausgewogen und ergibt insgesamt ein terminologisches Netz, das als Grundlage für die weitere praktische oder theoretische Arbeit dienen kann.

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Vergleicht man die Artikel exemplarisch mit der LBI-Substanz, so zeigt sich, dass der Text meistens großflächig übernommen, aber im Einzelnen komprimiert bzw. leicht umformuliert wurde, und dass alle Verweise und Literaturhinweise entfallen sind (vgl. z. B. die Artikel »Klassifikation«, »Medienbruch«und »Schulbibliothek«). Insgesamt handelt es sich somit um ein nach systematischen Kriterien strukturiertes Konzentrat des Ausgangswerkes, das mit Ausnahme seiner Kompaktheit und der Verdichtung der bereitgestellten Informationen keinen signifikanten Mehrwert gegenüber dem LBI bietet. Dieser Befund stellt nicht in Abrede, dass die einzelnen Artikel informativ, begrifflich präzise, stringent strukturiert und aktuell sind. Insgesamt dienen sie vor allem einer ersten grundlegenden terminologischen Orientierung bei Fragen zu Fachbegriffen der Medientheorie und Informationswissenschaft.

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Eine kritische Würdigung dieses Einbänders kann allerdings immer nur in Relation zum zweibändigen LBI erfolgen und muss die Frage beantworten, ob »Grundwissen Medien, Information, Bibliothek« ein für das Fach notwendiges Handbuch ist und ob es seine Zielgruppe erreicht bzw. ihr den Nutzen stiftet, den sie erwartet. Jenseits der unbestreitbaren Qualität der konzisen Begriffsbestimmungen im Einzelnen, die in der Tat im Sinne des Herausgebers solides »Grundwissen« (S. 1) vermitteln, muss daher konstatiert werden, dass das Werk nicht zuletzt wegen der fehlenden bibliographischen Hinweise und der Reduktion der Lemmata auf ca. 12% des Ausgangsbestandes hinsichtlich seines Informationsgehalts deutlich hinter dem LBI zurücksteht.

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Dass die vom Herausgeber adressierten Zielgruppen, u.a. Journalisten und Praktiker, die einzelnen Artikel, d. h. fragmentierte Texteinheiten, jemals nacheinander in ihrem systematischen Zusammenhang lesen, dürfte eine allzu optimistische bzw. unrealistische Vorstellung sein, zumal sich aus solch modularisierter Lektüre kein kohärentes Überblickswissen gewinnen ließe. Der für Studierende sicher zu hohe Preis und die Positionierung als gediegener Hardcover-Band in der Reihe »Bibliothek des Buchwesens« tragen zusätzlich dazu bei, dass dieser Einbänder wie schon das LBI primär als Bibliothekswerk einzuschätzen ist. Damit ist eine Differenzierung im Hinblick auf den potenziellen Mehrwert für die avisierten fachspezifischen Zielgruppen, die genauso gut das LBI konsultieren können, freilich kaum gegeben. Eine Marktentwicklung durch Marktsegmentierung ist aber in der Regel der Hauptzweck solcher Lexikon-Zweitverwertungen. Er wird in diesem Fall verfehlt. Dass dieses Werk nur in einer Print-Ausgabe zu haben ist, steht zusätzlich in krassem Gegensatz zum aktuellen Informationsbeschaffungsverhalten der in der Einführung genannten Zielgruppen, die sich wie z. B. Journalisten und Verlagsmitarbeiter bekanntlich zunehmend punktuell online orientieren (und dies wegen der Zeitknappheit im Tagesgeschäft auch müssen).

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Insofern wirkt das in Kapitel gegliederte »Grundwissen« etwas aus der Zeit gefallen und wie ein wenig ergiebiges spin-off, das keinen neuen Nutzen stiftet, sondern dessen Versionierungsprinzip lediglich in der Kondensierung und Neugruppierung bereits zugänglicher Inhalte besteht. Dass dieses Konzept mit den aktuellen Bedürfnissen der Zielgruppen korrespondiert und die zahlreichen (kostenlosen) Online-Substitute überbieten kann, darf bezweifelt werden.

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»Lexikon der Medien- und Buchwissenschaft« (ed. Keiderling)

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Das Lexikon der Medien- und Buchwissenschaft. analog / digital, herausgegeben von dem Leipziger Historiker und Medienwissenschaftler Thomas Keiderling, ist wie der zuvor besprochene Titel im Verlag Hiersemann in der Reihe »Bibliothek des Buchwesens« erschienen. Auch hier hat sich der Verlag für eine reine Print-Ausgabe entschieden. Das Lexikon ist auf drei Teilbände angelegt und kostet pro Band 122,- €; der Subskriptionspreis beträgt 98,- € pro Band mit jeweils ca. 320 Seiten. Der erste Teilband (A-F) ist 2016 herausgekommen, der zweite Ende 2017 (G-M), der dritte ist für September 2018 angekündigt. Auf Literaturangaben am Ende der Artikel wird mit dem Verweis auf die Recherche in Onlinekatalogen von Bibliotheken (S. VI) verzichtet. Bei Abfassung dieser Besprechung lag lediglich der erste Band vor. Der Band ist zweispaltig in angenehmer Lesegröße gesetzt. Die Abbildungen sind in vielen Fällen leider zu stark abgedunkelt und teilweise in zu geringer Auflösung reproduziert worden, so dass sich ein unscharfes Bild ergibt (vgl. u. a. die Brevierhandschrift S. 20 oder den Kupferstich S. 120).

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Die Titelformulierung verspricht dem Nutzer ein »Lexikon der Medien- und Buchwissenschaft«, das laut den Vorbemerkungen in ca. 5.500 Artikeln »Zugang zu einer mehr als 2.000 Jahre umfassenden Entwicklung der Medien-, Medienberufe und Mediennutzung« verspricht, ebenso wie die Berücksichtigung des Medienwandels von analog zu digital (S. V). Zielgruppe sind »Auszubildende, Studierende und Wissenschaftler ebenso wie Berufsangehörige der Medienbranche im erweiterten Sinne« (ebd.), wobei die zuletzt genannte Gruppe mit Kulturschaffenden, Herstellern, literarischen Institutionen, Bereitstellern und Bewahrern sowie Nutzern, Sammlern und Liebhabern von Medien aufgezählt wird (ebd.). Sowohl der Titel als auch die Beschreibung der Zielgruppe in den knappen Vorbemerkungen werfen die Frage nach einer klaren inhaltlichen und zielgruppenorientierten Fokussierung auf. Generalisierend werden »Medien« bzw. »Medienwissenschaft« adressiert, denen »Buch« bzw. »Buchwissenschaft« – als Teilgebiet der Medienwissenschaft? ‒ unter- bzw. nebengeordnet sind. Sowohl die Durchsicht der gebotenen Lemmata als auch die Entstehungsgeschichte des Lexikons zeigen jedoch, dass gegenüber den buchspezifischen Artikeln andere Medien nur ein Schattendasein führen. Der Film zum Beispiel ist lediglich mit fünf kürzeren Artikeln vertreten (»Film«, »Filmarchiv«, »Filmbuch«, »Filmwissenschaft«, »Filmzeitschrift«). Zum Vergleich sei hier das einbändige, 380 Seiten umfassende Metzler Lexikon Medientheorie und Medienwissenschaft. Ansätze – Personen – Grundbegriffe (2002) angeführt, das von einem übergeordneten medien- und kommunikationswissenschaftlichen Ansatz ausgeht, dem die Einzelmedien ‒ auch das Buch und weitere Schriftmedien ‒ mediensystematisch eingeordnet sind. Dem Film allein sind elf umfangreiche und gewichtige Artikel gewidmet (u. a. »Filmgeschichtsschreibung«, »Filmindustrie«, »Filmnarratologie«, »Filmsemiotik«, »Filmsprache«, »Filmtechnik«, »Filmtheorie«), die einen umfassenden sachlichen und theoretischen Einstieg bieten.

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Diese Buchlastigkeit erklärt sich auch aus der Entstehungsgeschichte des besprochenen Werks, das formal zutreffend als »neue[s] Lexikon« angekündigt ist, zum größten Teil jedoch eine Kompilation bereits publizierter Lexika darstellt. Die Vorbemerkung verweist auf das »Lexikon des gesamten Buchwesens (LGB2)« (in zweiter Auflage herausgegeben von Severin Corsten, in 9 Bänden erschienen von 1987-2016; seit 2017 digital auf der Plattform Brill online für 3.450,- € im Datenkauf verfügbar) sowie das oben bereits genannte zweibändige Lexikon der Bibliotheks- und Informationswissenschaft (LBI) (2011/2014), das bereits zur Grundlage von »Grundwissen Medien, Information, Bibliothek« (s.o.) wurde. Es handelt sich also zumindest in Teilen um eine Zweit- bzw. Drittverwertung. Der genaue Anteil der aus dem LGB2 oder dem LBI ‒ beide ebenfalls bei Hiersemann erschienen ‒ entnommenen Artikel wird nicht klar beziffert. Aus dem LGB2 wurden nach Aussage der Vorbemerkungen »zahlreiche einschlägige und sachlich unverändert zutreffende Artikel […], wo geboten in aktualisierter und leicht redigierter Form« (S. V) übernommen. Aus dem LBI haben ca. 40 Autoren »einige ihrer dort veröffentlichten Artikel in einer Überarbeitung« zur Verfügung gestellt. Im Börsenblatt (52/2017, S. 44) räumt der Herausgeber ein, dass es in seinem Lexikon zahlreiche »Einträge [gibt], die nicht von aktuellen Änderungen betroffen sind [...]. Diese konnten zum Teil unverändert oder in Bearbeitungen aus älteren Nachschlagewerken des Verlags Hiersemann übernommen werden.«

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Das Lexikon der Medien- und Buchwissenschaft verweist bei den übernommenen Artikeln selbst nicht auf das jeweilige Ursprungswerk. So ist unklar, ob diese einfach wieder abgedruckt oder bearbeitet übernommen worden sind. Die Artikel sind mit dem Namen des Verfassers gekennzeichnet, die Quelle wird für die übernommenen Artikel allerdings nicht angegeben. Problematisch ist dieses Verfahren aus unterschiedlichen Gründen. Bei den Artikeln, die aus den frühen Bänden des LGB2 am Anfang des Alphabets stammen, liegt deren Abfassungszeit unter Umständen 30 oder 40 Jahre zurück. Hier wäre dem Nutzer, der sich am Erscheinungsjahr 2016 orientiert, eine höhere Transparenz geschuldet. Ebenso wird die Frage einer transparenten ›Zitation‹ der Inhalte aufgeworfen: Der Nutzer weiß nicht, welche Artikel ›neues‹ Wissen enthalten und welche recycelt oder (wie?) überarbeitet wurden.

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Zur Klärung der Artikelherkunft wurden aus dem ersten Band zwei Stichproben analysiert: »Bogen« bis »Byte« (235 Lemmata) und »Folge« bis »Fuzzy Retrieval« (105 Lemmata). Für die erste Lemmastrecke zeigt sich: 121 Artikel, d. h. 51% des Korpus, wurden unverändert aus dem LGB2 übernommen. 7% (16) stammen aus dem LBI, 12% (27) sind Verweise ohne eigenen Artikel. Lediglich 30% (71) der Artikel wurden – bis auf wenige Ausnahmen vom Herausgeber – neu verfasst. Für die zweite Tranche zeigt sich folgendes Bild: Von den 105 angeführten Lemmata sind 20 (19%) Verweise ohne eigenen Artikel. Neu sind 12 Artikel (11%), die vom Herausgeber verfasst wurden. In vier Fällen handelt es sich dabei um Lemmata, die neu angesetzt wurden, während alle anderen zwar im LGB2 oder im LBI vorkommen, aber nicht daraus übernommen worden sind. Aus dem LBI stammen nur 6 Artikel (6%). Das LGB2 macht als Quelle den Löwenanteil von 67 aller Artikel aus (64%). In mehr als einem Drittel der Fälle handelt es sich um identische Übernahmen, etwas weniger als je ein Drittel entfallen auf weitgehend textidentische, aber gekürzte Abdrucke sowie (leicht) überarbeitete und gekürzte Ursprungsartikel. Bei der Auswahl der Lemmata hat sich der Herausgeber deutlich am LGB2 orientiert, ergänzt durch Stichworte aus dem LBI.

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Die Konzeption eines Lexikons obliegt dem Herausgeber und steht diesem natürlich frei. Sie wird in aller Regel im Vorwort offen gelegt. Aufgabe des Rezensenten ist es aber, die Umsetzung und das tatsächlich Gebotene daran zu messen. Das Lexikon der Medien- und Buchwissenschaft erweckt mit der Titelformulierung und der Selbstbeschreibung in den Vorbemerkungen viel mehr, als dann tatsächlich eingelöst wird. Dies betrifft die inhaltliche Konzeption, die nicht dem umfassenden Anspruch eines medienwissenschaftlichen Werks gerecht wird, ebenso wie dem Anspruch, ›neu‹ zu sein. Der Anteil wirklich neuer Inhalte ist gering. Dies zeigt im Detail die Analyse der Stichproben.

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Einem Verlag ist eine Mehrfachverwertung von Content, an dem er die Rechte hält, nicht zu verwehren. Eine andere Frage ist es, wie transparent dies dem Käufer und Nutzer offen gelegt wird. Diese Frage ist insbesondere für Fachreferenten und Bibliothekare virulent, die das LGB2 oder LBI bereits früher angeschafft haben und nach dem Kauf des neuen Lexikons der Medien- und Buchwissenschaft womöglich feststellen müssen, dass sie viel Geld für Inhalte ausgegeben haben, die sie größtenteils bereits besitzen. Denn dass es sich im Kern um eine nur geringfügig erweiterte Wiederverwertung älterer Lexikonsubstanzen handelt, kommt in den Werbeflyern des Verlages zu dieser »Neuerscheinung« nicht zum Ausdruck.

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Fazit

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Wir fassen zusammen: Mit beiden Lexika legt der Verlag informative buch- und medienwissenschaftliche Referenzwerke vor, die allerdings 1. größtenteils spin-offs von LGB2 und LBI darstellen und dem Leser daher nur bedingt einen neuen Nutzen bieten, 2. mit 122,- € (Keiderling; d.h. komplett 366,- € !) bzw. 44,- € (Umlauf) für die avisierten Zielpersonen (bes. Studierende, Journalisten usw.) zu teuer sind und daher wie ihre Vorgänger primär als Bibliothekswerke anzusehen sind, und 3. als reine Printwerke dem heutigen Mediennutzungsverhalten der relevanten Zielgruppen und der allfälligen Aktualisierungsbedürftigkeit medienwissenschaftlicher Inhalte nicht hinreichend Rechnung tragen. Die beiden besprochenen Lexika unterscheiden sich in Inhalt, Profil und Zielgruppe zu wenig von den Ausgangswerken, um für mit dem LGB2 und dem LBI vertraute Fachleute – und sie dürften ja realistischerweise die Kernzielgruppe sein – attraktive Novitäten zu sein, deren (zusätzliche) Anschaffung sich lohnt. Beide Lexika wirken wie eher von der (verlegerischen) Intention der ökonomisch plausiblen Mehrfachverwertung vorhandener Inhalte her gedacht als von den Bedürfnissen der Zielgruppen und des Marktes.

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Dies erstaunt umso mehr, als es ja bereits verschiedene kompakte und qualitätsvolle Referenzwerke zur Buch- und Medienwissenschaft bzw. zur Medienökonomie gibt, die sich in Profil und Preis dezidiert an Individualkäufer wenden. Die Liste der Titel reicht von Reclams Sachlexikon des Buches (ed. Rautenberg, 20153, 22,95 €) über das Wörterbuch des Buches (ed. Hiller/Füssel, 20067, 23,90 €) bis zum Gabler Kompakt-Lexikon Medien (ed. Sjurts, 2006, 39,99 €) und dem Metzler Lexikon Medientheorie und Medienwissenschaft (ed. Schanze, 2002, 39,90 €). Wenigstens erwähnt werden sollen die etwas anders positionierten Titel Lexikon Buch – Bibliothek – Neue Medien (ed. Strauch/Rehm, 20072, 84,95 €), Lexikon Buch – Druck – Papier (J. E. Zender, 2008, 24,94 €), das kleine Buchhändler-Vademecum ABC des Buchhandels (ed. Gillitzer, 200911, 25,- €) sowie die verschiedenen medien- und bibliotheksbezogenen »Praxishandbücher« des Verlages De Gruyter Saur. An Kompendien zur Buch- und Medienwissenschaft ist also kein Mangel, und dabei sind die zahlreichen Online-Substitute, z.B. das Internet-Lexikon Wikipedia, das z. T. hervorragende, verlinkte Sachinformationen bietet, oder die Informationsangebote des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, des Deutschen Bibliotheksverbandes oder der buchwissenschaftlichen Hochschulinstitute (z.B. in Erlangen, Leipzig, Mainz, München u. Stuttgart) noch gar nicht mitgezählt.

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Produktpolitisch innovativer wäre es gewesen, wenn der Verlag das LGB2 und das LBI in einer vernetzten Datenbank, ggf. erweitert um weiteren buchwissenschaftlichen Content aus dem Hiersemann-Programm, zusammengeführt und als leistungsfähige elektronische Ressource für Institutionen bereitgestellt hätte. Durch die vorausgegangene Lizenzierung des LGB2 an Brill (Brill Online Reference Works) war dies für den Verlag vermutlich keine Option mehr. So bleibt als Fazit das ambivalente Bild zweier neu- erschienener medien- und buchwissenschaftlicher Print-Lexika, deren inhaltliche Qualität grundsätzlich außer Frage steht, die aber offenkundig viel alten Wein lediglich in neue Schläuche füllen und damit den Bedürfnissen der Zielgruppen wie der Marktsituation nur bedingt gerecht werden.